Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Aylesbury, den 11ten

Stove ist gleich Blenheim ein zweites Spezimen englischer Größe und Pracht. Der Park umschließt ein großes Terrain in schöner, hügliger Gegend, mit herrlichem Baumwuchs, und das Schloß ist ein sehr magnifikes Gebäude im italienischen Geschmack, nach Zeichnungen von Chambers. Der pleasure-ground, welcher es umgibt, erstreckt sich über 1200 Morgen, und war in bester Ordnung erhalten. Diese Gärten sind eine alte Anlage, und obgleich sehr schön in vieler Hinsicht, und durch ihren Reichtum an hohen Bäumen ausgezeichnet, doch mit Tempeln und Gebäuden aller Art dermaßen überladen, daß 10 bis 12 abzureißen die größte Verbesserung sein würde. Zu rühmen ist ein reizender Blumengarten, dicht umschlossen von hohen Bäumen, Fichten, Zedern, immergrünem und blühendem Strauchholz, und im dessin einen regelmäßigen Teppich bildend, der sich vor einem halbzirkelförmigen Hause mit Säulen, das seltne Vögel enthält, ausbreitet. In der Mitte des Teppichs springt eine schöne Fontaine, und auf beiden Seiten sieht man zwei zierliche Volieren von Drahtnetz.

Ein anderer Blumengarten, mit Statuen geschmückt, und einem Gewächshause in der Mitte, bildete irreguläre Blumengruppen auf dem Rasen. Die Umgebung war ein durchsichtiger Hain der höchsten Bäume, ohne weitere Aussicht.

Im Park steht ein Turm, den man den ›Bourbon Tower‹ genannt hat, weil er mit einem Kranze von Linden umgeben ist, die Ludwig XVIII. pflanzte, als er sich so lange hier in der Nähe, in Hartwell, aufhielt. Obgleich neu, ist dieser Turm doch schon wieder halb eingefallen. Ich wünsche, daß dies keine üble Vorbedeutung für die Bourbons in Frankreich abgeben möge, wo man selbst den weisen Chartengeber nur: ›Louis l'inévitable‹ und ›deux fois neuf‹ taufte.

Der Erwähnung wert ist auch ein Monument, den großen Männern und Frauen Englands gewidmet, mit recht passenden Inschriften, und den besten Gemälden gut nachgeahmten Büsten.

Die Länge der Schloß- façade beträgt 450 Fuß und ebensolang ist die ununterbrochene estrade der Zimmer in der bel étage, zu der man, von der Gartenseite, auf einer schönen Treppe hinansteigt. Durch eine breite Bronzetüre tritt man hierauf in einen ovalen Marmorsaal mit einer schönen Kuppel, von welcher aus er allein beleuchtet ist. Ein Kreis von 20 Säulen aus rötlichem Marmorstuck umgibt ihn, und in den Nischen, welche diese bilden, stehen zehn antike Statuen. Der Boden ist mit echtem Marmor ausgelegt, und ein goldnes Gitter in der Mitte des Fußbodens befindlich, aus dem regelmäßige Wärme ausströmt. Es würde zu lang werden, jedes einzelne Zimmer zu beschreiben. Ich erwähne nur im allgemeinen, daß sie sehr reich, und in dem Geschmack, der vor 80-100 Jahren herrschte, meubliert sind. Die Tapeten, entweder schweres Seidenzeug oder hautelisse, alle Zimmer mehr oder weniger mit Gemälden, Kuriositäten und Kunstschätzen aller Art geschmückt. Eine Unzahl chinesischen porcelaines und anderer Sachen aus diesem Lande ist darin zusammengehäuft, besonders in dem Staats-Schlafzimmer, das nicht benutzt wird, sondern nur als Zierde ein prachtvolles, altes, gesticktes Samtbett mit goldnen franges etaliert.

In dem boudoir daneben befanden sich viele andere Kostbarkeiten, die wir jedoch, durch ein Gitter abgehalten, nur von weitem sehen konnten. Die Entwendung eines Halsbandes von Rubinen, welches Marie Antoinette von Frankreich gehört hatte, ist die sehr triftige Ursache, daß, ohne des Herzogs Gegenwart, niemand mehr hineingelassen wird.

