Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Dritter Brief

London, den 5ten Oktober 1826

Ich habe eine sehr unglückliche Überfahrt gehabt. Eine bourrasque, die leidige Seekrankheit, 40 Stunden Dauer statt 20, und zu guter Letzt noch das Festsitzen auf einer Sandbank in der Themse, wo wir 6 Stunden verweilen mußten, ehe uns die Flut wieder flott machte, waren die unangenehmen événements dieser Reise.

Ich weiß nicht, ob ich früher (es sind 10 Jahre seit ich England zum letztenmal verließ), alles mit verschönernden Augen ansah, oder meine Einbildungskraft seitdem, mir unbewußt, das entfernte Bild sich mit reizenderen Farben ausmalte – ich fand diesmal alle Ansichten, die wir von beiden Ufern erhielten, weder so frisch noch pittoresk als sonst, obgleich zuweilen doch herrliche Baumgruppen und freundliche Landsitze sichtbar wurden. Auch hier verstellt, wie im nördlichen Deutschland, das Lauben der Bäume gar oft die Landschaft, nur daß ihre Menge in den vielfachen Hecken, die alle Felder umgeben, und die Rücksicht, daß man ihnen wenigstens die äußersten Kronen und Wipfel läßt, den Anblick weniger trostlos machen, wie z. B. in dem sonst so schönen Schlesien.

Unter den Passagieren befand sich ein Engländer, der erst kürzlich aus Herrnhut zurückkehrte, und auch das Bad von M... besucht hatte. Es divertierte mich sehr, ungekannt von ihm, seine Urteile über die dortigen Anlagen zu hören. Wie der Geschmack verschieden ist, und man daher bei nichts verzweifeln darf, kannst Du daraus abnehmen, daß dieser Mann jene düstern Gegenden ungemein bewunderte, bloß wegen der Immensität ihrer ›evergreen woods‹, womit er die endlosen monotonen Kieferwälder meinte, die uns so unerträglich vorkommen, in England aber, wo die Kiefern mühsam in den Parks angepflanzt werden, obgleich sie in der Regel schlecht gedeihen, eine sehr geschätzte Seltenheit sind. Ein Amerikaner war sehr entrüstet, bei dieser elenden Überfahrt seekrank geworden zu sein, während er es von Amerika nach Rotterdam nie gewesen, und ein Plantagenbesitzer aus Demerary, der beständig fror, jammerte daneben noch mehr über die unpolitische Aufhebung des Sklavenhandels, der, wie er meinte, bald den gänzlichen Ruin der Kolonien herbeiführen müßte, denn, sagte er: »Ein Sklave oder Inländer arbeitet nie, wenn er nicht muß, und um zu leben, braucht er nicht zu arbeiten, da das herrliche Land und Klima ihm von selbst Nahrung und Obdach liefert. Europäer aber können bei der Hitze nicht arbeiten, es bleibt also nichts übrig, als die Alternative: Kolonien mit Sklaven oder keine Kolonien.« Dies wisse man auch recht gut, habe aber ganz andere Zwecke bei der Sache, die sich bloß hinter der étalage von Menschenliebe (dies waren seine Worte) zu verstecken suchten. Die Sklaven, behauptete er übrigens, würden schon des eignen Vorteils der Herrn wegen weit besser behandelt, als z. B. die inländischen Bauern, und er habe früher in Europa gar oft auch Dienstboten weit schlimmer traktieren gesehen. Eine Ausnahme hie und da möge vorkommen, sie käme aber beim Ganzen nicht in Betracht u. s. w. Ich suchte das Gespräch von dem für Menschenfreunde so schmerzlichen Gegenstand abzuleiten, und ließ mir dagegen von ihm das Leben Guayanas und die Pracht seiner Urwälder beschreiben, eine weit interessantere Unterhaltung, die mich fast mit einer Art Heimweh nach jenen Naturwundern erfüllte, wo alles herrlicher, nur der Mensch niedriger ist.

Das lächerliche Element unserer Fahrt war eine englische Dame, die mit seltener Volubilität und bei jeder Gelegenheit französische Konversationen anzuknüpfen suchte. Nicht mehr im blühendsten Alter, wußte sie diesem Fehler, selbst auf dem Schiff, durch die sorgfältigste Toilette abzuhelfen, und einer der Passagiere behauptete sogar, sie habe ›a crack‹ im Nacken, eine neuerfundene Art Schraube, durch welche die Runzeln aufgewunden werden. Als wir spät am Morgen alle mehr oder weniger elend auf dem Verdeck erschienen, war sie schon im eleganten négligé dort etabliert, und erwiderte auf meine Klagen lustig in ihrem breiten Dialekt: »Comment, comment, vous n'avez pas pu dormir? Moi parfaitement, très comfortable, j'étais très chaudement couchée entre deux matelots, et je m'en porte à merveille.« – »Madame«, sagte ich, »on conçoit que vous ne craignez pas la mer.«

Mitten in der zweiten Nacht ankerten wir an der Londoner Brücke, der fatalste Umstand, der einem hier begegnen kann, weil man dann, wegen der Strenge der Douanen, vor der Visitation seiner Sachen nichts mit sich vom Schiffe nehmen darf, die bureaux aber nicht vor 10 Uhr früh geöffnet werden. Da ich meine deutschen Diener nicht mit Wagen und Effekten allein lassen mochte, und ebenso vernachlässigt hatte mir Quartier zu bestellen, als mich durch den Gesandten von der Visitation zu befreien, so war ich genötigt, fast wie ich ging und stand, die Nacht in einer elenden Matrosen-Taverne am Ufer zuzubringen, fand aber am Morgen, wo ich bei der Untersuchung meiner Sachen gegenwärtig war, auch hier den selten trügenden goldnen Schlüssel sehr wirksam, um mir langes Warten und Weitläufigkeiten zu ersparen. Selbst ein paar Dutzend französische Handschuhe, die in aller Unschuld bei meiner Wäsche obenauf lagen, schienen durch meine Guinee unsichtbar geworden zu sein, denn niemand bemerkte sie.

