Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Achtundzwanzigster Brief

K... Park, den 4ten August 1828

Meine teuerste Freundin!

Ich befinde mich hier sehr wohl. Man lebt auf komfortable Weise, die Gesellschaft ist herzlich, la chère excellente und die Freiheit, wie überall hier auf dem Lande, vollkommen. Gestern machte ich auf einem unermüdlichen Pferde meines Wirts einen sehr angenehmen Spazierritt von einigen zwanzig Meilen, denn bei den guten Pferden und Wegen verschwinden hier die Distanzen. Ich muß Dir davon erzählen.

Zuerst ritt ich nach der kleinen Stadt St. Asaph, um die dortige Kathedrale zu besehen, die ein großes Fenster von moderner Glasmalerei ziert. Viele Wappen waren sehr gut ausgeführt, und man hatte überhaupt den Fehler vermieden, Gegenstände darstellen zu wollen, die sich für die Glasmalerei nicht eignen, welche grelle Farbenmassen und keine verschwimmenden Nuancen verlangt. Um mich in der Gegend besser zu orientieren, bestieg ich den Turm. Dort bemerkte ich in der Entfernung von ungefähr 12 Meilen ein kirchenartiges Gebäude auf der Spitze eines hohen Berges, und frug den Küster, was es bedeute? Er erwiderte in holprigem Englisch: dies sei das Tabernakel des Königs, und wer sieben Jahre lang sich weder waschen, noch die Nägel abschneiden, oder den Bart scheren wollte, dem sei es erlaubt, dort zu wohnen, und nach dem siebenten Jahre habe er das Recht nach London zu gehen, wo ihn der König ausstatten und zum gentleman machen müsse.

Dies tolle Märchen glaubte der Mann im vollen Ernst und schwur auf seine Wahrheit. Voilà, ce que c'est que la foi! Als ich mich später nach dem wirklichen Verlauf der Sache erkundigte, erfuhr ich von dem Ursprung der Geschichte bloß, daß das Haus zum Regierungs-Jubiläum des vorigen Königs von der Provinz oder county gebaut worden sei, und seitdem leer stehe, ein Spaßvogel aber einst am andern Orte eine bedeutende Summe in den Zeitungen ausgeboten, wenn jemand die erwähnten Bedingungen in einer ihm zugehörigen Höhle erfülle. Das gemeine Volk hat nun jene Feuerprobe mit dem »Tabernakel« des guten Königs Georgs III. in Verbindung gesetzt.

Ich bin den Turm jetzt wieder herabgestiegen, und am Fuße sanfter Hügel hin, kannst du mich weitergaloppieren sehen, bis ich einen felsigen einzeln stehenden Berg erreiche, auf dem die Ruinen von Denbigh Castle stehen. An den Seiten des Berges klammern sich ringsum die baufälligen Häuser und Hütten des ärmlichen Städtchens an, und mit Mühe gelangt man durch die engen Gassen zum Gipfel. Ein Herr zeigte mir gütig den Weg, welcher sich mir nachher als der Herr Stadt-Chirurgus dekouvrierte, und mit vieler Artigkeit die honneurs der Ruine machte. In ihren Mauern haben sich die Honoratioren ganz romantisch ihr Kasino, nebst einem sehr zierlichen Blumengärtchen angelegt, von welchem Letztern man eine vortreffliche Aussicht genießt. Der übrige Teil des weitläuftigen Schlosses bietet dagegen nur ein verlassenes Labyrinth von Mauern und Grasplätzen dar, wo die Distel wuchert. Alle drei Jahre wird jedoch auf diesem Platz ein großes Nationalfest gehalten – die Versammlung der welschen Barden. Gleich den ehemaligen Minnesängern Deutschlands kommen hier sämtliche Harfner aus Wales zum Wettkampf zusammen. Der Sieger gewinnt einen goldnen Becher, und ein gemeinschaftlicher Chor von hundert Harfen hallt zu seinem Ruhm in den Ruinen wider. In drei Monaten sollte die Vereinigung stattfinden, zu der man auch den Herzog von Sussex erwartete.

