Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Fünfter BriefEinige Briefe, die nur persönliche Beziehungen hatten, sind hier ganz unterdrückt worden, und ich bemerke dies bloß, um den schönen Lese rinnen, die sich gewiß mit mir über die Pünktlichkeit gefreut haben, mit der der Verstorbene das Ende beinahe jeden Tages seiner abwesenden Freundin widmete, ein zwanzig Schweigen zu erklären.

London, den 20sten Nov. 1826

Geliebte Freundin!

Reisenden möchte ich den Rat geben, in fremde Länder nie Diener aus dem Vaterlande mitzunehmen, am wenigsten, wenn man sich einbildet, dadurch zu ersparen, heutzutage immer ein wichtiges Objekt. Diese Ökonomie gehört aber zu denjenigen, von denen eine mehr kostet, als vier Verschwendungen, und man hängt sich überdies ein Gewicht an, das vielfach hinderlich ist.

Solche weise Betrachtungen wurden bei mir durch meinen alten Kammerdiener erweckt, der im Begriff ist, in englischen spleen zu verfallen, weil er zuviel Schwierigkeiten findet, – täglich hier – Suppe zu seinem Mittagessen zu erhalten, und mit Tränen in den Augen dieser geliebten Speise zu Hause gedenkt. Er mahnt mich an die preußischen Soldaten, die bei Strömen von Champagner die französischen Bauern prügelten, weil sie ihnen kein Stettiner Bier vorsetzen wollten.

Wahr ist es, die Engländer mittlerer Klasse, an eine nahrhafte Fleischkost gewöhnt, kennen nordische Wasser- und Brühsuppen nicht, und was bei ihnen so heißt, ist ein verhältnismäßig ebenso teures als hexenmäßiges Gebräu von allen Sorten Pfeffern und Gewürzen beider Indien. Die Schilderung meines Getreuen, als er zum erstenmal einen Löffel davon in den Mund bekam, wäre wert gewesen, bei Peregrine Pickles antikem Mahle zu figurieren, und verkehrte meinen Ärger in lautes Lachen. Doch sehe ich voraus, daß an dieser Klippe seine Anhänglichkeit an mich scheitern wird, denn unsre Deutschen sind und bleiben eigentümliche Naturen, länger als andere am Gewohnten haltend, es sei nun Glaube, Liebe oder Suppe.

In Ermangelung der Gesellschaft sind die verschiedenen Clubs, zu welchen jetzt auch Fremde Zutritt erhalten können, was sonst nicht der Fall war, eine große Annehmlichkeit. Der Gesandte hat mir zu zweien derselben Einlaß verschafft, den ›United Service-Club‹, wo außer den fremden Gesandten nur Militär, und zwar nur Stabsoffiziere aufgenommen werden können, und den ›Traveller's-Club‹, in dem zwar jeder gebildete Fremde, der gut empfohlen ist, zugelassen wird, wo man aber, auf eine etwas demütigende Art, alle drei Monate um erneuete Erlaubnis nachsuchen muß, worauf fast unartig streng und mit dem Tage gehalten wird.

In Deutschland macht man sich wohl ebensowenig von der Eleganz und dem comfort, als auch von der strengen Handhabung der Club-Gesetze, die hier herrschen, einen deutlichen Begriff.

Alles, was Luxus und Bequemlichkeit ohne Pracht erfordern, findet man hier so gut, als in dem wohlgehaltendsten Privathause vereinigt. Treppen und Stuben sind mit stets frischen Teppichen geziert, und rugs (bunt gefärbte und präparierte Schaffelle mit der Wolle), vor die Türen gelegt, um den Zug zu verhindern; marmorne Kamine, schöne Spiegel, (immer aus einem Stück, welches zu dem soliden englischen Luxus gehört) Profusion von meubles etc., machen jedes Zimmer höchst comfortable. Selbst die Waage, um mit Leichtigkeit jeden Tag seine eigne Schwere bestimmen zu können, eine besondere Liebhaberei der Engländer, fehlt nicht. Die zahlreiche Dienerschaft erblickt man nie anders als in Schuhen und auf das reinlichste in Ziviltracht und Livree gekleidet, und ein Portier ist immer auf seinem Posten, um Überröcke und parapluies abzunehmen. Dieser letztere Gegenstand verdient in England Aufmerksamkeit, da Regenschirme, die dort leider so nötig sind, auf eine ganz unverschämte Weise gestohlen werden, wenn man, es sei wo es wolle, nicht sehr genau auf ihre Verwahrung sieht. Dies ist so notorisch, daß neulich in einer Zeitung von einem gewissen ›Tugendbunde‹, der Preise für die edelste Handlung austeilt, erzählt wurde: Die Wahl sei das letztemal sehr schwer geworden, und man wäre schon im Begriff gewesen, ein Individuum zu krönen, das seit mehreren Jahren seinen Schneider richtig bezahlt habe, als ein anderer noch nachgewiesen, daß er zweimal bei ihm vergessene parapluies zurückgegeben. ›Bei dieser unerhörten Tat‹, setzt der Journalist hinzu, >geriet die Gesellschaft zuerst in stummes Staunen, daß so viel Edelmut noch in Israel gefunden werde, dann aber ließ rauschender und enthusiastischer Beifall den zu krönenden Sieger nicht länger mehr zweifelhaft.‹

Bei der eleganten und wohlfurnierten library ist ebenfalls immer jemand bei der Hand, die verlangten Bücher zu suchen. Alle Journale trifft man wohlgeordnet im Lesezimmer an, und daneben im Carten- CabinetIch bemerke hier ein für allemal, daß, seit Preußen eine Charte (Konstitution) versprochen worden ist, mein Freund zu besserer Distinktion die Orthographie angenommen hatte: geographische Carte und Spiel karte zu schreiben. Er hofft noch immer, daß diese Vorsicht nicht unnütz gewesen sei. A. d. H. eine Auswahl des neuesten und besten in diesem Fach. Dieses ist so eingerichtet, daß sämtliche Carten, zusammengerollt, in abnehmender Länge an den Wänden übereinander hängen, und jede an einer in der Mitte befindlichen Schnur über die unteren leicht zur Besichtigung herabgezogen werden kann. Der Zug an einer Seitenschnur rollt hingegen, durch einen einfachen Mechanismus, die Carte mit großer Schnelligkeit wieder auf. Das betreffende Land ist auf dem runden Mahagonistabe, auf dem sich die Carte rollt, mit so großen Buchstaben verzeichnet, daß auch die vom Auge entfernteste Inschrift bequem gelesen wird. Auf diese Weise kann man in einem ganz kleinen Cabinet eine große Menge Carten übereinander anbringen und alle ohne die mindesten Umstände, wie man sie eben braucht, augenblicklich finden und besichtigen ohne die andern zu derangieren.

