Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Einunddreißigster Brief

B... m im Westen Irlands,
den 5ten September 1828

Gute Julie.

Du machst mich lachen mit Deiner Dankbarkeit für mein fleißiges Schreiben. – Erkennst Du nicht, daß es keinen größeren Genuß für mich geben kann? Nach den ersten Worten schon fühle ich mich wie zu Hause, und Trost und Kraft erfüllt mich von neuem. So wie ich immer gesund zu werden pflegte, wenn ich einen Arzt konsultiert hatte, ehe ich noch seine Medizin nahm, so brauche ich auch nur mit der Feder in der Hand am Schreibtische die Worte »Liebe Julie« zu zeichnen, um meine Seele gesunder zu fühlen. Du bist übrigens in jeder Hinsicht der bessere Arzt, denn statt Medizin ernährst Du mich mit Honig. Gare aux flatteurs! Vous me gâtez. –

Erinnerst Du Dich noch des jungen Geistlichen aus Bray, der den lieben Gott zum größten Tyrannen aller Wesen machte, selbst aber ein herzensguter Mensch ist, qui n'y entend pas malice? Nun, dieser hat mich so herzlich gebeten, ihn zu seinem Vater in Connaught zu begleiten, der, wie er sagt, ein ebenso gastfreier als wohlhabender Mann ist, daß ich nachgegeben habe, et m'y voilà. Dieser milde Teil Irlands, welchen Fremde nie, Einheimische selten besuchen, steht in so üblem renommée, daß ein Sprüchwort sagt: Go to hell and Connaught (geh zur Hölle und Connaught). Der Entschluß wäre also der Überlegung wert gewesen. – Was aber andere abschreckt, reizt mich oft an, und grade da finde ich oft die beste Ausbeute, und alles verspricht sie mir diesmal reichlich, wenigstens was das Ungewöhnliche betrifft.

Gestern abends nach dem dîner, setzten wir uns in meinen Wagen, und verließen die Metropolis. Der Weg, welchen wir zurücklegen sollten, betrug grade 101 Meile. In England wäre dies bald abgetan gewesen – hier ist der Zustand der Posten nicht derselbe, und wir brauchten über 24 Stunden dazu.

Die hiesige Landschaft gleicht auffallend den wendischen Gegenden der Nieder-Lausitz, wo mein Unglücksstern mich auch einmal hinverschlug, bloß mit Ausnahme des vielen Waldes, der, einige dürre Kiefern abgerechnet, hier überall nur gewesen zu sein scheint. Brüche und Torfmoore bedecken jetzt unabsehbare Strecken, und das alte tausendjährige Eichenholz, welches in der Tiefe dort gefunden wird, hat einen hohen Preis für zierliche Meuble-Arbeiten; man macht sogar Tabaksdosen und Damenparüren davon. Der übrige Boden ist sandig oder naß. Die Felder stehen mager auf dem trocknen Lande, dagegen gedeiht die Bruchwirtschaft, welche man hier aus dem Fundamente versteht, vortrefflich. Man planiert die Brüche zuvörderst, indem man das vorragende Terrain zu Torfziegeln verarbeitet, dann geht das Brennen und die Bestellung mit Früchten erst an. Alle Moore scheinen außerordentlich tief. Heidekorn, Kartoffeln und Hafer werden am meisten gebaut. Die Hütten der Einwohner sind über alle Beschreibung jämmerlich, und das Ansehen der ganzen flachen Gegend in hohem Grade dürftig, bis man sich dem Gute meines Freundes nähert, wo die Natur freundlicher wird, und am Horizont blaue Berge winken, die der Sitz vieler Märchen und Wunder sind.

Capt. B..., mein Wirt, ist einer der Notablen seiner Grafschaft, sein Haus aber nicht besser als das eines mittelmäßig begüterten, deutschen Edelmanns. Mit der englischen Eleganz und dem englischen Luxus ist es hier aus. Wachs ist unbekannt, so wie Claret und Champagner. Man trinkt Sherry und Portwein, vor allem aber Whisky-Punsch, bekommt detestablen Kaffee, aber eine recht nährende und kräftige Hausmannskost. Das Haus selbst ist nicht überreinlich, die geringe Dienerschaft zwar respektabel durch Dienstalter, Eifer und Ergebenheit, aber von etwas ungewaschenem und bäurischem Ansehen.

