Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den 12ten

Da ich nichts anderes zu tun wußte (denn alle notablen Bewohner der Stadt sind auf dem Lande) so besah ich eine Menge show-places. Zuerst das Schloß, wo der Vizekönig, wenn er hier ist, residiert, und dessen ärmliche Staatszimmer, mit groben Bretterdielen, nicht viel Anziehendes darbieten. Schöner ist eine moderne gotische Kapelle, deren Äußeres hohes Altertum täuschend nachahmt; sie ist inwendig mit herrlichen Glasgemälden aus Italien, im 15ten Saeculum gemalt, geschmückt und reich mit Holzschnitzwerk verziert, welches dem alten nichts nachgibt. Die ganze Kirche wird mit conduits de chaleur geheizt und ein ebenso geheizter, mit Teppichen belegter Gang, verbindet sie mit der Wohnung des Lord-Lieutenants.

In den weitläuftigen und schönen Universitätsgebäuden diente mir ein Student als Cicerone. Diese müssen, in dem Bereich der Universität, über ihre gewöhnliche Kleidung, einen schwarzen Mantel, und eine hohe wunderliche Mütze mit Quasseln von ¼ Ellen Länge tragen, was ihnen ein ziemlich groteskes Ansehen gibt. Auf diese Kleidung wird strenger gehalten, als weiland auf Zopf und Puder von den sächsischen Stabsoffizieren.

Der junge Mann führte mich in das Museum, produzierte mir das Modell des Brennspiegels, mit dem Archimedes die römische Flotte verbrannte! die Harfe OssiansWahrscheinlich von Macpherson selbst eingesendet. A. d. H. – einen ausgestopften indischen chieftain, mit Tomahawk und Wurfspieß, und einige reelle Säulenstücke des Giant's Causeway, welche in der Tat Menschenhände nicht akkurater formen könnten, und die klingen, wie englisches Glas. Je vous fais grâce du reste.

Im großen Saale, wo die examina gehalten werden, (der Student kündigte mir diese Bestimmung mit einem leisen Schauder an) steht eine spanische Orgel, die auf der großen Armada erbeutet wurde. Interessanter sind die Portraits von Swift und Burke. Beide Physiognomien entsprechen den bekannten Eigenschaften dieser Männer. Der eine zeigt einen ebenso feinen und schalkhaften, als gediegnen Ausdruck; der andere geistreiche und gewaltige, fast grobe, aber doch wohlwollende und ehrliche Züge, den donnernden Redner verkündend, der aufrichtig und ohne Schonung andrer, für seine Meinung focht, aber nimmer bloß das eigne Interesse mit künstlichem Enthusiasmus übertünchte.

Nachdem ich den Justizpalast, die Douane etc., nebst andern prachtvollen Palästen besehen, und mich nun zu Haus begeben wollte, lockte mich noch die Ankündigung eines peristrephic panorama der Schlacht von Navarin. Dies ist ein sehr unterhaltendes Schauspiel, und gibt eine so deutliche Idee von dem »ungelegenen Ereignis« (untoward event) daß man sich fast trösten kann, nicht dabei gewesen zu sein. Man tritt in ein kleines Theater, und sieht bald einen Vorhang aufgehen, hinter dem sich die Gemälde befinden, welche in einem großen Ganzen die Folge der einzelnen Begebenheiten der Schlacht vorstellen. Die Leinwand hängt nicht platt herab, sondern ist im zurückweichenden Halbzirkel aufgespannt, und wird langsam über Rollen gezogen, so daß sich fast unmerklich die Bilder nach und nach verändern, und man ohne Zwischenraum von Szene zu Szene übergeht, während jemand die dargestellten Gegenstände laut erklärt, und ferner Kanonendonner, militärische Musik und Schlachtgetöse die Täuschung noch vermehren. Durch panoramaartige Malerei, und durch leises Schwanken desjenigen Teiles des Gemäldes, der die Wellen und Schiffe darstellt, wurde oft die Nachahmung fast der Wirklichkeit gleich.