Die Tafel, ich meine das Essen, (bei den meisten doch die Hauptsache, und bei mir auch nicht die letzte) wird größtenteils durch französische Köche gut, und zugleich so wohlfeil versorgt, als es in London möglich ist. Da der Club auch die Weine anschafft, und zu den Selbstkosten wieder verkaufen läßt, so sind diese sehr trinkbar und billig. Daß aber überhaupt in London der Gutschmecker, selbst in den besten Häusern, fast immer die feinsten Weine vermissen muß, kommt aus der sonderbaren Gewohnheit der Engländer (und dieses Volk hängt an Gewohnheiten fester, als die Auster an ihrer Schale) sich ihre Weine nur von Londoner Weinhändlern liefern zu lassen, und sie nie selbst, wie wir zu tun pflegen, aus den Ländern zu beziehen, wo sie wachsen. Da nun diese Händler den Wein in solchem Grade verfälschen, daß vor kurzem noch einer von ihnen, der verklagt wurde, soundso viel tausend Flaschen Claret und Portwein in seinen Kellern zu haben, die nicht von ihm versteuert worden wären, bewies, daß aller dieser Wein von ihm selbst in London fabriziert sei, und dadurch der Strafe entging – so kann man denken, welche Gebräue man oft unter den wohlklingenden Namen von ›Champagner‹, ›Lafitte‹ u. s. w. zu trinken bekommt. Jedenfalls aber kaufen fast nie die Händler das allerbeste, was im Vaterlande des Weins zu haben ist, aus dem natürlichen Grunde, weil sie wenig oder gar keinen Profit daran machen könnten, oder sie benutzen wenigstens solches Gewächs nur, um andern schlechten Wein damit passieren zu machen.

Entschuldige diese Weindigression, welche Dich, die nur Wasser trinkt, eben nicht sehr interessieren kann, aber Du weißt einmal, ich schreibe für uns beide, und mir, ich gestehe es, ist der Gegenstand nicht unwichtig. Gern ›führe ich Wein im Munde‹.

Doch zurück zu unsern Clubs. Die Verschiedenheit der englischen Sitten kann man hier gleich beim ersten abord weit besser beobachten als in der großen Welt, die sich immer mehr oder weniger gleicht, während hier dieselben Individuen, die zum Teil jene bilden, sich weit ungenierter zeigen.

Fürs erste muß der Fremde die raffinierte Bequemlichkeit bewundern, mit der der Engländer zu sitzen versteht, so wie man auch gestehen muß, daß, wer die genialen englischen Stühle aller Formen, und für alle Grade der Ermüdung, Kränklichkeit und Konstitutions-Eigentümlichkeit berechnet, nicht kennt, wirklich einen guten Teil irdischen Lebensgenusses entbehrt. Es ist schon eine wahre Freude, einen Engländer nur in solchem bettartigen Stuhl am Kaminfeuer sitzen, oder vielmehr liegen zu sehen. Eine Vorrichtung an der Armlehne, einem Notenpulte ähnlich, und mit einem Leuchter versehen, ist vor ihm so aufgeschlagen, daß er sie mit dem leisesten Druck sich beliebig näher bringen oder weiter entfernen, rechts oder links schieben kann. Außerdem nimmt eine eigne Maschine, deren stets mehrere an dem großen Kamine stehen, einen oder beide seiner Füße auf, und der Hut auf dem Kopfe vollendet das reizend behagliche Bild.

Dies letztere wird dem nach alter Art Erzogenen am schwersten nachzuahmen, der sich immer eines kleinstädtischen Schauers nicht erwehren kann, wenn er abends in den hellerleuchteten Salon des Clubs tritt, wo Herzöge, ambassadeurs und Lords zierlich angezogen an den Spieltischen sitzen, und er nun, um es den fashionables nachzumachen, den Hut aufbehaltend, an eine Whist-Partie treten, diesem oder jenem zunicken, und dann gelegentlich eine Zeitung ergreifen, sich in ein Sofa damit niederfallen lassen, und nur nach einiger Zeit den, ihn obendrein vielleicht noch abscheulich inkommodierenden Hut, nonchalamment neben sich werfen, oder, wenn er nur wenige Minuten bleibt, gar nicht ablegen soll.

Die Sitte des halben Niederlegens statt Sitzens, gelegentlich auch der Länge nach auf den Teppich zu den Füßen der Damen, ein Bein über das andere so zu legen, daß man den einen Fuß in der Hand hält, die Hände im Ausschnitte der Westenärmel tragen u. s. w., dies alles sind Dinge, die bereits in die größten Gesellschaften und ausgesuchtesten Zirkeln übergegangen sind; es ist daher wohl möglich, daß das Hutaufbehalten gleichfalls zu dieser Ehre gelangt, um so mehr, da auch die Pariser Gesellschaft jetzt das umgekehrte Verhältnis gegen sonst aufstellt, nämlich, wie ihr ehemals ganz Europa nachäffte, jetzt, (oft auf ziemlich groteske Weise), nicht verschmäht, selbst den Affen der Engländer zu machen, und sogar – wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten – oft noch über das Original zu rencherieren.

In dem ›Traveller's Club‹ belustigte mich in dieser Hinsicht besonders ein vornehmer Fremder aus dem Süden, der, wahrscheinlich als Satire auf diese Sittenlizenz und edle Grobheit im Äußern, gleich den Chinesen sich durchaus nicht genierte, sehr häufig beim Spiel gewisse Laute mit geöffnetem Munde auf's vernehmlichste von sich zu geben, die ehemals wohl kaum in Schenken gestattet worden wären.

Der Zug ist nicht appetitlich, aber für den Londoner ›Traveller's Club‹ doch charakteristisch.