Die Bibliothek, welche eine lange Galerie bildet, dient als Hauptgesellschaftszimmer und ist modern eingerichtet, voller Sofas, Tische, Fortepianos etc., die Wände bis an den plafond mit Schränken bedeckt, welche in der Mitte eine leichte und elegante Galerie haben, zu der man durch eine kleine Wendeltreppe gelangt. Ein großes, ebenso disponiertes Zimmer daneben, enthält nichts als Mappen mit Kupferstichen, vielleicht eine der reichsten Sammlungen in der Welt. Es scheint dies die Liebhaberei des jetzigen Herzogs. Der Konzertsaal hat neben allem nötigen Musikapparat auch eine große Orgel. Ein anderer Saal, eigentlich die Halle, auf der entgegengesetzten Seite des Schlosses nach dem Parke zu gelegen, wo die Anfahrt für die Wagen ist, bietet eine Aussicht dar, deren Wirkung ich höchst eigentümlich fand. Man sieht nämlich eine große freie Rasenfläche vor sich, auf beiden Seiten mit Eichenwald eingefaßt, im Mittel- und Hintergrund einige Wiesen und Wald durcheinander abwechselnd. Auf der Mitte der Rasenfläche, ohngefähr 60-70 Schritte vom Schloß, steht ganz frei eine schneeweiße kolossale Reiterstatue, vortrefflich ausgeführt, auf einem hohen Piedestal, so daß der Reiter gerade auf den Waldesspitzen hinter ihm zu ruhen scheint. Kein Gebäude oder anderer Gegenstand (nichts wie Bäume, Gras und Himmel) ist sichtbar, und die Gegend so völlig unbelebt, daß das weiße Geisterbild die ganze Aufmerksamkeit allein auf sich ziehen muß. Keine schönere Dekoration zum ›Don Juan‹ läßt sich denken. Dazu kam noch, daß der Himmel gerade heute durch ein glückliches Ohngefähr, auf dieser Seite des Schlosses mit einem Schneesturme drohend, ganz schwarz überzogen war, wogegen die blendend weiße Statue fast grausend abstach. Sie schien in dem Augenblick lebend, und jede Muskel trat im grellen Lichte hervor.

Unter den Gemälden befindet sich ein Schatz, der unseren deutschen Reisenden gar nicht bekannt geworden zu sein scheint, wenigstens habe ich nirgends davon etwas gelesen – ein echtes, noch während Shakespeares Leben gemaltes Portrait dieses Dichters, von Barnage. Die Hyperkritiker in England wollen zwar durchaus kein echtes Portrait Shakespeares statuieren, aber mir scheint es fast unmöglich, eine Physiognomie zu erfinden, die so siegend den Charakter der Wahrheit an sich trüge, so ganz die Größe und Originalität des Mannes ausspräche, den sie darstellt, ausgestattet mit aller geistigen Erhabenheit, allem Scharfsinn, Witz, Feinheit, und jenem echten Humor, dessen unerschöpflicher Reichtum keinem andern Sterblichen je wieder so zuteil geworden ist. Das Gesicht ist keineswegs, was man gemeinhin schön nennt, aber die erhabene Schönheit des dahinter wohnenden Geistes wird im ersten Augenblicke klar. Um die hohe Stirne spielt dieser kühne Geist in blitzenden Lichtern, durchdringend sind die großen dunkelbraunen Augen, feurig und mild; nur um die Lippen schwebt leiser Spott und gutmütige Schlauheit, aber mit einem so lieblichen Lächeln verschwistert, daß dieses erst der sonst ernsten Würde des Ganzen, den größten, menschlich gewinnenden, Reiz verleiht. Wunderbar vollkommen erscheint dabei der Bau des Schädels und der Stirne, die keine einzelne besonders hervorstehende Erhöhung, aber alle Organe so gewölbt und ausgebildet zeigt, daß man über die Harmonie eines so musterhaft organisierten Kopfes erstaunt, und eine wahre Freude fühlt, das Bild des Mannes mit seinen Werken in so schönem Einklang zu finden.