Von hier kam ich, einer Bergschlucht folgend, in ein wunderschönes Tal. Tiefe Waldesnacht umfing mich, Felsen streckten wieder, wie alte Bekannte, grüßend ihre bemoosten Häupter aus den Zweigen, der wilde Fluß schäumte, springend und tanzend durch die Waldblumen, und verborgene, heimlich glänzende Wiesen leuchteten mir wieder mit aller Goldfrische des Gebirges entgegen. Wohl einige Stunden irrte ich in diesen Gründen umher, dann erklomm ich die Höhle auf einem mühsamen Fußpfad, um zu erfahren, wo ich eigentlich sei? Ich stand grade über der Bucht, und dem weiten stillen Meer, das die sanften Bergabhänge vor mir näher zu rücken schienen als es wirklich war. Nach einiger Anstrengung entdeckte ich, unter den Baumgruppen der Ebene, auch das Schloß von K... Park, und rasch darauf zutrabend, erreichte ich es noch zur rechten Zeit für die Mittags-Toilette.


Den 5ten

Mit der lieblichen kleinen Fanny, der jüngsten Tochter des Hauses, die noch nicht out istTo come out heißt bei den jungen Mädchen in England: in die Welt treten. Die Eltern lassen manche dieses Glück bis ins zwanzigste Jahr und noch länger erwarten. Bis dahin lernen sie die Welt nur aus Romanen kennen, und später geht es auch darnach, wo nicht die Häuslichkeit und Tugend (denn ein solches Ding gibt es zuweilen in England) einen zu festen Grund gelegt haben. A. d. H. , spazierte ich diesen Morgen, als alle noch schliefen, im Park und Garten umher, wo sie mir ihre dairy (Milchkeller) und ihre aviary (Etablissement für Geflügel) zeigte.

Ich schrieb Dir schon, daß der Milchkeller hier immer eine der Hauptzierden jedes Parkes ausmacht, und von den Kuhställen ganz entfernt, für sich, in der Form eines eleganten Pavillons besteht, mit Fontäne, Marmorwänden und kostbarem Porzellan geschmückt, dessen große und kleine Schalen mit allen Arten der schönsten Milch und Milchprodukten angefüllt werden. Kein besseres Plätzchen als dieses, um sich nach der Ermüdung des Gehens zu erfrischen. Es versteht sich, daß auch ein Blumengärtchen dabei ist, welches der Engländer gern jedem Gebäude beifügt. Hier wetteiferte das Steinreich in Pracht der Farben mit den Blumen. Der Besitzer hat nämlich einen Anteil an bedeutenden Kupferwerken in Anglesey, und kleine Berge dieses golden, rot, blau und grün schillernden Erzes dienten seltnen Steinpflanzen zum prachtvollen Bett.

Das aviary, sonst wohl Goldfasanen und ausländischen Vögeln gewidmet, war hier bloß wirtschaftlicher Natur, nur für Hühner, Gänse, Pfauen, Tauben und Enten ausschließlich bestimmt, dennoch aber bot es, durch seine außerordentliche Reinlichkeit und Zweckmäßigkeit, einen sehr angenehmen Anblick dar. Deutsche Wirtinnen hört und staunt! Zweimal des Tages wurden die mit den schönsten Bewässerungs-Anstalten versehenen Höfe und einzelnen Kammern, Taubenschläge und Brutbehälter – zweimal des Tages wurden sie gescheuert – und die Strohbetten der Hühner waren so zierlich, die Sprossen, auf denen sie horsteten, so glatt und blank, die mit Quadern eingefaßten Enten-Pfützen so klare Bassins, das großkörnige Gerstenfutter und der gekochte Reis, gleich dem Pariser riz au lait, so appetitlich, daß man sich im Paradiese der Vögel zu befinden glaubte. Auch waren diese alle frei wie dort, keinen die Flügel verschnitten, und ein immediat an ihre Wohnung stoßendes Wäldchen hoher Bäume, diente ihnen zum anmutigsten Vergnügungsort. Noch wiegten sich die meisten von ihnen behaglich auf den schwankenden Gipfeln, als wir ankamen; kaum erblickten sie aber die kleine rosige Fanny, wie eine wohltuende Fee mit Leckerbissen in der Schürze ihnen entgegentretend, als sie in brausender Wolke herabeilten, und sich pickend und frohlockend zu ihren Füßen niederließen. Ich fühlte mich idyllisch gerührt, und trieb zu Haus, um noch vor dem Frühstück mich des Feuers meiner Begeisterung zu entledigen. Nun waren aber noch die Kindergärten zu besehen, und ein Haus der Laune, und Gott weiß was alles – kurz, wir kamen zu spät und wurden ausgescholten. Mit englischem Pathos rief Miß Fanny:

We do but row –
And we are steered by fate
.
Wir rudern wohl –
Jedoch das Schicksal sitzt am Steuer!

mit andern Worten: der Mensch denkt, Gott lenkt... und, jawohl, dachte ich, der kleine Philosoph hat nur zu Recht! Es kommt immer anders, wie man sich's vorstellt, selbst bei so wenig bedeutenden Dingen als die Promenade mit einem hübschen Mädchen, und das Warten der Eltern beim Frühstück. –

Der Nachmittag sah mich wieder zu Roß. Ich suchte mir ungebahnte Wege in den wildesten Berggegenden landeinwärts, mehreremal den reißenden Fluß ohne Brücke passierend, und oft in den schönsten und überraschendsten Aussichten schwelgend. Zuweilen begegnete ich einsam arbeitenden Landmädchen, auffallend hübsch in ihrer originellen Tracht, die den Wuchs hervorhebt und den Busen sehr frei zeigt. Sie sind aber dabei schüchtern wie Rehe und züchtig wie Vestalinnen. Alles zeigt die Bergnatur, mein Pferd auch! Unermüdlich, wie eine Maschine aus Stahl und Eisen, galoppiert es über die Steine bergauf und bergab, springt mit ungestörter Ruhe über die Heckentore, welche alle Augenblicke die Feldwege verschließen, und macht mich weit eher müde, als es selbst Müdigkeit fühlt. Das ist die wahre Art, spazierenzureiten – viele Meilen weit, in Gegenden, die man nie gesehen, wo man nicht weiß, wo man hinkommt, und sich den Rückweg ebenfalls von einer andern Seite suchen muß. Heute geriet ich zuletzt in einen Park, wo hölzerne, mit weißer Ölfarbe angestrichene Statuen, seltsam mit der erhabnen Natur kontrastierten. Kein Mensch ließ sich sehen, nur Hunderte von Kaninchen streckten ihre Köpfe aus den durchlöcherten Bergabhängen hervor, oder jagten eilig über den Weg. Allerlei wunderliche Dinge verrieten den Besitzer als einen Sonderling. Am besten nahm sich ein schwarzer Fichtenwald aus, den rundumher ein Ring von glanzfarbigen Malven einfaßte. Ich kam endlich auf einer kahlen Höhe wieder heraus, wie ich hereingekommen war, durch ein von selbst zuschlagendes Falltor; überall herrschte dieselbe Einsamkeit, und bald war das verwünschte Schloß weit hinter mir.


Bangor, den 8ten

Ich sollte einige Wochen in K... Park bleiben, aber Du kennst meine Unstetigkeit – bald drückt mich das Einerlei, wenn es auch gut ist – ich empfahl mich daher meinen gefälligen Freunden, besuchte noch einen andern Gutsbesitzer, der mich eingeladen, auf einige Stunden, statt Tagen, sah einen Sonnen-Untergang von den Ruinen Conwys, aß eine plaice, und traf wieder in meinem Hauptquartier ein, das ich nun aber für immer verlasse. Ich befinde mich übrigens leider nicht recht wohl, meine Brust scheint von den Fatiguen in der letzten Zeit etwas angegriffen, und schmerzt oft recht empfindlich, mais n'importe.


Craig-y-don, den 9ten früh

Erinnerst Du Dich dieses Namens? Es ist die schöne Villa, die ich Dir beschrieben, deren liebenswürdigen Besitzer ich seitdem kennengelernt, und dessen freundlicher Einladung, bei ihm die letzte Nacht in Wales zuzubringen, ich nicht widerstehen konnte. Wegen meiner Brustschmerzen vermochte ich gestern abend nur kurze Promenaden, mit dem Sohne des Hauses in den lieblichen Gärten zu machen, und der Versuch, einen nahen höheren Berg zu besteigen, bekam mir fast übel, so daß ich nachher bis zum Essen mich mit den Zeitungen amüsieren mußte. In dem langen Wust war ein guter Einfall, den ich Dir zitiere. Der Artikel sprach von der Thronrede, worin die Worte vorkommen: »dem speaker wird befohlen, dem Volke zu seiner allgemeinen Glückseligkeit zu gratulieren«. Dies, meint der Berichterstatter, sei doch zu insolent, sich so offenbar über dieses arme Volk lustig zu machen, obgleich es allerdings gegründet sei, daß die Wahrheit von ihm in dergleichen Dingen nie erwartet werden dürfe, »denn«, fährt er fort, »sollte wirklich je ein König oder Minister so wahnsinnig sein, um die reine Wahrheit bei ähnlicher Gelegenheit sprechen zu wollen, so müsse er ja gleich im Anfang der Rede, statt dem gewöhnlichen exordium: ›Mylords and Gentlemen‹ sagen: ›My knaves and dupes‹ (Mes fripons et dupes)