Dagegen nimmt man es Fremden sehr übel, wenn sie im Eßsaal, der doch im Grunde nichts als eine elegante Restauration ist, und wo jeder auch, wie dort, seine Zeche nach vollendeter Mahlzeit bezahlt, mit einem der Diener, der schlecht bedient, lange warten läßt oder eins statt des andern bringt, schmälen, oder überhaupt etwas laut oder herrisch ihre Befehle geben, obgleich die Engländer selbst sich dies sehr oft dort und noch vielmehr bei uns erlauben. Ja es wird sogar nicht gerade als unschicklich, doch aber als fatal und unangenehm angesehen, wenn jemand während des Mittagessens liest, weil dies in England nicht Mode ist, und da unter andern ich selbst diese Unart in hohem Grade an mir habe, bemerkte ich schon einigemal satirische Zeichen des Mißfallens darüber, von diesem und jenem Insulaner von altem Schrot und Korn, der den Kopf schüttelnd an mir vorüberging. Man muß sich überhaupt in acht nehmen, so wenig wie möglich irgend etwas anders zu machen, als die Engländer, und ihnen doch auch nicht alles nachahmen, weil keine Menschen- race intoleranter sein kann, die meisten aber ohnedies die Aufnahme Fremder in ihre geschlossenen Gesellschaften nur ungern sehen, alle aber es für eine ausgezeichnete faveur und Gnade halten, die uns dadurch erzeigt wird. Eine große Bequemlichkeit wenigstens, und besonders Ökonomie ist der gestattete Besuch der Clubs bei der Teuerkeit der englischen Wirtshäuser und dem Mangel an Restaurationen und Kaffeehäusern nach Art des Kontinents, gewiß.

Unter allen Verstößen gegen englische Sitte jedoch, die man begehen kann, und wofür einem wahrscheinlich der fernere Eintritt ganz versagt werden würde, sind folgende drei die größten: das Messer wie eine Gabel zum Munde führen; Zucker oder Spargel mit den Händen nehmen; oder vollends gar irgendwo in einer Stube ausspucken. Dies ist allerdings zu loben, und gebildete Leute aller Länder vermeiden dergleichen ebenfalls, (wiewohl auch hierin sich die Sitten sehr ändern, denn der Marschall von Richelieu erkannte einen aventurier, welcher sich für einen vornehmen Mann ausgab, bloß daran, daß er Oliven mit der Gabel, und nicht mit den Fingern nahm), nur die außerordentliche Wichtigkeit ist lächerlich, welche hier darauf gelegt wird, namentlich ist das letzt erwähnte crime in England so pedantisch verpönt, daß man ganz London vergebens durchsuchen würde, um so ein meuble, wie ein Spucknapf ist, in irgendeinem Laden aufzufinden. Ein Holländer, der sich deshalb sehr unbehaglich hier fühlte, behauptete ganz entrüstet, der Engländer einziger Spucknapf sei ihr Magen.

Dies sind, ich wiederhole es, mehr als triviale Dinge, aber die besten Lebensregeln in der Fremde betreffen fast immer Trivialitäten. Hätte ich zum Beispiel einem jungen Reisenden einige allgemeine Regeln zu geben, so würde ich ihm ganz ernsthaft raten: In Neapel behandle die Leute brutal; in Rom sei natürlich; in Österreich politisiere nicht; in Frankreich gib dir keine airs, in Deutschland recht viele, und in England spucke niemals aus. Damit käme der junge Mann schon ziemlich weit durch die Welt.

Was man mit Recht bewundern muß, ist die zweckmäßige Einrichtung alles zur Ökonomie des Lebens Gehörigen, und aller öffentlichen Etablissements in England, so wie die systematische Strenge, mit der das einmal Festgesetzte ohne Nachlassung befolgt wird. In Deutschland schlafen alle guten Einrichtungen bald ein, und nur neue Besen kehren gut. Hier ist das ganz anders, dagegen verlangt man auch nicht von jedem alles, sondern strikte nichts mehr als was seines Amtes ist. Die Behandlung der Dienerschaft ist ebenso vorzüglich, als die Dienstverrichtung dieser. Jeder hat seinen vorgeschriebenen Wirkungskreis, in dem man aber auch die genaueste Pflichterfüllung fordert, und bei Nachlässigkeiten immer weiß, an wen man sich zu halten hat. Dabei ist den Dienstboten auch vernünftige Freiheit, und einige Zeit für sich selbst gestattet, die der Herr sorgsam respektiert. Die ganze Behandlung der dienenden Klasse ist weit anständiger, und mit weit mehr égard gegen dieselbe verbunden als bei uns, obwohl sie von aller Vertraulichkeit so gänzlich ausgeschlossen bleibt, und eine solche Ehrfurcht von ihr gefordert wird, daß Diener in dieser Hinsicht mehr wie Maschinen als Menschen betrachtet werden. Dies und ihre gute Bezahlung bringt es ohne Zweifel hervor, daß verhältnismäßig wirklich die dienende Klasse in ihrer Art den meisten äußern Anstand in England besitzt.

Es wäre sogar in sehr vielen Fällen ein sehr verzeihlicher Verstoß des Fremden, wenn er zuweilen den Kammerdiener für dessen Lord begrüßte, besonders wenn er Höflichkeit und gewandte tournure für das Auszeichnende eines vornehmen Mannes hielte, denn dieser Maßstab würde in England keineswegs passend sein, wo, ohne alle Übertreibung, die erwähnten Vorzüge, obgleich sonst bei vortrefflichen und wesentlichen Eigenschaften, und auch mit sehr glänzenden einzelnen Ausnahmen, doch bei der Mehrheit der Vornehmen nicht angetroffen werden. Den Männern steht übrigens ihr, wenn auch oft an Grobheit streifender, Übermut und die hohe Meinung von sich selbst noch nicht so übel an, bei den Weibern aber wird beides ebenso widrig, als bei andern Engländerinnen das vergebliche Bemühen, continentale Grazie und Leichtigkeit zu affektieren.

Ich lobte vorher die Zweckmäßigkeit der hiesigen Einrichtungen, und will Dir zum Beleg die Organisation des Spielsaals im ›Traveller's Club‹ beschreiben. Es ist dieser Verein kein eigentlicher Spiel-Club, sondern wie sein Name schon anzeigt, ein speziell für Reisende bestimmter, daher auch nur solche wirkliche Mitglieder desselben sein können, die eine gewisse bedeutende Anzahl von Meilen auf dem Kontinent gereist, oder vielmehr umhergefahren sind, doch findet man eben nicht, daß sie deshalb weniger englisch geworden wären, was ich auch nicht tadeln will. Also, obgleich kein Spiel-Club, wird doch bei den ›Travellers‹ sehr hoch Short-Whist und Ecarté, aber kein Hazard gespielt.