Zwei vortreffliche Albrecht Dürer, ein Schwesterpaar weiblicher Heiliger in phantastischer Landschaft darstellend, zogen mich besonders durch ihren originell deutschen Charakter an. Es sind zwei echte Nürnberger Hausfrauen, mit ihren vaterländischen Hauben angetan, und nach der Natur aufgefaßt, gutmütig und geschäftig ihr Heiligenamt verrichtend. Ein Bild Luthers von Holbein verrät mehr Geist, und ist weniger fett als gewöhnlich.

Bemerkenswert ist noch ein Bild von Van Dyck, den Herzog von Vieuxville vorstellend, den Gesandten Frankreichs bei Carl I., der mit chevalereskem Geiste den König auch in die Schlacht begleitete, und bei Newbury getötet wurde. Die Tracht ist sonderbar, aber doch malerisch. Ein weißer juste-au-corps à la Henri quatre, mit einem schwarzen Mantel darüber, weite kurze schwarze Beinkleider über die Knie fallend, mit silbernen Metallspitzen daran, hellviolette Strümpfe mit goldenen Zwickeln, und weiße Schuhe mit goldenen Rosen. Auf dem Mantel ist der Stern des heiligen Geistes, viermal größer als jetzt üblich, gestickt und das blaue Band wird noch en sautoir, aber länger herunterhängend und bereits ähnlich der heutigen Mode, mit dem Kreuze seitwärts getragen. Dieses hängt fast unter dem Arm, schmaler und kleiner als jetzt, an dem großen Bande.

Den Duc de Guise hätte ich mir anders vorgestellt, ein blasses Gesicht mit rötlichem Bart und Haar, mehr intrigant als großartig aussehend. Dem Charakter der dargestellten Person besser entsprechend ist das Bild des Grafen Gondemar, spanischen Gesandten bei Jacob I., (von Velasquez) der durch sein Küchenlatein dem gelehrten Könige schmeichelte, in welcher burlesken Form er sich alles zu sagen erlaubte, und nachher durch seinen jesuitischen Einfluß Sir Walter Raleigh, den Günstling Elisabeths, auf's Schafott brachte.

Ein Bild Cromwells von seinem Hofmaler Richardson, hat ein doppeltes Interesse für die Familie, da es für einen der Vorfahren des Herzogs gemalt wurde, der selbst mit darauf abgebildet ist, – als Page, im Begriff, dem Protektor dienstfertig die Feldbinde in eine Schleife zu binden. Es gleicht dieses Portrait den andern, die ich von Cromwell gesehen, nicht ganz, sondern stellt ihn jünger und in einer verfeinerten Natur dar, ist also wahrscheinlich geschmeichelt. Der Hofmaler läßt dies doppelt vermuten.

Nur andeuten will ich zwei schöne und große Teniers, wovon der eine drei höchst charakteristische holländische Bauern darstellt, die sich im Dorfe begegnen, und mit der Pfeife im Maule zu schwatzen anfangen, einen vorzüglichen Ruysdael, sechs berühmte Rembrandts, und die Geliebte Titians, von ihm selbst gemalt, mit Armen und Busen, die der Umarmung entgegenschwellen. Auch ein neueres Kunstwerk bewunderte ich sehr: zwei Tassen von Sèvres mit Miniaturgemälden nach Petitot, von der vortrefflichen Porcelaine-Malerin Mdm. Jaquotot. Das eine stellt Ninon de Lenclos vor, deren mir bisher bekanntgewordne Abbildungen nie meiner Vorstellung von ihr recht entsprachen, dagegen diese ihren bekannten Charakter vollständig ausspricht, und dabei von der anziehendsten Schönheit ist, echt französisch, lebhaft wie Quecksilber, eine Kühnheit, die allerdings an Frechheit streift, aber doch zu edel und zu wesentlich natürlich, um einen andern als gewinnenden Eindruck zurückzulassen. Die andere, eine sanfte, heitere und wollüstige Schönheit, war unterschrieben ›Françoise d'Orléans de Valois‹ – als Eingeweihte in die französische Genealogie und Memoiren, wirst Du wissen, wer dies ist. Je l'ignore. Jede dieser Tassen kostet 1000 Franken.

Bei schönem Mondschein fuhren wir den Abend noch bis Aylesbury, von wo ich Dir jetzt schreibe.