Aus meinen Fenstern dringe ich in alle Geheimnisse der Ökonomie, die jedoch hier zu bescheiden ist, um, wie in Norddeutschland, auch ihren Misthaufen als Haupt- point de vue auszulegen. Der Regen (denn leider regnet es) läuft ganz lustig unter den Fenstern durch, und bildet einige romantische Wasserfälle vom Fensterbrett auf den Boden, wo ein alter Teppich die Fluten durstig aufnimmt. Die meubles wackeln etwas, ich habe aber Tische genug (eine große Angelegenheit bei meinen vielen Sachen) und das Bett scheint wenigstens geräumig und hart genug. Im Kamin brennt, oder glüht vielmehr, vortrefflicher Torf, der außer der Wärme, die er verleiht, auch, gleich dem Vesuv, wenn er ausbricht, alle Gegenstände mit einer feinen Asche überzieht. Alles das ist nicht glänzend – aber wie hoch werden jene Kleinigkeiten aufgewogen, durch die patriarchalische Gastfreiheit, und die heitre, ungezwungene Freundlichkeit der Familie! Es ist als wäre mein Besuch eine erzeigte Gunst, für die sich mir alle, wie für einen wesentlichen Dienst, verpflichtet zu fühlen scheinen.


Den 6ten

Mein Wirt gefällt mir sehr wohl. Er ist 72 Jahr alt, und noch rüstig wie 50, muß einst ein sehr schönes Äußeres gehabt haben, und seine Männlichkeit bewiesen 12 Söhne und 7 Töchter, alle von derselben Frau, die ebenfalls noch lebt, jetzt aber unwohl ist, weshalb ich sie noch nicht sah. Einige der Söhne und Töchter sind nun auch längst verheiratet, und der Alte sieht zwölfjährige Enkel mit seiner jüngsten vierzehnjährigen Tochter spielen. Ein großer Teil seiner Familie ist jetzt hier, was den Aufenthalt ziemlich geräuschvoll macht. Dies wird noch durch das musikalische Talent der Töchter vermehrt, die sich täglich auf einem schrecklich verstimmten Instrumente hören lassen, ohne daß dieser Umstand sie im geringsten störtIch habe oft zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß die Musik-Liebhaberei in ganz England nur Modesache ist. Es gibt keine Nation in Europa, die Musik besser bezahlt, und sie weniger versteht und genießt. . Die Männer sprechen in der Regel nur von Jagd und Reiten, und sind etwas unwissend. Ein Landjunker aus der Nachbarschaft z. B. suchte heute lange unverdrossen, wiewohl vergeblich, die vereinigten Staaten auf der Karte von Europa, bis ihm endlich sein Schwager den glücklichen Gedanken eingab, sein Heil auf der großen Weltkarte zu probieren. Die amerikanischen Freistaaten wurden deshalb gesucht, weil der alte Herr mir zeigen wollte, wo er den Grundstein zu Hallifax und B...town, welche letztere nach seinem Namen benannt ist, im amerikanischen Kriege gelegt. Er kommandierte damals 700 Mann, und erinnert sich gern an diese Zeit seiner Jugend und Wichtigkeit. Die skrupulöse und ritterliche Höflichkeit seines Benehmens, die stets bereitwillige Aufopferung seiner Bequemlichkeit für andere, zeigt ebenfalls die Erziehung einer längst vergangenen Zeit an, und bekundet eigentlich sein Alter sichrer noch als sein Aussehen.

Unsre Vergnügungen für die nächsten Tage sind nun folgendermaßen arrangiert. Morgen gehen wir in die Kirche, übermorgen nach der Stadt Galway, um ein Pferderennen zu besehen, wo die armen Tiere nicht nur eine deutsche Meile laufen, sondern während diesem Rennen auch noch verschiedene Mauern überspringen müssen. Sie werden von gentlemen geritten. Den Abend darauf ist Ball, wo man mir den Anblick aller Schönheiten der Umgegend verspricht. Aufrichtig gesagt, so gerührt ich von der mir bewiesenen Güte bin, so wird mir doch bei der Aussicht auf einen sehr langen Aufenthalt im Hause etwas bange, ich würde aber die herzlichen Menschen tief bekümmern, wenn ich mir davon etwas merken ließe. Je m'exécute donc de bonne grâce.


Den 7ten

Die Sitten sind hier noch so altertümlich, daß jeden Tag der Hausherr meine Gesundheit ausbringt, und wir keine Servietten bei Tisch haben, statt deren Schnupftuch oder Tischtuchzipfel aushelfen müssen.