Unser Wirt ist ein Mitglied des Yacht-Clubs, und ein leidenschaftlicher Freund des Meeres. Daher hätte auch unser dîner jedem Katholiken in der Fastenzeit genügen müssen, denn es bestand nur aus Fischen, vortrefflich auf mannichfache Arten zubereitet. Eine Austernbank, unter den Fenstern, sandte gleichfalls dazu ihre schlüpfrigen, noch Salzwasser feuchten, Bewohner. Zum Dessert aber lieferten die vor dem Hause weidenden Kühe manche Delikatesse und die an den Salon stoßenden Treibhäuser köstliche Früchte.

Tut es nun nicht wohl, sich zu denken, daß Hunderttausende in England eine solche Existenz, einen so behaglichen und soliden Luxus, in ihren friedlichen Häusern froh genießen, freie Könige im Schoße ihrer Häuslichkeit, die ruhig in der Sicherheit ihres unantastbaren Eigentums leben, Glückliche, die nimmer durch schwere Sendschreiben unhöflicher Behörden belästigt werden, welche bis in die Wohnstube und Schlafkammer alles regieren wollen, und dem Staate schon einen bedeutenden Dienst erzeugt zu haben glauben, wenn sie am Ende des Jahres den armen Regierten viele tausend Taler unnötiges Porto verursachen konnten, dabei aber auch nicht zufrieden, über den Regierten zu stehen, sich ihnen zugleich entgegen stellen, Richter und Partei so viel sie können in einer Person vereinigend; – mit einem Worte, Glückliche, die frei von Eingriffen in ihren Beutel, frei von Unwürdigkeiten für ihre Person, frei von unnützen Plackereien ihre Macht fühlen lassen wollender Bureaukraten, frei von der Aussaugung unersättlicher Staatsblutigel sind, und dabei als unumschränkte Herren in ihrem Eigentume, nur den Gesetzen zu folgen brauchen, die sie selbst mit geben helfen – wenn man dies bedenkt, sage ich, so muß man gestehen, daß England ein gesegnetes Land ist, wenn auch kein vollkommenes. Man kann es den Engländern daher auch nicht so sehr verdenken, wenn sie, des Kontrastes mit manchen andern Ländern innewerdend, Fremden, bei aller scheinbaren Höflichkeit und Verbindlichkeit, doch immer fremd bleiben. Ihr ganz gerechtes Selbstgefühl wirkt so mächtig, daß sie unwillkürlich uns für eine geringere race ansehen, so wie wir z. B., aller deutschen Herzlichkeit ohngeachtet, doch schwer uns mit einem Sandwich-Insulaner ganz verbrüdern könnten. In einigen Jahrhunderten haben wir vielleicht die Rollen gewechselt, aber leider ist es jetzt noch nicht so weit!Nichts ist lächerlicher als die häufigen Deklamationen deutscher Schriftsteller über die in England herrschende Armut, wo es nach ihnen nur einige ungeheuer Reiche und tausend Notleidende gibt. Grade die außerordentliche Menge wohlhabender Leute des Mittelstandes und die Leichtigkeit für den Ärmsten, sich nicht nur das Notwendige, sondern selbst Luxus zu erwerben, wenn er nur ernstlich arbeiten will – macht England selbständig und glücklich. Den Oppositionsblättern muß man freilich nicht nachbeten.


