Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den 14ten

Schon mehreremal habe ich den Architekten Herrn Nash besucht, dem ich viel Lehrreiches in meiner Kunst verdanke. Man sagt, daß er sich ein Vermögen von 500 000 L. St. im speziellen Sinne des Wortes ›aufgebaut‹ habe. Er besitzt einige herrliche Landsitze, und kein Künstler in der Stadt wohnt auch in dieser anmutiger. Vor allen gefiel mir seine Bibliothek.

Sie bildet eine lange, breite Galerie mit zwölf tiefen Nischen auf jeder Seite und zwei großen Portalen an den Enden, die in zwei andere geräumige Zimmer führen. Die Galerie ist flach gewölbt, und erhält einen Teil ihres Lichts von oben durch eine zusammenhängende Reihe eleganter Rosetten, deren mattes Glas verschiedene grau in grau gemalte Figuren schmücken. In jeder Nische befindet sich in der Decke ebenfalls ein halbrundes Fenster von lichtem Glase, an der Rückwand oben ein a fresco-Gemälde aus den Logen Raphaels, und unter diesem auf Postamenten aus Gips-Marmor: Abgüsse der besten Antiken. Den übrigen Raum der Nische nehmen Schränke mit Büchern ein, welche jedoch nicht höher, als das Postament der Statue ist, emporsteigen. Auf den breiten Pfeilern zwischen den Nischen sind ebenfalls Arabesken nach Raphael aus dem Vatikan, vortrefflich a fresco ausgeführt.

Vor jeder Nische, und etwas entfernt davon, steht in der mittleren Galerie ein Tisch von Bronze mit offenen Fächern, welche Mappen mit Zeichnungen enthalten, und auf den Tischen Gipsabgüsse irgend eines berühmten architektonischen Monuments des Altertums. Ein breiter Gang bleibt noch in der Mitte frei.

Aller Raum an Wänden und Pfeilern, der keine Malereien enthält, ist mit mattem Stuck belegt, der in einem blaßrötlichen Tone gehalten und mit goldnen schmalen Leisten eingefaßt ist. Die Ausführung erscheint durchgängig gediegen und vortrefflich.

Als ich von hier zum dinner fuhr, sah ich in der Themse ein Boot, mit ganz nackten Menschen, gleich Wilden, darin, von denen zu Zeiten einer hinaussprang, um zu schwimmen, eine Indezenz, die mich mitten in London verwunderte, um so mehr, da ich erst gestern in der Zeitung las, daß vor einiger Zeit ein Offizier einen Mann, der sich auf ähnliche Art mit seinem Sohne nackt unter den Fenstern seines Hauses badete, und der auf seinen Zuruf sich nicht entfernen wollte, ohne Umstände mitten durch den Leib geschossen habe. Vor Gericht sagte er aus, daß der Badende sich vor den Augen seiner Frau schamlos entblößt, was er nicht habe dulden können, und im ähnlichen Falle daher eben wieder so handeln würde. Es ist charakteristisch, daß er von der Jury freigesprochen wurde. Das Mittagsmahl bei dem portugiesischen Gesandten hätte bald wie das berühmte Fest des Fürsten Schwarzenberg in Paris geendet. Eine der schönen silbernen Girandolen, von Pundel and Bridge, die wie Diamanten glänzte, kam dem Vorhange zu nahe, welche sogleich lichterloh aufloderte. Das Feuer wurde jedoch schnell gelöscht, und zwar vom spanischen Gesandten, was bei den jetzigen politischen Konjunkturen den Zeitungen zu Witzeleien hätte Anlaß geben können.

Spät in der Nacht fuhr ich noch eine halbe Post weit in die Stadt hinein, um mir den Kirchturm von St. Giles zu besehen, dessen neues, kolossales rosenrotes Ziffernblatt mit vielen Lampen erleuchtet, wie ein herrlicher Stern in der Nacht strahlt.