So schnell als möglich eilte ich, aus der schmutzigen City mit ihrem Ameisengetümmel herauszukommen, mußte aber noch eine halbe Station weit mit Postpferden fahren, ehe ich in das West End of the town gelangte, wo ich in meiner frühern Wohnung im Clarendon Hotel abtrat. Mein alter Wirt, ein Schweizer, hatte zwar unterdes England mit einem andern, bis jetzt noch unbekannten, Lande vertauscht, der Sohn aber seine Stelle eingenommen, und dieser empfing mich mit aller der ehrerbietigen Sorgfalt, welche die englischen Gastwirte, und überhaupt hier alle diejenigen, welche vom Gelde anderer leben, auszeichnet. Auch erwies er mir sogleich einen wahren Dienst, denn, kaum eine Stunde ausgeruht, ward ich gewahr, daß ich im trouble der Nacht einen Beutel mit 80 Sovereigns im Kommodenfach meiner Schlafstube vergessen hatte. Monsieur Jaquier, der das englische Terrain zu gut kannte, zuckte die Achseln, sandte jedoch ohne Verzug einen Vertrauten zu Wasser ab, um womöglich das Verlorene wiederzubringen. Die Unordnung, welche in jenem elenden Gasthofe der Vorstädte herrschte, kam mir zustatten. Unser Bote fand die Stube noch unaufgeräumt, und zur, vielleicht unangenehmen, Überraschung der Hausleute den Beutel unberührt an der bezeichneten Stelle.

London ist jetzt so tot an Eleganz und fashionablen Leuten, daß man kaum eine Equipage vorüberfahren sieht, und von aller beau monde nur einige Gesandte gegenwärtig sind. Dabei ist die ungeheure Stadt voller Schmutz und Nebel, und die macadamisierten Straßen einer ausgefahrenen Landstraße ähnlich, denn das alte Pflaster ist in diesen herausgerissen worden, und durch Granitstückchen, mit Kies ausgefüllt, ersetzt, die zwar ein sanfteres Fahren gewähren und den Lärm dämpfen, im Winter aber auch die Stadt in einen halben Sumpf verwandeln. Ohne die vortrefflichen Trottoirs müßte man, wie in den Landes bei Bordeaux, auf Stelzen gehen. Auch tragen die gemeinen Engländerinnen etwas Ähnliches von Eisen an ihren großen Füßen.

Durch die neue Regent Straße, Portland Place und den Regent's Park hat die Stadt indes sehr gewonnen. Sie sieht nun erst in diesem Teile einer Residenz ähnlich, nicht mehr wie sonst einer bloßen unermeßlichen Hauptstadt für shopkeepers, nach weiland Napoleons Ausdruck. Obgleich der arme Herr Nash (ein einflußreicher Architekt des Königs, von dem diese Meliorationen hauptsächlich herrühren) so übel von manchen Kunstkennern mitgenommen wird, und auch nicht zu leugnen ist, daß in seinen Gebäuden alle Stile untereinandergeworfen worden, und das Gemengsel oft mehr barock als genial erscheint, so ist ihm doch meines Erachtens die Nation vielen Dank dafür schuldig, so riesenmäßige Pläne zur Verschönerung ihrer Hauptstadt gefaßt und durchgeführt zu haben. Das meiste ist übrigens noch in petto, wird aber bei der allgemeinen Bauwut und dem vielen Gelde der Engländer gewiß schnell ins Leben treten. In die Details muß man freilich nicht zu streng eingehen. So ist der Regent Street zum point de vue dienende Turm, der in einer Nagelspitze endet, und bei welchem Körper und Dach um Anfang und Ende zu streiten scheinen, eine seltsame architektonische Mißgeburt, und nichts ergötzlicher, als die darauf gemachte Karrikatur, wo man Herrn Nash (ein sehr kleiner, verschrumpelt aussehender Mann) gestiefelt und gespornt, äußerst ähnlich abkonterfeit, und auf oben erwähnter Spitze reitend, angespießt sieht, mit der Unterschrift: ›National Taste‹ (wird ausgesprochen: Nashional).

Man könnte viele ähnliche Abnormitäten anführen. So sind unter andern an einem Balkon, der den größten Palast am Regent's Park ziert, vier plattgedrückte Gestalten an die Wand gequetscht, deren Bedeutung ein Rätsel bleibt. Ihr costume gleicht einer Art Schlafrock, woraus man wenigstens schließen kann, daß Menschen damit gemeint sind. Vielleicht sind es Embleme für ein Lazarett, denn diesen scheinbaren Palästen ist, wie denen in Potsdam, auch nur Einheit und Ansehen durch die façades gegeben, eigentlich bilden sie eine Menge schmaler Häuser, die zu allerlei Gewerbs- und andern Zwecken, wie hundert verschiedenen Eigentümern zur Wohnung dienen.

Tadellos ist dagegen die, auch von Herrn Nash ausgehende, ländliche Anlage in diesem Park, vorzüglich die Wasserpartie. Hier hat die Kunst das schwere Problem völlig gelöst, in scheinbar frei wirkender Natur nicht mehr bemerkt zu werden. Man glaubt einen breiten Fluß weit hin, durch üppig bebuschte Ufer, in die Ferne strömen, und dort sich in mehrere Arme verteilen zu sehen, während man doch nur ein mühsam ausgegrabnes, stehendes und beschränktes, aber klares Wasser vor sich hat. Eine so reizende Landschaft wie diese, mit hervorragenden Hügeln in der Ferne, und umgeben von einem meilenlangen Cirkus prachtvoller Gebäude, ist gewiß eine der Hauptstadt der Welt würdige Anlage, und wird, wenn die jungen Bäume erst alte Riesen geworden sind, wohl kaum irgendwo ihresgleichen finden. Viele alte Straßen wurden, um alles dies zu schaffen, weggerissen, und seit 10 Jahren mehr als 60 000 neue Häuser in dieser Gegend der Stadt aufgebaut. Es ist, wie mich dünkt, eine besondere Schönheit der neuen Straßen, daß sie zwar breit sind, aber nicht durchaus in schnurgerader Linie gehen, sondern, wie die Wege in einem Park, zuweilen Biegungen machen, die ihre sonst nicht zu verhindernde Einförmigkeit unterbrechen. Erhält London noch Quais und wird die Paulskirche frei gemacht, wie der talentvolle Obrist Trench projektiert hat, so wird sich keine Stadt an Pracht mit ihr messen können, wie sie schon jetzt jede andere an Größe übertrifft.