Holyhead, den 9ten abends

Ich habe eine üble Nacht gehabt, heftiges Fieber, schlechtes Wetter und holprige Straßen. Das letztere, weil ich die große Route verließ, um die berühmten Parys mines auf der Insel Anglesey zu sehen. Diese Insel ist der völlige Gegensatz von Wales, fast völlig flach, kein Baum, nicht einmal Büsche und Hecken, nur Felder an Felder gereiht. Die erwähnten Kupferbergwerke an der Küste sind aber interessant. Ich wurde (vom Obristen H... schon vorher annonciert) mit Kanonenschüssen empfangen, die wild in den vielfachen Höhlen widerhallten. Das Erz wird in diesen Höhlen gefördert, die, wo das Tageslicht hereinscheint, in bunten Farben blitzen. Ich sammelte selbst viel schöne Stücke. Die Steine werden nachher kleingeschlagen, in Halden, gleich dem Alaunerz, aufgeschüttet und angezündet, worauf die Masse 9 Monate lang brennt. Der Rauch wird zum Teil aufgefangen und setzt sich als Schwefel an. Eine sonderbare Erscheinung ist es für den Laien, daß, während dieses neunmonatlichen Brennens, welches allen Schwefel austreibt, bloß durch die Kraft der Wahlverwandtschaft, die durch das Feuer frei gemacht wird, das reine Kupfer, welches vorher durch den ganzen Stein verteilt war, sich nachher, in ein Klümpchen zusammengezogen, kompakt in der Mitte zeigt, so daß, wenn man die gebrannten Steine zertrümmert, man in jedem das Kupfer, wie den Kern in einer Nuß, erblickt. Nach dem Brennen wird das Erz, ebenfalls wie Alaun, ausgelaugt oder gewaschen, und das Wasser, welches davon abfließt, in Sümpfen aufgefangen. Das Mehl, was sich in diesen absetzt, enthält 25-40 Prozent Kupfer, und das übrigbleibende Wasser ist immer noch so stark geschwängert, daß ein eiserner Schlüssel, den man hineinhält, in wenig Sekunden eine schön rotgelbe Kupferfarbe annimmt. Hierauf wird das Erz mehreremal geschmolzen und zuletzt raffiniert, worauf es in Quadrat-Stücken von 100 Pfund geformt, so verkauft, oder auf Mühlen zu Schiffsplatten verarbeitet wird. Bei dem Gießen, das ein hübsches Schauspiel gewährt, ereignet sich auch ein sonderbarer Umstand. Es fließt nämlich die ganze Masse in eine Sandform, welche in 8-10 verschiedene Kompartiments, gleich einem für mehrere Tiere bestimmten Eßtroge, abgeteilt ist. Die Separationen erreichen nicht ganz die Höhe der Außenwände, so daß das glühende Erz, welches nur auf dem einen Ende hereinströmt, sobald der Pfropf herausgeschlagen ist, das erste Kompartiment füllen muß, ehe es in das zweite übertritt u. s. w. Das Sonderbare ist nun, daß alles wirkliche reine Kupfer, was im Ofen enthalten ist, in diesem ersten Kompartiment verbleibt, die andern Fächer aber allein mit Schlacke angefüllt werden, welche nur zum Straßenbau gebraucht werden kann. Der Grund des Phänomens ist folgender: Das Erz hat Eisen bei sich, welches sich im magnetischen Zustande befindet. Dieses hält das Kupfer zusammen, und zwingt es zuerst auszufließen. Da man nun aus Erfahrung ziemlich genau weiß, wie viel reines Kupfer die in einem Ofen geschobne Masse enthalten müsse, so ist die Größe des ersten Kompartiments darauf eingerichtet, es gerade fassen zu können. Der Inspektor, ein gescheiter Mann, der aber halb welsch, halb englisch sprach, sagte mir, daß er diese Gußart erst erfunden, welche viele Mühe erspare, weshalb er, auch ein Patent darauf entnommen. Der Vorteil, der daraus entsteht, ist allerdings einleuchtend, da sich, ohne die erwähnten Abteilungen, das Kupfer, wenngleich ebenfalls zuerst hinausfließend, doch nachher über die ganze Masse verbreiten, und schwer ablösen muß. Die Russen, welche im Fache der Industrie jetzt nichts versäumen, hatten bereits einen Reisenden hier, um sich das Verfahren ganz zu eigen zu machen, welches auch nicht im geringsten verheimlicht wurde, wie denn überhaupt die meisten Fabrikherren hierin sehr liberal geworden sind.