Die erste Szene zeigt die Bay von Navarin, mit der ganzen türkischen Flotte in Schlachtordnung. Am entgegengesetzten Ende der Bay sieht man, auf hohem Felsen, Alt-Navarin und seine Festung, seitwärts unter Dattelbäumen das Dorf Pylos, und im Vorgrund die Stadt Navarin, nebst Ibrahims Lager, wo Gruppen schöner Pferde und lieblicher, gefangener, griechischer Mädchen, welchen die Soldaten liebkosen, die Augen auf sich ziehen. In weiter Ferne, am Saum des Horizonts erscheint, wie in Duft gehüllt, die Flotte der Alliierten. Indem nun dieses Bild langsam verschwindet, wogt nur noch das offne Meer, dann tritt der Eingang der Bay von Navalin allmählich hervor. Man entdeckt Bewaffnete auf den Felsen, und erblickt endlich die alliierte Flotte, wie sie die Einfahrt forciert. Durch optischen Betrug erscheint alles in natürlicher Größe, und der Zuschauer ist so gestellt, als befinde er selbst sich an der Türken Stelle in der Bay, und sähe jetzt das Admiralschiff »Asia« mit vollen Segeln auf sich zueilen. Man bemerkt Codrington auf dem Verdeck, im Gespräch mit dem Capitaine, die andern Schiffe folgen in sich ausbreitender Linie und mit schwellenden Segeln, wie zur Attacke bereit – ein schöner Anblick! Nun kommen aufeinander folgend die einzelnen Engagements verschiedener Schiffe, die Explosion eines Feuerschiffs, und das In-Grund-Bohren einiger türkischen Fregatten, endlich der Kampf der »Asia« mit dem ägyptischen Admiralschiff auf der einen, und dem türkischen auf der andern Seite, welche, wie bekannt, beide nach hartnäckiger Verteidigung und mehrstündigem Feuer sanken.

Der Schlacht folgten einige Ansichten von Konstantinopel, die eine sehr anschauliche Idee von dem asiatischen Treiben gaben.

Abends besuchte ich das Theater, ein recht hübsches Haus mit einem etwas weniger rohen Publikum als in London. Die Schauspieler waren nicht übel, jedoch erhob sich keiner über die Mittelmäßigkeit. Viele Uniformen, mit Damen untermischt, füllten fast die ganze untere Logenreihe, was sich recht elegant ausnahm. Die höhere Gesellschaft besucht aber, wie ich höre, auch hier das Theater nur selten.