Unter den neuen Brücken steht die Waterloo Brücke oben an, bei der die Unternehmer jedoch 300 000 L. St. verloren haben sollen. 1200 Fuß lang und mit einem gediegnen Geländer aus Granit versehen, dabei fast immer verhältnismäßig einsam, bietet sie einen anmutigen Spaziergang dar, mit den schönsten Flußaussichten auf ein stolzes Gemisch von Palästen, Brücken, Schiffen und Türmen, insofern nämlich der Nebel solche zu sehen gestattet. Die Vorrichtung, welche hier stattfindet, die Einnehmer des Brückengeldes zu kontrollieren, war mir neu. Der eiserne Dreher, durch den man gehen muß, und der die gewöhnliche Kreuzesform hat, ist so eingerichtet, daß er nur ein Viertel des Zirkels jedesmal weicht, gerade so viel als nötig ist, um eine Person hindurch zu lassen, und in demselben Augenblick, wo er in diese Viertel-Wendung einschlägt, fällt durch einen Mechanismus unter der Brücke eine Marke in einen geschlossenen Behälter. Eine ähnliche Vorrichtung findet sich daneben für die Wagen, und die Eigentümer brauchen daher nur abends die Marken nachzuzählen, um genau zu wissen, wieviel Fußgänger und Pferde täglich über die Brücke passiert sind. Man zahlt einen Penny für den Fußgänger und drei Pence für ein Pferd, wobei man auf 300 L. St. tägliche Einnahme gerechnet hatte; diese übersteigt jedoch selten 50.


Den 7ten Oktober

Was Dich hier sehr ansprechen würde, ist die ausnehmende Reinlichkeit in allen Häusern, die große Bequemlichkeit der meuble, die Art und Artigkeit der dienenden Klassen. Es ist wahr, man bezahlt alles was zum Luxus gehört, (denn das bloß Notwendige ist im Grunde nicht viel teurer als bei uns) sechsfach höher, man findet aber auch sechsfach mehr comfort dabei. So ist auch in den Gasthöfen alles weit reichlicher und im Überflusse, als auf dem Kontinent. Das Bett z.B., welches aus drei übereinandergelegten Matratzen besteht, ist groß genug, um zwei bis drei Personen darauf Platz zu geben, und sind die Vorhänge des viereckigen Betthimmels, der auf starken Mahagoni-Säulen ruht, zugezogen, so befindest Du Dich wie in einem kleinen cabinet, ein Raum, wo in Frankreich jemand ganz bequem wohnen würde. Auf Deinem Waschtisch findest Du nicht bloß eine ärmliche Wasser bouteille mit einem einzigen faïence oder silbernen Krug und Becken, nebst einem langgedehnten Handtuche, wie Dir in deutschen und fränkischen Hotels, und selbst vielen Privathäusern, geboten wird, sondern statt dessen wahre kleine Wannen von chinesischem porcellaine, in die man den halben Leib ohne Mühe tauchen könnte, darüber robinets, die im Moment jede beliebige Wasserflut liefern; ein halbes Dutzend breite Servietten, eine Menge große und kleine Kristallflaschen, einen hohen Stell-Spiegel, Fußbecken u. ohne die andern anonymen Bequemlichkeiten der Toilette in eleganter Gestalt zu erwähnen. – Alles präsentiert sich so behaglich vor Dir, daß Dich sofort beim Erwachen eine wahre Badelust anwandelt. Braucht man sonst etwas, so erscheint auf den Ruf der Klingel entweder ein sehr nett gekleidetes Mädchen mit einem tiefen Knicks, oder ein Kellner, der in der Tracht und mit dem Anstand eines gewandten Kammerdieners respektvoll Deine Befehle entgegennimmt, statt eines ungekämmten Burschen in abgeschnittener Jacke und grüner Schürze, der mit dummdreister Zutätigkeit Dich fragt: ›Was schaffen's, Ihr Gnoden‹, oder: ›haben Sie hier geklingelt?‹ und dann schon wieder herausläuft, ehe er noch recht vernommen hat, was man eigentlich von ihm wollte. Gute Teppiche decken den Boden aller Zimmer, und im hellpolierten Stahl-Kamin brennt ein freudiges Feuer, statt der schmutzigen Bretter und des rauchenden oder übelriechenden Ofens in so vielen vaterländischen Gasthäusern. Gehst Du aus, so findest Du nie eine unsaubere Treppe, noch eine so spärlich erleuchtete, wo nur gerade die Dunkelheit sichtbar wird. Im ganzen Hause herrscht überdies Tag und Nacht die größte Ruhe und Dezenz, und in vielen Hotels hat sogar jedes geräumige Logis seine eigene Treppe, so daß man mit niemand andern in Berührung kommt. Bei Tisch gewährt man dem Gast eine gleiche Profusion weißer Tischwäsche und glänzend geputzter Bestecke, nebst einer wohl furnierten plat de ménage und einer Eleganz der Anrichtung, die billigerweise nichts zu wünschen übrig läßt; die Dienerschaft ist stets da, wenn man sie braucht, und drängt sich doch nicht auf, der Wirt selbst aber erscheint gewöhnlich beim Anfang des dinner, um sich zu erkundigen, ob man mit allem zufrieden sei; kurz, man vermißt in einem guten Gasthofe hier nichts, was der wohlhabende gereiste Privatmann in seinem eignen Hause besitzt, und wird vielleicht noch mit mehr Aufmerksamkeit bedient. Freilich ist die Rechnung dem angemessen, und auch die waiters müssen ziemlich ebensohoch wie eigne Diener bezahlt werden. In den ersten Hotels ist ein Kellner, für seine Person allein, mit weniger als zwei Pfund Trinkgeld die Woche durchaus nicht zufrieden. Die Trinkgelder sind überhaupt in England mehr als irgendwo an der Tagesordnung, und werden mit seltner Unverschämtheit selbst in der Kirche eingefordert.