Während ich noch am Schmelzofen stand, erschien ein Offizier, um mich zum Bruder des Obristen H..., der ebenfalls Obrist ist, und ein in der Nähe stationiertes Husarenregiment kommandiert, für diesen Mittag und die Nacht einzuladen. Ich befand mich aber zu ermüdet und unwohl, das Wagnis eines Offiziers- dîners in England zu bestehen, wo, in der Provinz wenigstens, der Wein noch mit altenglischem Maße zugeteilt wird; auch wünschte ich noch diese Nacht mit dem Paketboot nach Irland zu segeln, und lehnte daher die invitation dankbarlich ab, den Weg nach Holyhead einschlagend, wo ich um 10 Uhr ankam. Mein gewöhnliches Seeunglück erlaubte indes die Weiterreise nicht, da es so heftig stürmte, daß das Paketboot ohne Reisende abging. Ich bin jedoch nicht unwillig darüber, mich einen Tag hier, in einem ganz komfortablen Gasthofe, ausruhen zu können.


Den 10ten

So krank und matt ich bin, hat mir doch die Exkursion nach dem neu erbauten, 4 Meilen entfernten Leuchtturme, ungemein viel Vergnügen gewährt. Obgleich die Oberfläche der Insel Anglesey sehr flach erscheint, so erhebt sie sich doch, am Ufer der irländischen See, in höchst malerischen, abgerissenen Felsenwänden, bedeutend hoch aus den stets brandenden Fluten. Auf einem solchen, vom Ufer etwas entfernten, einzeln hervorragenden Felsen, steht der Leuchtturm. Nicht nur senkrecht, sondern unter sich zurückweichend, fallen diese, über alle Beschreibung wilden Gestade, mehrere hundert Fuß tief nach dem Meere hinab, und sehen aus, als seien sie durch Pulver gesprengt, nicht von der Natur so gebildet. Auf einem dichten Teppich von kurzem gelben Ginster und karmesinroter Heide, gelangt man bis an den Rand des Abhangs, dann steigt man auf einer roh in den Stein gehauenen Treppe, von 4 bis 500 Stufen, bis zu einem in Stricken hängenden Stege hinab, auf dem man sich, an die Seitennetze anhaltend, über den Abgrund, der beide Felsen trennt, sozusagen, hinüberschaukelt. Tausende von Seemöwen, die hier zu brüten pflegen, umschwebten uns auf allen Seiten, unaufhörlich ihre melancholische Klage durch den Sturm rufend. Die Jungen waren erst kürzlich flügge geworden, und die Alten benutzten wahrscheinlich das ungestüme Wetter zu ihrer Einübung. Man konnte nichts Graziöseres sehen als diese Fluglektionen. Leicht erkannte man die Jüngeren an ihrer grauen Farbe und ihrem noch ungewissen Schwanken, während die Alten, fast ohne einen Flügel zu rühren, minutenlang, bloß vom Sturm gehalten, wie in der Luft versteinert hingen. Die jungen Vögel ruhten auch öfters in den Felsenspalten aus, wurden aber von ihren strengen Eltern immer schnell wieder zu neuer Arbeit genötigt.

Der Leuchtturm ist völlig dem bereits erwähnten in Flamboroughhead an der englischen Ostküste gleich, nur ohne rote revolving lights. Auch hier war die Nettigkeit der Ölkeller und die außerordentliche Reinlichkeit der spiegelblanken Lampen bewunderungswert. Außerdem bemerkte ich eine ingeniöse Art Sturmfenster, die man ohne Mühe und Gefahr des Zerbrechens, auch beim heftigsten Winde, öffnen kann, und eine vertikale Steintreppe, gleich einer gezackten Säge, die viel Raum erspart. Beide Gegenstände lassen sich jedoch ohne Zeichnung nicht ganz anschaulich machen.


Dublin, den 11ten

Eine widerwärtigere Seefahrt kann man nicht bestehen! Zehn Stunden ward ich, zum Sterben krank, umhergeworfen. Die Hitze, der ekelhafte Geruch des Dampfkessels, die Krankheit aller Übrigen, es war eine affröse Nacht, ein wahres Carl von Carlsbergsches Bild menschlichen Elends. Bei einer längeren Seereise aguerriert man sich zuletzt, und vielfacher Genuß wiegt dann die Entbehrungen auf, aber die kurzen Überfahrten, welche nur die Schattenseiten zeigen, sind meine wahre Antipathie. Gottlob es ist vorüber, und ich fühle wieder festen Boden unter mir, obgleich es mir noch manchmal scheint, als schwanke Irland ein wenig.