In unsern Casinos, Ressourcen u. s. w. muß sich der Spiellustige immer erst mühsam eine Partei aussuchen, und sind die Spieltische besetzt, vielleicht stundenlang warten, ehe einer leer wird. Hier ist es Gesetz, daß jeder der kommt, sobald an irgend einem Tische ein rubber beendigt ist, sogleich in diese Partie eintreten darf, und dann der, welcher bereits zwei rubber nacheinander gespielt, austreten muß. Dies hat auch das Angenehme, daß, wenn man an dem einen Tisch verloren hat, und glaubt, das Glücke liege am Platze, aufstehen, und bald darauf besseres an einem andern aufsuchen kann.

In der Mitte des Saals steht ein bureau, an welchem ein commis postiert ist, der klingelt, sobald man etwas von den waiters verlangt, die Rechnung führt, auch bei streitigen Fällen die klassischen Werke über das Whist herbeibringt. Denn nie wird auch das geringste Versehen gegen die Regel, ohne die darauf gesetzte Strafe zur Folge zu haben, durchgelassen, was allerdings für den, der nur zur Unterhaltung spielen will, etwas peinlich wird, aber doch eigentlich zweckmäßig ist, und gute Spieler bildet. Derselbe commis verabreicht auch jedem Spieler die Marken. Um nämlich der großen Unannehmlichkeit auszuweichen, mit einem bösen Zahler zusammenzukommen, der zwar viel verliert, aber nichts berichtigt, und solche gibt es in England nicht weniger, als anderwärts, so ist der Club selbst der allgemeine Zahler. Bares Geld erscheint (schon der Reinlichkeit wegen sehr angenehm) gar nicht, sondern jeder erhält, so wie er sich zum Spiel hinsetzt, ein Körbchen Marken von verschiedener Form, deren Wert mit Zahlen darauf bemerkt ist, und welche der commis in sein Buch einträgt. Verliert er sie, so verlangt er neue, u. s. w. Ehe man weggeht, berechnet man sich mit dem Rechnungsführer, konstatiert entweder den Verlust, oder liefert, wenn man gewonnen, die akquirierten Marken aus. In beiden Fällen erhält man über das Resultat eine Karte eingehändigt, die das Duplikat der Berechnung im Kontobuche enthält.

Sobald einer auf diese Weise über 100 L. St. schuldig ist, muß er den andern Morgen an den commis Zahlung leisten, dagegen jeder, der etwas zu fordern hat, es zu allen Zeiten realisieren kann.

Ich muß indes, der Wahrheit zu Ehren, bekennen, daß im › Traveller's Club‹ diese letzte Regel gegen Fremde sehr schlecht beobachtet, und Engländer von Seiten des commis, höchstwahrscheinlich mit stillschweigender Duldung der Direktion, dabei sehr protegiert wurden. Ich selbst und mehrere meiner Freunde haben schon zu verschiedenen Malen, ich wochen- und jene monatelang keine Zahlung erhalten können, wogegen der Verlust von uns immer sehr pünktlich eingefordert ward, und der commis selbst sich auf unsre Beschwerde damit entschuldigte, daß dieser Engländer 600, jener 1000 L. St. und noch mehr schuldig geblieben, oder gar abgereist sei, ohne zu bezahlen, man diese Summen daher jetzt nicht eintreiben könne, welches die Kasse momentan außerstande setze, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. Dies ist aber nur eine üble Ausnahme, und fällt in den andern Clubs, wie ich von allen hörte, nie vor, verdiente aber eben deshalb auch eine öffentliche Rüge.

Es wäre sehr zu wünschen, daß wir in unsern deutschen Städten die Organisation der englischen Clubs nachahmten, welches, wenn auch mit weniger Luxus, weil wir ärmer sind, doch im Wesentlichen sehr tunlich wäre – dabei aber auch den Engländern in sofern Gleiches mit Gleichem vergölten, daß wir nicht ewig vor ihrem Gelde und Namen in einer kindisch-sklavischen Admiration auf den Knien lägen, sondern ihnen mit aller Humanität, und immer noch mit mehr Artigkeit, als sie uns in England bezeigen, doch fühlen ließen, daß wir Deutsche in Deutschland Herren vom Hause sind, und folglich mehr Ansehn zu behaupten und zu fordern haben als sie, die ohnedies nur zu uns kommen, entweder um zu sparen, oder sich ein wenig abzuhobeln und vornehme liaisons zu formieren, die ihnen bei mittlerem Stande zu Hause verschlossen bleiben, oder mit Behaglichkeit sich zu überzeugen, daß, den physischen Lebensgenuß betreffend, wir gegen sie noch halbe Barbaren sind.

Es ist in der Tat unbegreiflich und ein wahres Zeichen, daß es hinreichend ist, uns nur schlecht und geringschätzend zu behandeln, um von uns verehrt zu werden, daß bei uns, wie schon erwähnt, der bloße Name ›Engländer‹ statt des höchsten Titels dient, weshalb auch jeden Augenblick ein Mensch, der in England, wo die ganze Gesellschaft bis zur niedrigsten Stufe hinab so schroff aristokratisch ist, kaum in den vulgärsten Zirkeln Einlaß erhält, in deutschen Ländern bei Hofe und vom vornehmsten Adel fetiert und auf den Händen getragen, jede seiner Verstöße und Unbehilflichkeiten aber als eine liebenswürdige englische Originalität angesehen wird, bis zufällig ein wirklich angesehener Engländer in den Ort kommt, und man nun mit Erstaunen erfährt, daß man nur einem Fähnrich auf half-pay, oder gar einem reichen Schneider oder Schuster so viel Ehre erwiesen hat. Ein solches niedres Individuum ist indessen doch wenigstens höflich, die Impertinenz mancher Vornehmen dagegen geht wirklich über jeden Begriff.

Ich weiß, daß in einer der größten Städte Deutschlands ein liebenswürdiger Prinz des K... Hauses, der noch zu sehr angloman ist, weil er die Engländer nicht in ihrem Lande gesehen, und sie nur nach seiner eigenen jovialen Ritterlichkeit beurteilt, übrigens auch ihre Pferde und Wagen mit Recht liebt, einen englischen viscount, der kaum angekommen, und ihm noch nicht präsentiert worden war, zur Jagd einladen ließ, worauf dieser erwiderte, er könne davon nicht profitieren, denn der Prinz sei ihm ganz unbekannt. Es ist wahr, daß einem Fremden in England nie eine solche Artigkeit geboten werden würde, wo die Einladung eines Großen zu einem einzigen Mittagessen (denn mit Einladungen zu Soirées und routs etc. ist man, um das Haus zu füllen, sehr freigebig) schon als die ausgezeichnetste Ehrenbezeigung von ihm betrachtet wird, die er, selbst vornehmen Fremden erzeigen zu können glaubt, und welche immer entweder eine schon lange dauernde Bekanntschaft, oder gewichtige schriftliche Empfehlung voraussetzt – eine solche Zuvorkommenheit aber, wenn sie einmal durch ein Wunder in England stattfände, so aufzunehmen, wie dieser tölpische Lord, würde gewiß keinem gebildeten Mann auf dem ganzen Kontinent möglich sein.Laß mich hier ein für allemal bemerken, daß wer England nur nach seinem Aufenthalte daselbst im Jahre 1813 beurteilt, sich ganz darüber irren muß, denn damals war eine Epoche des Enthusiasmus, eine grenzenlose Freude der ganzen Nation von ihrem gefährlichsten Feinde durch uns befreit worden zu sein, die sie zum ersten, und vielleicht letztenmale allgemein liebenswürdig machte.