Zu Hause fand ich Deinen Brief mit allerlei liebevollen Vorwürfen, unter andern das Persönliche zu sehr über äußere Dinge zu vernachlässigen. Wäre dieses auch zuweilen der Fall, so denke darum doch nicht, daß mein Herz je weniger von Dir erfüllt sei. Auch die Blume duftet ja zu Zeiten schwächer, zu andern stärker, ja manchmal gibt es wohl gar keine Blume am Rosenstrauch, zu seiner Zeit dringen und blühen sie dann alle wieder hervor – aber die Natur der Pflanze bleibt immer dieselbe.

Herders Gebet ist schön, doch hier auf Erden bewährt es sich nicht, denn hier scheint zwar Gottes Sonne über Gute und Böse, aber auch Gottes Gewitter trifft Gute und Böse. Jeder muß sich selbst wahren so gut er kann!

Die Menschen sind Dir lästig, sagst Du – ach Gott, und wie lästig sind sie mir! Wenn man so lange in größter Intimität der Austauschung aller Gefühle und Aufrichtigkeit aller Gedanken miteinander gelebt hat, wird der Umgang mit der banalen teilnahmlosen Welt oft mehr als leer und geschmacklos.

Deine Hypothese, daß hier verwandte Seelen einst in einer andern Welt zu einem Wesen sich verschmelzen, ist wohl lieblich, aber mit Dir möchte ich doch nicht auf diese Weise verbunden werden, denn ein Wesen muß sich freilich selbst lieben, zwei aber lieben sich freiwillig, und nur das hat Wert! Wir wollen uns also zwar immer wieder begegnen, aber auch immer nur durch gegenseitige Liebe und Treue Eins werden, wie wir es jetzt sind, und vorderhand auf dieser Welt auch so lange als möglich noch bleiben mögen.

Diese Betrachtung bringt mich ganz natürlich zum Gegenwärtigen wieder zurück, in dessen vielfachem Treiben der Strom mich gestern auf die hiesige Kunstausstellung führte. Von historischen Gemälden war wenig Erfreuliches zu sehen. Einige Portraits von Thomas Lawrence zeigten, wie immer, eben so sehr sein Genie wie seinen Übermut, mit dem er mir einzelne Teile ausmalt, und alles übrige so hinkleckst, daß man es nur von weitem, wie eine Theater-Dekoration, betrachten muß, um es einigermaßen den darzustellenden Gegenständen ähnlich zu finden. So malten Raphael und die Heroen der Kunst nicht, wenn sie sich einmal zur Portraitmalerei verstanden. Unter den Genre-Bildern fand sich dagegen manches sehr Anziehende.

Zuerst: Der tote Elephant. Man erblickt eine wilde Berggegend im Innern Indiens; seltsame Riesenbäume und üppig verworrenes Gestrüpp, tiefer Wald im Hintergrunde, umgeben einen dunkeln See. Ein toter Elephant liegt vorn am Ufer ausgestreckt, und ein, seinen Rachen weit aufsperrendes, und die furchtbaren Zähne fletschendes, Krokodil klettert eben an ihm herauf, einen ungeheuren Raubvogel verjagend und den andern Krokodilen drohend, die aus dem See eilig zum Fraße herbeischwimmen. Auf den Ästen der Bäume wiegen sich Geier, und in den Büschen zeigt sich eben der Kopf eines Tigers. Auf der andern Seite erblickt man aber schon mächtigere Raubtiere, nämlich drei englische Jäger, deren Büchsen bereits auf das große Krokodil angelegt sind, und bald unter der greulichen Versammlung noch gräulichere Verwirrung erregen werden.

Ein anderes Stück spielt in Afrika. Das Ufer des Meeres ist die Szene. Man entdeckt Schiffe in weiter Ferne. In der Nähe senkt sich ein Palmenwald, von Lianen durchzogen, bis in die klare Flut ab, wo ein Boot am Anker liegt, in dem ein Neger schläft – aber in welcher schauderhaften Umgebung! Eine der riesenhaften Boa-Schlangen ist aus dem Walde hervorgesprungen und während ihr Schweif noch dort ruht, hat sie vorn schon einen losen Ring um den Schläfer geschlagen und streckt nun ihren Hals hoch empor, zischend den Rachen gegen die Gefährten des Negers öffnend, die mit Beilen zu Hilfe eilen. Eben hat der eine glücklich einen Teil ihres Körpers zerschnitten und so den nun erwachten, mit den Zügen des gräßlichsten Entsetzens auf die Schlange starrenden, Sklaven gerettet; denn sobald die Rückenmuskeln der Boa irgendwo durchschnitten sind, verliert ihr ganzer Körper augenblicklich alle Kraft. Die Szene ist einer wahren Begebenheit treu nachgebildet, die sich 1792 zutrug.