Vier Stunden des Vormittags brachten wir in der nahe liegenden Stadt Tuam in der Kirche zu, und sahen wie vier Geistliche vom Erzbischof ordiniert wurden. Der englische protestantische Gottesdienst ist von dem unsrigen sehr verschieden, und ein sonderbares Gemisch katholischer Zeremonien und reformierter Einfachheit. Bilder an der Wand werden nicht geduldet, wohl aber an den Fenstern; die Tracht der Priester, selbst des Erzbischofs, besteht bloß aus einem weißen Chorhemde, dagegen der Sitz des letztern wie ein Thron gebaut, mit violettem Samt ausgeschlagen, und durch eine Erzbischofs-Krone geschmückt, der Kanzel prunkend gegenüber steht. Die Predigt wird abgelesen, und dauert sehr lang. Am ermüdensten ist aber, vor und nachher, die endlose Herlesung veralteter, zum Teil sich ganz widersprechender Gebete, deren Refrain zuweilen, vom Chor aus, singend wiederholt wird, und an denen man einen wahren Kursus der englischen Geschichte machen kann. Heinrich des Achten Kirchen-Revolution, Elisabeths Politik, und Cromwells puritanische Übertreibungen, reichen sich durcheinander die Hand, während gewisse Lieblingsphrasen alle Augenblicke wiederholt werden, worunter manche Stelle mehr kriechende Sklaven, die sich vor einem Tyrannen des Südens in den Staub werfen, charakterisieren, als der christlichen Würde gemäß sind. Man hatte sonderbarerweise das Evangelium, die Austreibung der bösen Geister in einer Herde Schweine betreffend, gewählt, und nachdem dies eine Stunde lang auseinander gesetzt war, wurden die vier Priester ordiniert. Der alte Erzbischof, welcher den Ruf strenger Orthodoxie hat, besaß viel Anstand, und eine schöne sonore Stimme; dagegen mißfiel mir das Benehmen der jungen Theologen in hohem Grade. Es war widerlich heuchelnd. Fortwährend rieben sie sich die Augen mit dem Schnupftuch, hielten es in Zerknirschung vor sich, als zerflössen sie in Tränen, antworteten nur mit erstickter Stimme – kurz, Herrnhuter hätten es nicht besser machen können. La grâce n'y était pas, gewiß von keiner Art.

Eine der sonderbarsten Sitten ist, daß jeder, wenn er, beim Kommen oder Gehen, sein Gebet spricht, sich damit in einen Winkel oder doch gegen die Wand kehrt, als ob er etwas Unschickliches unternähme, das man nicht sehen dürfte.

Ich muß es gerade heraussagen – ich begreife nicht, wie ein denkender Mensch durch einen solchen Gottesdienst erbaut werden kann. Und doch, wie schön und erhaben könnte dieser sein! Wenn nur der Sektengeist bei uns verbannt würde; wenn wir ferner, das Lächerliche zweckloser Zeremonien beseitigend, doch auch nicht einen abstrakten Kultus verlangen wollten, der die Sonne ganz ausschließen soll, eine Unmöglichkeit bei den sinnlichen Menschen! Warum sollen wir nicht, um das höchste Wesen zu verehren, alle unsre besten Kräfte, von ihm verliehen, zu einem solchen Zwecke anwenden, warum nicht Kunst jeder Art, in ihren höchsten Leistungen, dazu benutzen, um Gott das Herrlichste zu widmen, was menschliche Fähigkeiten vermögen? Freilich denke ich mir hier eine Gemeinde, deren Frömmigkeit, gleich weit entfernt von niedrigem Sklavensinn, wie arrogantem Dünkel, nur des Allvaters Größe und unendliche Liebe, die Wunder seiner Welt preisen will, nicht den Haß der Intoleranz in die ihm gewidmeten Mauern mitbringt, und deren Lehren nur den Glauben verlangen, zu dem die Offenbarung seines Innern einen jeden fähig macht. Vor meiner Phantasie schweben hier nicht mehr getrennte Kirchen für Juden und fünfzig Sorten ChristenCaraccioli schon pflegte darüber zu klagen, daß es in England sechzig christliche Sekten und nur eine sauce (geschmolzene Butter) gäbe. , sondern wahre Tempel Gottes und der Menschen, deren Pforten zu jeder Zeit, und jedem offenstehen, welcher sinnliche und geistige Stärkung am Heiligen und Himmlischen bedarf, wenn das Irdische ihn drückt, oder Glück und Wohlsein sein Herz mit Dank erfüllt.