Den 21sten

Ich besuchte gestern früh L..., um Deine Kommission zu besorgen, fand ihn jedoch nicht zu Haus, statt seiner aber zu meiner Freude einen Brief von Dir, den ich so ungeduldig zu lesen war, daß ich gleich in seiner Stube blieb, um ihn zwei- bis dreimal emsig durchzuforschen. Deine Liebe, die mir so viel wie möglich alles Unangenehme zu ersparen sucht, und mich nur von dem unterhält, was ich gern höre, erkenne ich gar dankbar, dennoch mußt Du mich nicht mehr schonen, als Du ohne Gefahr für die Geschäfte tunlich glaubst. Du machst übrigens eine weit bessere Schilderung vom Inhalt meiner Briefe, als diese selbst darzubieten imstande sind, und es ist ein sehr liebenswürdiger Fehler von Dir, mich so artig zu überschätzen. Liebe malt mit Zauberfarben das Geringste herrlich, aber wohl mag ich mir auch die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß Du durch so genaue Verhältnisse Gelegenheit hattest, Eigenschaften an mir kennen zu lernen, die vielleicht einigen wahren Wert haben, und die sich dem gewöhnlichen Blicke nicht erschließen, sondern, wie die sensitive, bei der unsanften Berührung der Welt schnell zurückziehen. Dies tröstet mich – aber schmerzlich ist mir Deine Äußerung: Du fändest alles, was Du selbst schreibst, so gehaltlos, daß du glaubtest, der Schmerz der Trennung von mir habe Dich geistesschwach gemacht. Verlange ich denn Phrasen? Wie viel lieblicher ist das natürliche trauliche Geschwätz, das sich unbekümmert gehen läßt, und innig herzlich folglich vortrefflich ausdrückt. Besonders freuen mich Deine Empfindungen bei dem, was ich Dir mitteile, denn sie sind immer ganz so, wie ich sie erwarte und teile.

Folge Deiner Freundin in die Residenz. Das wird Dich zerstreuen, und Du zugleich dort Gelegenheit finden, manches für unsre Angelegenheiten zu tun. Les absents ont tort, vergiß das nicht. B...s Leichtsinn muß ich tadeln. Wer seinen Ruf vor der Welt, sei er auch im Innern ein Engel an Güte und Tugend, nicht achtet, wem es einerlei ist, was man von ihm sagt, ja wer sich vielleicht sogar damit belustigt, der wird durch die Bosheit der Menschen den guten Ruf gewiß bald und schnell verloren haben, und sich dann ohngefähr in der Lage Peter Schlemihls befinden, der seinen Schatten weggegeben hatte. Er hielt es erst für nichts, so etwas Unwesentliches zu entbehren, und konnte es nachher doch kaum ertragen – nur in der tiefsten Einsamkeit, fern von aller Welt, mit seinen Siebenmeilenstiefeln vom Nord- zum Südpol rastlos schreitend, und allein der Wissenschaft lebend, fand er einige Ruhe.

Am Ende Deines Briefes nimmt, wie ich wohl merke, die Schwermut wieder die Oberhand, und ich weiß hiervon auch zu reden, mais il faut du courage. In jedem Leben müssen Prüfungszeiten durchgelitten, und der bittere Kelch oft bis auf den letzten Tropfen geleert werden. Verklärt nur die Sonne den Abend, so wollen wir über die Mittagshitze nicht murren.

Doch genug von diesen ernsten Gegenständen, laß mich Dich jetzt, um auf etwas anderes überzugehen, in das Haymarket Theater führen, das ich neulich besuchte, während der berühmte Liston zum hundertzweitenmale im Charakter des Paul Prye, einer Art plumpers, das Publikum entzückte. Dieser Schauspieler, der ein Vermögen von 6000 Louisdor Revenuen erworben haben soll, ist einer von denen, die ich natürliche Komiker nennen möchte, von der Art, wie der Berliner Unzelmann und Wurm waren, und einst Bösenberg und Döring in Dresden; Leute, die auch ohne tiefes Kunststudium, bloß durch die ihnen eigene drollige Weise, sich zu präsentieren, und eine unerschöpfliche Laune, qui coule de source, Lachen erregen, sowie sie nur auftreten, obgleich sie selbst oft im gemeinen Leben hypochondrisch sind, wie es auch bei Liston der Fall sein soll.

Die berüchtigte Madame Vestris war ebenfalls hier engagiert, die ehemals so viel furore machte, und noch jetzt, obgleich etwas passiert, auf dem Theater sehr reizend erscheint. Sie ist eine vortreffliche Sängerin und noch bessere Schauspielerin, und noch mehr als Liston ein Liebling des englischen Publikums in jeder Hinsicht, besonders berühmt aber wegen ihres schönen Beins, das fast ein stehender Artikel in den Theater-Kritiken der Zeitungen geworden ist, und in Mannskleider von ihr sehr oft etaliert wird. In der Tat ist es von einem Ebenmaß, einem moelleux und Muskelspiel, dessen Anblick für den Kunstfreund hinreißend werden kann. – Ihre Grazie und, ich möchte sagen, der unerschöpfliche Witz ihres Spiels sind dabei wahrhaft bezaubernd, obgleich nicht selten lasziv und zu kokettierend mit dem Publikum. Man kann in manchem Sinne sagen, daß Madame Vestris ganz Europa angehöre. Ihr Vater war ein Italiener, Bartolozzi, der nicht unberühmte Kupferstecher in der sogenannten ›punktierenden Manier‹, ihre Mutter eine Deutsche und große Virtuosin auf dem Klavier, ihr Mann der famöse französische Tänzer Vestris, sie selbst ist eine Engländerin, und was ihr hiermit noch an Verwandtschaft mit europäischen Nationen fehlen könnte, haben Hunderte der markantesten Liebhaber hinlänglich ausgefüllt. Auch spricht Mme. Vestris mehrere fremde Sprachen mit vollkommenster Geläufigkeit. In dem deutschen ›Broomgirl‹ singt sie unter andern:

»Ach du lieber Augustin...« u. s. w.

mit ebenso richtiger und deutlicher Aussprache, als der liebenswürdigsten Frechheit.