Wir bleiben noch in den fernen Weltteilen, gehen aber zugleich in ferne Zeiten zurück.

Eine wunderherrliche silberne Mondnacht glänzt und glittert über Alexandriens Meerbusen. Die Pracht ägyptischer Denkmäler und Tempel zieht sich am Seegestade in vielfacher Erleuchtung hin, und unter einer Halle von edler Architektur im Vorgrunde, besteigt Cleopatra, von allem Luxus Asiens umgeben, die goldne Barke, ihrem Antonius entgegen zu eilen. Die schönsten Mädchen und Knaben streuen Blumen unter ihre Füße, und ein Chor weißbärtiger Greise in Purpur gekleidet, spielt auf einem Felsen am Meeresstrande sitzend, auf goldnen Harfen das Abschiedslied.

Hast Du noch nicht genug, gute Julie? Nun wohlan, so sieh noch den gereisten Affen, der als exclusive gekleidet zu seinen Brüdern und Schwestern in die Einsamkeit der Wälder zurückkehrt. Alles umgibt ihn staunend, hier zupft einer an der Uhrkette, dort ein anderer am gesteiften Halstuch. Zuletzt gibt ihm, eifersüchtig auf solche Pracht, cocotte eine Ohrfeige, die das Signal zum allgemeinen Ausplündern wird – und, geht das nur noch eine Minute so fort, so steht Balzer bald in naturalibus da, wie meine antiken Statuen, die Dich so sehr skandalisieren.

Hiermit beschließe ich die Kunstausstellung. Gute Julie, gestehe, wenn Du selbst Redakteur des Morgenblattes wärest, Du könntest keinen fleißigern Referenten haben als mich, und es mag mir schlecht oder gut gehen, ich mag traurig oder heiter sein, dennoch tue ich immer meine Pflicht. Grade jetzt geht es mir nicht zum besten. Ich bin unwohl, und habe viel Geld im Whist verloren. Übrigens ist es merkwürdig, wie schnell man sich hier in England gewöhnt, ein Pfund wie einen Taler zu betrachten. Obgleich ich den Unterschied wohl kenne, und oft nicht ganz angenehm empfinde, so bleibt doch der sinnliche Eindruck des Pfundes hier gerade derselbe, wie der eines Talers bei uns, worüber ich oft selbst lachen muß. Ich wünschte, das Schicksal machte auch einmal einen ähnliche Verwechselung, und unsere Taler zu Pfunden, gewiß vergrübe ich das meinige nicht. Doch wucherten wir immer gut mit dem uns Verliehenen, denn wenn man eine verschönerte Gottes-Natur aus totem Gelde zu machen sucht wie ich, so hat man gut gewuchert, auch wenn man glückliche und zufriedene Menschen damit macht, und auch das tat ich durch gegebene Arbeit, Du auf direkterem Wege reichlich durch Wohltaten an die Bedürftigen.

Klugheit war weniger unsre Stärke, und wenn Du etwas mehr als ich davon aufzuweisen hast, so kommt das bloß daher, weil Du ein Weib bist, welche sich immer auf der Defensive halten müssen. Klugheit ist aber weit mehr eine Verteidigungs- als eine Angriffskunst.

Du kannst sie jetzt grade in der S...schen Angelegenheit üben, und ich sehe Dich schon in Gedanken die Widerspenstigen bezähmen, und würdevolle Worte des Friedens über sie aussprechen. Erblicke hier am Rande Dein Portrait à la Thomas Lawrence – Du wirst ohne Zweifel viel von der Anlage zur Kunst darin wahrnehmen, welche der Gallianer auf meinem Schädel gelesen hat, die umstehenden Karikaturen aber rechne meiner etwas mürrischen Laune zu.