Den 13ten

Da ich die Stadt nun hinlänglich gesehen, begann ich heute meine Spazierritte in der Umgegend, die sich weit schöner entfaltet, als ich bei meiner Ankunft, grade von der unvorteilhaftesten Seite, voraussetzen durfte. Ein Weg mit reizenden Aussichten, erstens auf den Golf, den ein Molo von 3 Meilen Länge durchschneidet, und den, gleich zwei Säulen, die Leuchttürme von Dublin und Howth schließen; dann auf die bewaldeten Berge von Wicklow, deren einige wie Zuckerhüte sich hoch über die andern erheben, und zuletzt durch eine Allee uralter Rüstern, längs des Kanales führend, brachte mich in den Phoenix Park, der Prater Dublins, welcher dem Wiener nicht nachsteht weder an Umfang noch schönen Rasenflächen zum Reiten, langen Alleen zum Fahren, und schattigen Spaziergängen. Dem Herzog von Wellington ist hier ein großer, aber schlecht proportionierter, Obelisk errichtet, und der Lord-Lieutenant hat, auch im Bezirk des Parks, einen hübschen, von Gärten eingeschlossenen Sommerpalast. Ich fand im Ganzen den Park ziemlich leer, dagegen die Straßen der Stadt, durch welche ich meinen Rückzug nahm, desto belebter von Handel und Wandel. Der Schmutz, die Armut und die zerlumpte Tracht des gemeinen Mannes übersteigt oft allen Glauben. Dennoch scheinen die Leute stets guter Dinge, und zeigten zuweilen auf offner Straße Anwandlungen von Lustigkeit, die an Verrücktheit grenzen. Gewöhnlich ist der Whiskey daran Schuld; so sah ich einen halbnackten Jüngling den Nationaltanz mit der größten Anstrengung auf dem Markte so lange tanzen, bis er gänzlich erschöpft, gleich einem mohammedanischen Derwisch, unter des Volkes Jubel bewußtlos hinfiel. Eine Menge Betteljungen füllen überdies die Straßen, welche, wie Fliegen um einen hersummend, unaufhörlich ihre Dienste anbieten. Ohngeachtet ihrer schreienden Armut kann man sich doch ganz auf ihre Ehrlichkeit verlassen, und so gedrückt sie von Elend erscheinen, mager und verhungert, so merkt man doch ihren offenen, freundlichen Gesichtern auch keine Melancholie an. Es sind die wohlgezogensten und genügsamsten Straßenjungen von der Welt. Ein solcher Knabe rennt, wie ein regulärer Läufer, viele Stunden neben dem Pferde her, hält es, wenn man absteigt, besorgt jede Kommission, und ist mit ein paar Groschen, die man ihm gibt, stets nicht nur zufrieden, sondern noch voller Dankbarkeit, die er mit irländischen Hyperbeln ausdrückt. Geduldiger als seine Nachbarn, durch lange Sklaverei aber etwas erniedrigt, erscheint überhaupt der Irländer. Ich war unter andern Zeuge, daß ein junger Mensch, welcher einen Komödienzettel falsch angeklebt hatte, von dem dazukommenden Schauspieldirektor auf offner Straße geohrfeigt und mißhandelt wurde, ohne daß er sich im geringsten widersetzte. Jeder Engländer würde sogleich Repressalien gebraucht haben.

Den Abend brachte ich in dem Familienkreise eines alten Bekannten zu, eines Bruders des Lord-Lieutenants, der eben auf einige Tage in die Stadt gekommen war. Wir erinnerten uns alter Zeiten, wo ich ihn viel in London gesehen. Er hat ein besonderes Talent, den seligen Kemble nachzuahmen, dem er auch ähnlich sieht, und ich glaubte wieder »Coriolan« und »Zenga« zu hören.


Den 14ten

Ein andrer Freund, von noch älterem Datum, besuchte mich diesen Morgen, um mir sein Landhaus zum Aufenthalt anzubieten, Mr. W..., dem ich einst in Wien einen Dienst zu erweisen Gelegenheit gehabt. Er hatte mich kaum verlassen, als man mir meldete, Lady B..., eine irländische Peeress, und eine der hübschesten Frauen dieses Landes, deren Gesellschaft ich in der letzten season in der Metropolis sehr kultiviert hatte, halte in ihrem Wagen unten am Hause und wünsche mich zu sprechen. Da ich noch im größten Negligé war, sagte ich dem Kellner, einem wahren jocrisse, dessen irish blunders mich täglich amüsieren, ich sei nicht angezogen, wie er sähe, würde aber gleich erscheinen. Diesen Zustand meiner Toilette richtete er zwar aus, setzte aber de son chef hinzu, Mylady möge doch lieber heraufkommen. Denke Dir also meine Verwunderung, als er, zurückkehrend, mir meldete, Lady B... habe sehr gelacht und ließe mir sagen: warten wolle sie recht gern, aber Herren-Morgenbesuche auf ihrer Stube zu machen, sei in Irland nicht gebräuchlich. In dieser Antwort zeigte sich ganz der freundlich heitere, niemals kleinlich-diffizile Charakter der Irländerinnen, den ich schon früher liebgewonnen hatte. Eine prüde Engländerin würde entrüstet fortgefahren sein, und vielleicht die Reputation eines jungen Menschen über ein solches quid pro quo ruiniert haben – denn in der englischen Gesellschaft stößt man nicht nur mit Dingen an, die anderwärts ganz das Gegenteil bewirken, sondern das »man sagt« ist im Munde einer einflußreichen Person dort ein zweischneidiges Schwert. He has a bad characterSein Charakter heißt im Englischen, wo der Schein mehr gilt als irgendwo, höchst charakteristisch, nicht das Resultat seiner geistigen und moralischen Eigenschaften, sondern sein Ruf, was man von ihm erzählt, ausschließlich – in Deutschland – sein Titel, doch nur in der zweiten Bedeutung. A. d. H. ist genug, um einem Fremden hundert Türen zu verschließen. Durch eigne Beobachtung läßt sich der Engländer weit weniger leiten als man denkt. Immer schließt er sich an eine Partei an, mit deren Augen er sieht.