Abends

Dieses Königreich hat mehr Ähnlichkeit mit Deutschland als mit England. Jene fast überraffinierte Industrie und Kultur in allen Dingen verschwindet hier, leider aber mit ihr auch die englische Reinlichkeit. Häuser und Straßen haben ein beschmutztes Ansehn, obgleich Dublin durch eine Menge prächtiger Paläste und breiter alignierter Straßen geschmückt ist. Das Volk geht zerlumpt; den Leuten von gebildeterem Stande, denen man begegnet, fehlt auch die englische Eleganz, wogegen die Menge glänzender Uniformen, die man in London nie in den Straßen sieht, noch mehr nach dem Kontinent versetzen. Auch die Umgegend der Stadt hat nicht mehr die gewohnte Frische, der Boden ist vernachlässigter, Gras und Bäume magrer. Die großen Züge der Landschaft aber, die Bay, die fernen Berge von Wicklow, das Vorgebirge von Howth, die amphitheatralischen Häusermassen, die Quais, der Hafen, sind schön. So ist wenigstens der erste Eindruck. Übrigens befinde ich mich, im besten Gasthofe der Hauptstadt, weniger comfortable, als in dem kleinen Städtchen Bangor. Bei aller Größe scheint das Haus still und verlassen, während ich mich erinnere, dort, nur während der Zeit meines Essens, 13 Wagen ankommen gesehen zu haben, die alle abgewiesen werden mußten. Der Zufluß der Fremden ist auf den Hauptstraßen in England so groß, daß Kellner in den Gasthöfen nicht für Geld gemietet werden, sondern selbst für ihren Platz dem Wirt bis zu 300 Pfd. Sterl. jährlich zahlen müssen. Dennoch ersetzen ihnen die Trinkgelder diese bedeutende Auslage reichlich. In Irland tritt dagegen die Kontinentalsitte wieder ein. Sobald ich mich ein wenig erfrischt hatte, machte ich eine Promenade durch die Stadt, während der ich bei zwei ziemlich geschmacklosen Monumenten vorbeikam. Das eine stellt Wilhelm von Oranien im römischen costume zu Pferde vor; mißgestaltet ist Roß und Reiter. Das Pferd hat ein Gebiß im Mund und Hauptgestell am Kopf, aber keine Andeutung der Zügel daran, obgleich die Hand des Königs gerade so ausgestreckt ist, als ob sie sie bahnenmäßig hielte. Soll dies bedeuten, daß Wilhelm keine Zügel brauchte, um John Bull zu reiten? Das andere Monument ist eine kolossale Statue Nelsons, auf einer hohen Säule stehend, und in moderne Uniform gekleidet. Hinter ihm hängt ein Tau, das einem Schweife ähnlicher sieht; dabei ist die Stellung ohne Adel, und die Figur zu hoch, um deutlich zu sein. Später kam ich an ein großes rundes Gebäude, wo das Volk sich drängte, und Wache vor dem Eingang stand. Auf meine Nachfrage erfuhr ich, daß hier die jährliche Ausstellung von Blumen und Früchten stattfinde. Man trug die ersteren zum Teil schon hinweg, als ich eintrat, demohngeachtet sah ich noch viele ausgezeichnet schöne Exemplare. In der Mitte dieser Blumen, die eine Art Tempel bildeten, befand sich ein durch Barrieren verschlossener Raum für die Früchte, welche zwölf daselbst sitzende Richter mit Wohlbehagen und ernster Amtsmiene schmatzend verzehrten, um zu entscheiden, welcher von ihnen die ausgesetzten Preise zukämen. Sie mußten lange unschlüssig gewesen sein, denn Melonen, Birnen und Äpfelschalen, Überbleibsel von Ananas, Pfirsich-, Pflaumen- und Aprikosenkerne bildeten Berge auf den danebenstehenden Tischen, und obgleich die Blumen von den Eigentümern nach und nach alle fortgeschafft wurden, so schien doch keine der Früchte ihren Ausgang aus dem Pomonatempel wiederzufinden.


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