Da eine solche plattgedrückte Stimmung aber wenig Gedanken liefert, so erlaube mir, Dir aus einem seltsamen Buche einige Stellen mitzuteilen, von denen Du glauben wirst, daß sie nicht nur aus meiner Feder, sondern auch aus meinem Innersten geflossen sind.

»Es ist nicht zu berechnen«, sagt der Autor, »welche Wichtigkeit die Umgebungen unsrer Jugend auf spätere Charakterausbildung haben. Die düstern Wälder meines Geburtslandes, meine vielfachen einsamen Wanderungen in jener Natur waren es, wo meine frühe Liebe zu meinen eigenen Gedanken entstand, und in dem Maße wie ich auf der Schule mit meinesgleichen bekannter wurde, machte es mir schon der Zustand meines Gemüts ohnmöglich, irgend eine intime Kameradschaft anzuknüpfen, ausgenommen die, welche ich bereits in mir selbst zu entdecken anfing.

Am Tage war einsames Wandern in der Natur meine Freude, abends das Lesen romantischer Fiktionen, die ich mit jenen gesehenen Szenen verband, und ich mochte nun im Winter am Kamin über meinem Buche sitzen oder in wollüstigem Nichtstun im Sommer unter einem Baum ausgestreckt liegen, meine Stunden waren immer angefüllt mit allen den nebelhaften und üppigen Träumen, welche vielleicht die Essenz jener Poesie waren, welche zu verkörpern ich nicht das Genie besaß. Diese Stimmung ist nicht nur für das Leben mit Menschen gemacht. Bald verfolgte ich etwas mit rastloser Tätigkeit, bald lebte ich bloß in tatenloser Reflexion. Nichts gelang meinen Wünschen gemäß, und mein Wesen wurde endlich tief von jener bittern melancholischen Philosophie durchdrungen, die mir, gleich Faust, lehrte, daß Wissen nichts sei als unnützer Stoff, daß in Hoffnung nichts als Trug liege – und die den Fluch auf mich legte, gleich ihm, durch die Genüsse der Jugend, wie alle Lockungen des Vergnügens, immer die Gegenwart eines feindlichen Geistes der Finsternis zu fühlen.

Die Erfahrung langer und bitterer Jahre läßt mich jetzt zweifeln, ob diese Erde je eine lebende Form hervorbringen kann, die den Visionen desjenigen genügen möchte, welcher zu lange nur in den Schöpfungen seiner Phantasie verloren lebte.«

Ein andermal heißt es von einem gepriesenen Manne:

»Er war eine von den macadamisierten Vollkommenheiten der Gesellschaft. Sein größter Fehler war seine vollkommene Ebenheit und Gleichheit, und man schmachtete nach einem Hügel, den man ersteigen könnte oder nach einem Stein, wenn er auch im Wege läge. Liebe hängt sich nur an etwas Hervorstehendes, wäre es auch etwas, das andere hassen würden. Schwer kann man Extreme für Mittelmäßiges fühlen.« Cest vraiment une consolation!

Weiter:

»Unsre Sinne mögen durch Schönheit gefesselt werden, aber Abwesenheit verwischt den Eindruck, Vernunft kann ihn besiegen. Unsre Eitelkeit kann uns Rang und Auszeichnung mit Leidenschaft verehren lassen, aber das Reich der Eitelkeit ist auf Sand gebaut. Doch wer kann den Genius lieben, und nicht inne werden, daß die Gefühle, die er einflößt, ein Teil unsres eignen Wesens und unsrer Unsterblichkeit sind!«