Die Villa meines Freundes, den ich nachmittags besuchte, um bei ihm zu speisen, bot das Ziel für eine sehr anmutige Promenade. Sie fing mit dem Phoenix Park an, und folgte dann dem Laufe des Liffey, desselben Flusses, der durch Dublin fließt, wo er mit seinen schönen Quais, steinernen und eisernen Brücken, so viel zu der Verschönerung der Stadt beiträgt. Hier dagegen erscheint er ländlich und romantisch, mit den fußbreiten Blättern der Tussilago behangen, von sanften Hügeln und frischem Laubholz eingefaßt. Einen bettelnden Invaliden, den ich antraf, frug ich, wie weit ich noch nach W... habe, und ob der Weg gleich schön bliebe? »O!« rief er mit irländischer Vaterlandsliebe: »Langes Leben Euer Ehren! Nur getrost vorwärts, nichts Schönres habt Ihr noch in dieser Welt gesehen!«

Der Eingang zu W... Park ist auch, ohngefähr eine Viertelstunde Wegs weit, wirklich das Reizendste, was man in dieser Art sehen kann. Eine an sich sehr schöne Natur ist durch die Kunst zum höchsten Grade ihrer Empfänglichkeit benutzt, und ohne ihren freien Charakter zu verwischen, eine Mannigfaltigkeit und Reichtum der Vegetation hervorgebracht, die das Auge bezaubern. Buntes Gebüsch und wilde Blumen, der saftigste Rasen und Riesenbäume mit Schlingpflanzen bedeckt, füllen das enge Felsental, durch welches sich der Weg mit dem begleitenden Waldbach hinzieht. Fortwährend kleine Wasserfälle bildend, strömt dieser, bald sich unter dem Dickicht verbergend, bald wie geschmolznes Silber im grünen Becken ruhend, oder unter Felsenbogen hinrauschend, die die Natur als Triumphpforten für den wohltätigen Flußgott des Tales aufgerichtet zu haben scheint. Sobald man indes den tiefen Grund verläßt, schwindet der Zauber plötzlich. Der Rest entspricht den zu hoch gespannten Erwartungen keineswegs. Arides Gras, krüppliche Bäume, ein unbewegtes, schlammiges Wasser, umgeben ein kleines gotisches Schloß, das einer schlechten Theaterdekoration gleicht. In demselben findet man jedoch wieder einiges Interessante, unter andern Gemälde von Wert, und den herzlichsten und besten Wirt, den man sich wünschen kann. Einen originellen pavillon rustique muß ich noch erwähnen, der an einer passenden Stelle im pleasure-ground erbaut war. Er ist sechseckig, die drei hintern Seiten dicht und mit rohen Holzästen sehr zierlich in Rosetten aller Formen, ausgelegt; die andern drei Seiten in durchbrochenen dessins à jour, zwei mit Fenstern, und in der letzten die Türe; der Boden besteht aus Mosaik von kleinen Flußsteinen! Die Decke aus Muscheln, und das Dach ist mit Weizenstroh gedeckt, an dem man die vollen Ähren gelassen hat.