Ich besuchte heute einige bazars, die seit den letzten Jahren immer mehr überhand nehmen, und den Käufern viel Bequemlichkeit darbieten. Der sogenannte ›Pferde- Bazar‹ ist im größten Maßstabe erbaut, und versammelt täglich eine sehr bunte Menge. Er nimmt mehrere weitläufige Gebäude ein, wo in endlosen Galerien und Sälen zuerst viele Hunderte von Wagen und Geschirren aller Art, neue und alte, (aber auch die letztern wie neue aufgefrischt) fast zu allen Preisen ausgestellt sind. In andern Zimmern werden Porcellaine-Waren, Putz, Kristall, Spiegel, quincaillerie, Spielsachen, sogar tropische Vögel und Schmetterlings-Sammlungen etc. feilgeboten, bis man endlich in der Mitte des Etablissements in die Zimmer eines Kaffeehauses gelangt, mit einer rund um einen freien Platz laufenden Glas-Galerie. Hier sieht man, während man gemächlich (freilich in sehr gemischter Gesellschaft) frühstücken kann, eine Menge Pferde vorführen und verauktionieren, die in zahlreichen Ställen daneben stehen, wo sie sehr gut gewartet werden, und wo auch für eine vorausbestimmte Vergütung, jeder der verkaufen will, die seinigen hinsenden kann. Wenn ein solches Pferd vom Auktionator garantiert wird (warranted sound) so kann man es ziemlich sicher kaufen, da die Eigentümer der Anstalt dafür einstehen müssen; das Beste findet man allerdings hier in der Regel nicht, aber gewiß das Wohlfeilste, und für manchen hat dies auch sein Gutes, noch mehr vielleicht die große Bequemlichkeit, sich alles Nötige im Augenblick an demselben Ort verschaffen zu können. Dergleichen bazars gibt es, wie gesagt, schon eine Menge, und sie sind wohl eine kleine Promenade wert. Überdies macht das bequeme Gehen auf den vortrefflichen Londoner Trottoirs, die bunten fortwährend wechselnden Bilder in den Straßen und die vielen reichen Läden, welche die meisten zieren, die Spaziergänge in der Stadt, besonders bei Abend, für den Fremden sehr angenehm.

Außer der glänzenden Gasbeleuchtung sind dann vor den vielen Apothekerläden große Glaskugeln von tief roter, blauer und grüner Farbe aufgehangen, deren prachtvolles Licht meilenweit gesehen wird, und oft zum Leitstern, aber auch zuweilen zum Irrstern dient, wenn man unglücklicherweise eines mit dem andern verwechselt.

Auch unter den Buden ziehen vor allen diejenigen die Augen auf sich, worin das schöne englische Kristall verkauft wird. Echte Diamanten können fast nicht blendender glänzen, als die weithin strahlenden Sammlungen einiger dieser Fabrikanten. Ich sah dort auch einige Gegenstände in rosenrotem und anderm farbigen Glase gearbeitet, doch wundert es mich, daß man die Formen noch immer so wenig verändert. So sind die Kronleuchter immer gleich monoton, und doch sollte ich denken, daß dergleichen, z. B. in Sonnengestalt mit ausgehenden Strahlen, oder als Blumen bouquets, statt der gewöhnlichen Kronenform, und ebenso Wandleuchter in bunten Farben, wie bijoux von farbigen Edelsteinen behandelt, bei übereinstimmender (vielleicht orientalischer) Zimmer-Verzierung, noch bisher ganz ungesehene und überraschende Effekte hervorbringen müßten.

In andern Buden sieht man mit großem Interesse alle Instrumente neuer Agrikultur und Mechanik, von gigantischen Sämaschinen und Rodeapparaten zum Ausreißen alter Bäume, bis zur kleinen Gartenschere herab, in weiten Lokalen fertig aufgestellt, alles mit einer gewissen Zierlichkeit arrangiert, die selbst bei den Fleischern, Fisch- und Kartoffelhändlern noch anzutreffen ist. Auch die Läden der Eisen- Meubles und Lampen-Verkäufer verdienen gar wohl eine Besichtigung, da sie Neues und Nützliches in Menge darbieten, was man nicht leicht auf dem übrigen Kontinent, weder in gleicher Fülle noch Zweckmäßigkeit zu sehen bekommt. Der Reisende aber, der sich immer bloß auf die Salons und seinesgleichen beschränken, und auch nur, sozusagen, vornehme Merkwürdigkeiten besehen will, bleibe besser zu Hause.

Ich beschloß den heutigen Tag mit einer Spazierfahrt nach Chelsea, dem Invalidenhaus der Land-Truppen, wo man sich innig freut, die alten Krieger wohl gepflegt einen Palast und sorgfältig gehaltenen Garten, mit den schönsten kurz gemähten bowling-greens, und hohen Kastanien-Alleen, bewohnen zu sehen, dessen ein kleiner Souverain sich nicht zu schämen hätte. Ich speiste dann um 8 Uhr beim O... Gesandten zu Mittag, ein dîner, das sich außer der Liebenswürdigkeit des Hausherrn, noch durch echten ›Metternich-Johannisberger‹ auszeichnete, für welchen Nektar wenigstens, auch der eingefleischteste Liberale dem großen Minister Gerechtigkeit widerfahren lassen muß. Ich fand dort Deinen Freund B..., den vierzigjährigen Jüngling, der mir viele Empfehlungen an Dich auftrug. Er ist immer noch der alte und unterhielt mich lange von seiner Toilette, wobei er versicherte, daß er hier vor Langeweile entsetzlich mager geworden sei, nur an einer Stelle finde ihn sein Schneider bedeutend stärker, nämlich da, wo er seit einem Monat falsche Waden trage.

Ich will bei dieser Gelegenheit bemerken, daß ich Dir über die hiesige Gesellschaft nicht viel sagen kann, bis ein längerer Aufenthalt und die ›season‹, mich befähigt hat, etwas ausführlicher davon zu sprechen. Solange London, hinsichtlich der großen Welt, einem Palmyra an Einsamkeit gleicht, werde ich mich mit der Beschreibung der Lokalitäten begnügen, die mir zufällig, oder denen ich absichtlich in den Weg komme.


Den 10ten Oktober

Vor einigen Tagen benützte ich ein etwas helleres Wetter, um Chiswick, eine Villa des Herzogs von Devonshire zu besuchen, die für die eleganteste Anlage dieser Art in England gilt, und die ich vor mehreren Jahren nur oberflächlich, bei einem Feste das der Herzog gab, gesehen hatte. Die Gemälde konnte ich auch diesmal nicht betrachten, weil ein Gast das Haus bewohnte. Im Garten fand ich viel verändert, aber kaum zum Vorteil, denn es herrscht jetzt eine Mischung von Regelmäßigem und Unregelmäßigem darin, die einen widrigen Effekt hervorbringt. Überhaupt ist an mehreren Orten die häßliche Mode in England eingerissen, den pleasure-ground fast überall nur mit einzelnen, fast reihenweis gestellten, seltnen Bäumen zu bepflanzen, was den Rasenstücken das Ansehen von Baumschulen gibt. In den shrubs beschneidet man die Sträucher rund umher, damit sie ja den Nebenstrauch nicht berühren können, reinigt täglich die Erde darum sorgfältig und führt die Rasenkanten in steifen Linien, so daß man mehr schwarzen Boden als grünes Laub sieht, und die freie Schönheit der Naturformen ganz verdrängt wird.