Den 18ten

Glaubst Du wohl, beste Julie, daß ich, obgleich von verschiedenem Unangenehmen berührt, und fast krank, dennoch diese Tage der Einsamkeit, wo ich nur mit Dir, meinen Büchern und Gedanken beschäftigt war, weit genügender, wie soll ich sagen, weit voller ausgefüllt finde, als die trostlose Existenz, welche man große Welt und Gesellschaft nennt. Das Spiel gehört auch dahin, denn es ist eine bloße Zeittötung ohne Resultat, jedoch hat es wenigstens den Vorteil, daß man die Zeit, die man verschwendet, nicht während dem gewahr wird, wie in dem andern Falle. Wie wenig Menschen mögen solche Stimmungen recht verstehen, und wie glücklich kann ich mich schätzen, daß Du es tust. Nur bist Du zu nachsichtig gegen mich, und diese Überzeugung läßt mich Deinen Urteilen keinen vollen Glauben beimessen. Wische also die Rosenfarbe, die Deine Liebe auf das Glas haucht, durch das Du mich beschaust, mit dem Schwamme des kalten Verstandes ein wenig ab (ganz eben nicht) und wage es dann immer keck, auf meine Dir annoncierte Eitelkeit hin, mir ganz unumwunden die Wahrheit zu sagen.

Nun noch die Entdeckung eines Geheimnisses. Wenn ich Dir Exzerpte schicke, kannst Du nie darauf schwören, von wem sie sind, denn vermöge meines gerahmten Kompositions-Vermögens (Du siehst selbst, daß Deville mich noch fortwährend beschäftigt), ist mir das reine Abschreiben fast unmöglich. Es wird selbst ein fremder Stoff immer etwas anders, wenn auch nichts besseres, unter meinen Händen. Weil ich aber so beweglich bin, erscheine ich gewiß oft inkonsequent, und meine Briefe mögen daher manche Widersprüche enthalten. Dennoch, hoffe ich, tritt immer ein rein menschlicher Sinn daraus hervor, und hie und da wohl auch ein ritterlicher, denn jeder zahlt den Umständen, die Geburt und Leben umschließen, seinen schuldigen Tribut.

Lebten wir wohl schon zusammen in jenen wahren Ritterzeiten? Gewiß, denn gar lieblich erhob sich schon oft vor meiner Phantasie wie eine dunkle Erinnerung das reizende Bild der Burg unsrer Väter, die wir damals bewohnten, im wilden Spessart vom Felsen herabdrohend, rund umher alte Eichen und Tannen, und durch den Hohlweg im Tal sehe ich den Besitzer mit seinen Reisigen der Morgensonne entgegen ziehen (denn als Ritter stand er früher auf). Du, gute Julie, lugst vom Söller und winkst und wehst mit dem weißen Tuche, bis kein Stahlpanzer mehr in den Sonnenstrahlen blinkt und nichts Lebendes mehr sichtbar bleibt, als ein scheues Reh, das aus dem Laube schielt, oder ein hochgeweihter – Hirsch, der auf der Bergspitze sich ernsthaft die Gegend beschaut.

Ein andresmal sitzen wir, nach glücklich geendeter Fehde, beim Humpen, wie in Paris einmal beim Champagner. Du kredenzest, ich trinke ritterlich, und der gute Hauspfaff liest die Wunder einer Legende. Da schallt des Zwerges Horn vom Turme, und zeigt ein Fähnlein an, das sich dem Burgtor nähert. Dein ehemaliger Geliebter ist's, der aus dem gelobten Lande zurückkehrt. – Gare à toi!Es ist historisch erwiesen, daß selbst die alten deutschen Ritter schon die Unart hatten, sich zuweilen französischer Floskeln zu bedienen. A. d. H.