Den 15ten

Ohngeachtet meine Brust mich fortwährend schmerzt und der Doktor zuweilen bedenkliche Gesichter macht, fahre ich doch in meinen Ausflügen fort, die mir allein wahres Vergnügen gewähren. In der ungeschminkten Natur wird mir wohler als unter den maskierten Menschen.

Von den ohngefähr 4-5 Meilen entfernten Bergen hatte ich mir schon lange den einen sehnsüchtig ausersehen, welcher auf seiner Spitze drei einzeln stehende Felsen zeigt, und deshalb auch, »The Three Rocks« genannt wird. Die Aussicht von dort mußte sehr schön sein – ich machte mich also früher wie gewöhnlich auf, um zur rechten Zeit auf dem Gipfel anzulangen. Öfters frug ich in den Dörfern, durch die ich kam, nach dem besten Weg, konnte aber nie genaue Antworten erlangen. Endlich versicherte man mich in einem Hause, das am Fuße des Berges lag, man könne nur hinauf gehen, aber nicht reiten. Dies erstere wäre bei dem Zustand meiner Brust nicht auszuführen gewesen, da ich aber die Unmöglichkeiten der Leute schon hinlänglich kennengelernt habe, so folgte ich der angezeigten Richtung ganz getrost zu Pferde, um so mehr, da ich mich auf meine kleine gedrungene Stute sehr gut verlassen konnte, und die irländischen Pferde, wie Katzen, über Mauern und Felsen klettern. Eine Zeitlang verfolgte ich einen ziemlich gebannten Fußsteig, und als dieser aufhörte, das trockne Bette eines Bergwassers, welches mich auch, nach ohngefähr ¾ Stunden, ohne besondere Beschwerde glücklich hinauf geleitete. Ich befand mich nun auf einem großen kahlen Plateau, und sah 1000 Schritt vor mir die drei Felsen, gleich Hexensteinen, ihre Kuppen hervorrecken. Das Ganze schien aber nichts als ein weiter ungangbarer Sumpf. Ich probierte sehr vorsichtig, und fand bald, daß 8-10 Zoll tief unter dem Moder überall eine kiesige Unterlage ruhte. Dies hielt auch aus; nach einiger Zeit erreichte ich ganz festen Boden, und stand auf dem höchsten Punkte. Da lag die ersehnte Aussicht endlich vor mir. – Irland, wie eine Landkarte, Dublin, wie ein rauchender Kalkofen in der grünenden Ebne (denn der Steinkohlendampf ließ auch nicht ein Gebäude erkennen) die Bay aber mit ihren Leuchttürmen, dem kühn sich zeichnenden Vorgebirge Howth, und auf der andern Seite die bis an den Horizont ausgedehnten Berge von Wicklow, glänzten alle im Sonnenschein, so daß ich mich für die kleine Fatigue mehr als belohnt fand. Aber die Szene wurde noch belebter durch eine reizende junge Frau, die ich in dieser Wüste, bei dem bescheidnen Geschäft des Streumachens, entdeckte. Die natürliche Grazie der irländischen Bauernweiber, die oft wahre Schönheiten sind, ist ebenso überraschend als ihre Tracht, oder vielmehr ihr Mangel an Tracht, denn ohngeachtet es recht kalt auf diesen Bergen war, bestand doch die ganze Kleidung der jungen Frau vor mir, aus nichts als einem weiten, sehr groben Strohhut, und, wörtlich, zwei oder drei Lappen aus dem gröbsten härnen Zeuge, die ein Strick unter der Brust zusammenhielt, und unter welchen sie die schönsten weißen Glieder mehr als zur Hälfte zur Schau trug. Ihre Unterhaltung war, wie ich schon bei andern bemerkt, heiter, neckend und witzig sogar, dabei ganz unbefangen und gewissermaßen frei, doch würde man sich sehr irren, wenn man sie deshalb auch für leichtfertig hielte. Diese Klasse ist im Gegenteil fast allgemein sehr sittlich in Irland, und besonders auf eine auffallende Weise uninteressiert, so daß, wenn einzelne ja einmal vom Pfade der Tugend weichen, es gewiß höchst selten aus diesem, bei solchen Dingen unnatürlichen und niedrigen Beweggrunde des Eigennutzes geschieht.