Wie vornehm sie in ihrem Metier war, und wie sehr die englischen Krösusse sie verdorben hatten, beweiset folgende Anekdote, die mir aus etwas früherer Zeit als authentisch verbürgt wurde: Ein Fremder, der gehört hatte, daß Madame Vestris nicht immer grausam gewesen, sandte ihr bei Gelegenheit ihres Benefizes eine Banknote von 50 L. St., mit der schriftlichen Bitte: sich das entrée-billet abends selbst abholen zu dürfen. Dies Gesuch ward gewährt, und der junge Mann erschien mit der Zuversicht und der Miene eines Eroberers zur bestimmten Stunde, doch war der Ausgang ganz wider seiner Erwartung. Madame Vestris empfing ihn mit gemessener und sehr ernster Miene, und wies ihm stillschweigend einen Stuhl an, den der Überraschte schon um so verlegener einnahm, da er seine Banknote offen in ihrer schönen Hand erblickte.

›Mein Herr‹, sagte sie, ›Sie haben mir heute früh diese Note für ein entrée-billet zu meiner Benefiz-Vorstellung geschickt, und für ein solches billet ist es zuviel. Sollten Sie jedoch andere Hoffnungen damit verbunden haben, so muß ich die Ehre haben, Ihnen zu versichern, daß es mehr als zu wenig ist. Erlauben Sie daher, daß ich Ihnen damit zu Hause leuchte.‹ – Mit diesen Worten steckte sie die Note am nahen Lichte an, öffnete die Türe, und leuchtete dem mühsam eine Entschuldigung stotternden, unglücklichen Versucher die Treppe hinab.

 

Heute hinderte mich ein dinner bei unserm Gesandten, das, beiläufig gesagt, besonders recherchiert war, das Theater zu besuchen, welches ich bisher zu sehr vernachlässigt, und mir daher vorgenommen habe, es nun mit einiger suite zu kultivieren, um Dir, wenn gleich in detachierten Schilderungen, doch nach und nach einen etwas ausführlichern Rapport darüber abzustatten.

Wir waren ganz en petit comité und die Gesellschaft ungewöhnlich heiter. Unter andern befand sich ein gewisser großer gourmand unter uns, der viel geneckt wurde, sans en perdre un coup de dent. Endlich versicherte ihm der Fürst E..., daß, käme er (der gourmand) je in's Fegfeuer, seine Strafe ohne Zweifel darin bestehen würde, die Seligen fortwährend in seiner Gegenwart essen zu sehen, während er selbst statt ihrer verdauen müsse.

Kurz darauf sprach man von dem alten Lord P..., der sich so unglücklich fühle, keine Kinder zu haben, ohngeachtet er bloß deshalb eine junge Frau geheiratet hatte. »Oh, n'importe«, sagte der Fürst, »son frère a des enfants tous les ans, et cela revient au même pour la famille.«»Pour la famille oui«, erwiederte ich, »mais pas pour lui. Son frère manger et lui digèrer.«

Dieser Scherz machte Glück, und mit dem petillierenden Champagner folgten ihm hundert bessere, von den übrigen Gästen, die aber meinen Brief zu einem ›Vademekum‹ machen würden, wenn ich sie alle aufzählen wollte.

Auch Lord ... war da, der sich zwar mir gegenüber sehr freundlich benimmt, mir aber, wie ich von guter Hand weiß, in der Gesellschaft soviel als möglich zu schaden sucht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ein Mann von wärmerem Herzen würde Stirn gegen Stirn mich über dieses vermeinte Unrecht zur Rede gestellt haben. Die Diplomaten nehmen aber gar zu gern Fischblut-Elemente in ihre Organisation mit auf, und so zog der edle Lord heimliche intrigue vor. Glücklicherweise kann ich zu allen solchen menées lachen, denn wer nichts sucht, und wenig fürchtet, wen die große Welt selbst nur insofern interessiert, als er von Zeit zu Zeit darin Beobachtungsexperimente an sich und andern macht, wer, was das nécessaire wenigstens betrifft, unabhängig ist, und dabei einige wenige, aber sichere Freunde hat, dem ist es schwer, großen Schaden zu tun.

Auch hat die Erfahrung mich abgekühlt, das Blut wallt nicht mehr so unerträglich heiß, und der leichte Sinn hat mich dennoch nicht verlassen, ebenso wenig, wie die Fähigkeit, innig zu lieben. Damit genieße ich das Leben jetzt besser, als in der Jugendblüte, und möchte nicht mit dem früheren Rausche tauschen, ja ich scheue selbst das Alter durchaus bei solchen Dispositionen nicht, und bin überzeugt, daß auch dieser Epoche, wenn sie kommt, manche herrliche Seite abzugewinnen sein wird, die man früher nicht ahnet, und welche nur diejenigen nicht erkennen, welche ewig Jünglinge bleiben wollen. Ich las neulich ein paar hübsche englische Verse, die etwas Ähnliches berühren, und die ich, nach meiner Art, in Beziehung auf Dich, wie folgt, umwandelte, auf Dich, meine mehr als mütterliche Freundin, welche scheidende Jugend oft zu sehr bedauert. Dies sind die innig gemeinten Worte:

Ist gleich die trübe Wange bleich,
Das Auge nicht mehr hell,
Und nahet schon das ernste Reich,
Wo Jugend fliehet schnell!
Doch lächelt Dir die Wange noch,
Das Auge kennt die Träne noch,
Das Herz schlägt noch so warm und frei,
Als in des Lebens grünstem Mai.
So denk' denn nicht, daß nur die Jugend
Und Schönheit Segen leiht –
Zeit lehrt die Seele schönre Tugend,
In Jahren treuer Zärtlichkeit.
Und selbst wenn einst die Nacht von oben
Verdunkelnd Deine Brust umfängt,
Wird noch durch Liebeshand gehoben
Dein Haupt zur ew'gen Ruh gesenkt.
O, so auch blinkt der Abendstern,
Ist gleich dahin der Sonne Licht,
Noch sanft und warm aus hoher Fern',
Und Tages-Glanz entbehrst Du nicht. –

Ja, meine geliebte Julie, so hat auch uns schon die Zeit in Jahren treuer Zärtlichkeit gelehrt, daß nichts mehr echten Wert als diese haben kann, und gegenseitig sind wir uns ein Abendstern geworden, dessen mildes Licht reichlich den Glanz jener Tagessonne ersetzt, welche gar oft mehr sengt als wärmt.