Nur Herr Nash geht bei seinen Anlagen von einem ganz andern Prinzip aus, und die neuen Gärten des Königs bei Buckingham House sind wahre Muster für den Pflanzer in dieser Hinsicht.

Was den Gärtner in England am meisten begünstigt, ist das milde Klima. Der Kirsch- und portugiesische Lorbeer, Azalien, Rhododendron erfrieren nie, und geben Winter und Sommer den herrlichsten, üppig wachsenden Unterbusch, reiche Blüten und Beeren.

Magnolien werden selten bedeckt, und selbst Kamelien überwintern an geschützten Stellen unter einer bloßen Bastdecke. Auch der Rasen behält den ganzen Winter hindurch eine schöne Frische, ja er ist in dieser Jahreszeit in der Regel weit schöner und dichter als im Sommer, wo ich mich erinnere, ihn bei dürrem Wetter oft noch schlechter als in der Mark gesehen zu haben, jetzt im Herbst ist aber die ganze Vegetation grade in ihrer üppigsten Pracht.

Eine schöne Wirkung macht in Chiswick ein einzelner hoher Baum vor dem Hause, dessen Stamm man bis an die Krone glatt aufgeputzt hat, und unter welchem man nun den ganzen Garten und einen Teil des Parks übersieht, ein guter Wink für Landschaftsgärtner, den ich Dir in M... zu benutzen rate. Die hiesigen Zedern-Alleen (welcher Baum bei uns leider auch nicht im Freien gedeiht) sind berühmt, und erreichen die Größe alter Tannen. Auch kolossale Taxushecken bekunden, wie lange dies Besitztum schon gepflegt wurde, und die neuen Gewächs- und Treibhäuser empfehlen den guten Geschmack ihres jetzigen Besitzers besser als der pleasure-ground. Sonderbar ist es, daß nirgends in England die Orangenbäume zu irgend einer bedeutenden Größe zu bringen sind. Auch hier ist dieser Teil der Gärtnerei nur sehr mesquin, dagegen die Blumengärten noch immer reich blühen. Die Blumenbeete waren ebenfalls so sparsam bepflanzt, daß jede einzelne Staude frei sich ausbreiten konnte, ausgenommen diejenigen Beete, wo nur eine Blumensorte kultiviert wird. In diesem Fall sucht man das Ganze so voll als möglich zu erhalten, und diese letzteren sind daher auch bei weitem die schönsten. Ich sah in den Treibhäusern hier zum erstenmal die große Providence-Ananas, welche Exemplare bis zu 12 Pfund Gewicht liefert. Eine kleine Menagerie ist mit Chiswick verbunden, wo ein zahmer Elefant allerlei Kunststücke macht, und sich auf einem weiten Rasenplatz sehr ruhig von jedem Neugierigen reiten läßt. Sein Nachbar ist ein Lama und weit unsanfterer Natur. Die Waffe desselben besteht in einem äußerst übelriechenden Speichel, mit dem es mehrere Ellen weit diejenigen, welche es necken, anspuckt, und dabei so richtig trifft, und so schnell und plötzlich auf seinen Gegner losspringt, daß man nur mit vieler Mühe der zugedachten Ladung entgeht.

Leider hat Chiswick nur stehendes und schlammiges Wasser, was zuweilen so austrocknet, daß der Elefant, bei starkem Durst, den Rest aussaufen könnte.

Durch eine Reihe lieblicher Villen und Landhäuser aller Art, unter dem Gewimmel von Reitern, Landkutschen, Reisewagen und Kohlenkarren mit Riesenpferden bespannt, dazwischen mit gelegentlichen schönen Aussichten auf die Themse, langte ich nach einer Stunde raschen Fahrens wieder bei Hydepark Corner an, und begrub mich von neuem in das Labyrinth der unermeßlichen Stadt.

Den andern Tag besuchte ich die City mit meinem Lohnbedienten, einem Schweizer, der Ägypten, Syrien, Sibirien und Amerika bereist, ein russisches Postbuch herausgegeben, die erste Nachricht von der Einnahme Hamburgs durch Tettenborn, nebst einem Kosacken in natura, nach London gebracht, und zuletzt Napoleons Krönungs-Anzug in Paris erstanden und hier für 5 Schilling Eintrittsgeld gezeigt hat, dabei geläufig die meisten europäischen Sprachen spricht, und also mit einer halben Guinee täglich nicht zu teuer bezahlt wird. Auch als Arzt ist er zu gebrauchen, denn er hat auf seinen Reisen so viel Arkana und Rezepte gesammelt, daß er wundervolle Hausmittel für jedes Übel, und überdem, wie er behauptet, noch tausend verschiedene Punsch-Rezepte besitzt. Geführt von diesem Universal-Genie betrat ich zuerst die Börse, the Royal Exchange.

An andern Orten hat die Börse gewöhnlich nur ein kaufmännisches Ansehen, hier durchaus ein historisches. Die imposanten Statuen englischer Herrscher rund umher, unter denen sich Heinrich VIII. und Elisabeth besonders auszeichnen, wie die altertümliche und würdige Bauart erwecken poetische Gefühle, denen der Gedanke eines so unermeßlichen Welthandels, dessen Hauptplatz London ist, eine noch tiefere Bedeutung gibt. Die Menschen jedoch, die das Gemälde beleben, ziehen einen bald wieder in das Reich des Alltäglichen hinab, denn hier leuchtet Eigennutz und Interesse zu lebhaft aus jedem Auge, so daß in dieser Hinsicht der Ort, wie die ganze City, einen fast unheimlichen Anblick darbietet, der dem rast- und trostlosen Gewühle verdammter Geister nicht ganz unähnlich erscheint.