Nachdem ich den Berg, nun mein Pferd führend, so gut es gehen wollte, auf einer andern Seite wieder hinabgeklettert war, und eine große Landstraße erreicht, kam ich bei einem offenstehenden Parktore vorbei, (denn auch hierin gleicht Irland dem Kontinent, wo ein Besitzer solcher Anlagen, vom König bis zum Landedelmann, am Genusse des Publikums seine eigne Freude vermehrt) und ritt hinein. Ich gab aber die Untersuchung bald auf, als ich zwei riesenmäßige Kapuziner mit Kreuz und Kutte, aus angemalten Brettern geschnitten, am Scheidewege stehen sah, deren jeder ein Buch von sich abhielt, auf dem mit großen Buchstaben geschrieben war: Weg zur Fasanerie, Weg zur Abtei. Dieser schlechte Geschmack ist hier sonst ziemlich selten.

In der Stadt begegnete ich einem Londner dandy, der mich anrief, denn ich erkannte ihn nicht, herzlich darüber lachte, uns ins such a horrid place miteinander zu sehen, eine Weile über die Dubliner Gesellschaft fortsatirisierte, und am Ende damit schloß, mir zu eröffnen, daß er, durch den Kredit seiner Familie, eben eine Direktorstelle hier bekommen, die ihm zwar über 2000 L. St. einbringe, auch nichts zu tun gebe, aber doch zwinge, pro forma eine Zeitlang des Jahres diesen chokanten Aufenthalt zu wählen. So, und noch viel reichlicher, wird mit Sinecuren ohne Zahl überall in England für die jüngeren Söhne der Aristokratie gesorgt – ich glaube aber, der Krug wird auch hier nicht ewig zu Wasser gehen, ohne zu brechen, obgleich man gestehen muß, daß diese Fehler in der englischen Constitution, gegen die Willkür anderer Staaten gehalten, immer nur Wolken am reinen Himmel bleiben, versteht sich, Irland ganz ausgenommen, das fast in jeder Hinsicht stiefmütterlich behandelt zu werden scheint, und doch fast den stärksten Beitrag zur Größe und der Macht des englischen Adels geben muß, ohne dafür einen einzigen Vorteil, wie England deren so viele, zurückzuerhalten.


Den 18ten

Deine Briefe bleiben immer noch so trübe, gute Julie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Du siehst also, daß weniger das, was wirklich geschieht, als Deine älter werdende, daher sorgenvollere und hypochondrischere Ansicht Schuld an diesem Trübsinne sind. Aber freilich; dieses ist gerade mehr als alles, ein unabwendbares Übel! Man ist nicht mehr derselbe, der man war, und es bleibt der ewige Irrtum in der Welt: daß man glaubt, man könne noch sich durch Kraftanstrengung helfen, wo die Kraft nicht mehr da ist – ebensowenig wie wieder jung werden und aussehen! Auch ich fange schon an dies zu spüren, doch nur da, wo mir die Ketten der Welt angelegt sind – bin ich mit meinem Gott und der Natur allein, so kann selbst der dunkelste Horizont des Lebens meine innere Sonne noch nicht verfinstern.