Ich fuhr mit L... zu Hause, wo wir noch am traulichen Kamin ein langes Gespräch über unsre in mancher Hinsicht so schwer drückenden Landesangelegenheiten hielten. L... ist sehr gütig für mich, und ich ihm doppelt attachiert, einmal wegen seiner eignen Liebenswürdigkeit und Ehrlichkeit, zweitens aus Dankbarkeit für seinen vortrefflichen Vater, dem wir mehr reellen Dank schuldig sind als dem Deinen, ohne daß er ein andres Motiv dazu hatte, als seine unparteiische Gerechtigkeitsliebe.


Den 23sten

Eine sonderbare Sitte in England ist das stete Eingreifen der Zeitungen in das Privatleben. Wer von irgend einiger Bedeutung ist, sieht sich nicht nur bei den abgeschmacktesten Kleinigkeiten, z. B. wo er einem dinner oder Abendgesellschaft beigewohnt, ob er verreist ist u. s. w., namentlich aufgeführt (was manche Fremde mit großer Selbstgefälligkeit lesen), sondern er wird auch, arriviert ihm irgend etwas der Rede wertes, ohne Scheu damit ausgestellt, und ad libitum beurteilt. Persönliche Feindschaft hat dabei ebenso leichtes Spiel, als die Versuche, Freunde geltend zu machen, ja gar viele benutzen die Zeitungen zu Artikeln für ihren Vorteil, die sie selbst liefern, und die fremden Gesandtschaften kultivieren diese Branche angelegentlichst.

Man sieht, welche gefährliche Waffe sie abgibt, aber glücklicherweise führt das Gift auch gleich sein Gegengift bei sich, und dieses besteht in der Gleichgültigkeit, in der allgemeinen Blasierung, mit der dergleichen vom Publikum aufgenommen wird. Ein Zeitungsartikel, nach dem sich ein Kontinentaler drei Monate lang nicht würde sehen lassen mögen, erweckt hier höchstens ein momentanes Lächeln der Schadenfreude, und ist schon am nächsten Tage vergessen.

So mokiert man sich seit vier Wochen fast täglich über das Duell eines hiesigen Lords, bei dem dieser eben keine Heldentaten ausgeführt haben soll, mit den empfindlichsten Bemerkungen und Folgerungen über das Kaliber seiner Tapferkeit, ohne daß er dadurch gehindert wird, so unbefangen und gesellschaftlich als möglich zu bleiben. Auch mir, von dem die Engländer wie von jedem Heiratsfähigen, der hier herkommt, steif und fest glauben, es geschehe nur, um eine reiche Engländerin zur Frau zu suchen, hat man einen coup fourré machen wollen, und einen satirischen Artikel, jene Materie berührend, aus einer heimatlichen Fabrik erborgt, und in verschiedene hiesige Zeitungen gesetzt. Ich bin aber schon längst in der Schule eines alten Praktikers in diesem Punkt aguerriert worden, und lachte daher selbst zuerst am lautesten darüber, indem ich öffentlich harmlose Scherze über mich und andere dabei nicht sparte. Dies ist das einzige sichre Mittel, dem ridicule in der Welt zu begegnen, denn zeigt man sich empfindlich oder embarrasiert, dann erst wirkt das Gift, sonst verdampft es, wie kaltes Wasser auf einem glühenden Stein. Das verstehen auch die Engländer vortrefflich.

Den heutigen Abend brachte ich, meinem Vorsatze getreu, in Drury Lane zu, wo ich mit Erstaunen den alten Braham immer noch als ersten Sänger und Liebhaber mit gleichem Beifall in derselben Rolle auftreten sah, die er, schon vor 12 Jahren ein alter Mann, den Tag vor meiner Abreise aus England als Benefiz erwählt hatte. Ich fand auch wenig Unterschied in seinem Gesang, außer daß er noch etwas ärger schrie, und noch etwas mehr Rouladen als damals machte, um den Mangel der Stimme zu verdecken. Er ist ein Jude, und, wie ich fast glaube, der ewige, da er nicht zu altern scheint. Übrigens ist er der wahre Repräsentant der englischen Gesangmanier, und besonders in Volksgesängen der enthusiastisch verehrte Günstling des Publikums.

Große Kraft und Geläufigkeit der Stimme und gründliche Musikkenntnis ist ihm nicht abzusprechen, aber geschmackloser kann keine Methode sein.

Als Prima-Donna sang Miss Paton, eine recht angenehme, aber nicht ausgezeichnete Sängerin. Sie ist schön gewachsen und nicht häßlich, dabei sehr beliebt, und was uns sonderbar vorkommen möchte, an Lord W... L... verheiratet, dessen Namen sie in der Familie und im gewöhnlichen Leben führt. Auf dem Theater aber wird sie wieder Miss Paton und als solche bezahlt, welches bei der Armut des Lords nicht zu umgehen sein mag.Es ist wahr, daß in neuerer Zeit unsre liebliche Sontag, die Souveränin des Gesanges, etwas Ähnliches getan, indem sie sich, wie es scheint, den Grafen R... an ihre linke Hand hat antrauen lassen. A. d. H.

Was den Fremden in den hiesigen Theatern gewiß am meisten auffallen muß, ist die unerhörte Rohheit und Ungezogenheit des Publikums, weshalb auch, außer der italienischen Oper, wo sich nur die höchste und bessere Gesellschaft vereinigt, diese Klasse nur höchst selten und einzeln die Nationaltheater besucht, ein Umstand, von dem es noch zweifelhaft sein möchte, ob er gut oder nachteilig auf die Bühne selbst wirkt.

Englische Freiheit also artet hier in die gemeinste Lizenz aus, und es ist nichts Seltenes, mitten in der ergreifendsten Stelle einer Tragödie, oder während dem reizendsten cadence der Sängerin, mit Stentorstimme eine Zote ausrufen zu hören, der, nach Stimmung der Umstehenden, in der Galerie und obern Logen, entweder Gelächter und Beifallsgeschrei, oder eine Prügelei und Herauswerfen des Beleidigers folgt.