Der große Hof der Börse wird von bedeckten Arkaden umgeben, wo Inschriften den Kaufleuten aller Nationen ihren Versammlungsort anweisen. In der Mitte des Hofs steht eine Statue Carl II., der den Palast erbaute. Sie drückt in Haltung und Gebärde ganz den Mann aus, wie ihn die Geschichte beschreibt, nicht schön, aber doch nicht ohne Grazie, und mit einem festgewurzelten Leichtsinn in den, wie zum Spott, halb gravitätischen Zügen, den nichts bessern kann, weil er aus Mittelmäßigkeit entspringt, und daher auch aus diesem König einen ebenso liebenswürdigen und sorglosen roué, als schlechten Regenten machte. In Nischen, die rund um den zweiten Stock angebracht sind, stehen die Büsten anderer Herrscher Englands. Ich habe schon die Heinrich VIII. und der Königin Elisabeth genannt. Sie würden auch ohne die sich ihnen beimischende Erinnerung auffallen. Heinrich fett und behaglich, und sozusagen gemütlich-grausam aussehend, Elisabeth männlich großartig, und doch auch weiblich boshaft. Die Büsten sind gewiß nach den besten Holbeinischen Gemälden gemacht. In diesem Stocke befindet sich das berühmte Lloyd's Coffeehouse, das schmutzigste Lokal dieser Art in London, dem man es nicht ansieht, daß hier täglich über Millionen verhandelt wird. Doch sind offenbar mehr Papier und Federn als Erfrischungen sichtbar.

Nahe dabei ist das schöne und ungeheure Gebäude der Bank von England, mit einer Menge großer und kleiner Säle, die größtenteils von oben beleuchtet und zur Aufnahme der verschiedenen comptoirs bestimmt sind. Hunderte von clerks arbeiten hier nebeneinander, und führen mechanisch die kolossalen Geschäfte, bei denen das ›nil admirari‹ dem ohnedies gern bewundernden armen Deutschen oft schwer werden mag, besonders wenn er im bullion-office, wo die lingots aufbewahrt werden, die Goldhaufen und Silberfässer anstaunt, die ihm die Schätze der tausend und eine Nacht zu realisieren scheinen.

Von hier begab ich mich nach dem Rathaus, wo eben der Lord-Mayor, dermalen ein Buchhändler, der aber in seinem blauen Mantel mit goldner Kette gar nicht übel repräsentierte, und einen ganz monarchischen Anstand anzunehmen wußte, Recht sprach. Ich glaube nicht, daß er sich dabei schlechter wie ein Justizbeamter aus der Affaire zog; denn seit Sancho Pansas Zeiten ist es bekannt, daß der gesunde Menschenverstand das Rechte nicht selten richtiger erkennt, als die durch zu viele scharfgeschliffenen Brillengläser übersichtig gewordene Wissenschaft, so wie ich auch, in Parenthese gesagt, das Kunsturteil eines gebildeten, natürlichen Sinnes in der Regel dem eines Antiquaren vorziehe, der durch den Namen, oder eines Selbstkünstlers, der durch die besiegten Schwierigkeiten am meisten bestochen wird.

Der Schauplatz hier war nur ein mittelmäßiges Zimmer, zur Hälfte mit dem niedrigsten Pöbel gefüllt, Es handelte sich um das häufigste Thema in England, einen Diebstahl, und da der Sünder, welcher ebenso gelassen als ennuyiert schien, nach geringem Zögern gestand, so hatte das Drama schnell ein Ende.

Und weiter wanderten wir fort in der tumultuarischen City, wo man wie ein Atom verlorengehen kann, wenn man nicht gehörig rechts und links aufpaßt, um weder von einer dem Trottoir zu nahe kommenden Cabriolet-Gabel aufgespießt, oder von einem einbrechenden und umstürzenden Diligencen-Gebäude erdrückt zu werden, und gelangten abermals zu einem höchst dunklen und unansehnlichen Kaffeehaus, ›Garroway's Coffeehouse‹ genannt, wo in einem elenden Lokal Landgüter und Paläste, oft Hunderttausende an Wert, täglich versteigert werden. Wir setzten uns ganz ernsthaft dazu hin, als wären wir sehr begierig, ähnliche Akquisitionen zu machen, und bewunderten die ungemeine Liebenswürdigkeit und fast unglaubliche Geschicklichkeit des Auktionators, die Kauflust bei seinem Auditorium zu erregen. Er zeigte sich in zierlicher schwarzer Kleidung und Perücke, und stand wie ein Professor auf dem erhabenen Katheder. Über jedes Gut hielt er eine allerliebste Rede, die er nicht ermangelte mit vielfachen Späßen zu würzen, und jeden Gegenstand dabei so unwiderstehlich anzupreisen, daß der Unbefangene darauf hätte schwören mögen, alles ginge hier für das unverantwortlichste Spottgeld weg.

Mein Lohnlakai erzählte mir, daß dieser berühmte Auktionator vor einiger Zeit in einen unangenehmen Prozeß verwickelt worden sei. Er hatte nämlich ein Landgut ungemein wegen des romantischen hanging wood in seiner Nähe gepriesen, eine Holzart, die sehr beliebt in England ist, und worunter gewöhnlich Trauerweiden, Trauerbirken, Hängeeschen, Fichten u. s. w. verstanden werden. Ein Käufer ließ sich hierdurch zur Erstehung verlocken; denn es ist eigentümlich englisch, daß fast alle Käufe, die hier gemacht werden, ohne eigne Besichtigung des ausgebotenen Orts stattfinden. Als er indes auf seinem neu akquirierten Grundstück ankam, fand er dasselbe fast ganz von Bäumen entblößt und kein andres hanging wood daselbst, als einen nahen – Galgen. Soviel für englische Humoristik und Gerechtigkeit.

Wie hätte ich aber die City verlassen können, ohne ihren wahren lion (englischer Ausdruck für jedes Außerordentliche in seiner Art) ihren Beherrscher – mit einem Wort: Rothschild, besucht zu haben.