Ich frühstückte heute auf dem Lande bei einer sehr gefeierten jungen Dame, mit der schon erwähnten Lady B... Der Hausherr gab Migraine vor, und ich mußte daher allein mit den Damen einen langen Spaziergang in den Anlagen machen. Als wir jedoch an das Gartentor kamen, welches uns in die schönste Wildpartie führen sollte, war es verschlossen, und kein Schlüssel zu bekommen, da nach Versicherung des alten Gärtners, die Kammerjungfer der gnädigen Frau hereingegangen und ihn abgezogen habe. Ein Diener mußte über die Mauer springen, um die Schuldige aufzusuchen, kam aber unverrichteter Sache zurück. Nun ließ ich eine Leiter bringen, und vermochte die lachenden Weiber hinüberzuklettern, wobei sie sich sehr ungeschickt anstellten, aber doch allerliebst ausnahmen. Nach einer Viertelstunde begegneten wir dem unglücklichen Kammermädchen, und zwar, da sie sich sicher glaubte – nicht allein, man kann sich denken, in wessen Gesellschaft. – Eine stumme häusliche Szene erfolgte, und zu gutmütig, um zu lachen, tat es mir von Herzen leid, durch meine Leiter solches Unglück angerichtet zu haben. Ich refüsierte das dîner, und eilte in die Stadt zurück, um Lady M... zu besuchen, an welche ich einen Brief mitgebracht und die mir schon früher eine artige Einladung gesendet, die ich jedoch nicht annehmen konnte. Ich war sehr begierig auf diese Bekanntschaft, da ich sie als Schriftstellerin sehr hoch stelle, fand sie jedoch ganz anders, als ich sie mir gedacht. Es ist eine kleine frivole, aufgeweckte Frau, die ohngefähr zwischen 30 und 40 Jahre alt zu sein scheint, nicht hübsch, nicht häßlich, jedoch nicht ohne Prätention für das erste, und mit wirklich schönen, ausdrucksvollen Augen. Sie weiß nichts von fausse honte und Verlegenheit, ihre Manieren sind aber nicht die feinsten, und affektieren eine aisance und Leichtigkeit der großen Welt, der doch die Ruhe und Natürlichkeit fehlt. Sie hat die echt englische Schwäche: mit vornehmen Bekanntschaften zu prahlen und für sehr recherchiert scheinen zu wollen – in zu hohem Grade für eine Frau von so ausgezeichnetem Geist, und wird durchaus nicht gewahr, wie sehr sie sich dadurch selbst unterschätzt. Übrigens ist sie nicht schwer kennenzulernen, da sie sich, mit mehr Lebhaftigkeit als gutem Geschmack, von Anfang an ganz offen hingibt, und namentlich ihre Liberalität wie ihren Unglauben, letzterer etwas von der veralteten Schule des Helvetius und Condillac, bei jeder Gelegenheit auskramt. In ihren Schriften ist sie weit behutsamer und würdiger als in ihrer Unterhaltung, die Satire der letzteren ist aber ebenso beißend und gewandt als ihre Feder, und auch ebenso wenig gewissenhaft, was die strenge Wahrheit betrifft. Du kannst Dir denken, daß mit allen diesen Elementen zwei Stunden sehr angenehm für mich verflossen. Ich hatte Enthusiasmus genug, um ihr einiges Angenehme à propos sagen zu können, und sie behandelte mich mit vieler Zuvorkommenheit, einmal, weil ich einen vornehmen Titel hatte, und dann, weil sie mich stets in der Londner Morning-Post als: auf Almacks tanzend, und bei mehreren Fêten der Tonangeber gegenwärtig, aufgeführt gefunden hatte – ein Umstand, der ihr so wichtig schien, daß sie ihn mehrmals wiederholte.