In jedem der beiden Fälle hört man aber lange nichts mehr vom Theater, wo Schauspieler und Sänger sich jedoch aus alter Gewohnheit von dergleichen keineswegs unterbrechen lassen, sondern comme si de rien n'était ruhig fortdeklamieren, oder mit der Stimme wirbeln. Und solches fällt nicht einmal, nein zwanzigmal während einer Vorstellung vor, und belustigt manche mehr als diese. Es ist auch nichts Seltenes, daß jemand die Reste seines croûte, welches nicht immer aus Orangenschalen besteht, ohne weiteres auf die Köpfe der Zuschauer ins Parterre wirft, oder kunstvoll in eine Loge abschießt, während andere ihre Röcke und Westen über den dritten Ranglogen aushängen, und in Hemdärmeln sitzenbleiben, kurz, alles was bei dem berühmten Wisotzky in Berlin unter den Handwerksburschen, zur bessern Aufregung einer phlegmatischen Harmonie-Gesellschaft vorfallen soll, trifft man auch in Großbritanniens Nationaltheater an.

Ein zweiter Grund, der anständige Familien abhalten muß, sich hier sehen zu lassen, ist die Konkurrenz mehrerer hundert Freudenmädchen, welche, von der unterhaltenen Dame an, die 6000 L. St. jährlich verzehrt und ihre eigne Loge hat, bis zu denen, die auf der Straße unter freiem Himmel biwakieren, in allen Gradationen erscheinen, und in den Zwischenakten die großen und ziemlich reich verzierten Foyers anfüllen, wo sie alle ihre effronterie schrankenlos zur Schau tragen.

Es ist sonderbar, daß diese Verhältnisse in keinem Lande der Erde schamloser öffentlich affichiert werden, als in dem religiösen und dezenten England. Dies geht so weit, daß man sich oft im Theater dieser widrigen Venus-Priesterinnen, besonders wenn sie betrunken sind, was nicht selten der Fall ist, kaum erwehren kann, wobei sie auch auf die unverschämteste Weise betteln, so daß man oft das hübscheste und bestgekleidetste junge Mädchen sieht, die nicht verschmäht, einen Schilling oder Sixpence, gleich der niedrigsten Bettlerin, anzunehmen, um am Büffet ein halbes Glas Rum oder Gingerbeer dafür zu trinken – und so etwas geht, ich wiederhole es, in dem Nationaltheater der Engländer vor, wo ihre höchsten dramatischen Talente sich entwickeln sollen, wo unsterbliche Künstler, wie Garrick, Mrs. Siddons, Miss O'Neil, durch ihre Vortrefflichkeit entzückten, und wo noch jetzt Heroen wie Kean, Kemble und Young auftreten! Ist das nicht im höchsten Grade unwürdig, und alles zusammen ein neuer schlagender Beweis, daß Napoleon nicht Unrecht hatte, wenn er die Engländer ›eine Nation prosaischer shop-keepers‹ nannte? Wenigstens kann man ihr im allgemeinen wahre Kunstliebe keck absprechen, weshalb auch die Rohheiten, von denen ich früher sprach, fast nie aus irgendeiner Teilnahme an der Darstellung selbst entstehen (denn höchstens betreffen sie eine persönliche intrigue gegen oder für einen Schauspieler) sondern fast immer nur ein ganz fremdes Motiv haben, das mit der Bühne nicht im mindesten konkurriert.

Der ...sche Gesandte hatte mich nach dem Theater begleitet, und erzählte mir, als wir im Foyer umherspazierten und die Anwesenden die Musterung passieren ließen, manche nicht uninteressante Partikularitäten über diese und jene der defilierenden Schönheiten. Der unglaubliche Leichtsinn und die wundervollen Glückswechsel dieser Geschöpfe waren mir dabei am merkwürdigsten.

»Diese mit den schmachtenden Augen«, sagte er, »kommt eben aus der King's Bench, wo sie wegen 8000 L. St. Schulden ein Jahr gesessen, dort aber ihr Metier immer fortgetrieben, und Gott weiß wie, endlich doch Mittel gefunden hat, sich zu befreien. Sie hat einen sonderbaren Fehler für ihren Stand, nämlich sentimental zu sein (ich glaube fast, der Baron wollte mir zu verstehen geben, dies aus Erfahrung zu wissen) und in solchen Anwandlungen gibt sie einem Geliebten zehnmal mehr, als sie von ihrem entreteneur erhält. »Ich weiß sehr vornehme Leute«, setzte er hinzu, »die dies unverantwortlich gemißbraucht haben, und ich zweifle nicht, daß bei der ersten Gelegenheit dieser Art sie bald wieder ihr altes Logis im Freistaat der King's Bench beziehen wird.«

»Hier diese etwas verblühte Schönheit«, fuhr er fort, »habe ich noch vor zehn Jahren mit einem Luxus leben sehen, den wenige meiner Kollegen nachahmen können. Weit entfernt, das geringste von ihren damaligen Reichtümern zurückzulegen, hat sie alles mit wahrer Leidenschaft fortwährend zum Fenster hinausgeworfen, und wird Ihnen doch heute sehr verbunden sein, wenn Sie ihr mit einem Schilling unter die Arme greifen wollen.«

Den Gegensatz zu dieser Armen zeigte er mir nachher in einer der ersten Logen; ein reizendes Weib vom besten Anstand, die einen Mann mit 20 000 L. St. Revenuen geheiratet hat, und noch vor geringer Zeit für eine dieser Guineen jedem alles war, was sie sein konnte. Diese Heiraten sind überhaupt hier häufiger, als irgendwo, und schlagen sonderbarerweise meistens recht gut aus. So machte mich mein Begleiter noch auf eine vierte Dame aufmerksam, eine bekannte Ballettänzerin, die sich ebenfalls sehr reich verheiratet hatte, und mit ihrem Manne noch immer sehr glücklich lebt, obgleich dieser vor kurzem Bankerott gemacht, und sie dadurch wieder arm werden lassen, ja vielleicht in eine noch drückendere Lage als früher gebracht hat.

Das war ein guter Probierstein für Herz und Kopf, welche, bei dieser Tänzerin wenigstens, in der Ausbildung mit den Beinen gewetteifert haben müssen.

Die geschilderte Sittenlizenz erstreckt sich auch bis auf die Bühne selbst, wo man oft so grobe Zweideutigkeiten in Worten und selbst in Gesten zu hören und zu sehen bekommt, daß man nicht mehr zu sehr darüber erstaunen kann, in den alten Memoiren zu lesen, was weiland die Jungfrau-Königin sich von dieser Art gefallen ließ.

Lebe wohl.

Ewig der Deine, L.


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