Auch er bewohnt hier nur ein unscheinbares Lokal (denn im West End of the town befindet sich sein Hotel), und in dem kleinen Hof des comptoirs wurde mir durch einen Frachtwagen, mit Silberbarren beladen, der Eingang zu diesem Haupt-Alliierten der heiligen Allianz ziemlich schwierig gemacht. Ich fand den russischen Konsul daselbst, der eben seine Cour machte. Es war ein feiner und gescheiter Mann, der seine Rolle perfekt zu spielen, und den schuldigen Respekt cum dignitate zu verbinden wußte. Dies wurde um desto schwerer, da der geniale Selbstherrscher der City eben nicht viel Umstände machte, denn, nachdem er gegen mich, der ihm seinen Kreditbrief überreicht hätte, ironisch geäußert: wir wären glückliche reiche Leute, daß wir so umherreisen und uns amüsieren könnten, während auf ihm armen Manne Weltlasten lägen, fuhr er damit fort, sich bitter zu beklagen, daß kein armer Teufel nach England käme, der nicht von ihm etwas haben wolle. So habe noch gestern wieder ein Russe bei ihm gebettelt, eine Episode, die dem Gesicht des Konsuls einen bittersüßen Stempel aufdrückte, »und«, setzte er hinzu, »die Deutschen lassen mir vollends gar keine Ruhe!« Hier kam die Reihe an mich, gute contenance zu halten. Als sich nachher das Gespräch auf politische Gegenstände richtete, gaben wir beide gern zu, daß ohne ihn Europa nicht mehr bestehen könne; er lehnte es aber bescheiden ab, und meinte lächelnd: »Ach nein, da machen Sie nur Spaß, ich bin nichts mehr als ein Bedienter, mit dem man zufrieden ist, weil er die Geschäfte gut macht, und dem man dann aus Erkenntlichkeit auch was zufließen läßt.«

Dies wurde in einer ganz eigentümlichen Sprache, halb englisch, halb deutsch, das Englische aber ganz mit deutschem Akzent, vorgetragen, jedoch alles mit einer imponierenden assurance, die dergleichen Kleinigkeiten unter ihrer Aufmerksamkeit zu finden scheint. Mir erschien gerade diese originelle Sprache sehr charakteristisch an einem Manne, dem man Genialität, und sogar einen in seiner Art großen Charakter gar nicht absprechen kann.

Bei ›Royal Exchange‹ wo die Kaufleute zu sehen sind, hatte ich, für England sehr konsequent, begonnen, mit ›Exeter Change‹, wo man die fremden Tiere, gleichsam als Repräsentanten der Kolonien, zeigt, schloß ich meine Tournee. Auch hier begegnete mir wieder ein ›lion‹, diesmal aber ein wirklicher, mit Namen Nero, welcher außer seiner Zahmheit das in unserm Klima seltenere Verdienst hat, bereits sechs Generationen junger englischer National-Löwen geliefert zu haben. Er ist von ungeheurer Größe und ehrwürdigem Ansehn, ruht aber jetzt auf seinen Lorbeeren aus, und schläft königlich fast den ganzen Tag. Erwacht er jedoch übler Laune, so macht noch sein Brüllen das alte Bretterhaus und die ihn umgebenden gemeinem Tiere erzittern. Diese bestehen aus Geschöpfen fast aller Arten Elefanten, Tiger, Leoparden, Hyänen, Zebras, Affen, Strauße, Condors, Papageien und Vögeln aller Zonen. Eigentümlich ist es, daß sie nicht ebener Erde, sondern alle im zweiten und dritten Stocke wohnen, so daß man auf einem der gezähmten Elefanten, der immer gesattelt steht, oben umherreisen und eine recht hübsche Aussicht ins Weite dabei genießen kann. Den Kauflustigen lockt die große Auswahl und verhältnismäßig sehr wohlfeile Preise. Der württembergische Gesandte des letzten hochselig verstorbenen Königs hatte, wie ich mich noch wohl erinnere, hier mehr zu tun als in St. James und Downing Street, ja ich weiß, daß er einmal wegen einer krepierten, seltenen, großen Schildkröte lange in großen Sorgen stand, seinen Posten zu verlieren.

Auf dem Rückwege zu meinem Hotel kamen wir bei einem Palais vorbei, von welchem mein weit gereister Cicerone, Herr Tournier, Gelegenheit nahm, mir folgende interessante Erzählung zu machen. Hat er brodiert, so bitte ich Dich, es ihm, und nicht mir, entgelten zu lassen.

Es war dieser Palast nämlich das Haus der Montague (die Shakespeare nach Verona versetzt), aus welchem vor geraumer Zeit der junge Erbe dieses Hauses als einjähriges Kind gestohlen, und lange nichts weiter von ihm gehört ward. Nach acht Jahren vergeblicher Nachforschungen der trostlosen Mutter schickte einst der Schornsteinfeger des Stadtviertels einen kleinen Knaben zum Fegen des Kamins in das Schlafzimmer der Lady Montague, in welchem man durch einen glücklichen Zufall, vermöge eines Mals am Auge und den darauf gegründeten Nachforschungen, den verlornen Sohn erkannte; eine Anekdote die später zu einem bekannten französischen vaudeville Anlaß gegeben hat. Aus Dankbarkeit für ein so unverhofftes Glück gab Lady Montague viele Jahre lang, und ich glaube noch jetzt geschieht etwas Ähnliches in dem großen Garten, der an ihr Palais stößt, der ganzen Schornsteinfeger-Innung von London am Tage des Wiederfindens ein Fest, wo sie selbst, mit aller ihrer Dienerschaft in Staatskleidung, für die Bewirtung dieser Leute Sorge trug.

Der Knabe ward später ein sehr ausgezeichneter, aber auch ebenso exzentrischer und wilder Jüngling, der sein Hauptvergnügen in ungewöhnlichen Wagstücken suchte, wozu er bei fortwährenden Reisen in fremde und unbekannte Länder die beste Gelegenheit fand. Auf diesen begleitete ihn stets ein sehr geliebter Freund, ein gewisser Mr. Barnett.

So hatte er in mehreren Weltteilen die entferntesten Gegenden gesehen, als im Jahr 90 Tournier, seiner Aussage nach, ihn als Kammerdiener nach der Schweiz begleitete. In Schaffhausen angelangt, faßte der Lord die unglückliche Idee, mit einem Boot den Rheinfall hinunterzufahren. Der erste Geistliche des Orts, sowie viele andere Bekannte baten den jungen Brausekopf um des Himmels willen, ein so rasendes Unternehmen zu unterlassen, jedoch vergebens. Man wollte ihn sogar durch Aufbieten der Schaffhäuser Stadtsoldaten daran verhindern, es scheint aber, daß sie ihm nicht mehr Furcht als die weiland Leipziger den dortigen Studiosen einflößten, oder täuschte er ihre Wachsamkeit; kurz, nachdem er vorher einen leeren Kahn gleichsam zur Probe als avant-coureur vorausgeschickt hatte, der auch glücklich mit seinem hölzernen Leben davon kam, folgte er selbst in Gesellschaft seines Freundes. Mr. Barnett hatte zwar ebenfalls alles angewandt, dem entetierten Lord sein Vorhaben auszureden, als ihm dieser aber zurief: »Wie Barnett, Du bist mit mir über den ganzen Erdball gezogen, hast jede Gefahr treulich mit bestanden, und willst mich nun bei dieser Kinderei verlassen?« So gab er gezwungen nach und setzte sich, die Achseln zuckend, in den verhängnisvollen Kahn.