Den 20sten

Am gestrigen Abende sollte ich einer Soirée bei Lord C..., dem Chef einer neuen Familie, aber einen der ältesten wit von Dublin, beiwohnen, zu dem mich Lady M..., seine Freundin, eingeladen, wurde aber durch eine tragikomische Begebenheit daran verhindert. Ich war, den H... v. L. auf seinem Schlosse zu besuchen (das sich, entre nous, so wenig wie er und seine Familie der Mühe verlohnte), aufs Land geritten, und es war schon spät geworden, als ich den Rückweg antrat. Um Zeit zu gewinnen, nahm ich meine Direktion querfeldein à la Seidlitz. Eine Weile ging alles vortrefflich, bis ich, schon bei anbrechender Dämmerung, an einen sehr breiten Graben kam, dessen vor mir liegendes Ufer bedeutend höher als das entgegengesetzte war, und eine weite Wiese rund umher einschloß. Ich sprang demohngeachtet glücklich in diesen enclos hinein, als ich aber auf der andern Seite wieder hinaus wollte, refüsierte mein Pferd, und alle Mühe es zum Gehorsam zu bringen, war vergeblich. Ich stieg ab, um es zu führen, dann wieder auf, um den Sprung an einem andern Ort zu versuchen, wendete Güte und Gewalt, alles ohne Erfolg, an, bis es endlich, bei einem ungeschickten Versuch, mit mir ins sumpfige Wasser fiel, und nur mit Mühe an der inneren niedrigeren Seite wieder zurückkletterte. Jetzt blieb alle Hoffnung verloren, den verzauberten Platz zu verlassen, in dem ich mich, wie in einer Mausefalle, gefangen sah – überdem war es ganz dunkel geworden, ich fühlte mich ebenso erhitzt als durchnäßt, und mußte mich endlich entschließen, das Pferd zurückzulassen, um zu Fuß, tant bien que mal, über den fatalen Graben zu setzen, und wo möglich eine Wohnung und Hilfe aufzusuchen. Der Mond kam glücklicherweise dienstfertig hinter den Wolken hervor, um mir zur höchst nötigen Leuchte zu dienen. Nur nach einem recht sauren Gange über Äcker und durch hohes nasses Gras, gelangte ich nach einer halben Stunde zu einer erbärmlichen Hütte, in der bereits alles schlief. Ich tappte hinein (denn verschlossen wird hier kein Haus) ein paar Schweine grunzten unter meinen Füßen – gleich darauf der neben ihnen liegende Wirt. Mit Mühe machte ich ihm mein Anliegen begreiflich, indem ich mit Silbergelde ihm vor den Ohren klimperte. Dieser überall verständliche Klang erweckte ihn besser als mein Rufen, er sprang auf, holte sich noch einen Gefährten, und zurück ging's zu meiner Didone abbandonata. Die Irländer wußten sich zu helfen – sie trugen eine verloren aufgeschlagene Brücke in der Nähe ab, legten sie über den Graben, und so fand ich mich endlich mit dem befreiten Pferde wieder auf festem Wege, kam aber so spät und in einem solchen Zustande zu Hause an, daß ich, der Ruhe bedürftig, es gar nicht ungern hörte, wie Lady M..., die mich abzuholen gekommen, schon seit einer Stunde verdrießlich wieder abgefahren sei. Am andern Morgen trug ich ihr meine Entschuldigungen vor, wo sie mir auch gnädig verzieh, aber versicherte, daß ich viel verloren, da alles, was noch Vornehmes und Fashionables in der Stadt sei, jener Soirée beigewohnt habe. Ich versicherte mit Aufrichtigkeit, daß ich nur die Entbehrung ihrer Gesellschaft bedauern könne, dafür aber durch ihre Güte entschädigt zu werden hoffte, sobald ich nur die sentimental journey nach der Grafschaft Wicklow gemacht, nach der meine deutsche, romantische Seele inbrünstig verlange, und die ich morgen früh zu Pferde anzutreten gedenke. Die Unterhaltung fing nachher an, sehr heiter zu werden – denn sie liebt das – und endigte zuletzt so läppisch, daß sie mir zurief: »Finissez! Wenn Sie zurückkommen, werde ich mich Ihrer bloß wie eine ältere Schwester annehmen«, und ich ihr lachend antwortete: »Das kann ich nicht annehmen – je craindrai le sort d'Abufar.« Lady M... gegenüber war das allerdings ein etwas fader Spaß.

Aus Felsen und Bergen erhältst Du die Fortsetzung. Adieu, und möge der Himmel Dich erheitern, und alle Worte meiner Briefe Dir zurufen: Treue Liebe bis in den Tod.

Dein L...


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