Uxbridge, den 12ten

Noch heute abend hoffe ich wieder in London zu sein. Während dem Umspannen schreibe ich Dir flüchtig nur ein paar Worte. Wir sahen früh Lord Caringtons Park, zu Deinem Trost gesagt, vorderhand wenigstens, den letzten. Der Garten bietet eben nichts Besonderes dar, das Schloß ist abermals im beliebten Neu-Gotisch, aber, da es einfacher gebaut ist, und weniger Prätention macht, erscheint es auch weniger affektiert. Es ist nur aus rohen Bruchsteinen ohne Putz aufgeführt. Innerlich waren vortreffliche alte Glasmalereien, durchgehends aber nur der obere Teil der Fenster bunt, das übrige weiß, um die Zimmer heller zu lassen.

Ein gutes Bild Pitts hängt in der Bibliothek. Der große Mann trägt nichts weniger als geniale Züge, und wer weiß ob die Nachwelt nicht einst ein ähnliches Urteil über sein Wirken fällen wird? – Im Garten bemerkte ich etwas Artiges, einen dicht gepflanzten Efeukranz auf dem Rasen, der wie nur nachlässig darauf hingeworfen, und wie von einem Vorübergehenden verloren, erschien.

Die Reise sollte mit der Besichtigung von Bulstrode geschlossen werden, das Repton so weitläufig, als ein Muster für Park und Gartenanlagen, beschreibt. Dieser Kelch geht aber an Dir vorüber, liebe Julie, denn der Herzog von Portland hat es verkauft, und der jetzige Besitzer die stolzen Baumriesen, für die sich Repton so enthusiasmiert, gefällt, die Wiesen zu Feld beurbart, und selbst das Schloß abgerissen, um die Steine zu Gelde zu machen. Es war eine traurige Szene der Verwüstung, noch bedenklicher gemacht durch die seltsame Tracht der darin arbeitenden Weiber, welche, vom Kopf bis zum Fuß in blutrote Mäntel gehüllt, einer unheimlichen Versammlung von Scharfrichtern glichen.


London, den 13ten

Bei hellem Gaslicht, das hier immer einer festlichen Illumination gleicht, fuhren wir in die Stadt ein, und da ich mir, nach dem langen Park- und Gartenleben, auf der Stelle einen Kontrast bereiten wollte, stieg ich am Covent Garden Theater ab, um die erste Weihnachtspantomime zu sehen. Dies ist eine sehr beliebte Schauspielart in England, wo man vorzüglich die Kinder hinführt, und auch ich also gut an meinem Platze war. Dichter und décorateurs wenden viel Fleiß darauf, jedes Jahr das vergangne mit größern Wundern zu überbieten. Ehe ich Dir gute Nacht sage, will ich, in einer rhapsodischen Skizze, das Spiel noch einmal vor Dir sich begeben lassen.

Beim Aufrollen des Vorhangs füllt ein dichter Nebel die Szene, der sich nur nach und nach verzieht, welches durch feine Gaze sehr täuschend bewerkstelligt wird. Man unterscheidet im Dämmerlicht eine ländliche Hütte, den Wohnort einer Zauberin, im Hintergrunde einen See, von Gebirgen umgeben, und einigen Schneegipfeln überragt. Noch ist alles dämmernd und undeutlich, da geht die Sonne auf, besiegt die schweren Morgendünste, und die Hütte mit dem entfernter liegenden Dorfe erscheinen nun erst in vollster Klarheit. Jetzt entdeckt man auf dem Dache einen großen Hahn, der mit den Flügeln schlägt, sich brüstet und die Sonne mit mehreren sehr natürlichen ›Kikerikis‹ begrüßt. Eine Elster neben ihm fängt an zu sprechen, herumzuspazieren, und einen in der Mauernische darunterliegenden, gigantischen Kater zu necken, der seine Glieder schläfrig reckt, seine Schnauze putzt, und behaglich schnurrt. Dieser Kater wird von einem der acteurs, welcher sich nachher in Harlequin verwandelt, mit großer Virtuosität agiert. Sein Spielen mit einer Melone, die Leichtigkeit seines Kletterns auf den Schornstein hinauf und herunter, seine Sprünge und Manieren sind so natürlich, daß sie nur den Tieren selbst durch langes Studium abgelauscht sein können, denn glücklicherweise ist nun die Schauspielkunst dahin gekommen, daß sie nicht mehr nötig hat, Menschen durch Pudel und Affen überbieten zu lassen, sondern diese gefeierten Tiere durch die Menschen selbst täuschend darstellen zu lassen imstande ist.