Sie schwammen erst sanft und langsam, dann mit immer reizenderer Schnelle dem Sturze zu, während Hunderte von Zuschauern zagend den Wagehälsen nachschauten.

Was indessen jeder vorhergesagt, geschah. Die Kante der Felsen berührend, schlug der Kahn um, die beiden Männer erschienen nur noch einmal zwischen dem Gestein, und der Donner der Wogen übertäubte ihr Hilfegeschrei, das nur undeutlich in Zwischenräumen vernommen ward. Bald waren sie gänzlich verschwunden, und obgleich man viele Monate lang, ohne Kosten zu scheuen, die Körper bis an den Ausfluß des Rheins in Holland suchen ließ, und große Summen auf ihr Wiederfinden setzte, so hat man doch nie wieder etwas von ihnen vernommen. Sie schlummern unbekannt in der kristallnen Tiefe.

Sonderbar ist es, daß an demselben Tage, der ihnen den Tod brachte, das Stammschloß der Montague in Sussex bis auf den Grund abbrannte. Die unglückliche Mutter überlebte nur ein Jahr den Tod ihres zum zweitenmal und diesmal unwiederbringlich verlorenen Sohnes.

Wenn Grillparzer zu trauen ist, so muß hier wenigstens eine unversöhnliche Ahnfrau im Spiele gewesen sein, vielleicht noch von Romeos Zeiten her.


Den 13ten

Müde von der vorgestrigen tour brachte ich den andern Morgen in meinen vier Pfählen zu, besuchte aber abends die englische Oper im Strand, nicht weit von dem Tierlokal, dessen Bewohner sie gleich zu ihrer Disposition hat. Das Haus ist weder elegant noch groß, aber die acteurs gar nicht übel. Man gab indes keine Oper, sondern hidöse Melodramen, zuerst ›Frankenstein‹, wo ein Mensch durch Zauberkünste, ohne Frauenhilfe, gemacht wird, und daher auch sehr schlecht gerät, und dann den ›Vampir‹, nach der bekannten, Lord Byron fälschlich zugeschriebenen Erzählung. In beiden spielte Herr Cook die Hauptrolle, der sich durch ein schönes Äußere, sehr gewandtes Spiel und einen höchst vornehmen und noblen Anstand auszeichnet. Auch war das Zusammenspiel durchgängig musterhaft, die Stücke jedoch so albern und unsinnig, daß man es unmöglich bis ans Ende aushalten konnte. Hitze, Ausdünstung und Publikum waren dabei ebenfalls nicht die erfreulichsten. Überdem dauert dieses Schauspiel von 7 bis ½1 Uhr, was selbst bei dem vortrefflichsten zu lang wäre.

Den nächsten Tag fuhr ich nach Hampton Court, um das dortige Schloß, das Gestüt, und meine alte Freundin Lady Lansdown zu besuchen.

Von allen drei Dingen fand ich das erste am unverändertsten vor, und den berühmten Weinstock im Garten wohl noch mit einem Hundert Trauben mehr beschwert. Er hatte jetzt im Ganzen weit über Tausend Stück, und bedeckte das ihm eingeräumte Treibhaus von 75 Fuß Länge und 25 Fuß Breite völlig. In einer Ecke stand, gleich dem dunkeln Ahnherr eines stolzen Geschlechts, sein brauner Stamm, so verloren und unscheinbar, als wenn er gar nicht mehr zu dem prachtvollen Gewölbe von Blättern und Früchten gehöre, die ihm doch allein ihr Dasein verdanken.

Die meisten Zimmer im Schlosse sind noch ganz so meubliert, wie sie Wilhelm III. vor 120 Jahren verließ. Man konserviert absichtlich die zerrissenen Stühle und Tapeten. Viele interessante und vortreffliche Gemälde zieren diese Gebäude, vor allen die berühmten Cartons von Raphael, welche aber bald von hier nach dem neuen Palast des Königs wandern sollen. Du hast das alles aber so oft beschrieben gelesen, daß ich mich der Wiederholung enthalte. Nur zwei schöne Portraits, Wolseys des stolzen Erbauers dieses Palastes, und Heinrichs des VIII. seines verräterischen Herrn, laß mich erwähnen. Beide sind vortrefflich und höchst charakteristisch. Du erinnerst dich jenes dicken Advokaten, den wir nur mit so vieler Mühe los wurden, tierischen Ausdrucks, sinnlich, blutgierig soweit die heutige Zeit es erlaubt, gewandt, spitzfindig, voller Geist und Arglist, und bei unbegrenztem Hochmut doch mit überwiegender Tendenz zum Gemeinen, zuletzt aber noch auf eine wahrhaft naive Weise frei von allem Gewissen – gib dem Bilde Heinrichs einen grünen Frack mit Perlmutterknöpfen und Du hast sein treuestes Portrait.

Immer wiederholt sich in anderer Nuance die Natur, aber die Stufen sind verschieden, und mit ihnen die Ausbildung, wie das Schicksal der Menschen und der Welt.

In der Nacht wäre ich bald im Erstickungstode hinübergeschieden, da mein heimatlicher jocrisse, wahrscheinlich von einem englischen Kameraden früher zu gut bewirtet, während ich schon schlief, Kohlen aus dem Kamin wegtragen wollte, und sie auf einem lauerten Präsentierbrett daneben stehen ließ. Ein furchtbarer Dampf und infernaler Geruch weckte mich noch glücklicherweise, als ich eben träumte, ein Hofmann Heinrichs des Achten zu sein, und im camp d'or eine französische Schöne erobert zu haben – sonst hätte ich gewiß die Traumbraut nur im Himmel geküßt.

Ohngefähr wie dieser Himmel, ebenso entfernt und ebenso lieblich, erscheint mir der Ort wo Du weilst, meine Traute, und so sende ich Dir den Friedenskuß übers Meer und schließe, Heil und Segen wünschend, hiemit die erste englische Epistel.

Dein herzlich ergebener
L.


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