Den 19ten

Ein freundlicher Sonnenblick lockte mich ins Freie, das ich jedoch bald wieder mit dem Unterirdischen vertauschte. Ich besah nämlich den berüchtigten Tunnel, die wunderbare, 1200  Fuß lange communication unter der Themse. Du hast wohl in den Zeitungen gelesen, daß vor einigen Wochen das Wasser des Flusses einbrach, und sowohl den über 100 Fuß tiefen und 30 Fuß breiten Turm am Eingang, als auch den schon 540 Fuß langen, fertigen doppelten Weg gänzlich anfüllte. Auf glückliche und unglückliche Begebenheiten ist hier immer ein paar Tage darauf die Karikatur fertig. So sieht man bei der Katastrophe des Tunnels, als das Wasser einbricht, einen dicken Mann, der wie eine Kröte auf allen Vieren sich zu retten sucht, in der Angst mit weit aufgerissenem Munde »Feuer« schreien. Durch Hilfe der Taucherglocke hat man das Loch im Grunde des Flusses, wo die Erde nachgegeben, durch Säcke voll Lehm nicht nur wieder zugefüllt, sondern jetzt, soweit der Tunnel noch fortzusetzen ist, den Erdboden unter dem Wasser überall 15 Fuß hoch durch Vermischung mit Lehm so befestigt, daß, wie man sagt, keine ähnliche Gefahr mehr zu befürchten ist. Eine Dampfmaschine der stärksten Art, die in der Höhe des Turms plaziert ist, hat gleichzeitig das eingedrungene Wasser fast ganz wieder ausgepumpt, so daß man schon wieder das Ganze bequem besehen kann. Es ist ein gigantisches Werk, nur hier ausführbar, wo die Leute nicht wissen, was sie mit ihrem Gelde anfangen sollen.

Aus dem Tunnel fuhr ich nach Astley's Theater, dem hiesigen ›Franconi‹, und diesem überlegen. Ein Pferd mit angeschnallten Flügeln, Pegasus genannt, macht wunderbare Kunststücke, und der russische betrunkene courrier, der auf 6-8 Pferden auf einmal reitet, kann in Geschicklichkeit und Kühnheit nicht übertroffen werden. Die theatralische Vorstellung bestand in einer sehr ergötzlichen Parodie des ›Freischützen‹. Statt des Kugelgießens wird durch Pierrot und Pantalon ein Eierkuchen gebacken, wozu sich die beibehaltene Weber'sche Musik höchst komisch ausnimmt. Die Geister, welche erscheinen, sind sämtlich Küchengeister, Satanas selbst ein bloßer chef de cuisine. Bei dem letzten Graus bläst ein gespenstischer Blasebalg alle Lichter aus, bis auf eine große Kerze, die immer wieder von neuem Feuer fängt. Da ergreift eine Riesenfaust den armen Pierrot, legt ihn über die Flamme, und eine Köchin, so groß wie das Theater, in schwarz und rotem Teufels- costume, deckt beide mit einem extinguisher vom Umfange eines Hauses zu. Währenddem fliegt Pantalon, mit einer Rakete an einer gewissen Stelle, die sich unter seinem Wehgeschrei nach unten entladet, durch die Lüfte davon.

Aller dieser Unsinn macht allerdings im Augenblick lachen, ein trauriges Gemüt macht er aber doch nicht heiterer, und Du weißt, ich habe so manche Ursache zu Kummer, die ich nicht immer vergessen kann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Es muß eine schlechte Konstellation jetzt für uns am Himmel stehen – denn gewiß gibt es glückliche und unglückliche Strömungen in der Lebensperiode und sie zu wissen würde dem Steuermann gar sehr zu Hilfe kommen.

Der Stern, der, wie Du schreibst, über Deinem Schloß so brennend funkelte, muß ein feindlicher gewesen sein. Mir funkelt nur noch ein Stern günstig, und das ist der Stern Deiner Liebe. Mit ihm würde mein Leben verlöschen!

Veränderung der Umgebung für mich scheint mir immer nötiger, besonders da ich mich aus der wenigen Gesellschaft, die noch hier ist, fast ganz zurückgezogen habe. Till sagt sehr weise: Nach Regen folgt Sonnenschein – dem also entgegen! und richte auch mich durch Deine Briefe auf. Laß sie heiter und stärkend sein durch eigne Heiterkeit, denn diese ist wichtiger für mich als alle Nachrichten, böse oder gute, die sie enthalten. Nichts ist mir schrecklicher als der Gedanke, Dich in der weiten Entfernung bekümmert zu wissen, denn es ist eine so große Kunst, freudig zu leiden, wie ein Märtyrer! Man kann es auch nur, wo man unschuldig, oder aus Liebe zu einem andern leidet. Du, meine teure Julie, hast kaum andere Leiden gekannt, ich aber darf nicht so stolz von mir sprechen.


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