Unterdes öffnet sich die Türe, und Mutter Shipton, eine fürchterliche Hexe, tritt mit ihrem ähnlichen Sohne heraus. Die Haustiere, zu denen sich noch eine große Eule gesellt, machen sogleich ihre Morgen-Cour nach Kräften. Die Hexe aber ist unwirsch, spricht eine Verwünschung über sie aus, und verwandelt sie auf der Stelle (was äußerst geschickt gemacht wird) in die Personen der italienischen Komödie, die, gleichsam ein Bild der Welt, sich rastlos verfolgen, bis der Klügste endlich siegt. So spinnt sich denn das Märchen durch tausend Verwandlungen und Tollheiten weiter fort, ohne besondern Zusammenhang, aber zuweilen mit guten Anspielungen auf die Tagesbegebenheiten, und vorzüglich mit herrlichen Dekorationen, den Witzen des Maschinisten. Eine der besten Darstellungen dieser Art war die Zauberküche. Ein Felsen spaltet sich und zeigt eine große Höhle, in deren Mitte über einem brennenden Klafter Holz ein ganzer Hirsch mit Geweih, ein ganzer Ochse, und ein Schwein sich mit Blitzesschnelle übereinander am Spieße herumdrehen. Auf einem Herde an der rechten Seite bäckt eine Pastete von der Größe eines Frachtwagens, und links wird ein plum-pudding von gleichem calibre gekocht. Der chef de cuisine erscheint hierauf mit ein paar Dutzend Gehilfen in weißer grotesker Uniform alle mit langen Schwänzen versehen, und jeder mit einem Riesenmesser und Gabel bewaffnet. Der Kommandierende läßt sie erst ein lächerliches Exerzitium machen, das Gewehr präsentieren u. s. w., wobei sie sich ebenso erfahren benehmen, als die sieben Mädchen in Uniform. Dann stellt er sie pelotonweise an, um die Braten mit Butter zu begießen, und dies zwar mit Kochlöffeln von demselben gigantischen Maßstabe als die übrigen Utensilien, während sie mit ihren langen Schwänzen sorgsam das Feuer anfachen.

Später stellt die Szene eine hohe Burg dar, nach welcher die beschriebenen Riesengerichte gleich Artillerie gefahren werden. Die Windungen des Felsenweges lassen sie in steigender Entfernung immer kleiner wieder zum Vorschein kommen, bis endlich die Pastete, wie der untergehende Mond, am Horizonte verschwindet.

Nun werden wir in eine große Stadt versetzt, mit allerlei komischen Inschriften an den Häusern, meistens Satiren auf die Menge der neuen Erfindungen und Compagnien für alle möglichen Unternehmungen, als z. B. ›Wasch-Compagnie der vereinigten drei Reiche‹. › Steamboat, in 6 Tagen nach Amerika zu fahren‹. ›Sicheres Mittel, in der Lotterie zu gewinnen‹. ›Bergwerksaktien 10 L. St., um in 10 Jahren ein Millionär zu werden‹ etc. etc. Eine Schneider-Werkstatt zeichnet sich im Vorgrund aus, wo im rez-de-chaussée mehrere Gesellen emsig nähen, und über der Türe eine Schere von sechs Ellen Länge, aufwärts stehend, als Wahrzeichen befestigt ist. Harlequin kommt an, verfolgt von Pantalon und Comp., und springt, mit einem Purzelbaum in der Luft, durch ein Fenster des zweiten Stocks, das klirrend zerschmettert, in das Schneiderhaus. Die Verfolger, vor dem salto mortale zurückfahrend, stürzen übereinander her, und prügeln sich mit artistischem Geschick und einer Gelenkigkeit, die man nur Marionetten zutrauen sollte. Man holt nun Leitern, und die Gesellschaft steigt Harlequin nach in das Haus. Dieser ist aber bereits aus dem Schornstein echappiert, und läuft auf den Dächern weiter. Pantalon mit seinem langen Kinn und Bart, lugt indes zum Mittelfenster, wo die Schere hängt, und mit ihren beiden Schneiden das Fenster umfaßt, hinaus, um zu erspähen, welchen Weg Harlequin wohl genommen habe. Plötzlich schlägt aber die Schere zu, und sein Kopf fällt auf die Straße. Pantalon, ohne Kopf, rennt nichtsdestoweniger die Treppe hinab, und stürzt aus der Türe seinem kollernden Haupte nach, das unglücklicherweise in demselben Augenblick ein Pudel aufnimmt, und damit fortrennt. Pantalon hintendrein. Hier begegnet er aber Harlequin schon wieder, der sich als Doktor verkleidet hat, und schnell eine Konsultation mit drei andern Ärzten hält, wie dem jammernden Pantalon zu helfen sei. Man vereinigt sich endlich, die kahle Stelle, wo der Kopf fehlt, mit Macassar-Öl-Essenz zu schmieren und glücklich wächst auch, vermöge dieser Operation, vor den Augen der Zuschauer der Kopf langsam wieder heraus.

Im letzten Akt wird uns das Tivoli in Paris zum besten gegeben. Ein Luftballon mit einem schönen Kinde steigt auf. Während er vom Theater über die Zuschauer hinschwebt, versinken nach und nach die irdischen Dekorationen, und sobald der Ballon an der Decke angekommen ist, wo er um den Kronleuchter in beträchtlicher Höhe eine Volte macht, füllt sich die Bühne mit wogenden Wolken, durch welche tausend Sterne blinken, was eine artige Illusion hervorbringt.

Beim Herabsinken des Ballons steigt Stadt und Garten wieder gradatim empor. Nach dieser Szene wird ein Seil aufgeschlagen, auf dem eine reizend gewachsene Frau mit dem Schubkarren bis zur Spitze eines gotischen Turmes in Brillantfeuer fährt, während andere Equilibristen auf ebenem Boden daneben ihre halsbrechendsten Kunststücke machen.

Zum Schluß verwandelt sich, mit Donner und Blitz, das Theater in einen prachtvollen chinesischen Saal, mit tausend bunten Papierlampen, wo alle Zaubereien sich lösen, die Hexe durch einen wohltätigen Geisterkönig in die Eingeweide der Erde verbannt wird, und Harlequin, als anerkannter legitimer Prinz, sich endlich mit seiner Kolombine vermählt.

Beim Zuhausefahren hatten wir noch ein anderes sonderbares Schauspiel gratis. Aus einer Feueresse drang eine hohe Säule glühenden Rauches, die sich bald darauf abwechselnd grün, rot und blau färbte, und je näher wir kamen, immer dichter und bunter gleich dem eben gesehenen chinesischen Feuerwerk, in Farben emporwirbelte. »Wahrscheinlich«, sagte ich zu R..., »ein chemisches Laboratorium, wenn nur kein ernstliches Feuer daraus entsteht.« Doch kaum hatte ich es gesagt, so war meine Befürchtung auch schon in Erfüllung gegangen. Geschrei erschallte von allen Seiten, wilde Flammen zuckten gen Himmel, die Menschen liefen zusammen, und bald rasselten schon Spritzen durch die Straßen. Aber die große Stadt verschlingt das Einzelne. – Noch 500 Schritte weiter, und das Feuer in der Nachbarschaft erregte weder Lärm mehr noch Interesse. In einem erleuchteten Palast tanzte man lustig, langsam zogen die aus den Theatern Heimkehrenden ihren Wohnungen zu, und freche Nymphen, wie faktisches Elend, suchten an den dunkeln Stellen wie gewöhnlich der Vorübergehenden Aufmerksamkeit zu erregen.

Doch meine gute, liebe Julie, il faut que tout finisse, also auch diese lange Reiserelation, die Dir gewiß einen Bogen für jedes Jahr meines Lebens liefert. Daß sie aber mit einem Feuer schließt, das deute auf feurige Liebe, und hierzu ist es nicht nötig, wie Dein Aberglaube empfiehlt, zu rufen: ›Zur guten Stunde sei's gesagt!‹ Jede Stunde, selbst die unglücklichste, ist gut – wo Liebe ist.


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