Galway, den 8ten

Wir kamen sehr spät auf dem race-course an, und sahen heute nicht viel davon. Höchst merkwürdig war mir aber der Anblick des hiesigen Volkslebens. In vieler Hinsicht ist diese Nation wirklich noch mit den Wilden zu vergleichen. Der durchgängige Mangel an gehöriger Bekleidung beim gemeinen Mann, selbst an Festtagen wie dem heutigen; ihre gänzliche Unfähigkeit dem »Totenwasser« (dem Branntwein) zu widerstehen, solange sie einen Pfennig in der Tasche haben, um sich ihn zu verschaffen; ihre wilden, jeden Augenblick ausbrechenden Streitigkeiten und regelmäßigen Nationalkämpfe mit dem Shillelagh, einer mörderischen Stockwaffe, die jeder unter seinen Lumpen verborgen hält, woran oft Hunderte in einem Moment teilnehmen, bis mehrere von ihnen verwundet oder tot auf dem Schlachtfelde zurückbleiben; das furchtbare Kriegsgeschrei, welches sie bei solchen Gelegenheiten erheben, die Rachsucht, mit der eine Beleidigung jahrelang von ganzen Gemeinden nachgetragen und fortvererbt wird; auf der andern Seite wiederum die unbefangene frohe Sorglosigkeit, die nie an den nächsten Tag denkt; ihre harmlose, alle Not vergessende Lustigkeit; die gutmütige Gastfreiheit, die unbedenklich das Letzte teilt; die Vertraulichkeit mit dem Fremden, der sich ihnen einmal genähert, wie die natürliche Leichtigkeit der Rede, die ihnen immer zu Gebote steht; – alles sind Züge eines nur halb zivilisierten Volks.

Hunderte von Betrunkenen begleiteten unsern Wagen, als wir vom race-course nach der Stadt fuhren und mehr als zehnmal entstand Schlägerei unter ihnen. Wir fanden bei der Menge von Gästen nur mit Mühe ein elendes Unterkommen, aber doch ein gutes und sehr reichliches Mittagsessen.

Galway ist in früheren Zeiten hauptsächlich von den Spaniern angebaut worden, und einige Nachkommen jener alten Familie existieren noch, sowie mehrere sehr sehenswerte Häuser aus dieser Epoche. Charakteristisch schien es mir, daß in dieser Stadt von 40 000 Einwohnern, auch nicht ein einziger Buchladen oder eine Leihbibliothek zu finden war. Die Vorstädte, wie alle Dörfer, durch die unser Weg führte, waren von einer Beschaffenheit, der ich nichts bisher Gesehenes gleichstellen kann. Schweineställe sind Paläste dagegen, und oft sah ich zahlreiche Gruppen von Kindern (denn die Fruchtbarkeit des irländischen Volks scheint seinem Elend gleich zu sein) nackt, wie sie Gott geschaffen, sich mit den Enten im Straßenkot glückselig herumwühlen.


Athenry den 10ten früh

Ich schreibe Dir diesen Morgen aus dem Hause einer der liebenswürdigsten Frauen, die ich in meinem Leben gesehen, und zwar einer Afrikanerin, die behauptet, eine geborne Fräulein H... zu sein. Que dites-vous de cela? Doch davon nachher. Vorderhand mußt Du mich zum race-course zurückbegleiten, wo das Rennen mit dem Mauerspringen eben seinen Anfang nimmt, ein merkwürdiges Schauspiel in seiner Art, und für eine halbwilde Nation recht passend. Ich gestehe, daß es meine Erwartung weit übertraf, und mich in ungemeiner Spannung erhielt, nur mußte man Mitleid und Menschlichkeit dabei zu Hause lassen, wie Du aus dem Erfolg abnehmen kannst. Die Rennbahn geht in einem gedehnten Kreise. Auf der linken Seite beginnt der Lauf, auf der rechten gegenüber ist das Ziel. Dazwischen sind auf den beiden entgegengesetzten Punkten der Kreislinie, d. h. die, welche in der Mitte zwischen dem Auslauf und Ziele liegen, Mauern aus gesprengten Feldsteinen ohne Kalk aufgeführt, 5 Fuß hoch und 9 Fuß breit. Die Bahn, welche 2 englische Meilen beträgt, wird anderthalbmal durchlaufen. Du siehst also aus den vorigen Angaben, daß dabei die erste Mauer zweimal, die andere nur einmal, in jedem Rennen übersprungen werden mußIst Dir diese Beschreibung vielleicht noch nicht deutlich genug, so denke Dir nur einen gedrückten Kreis mit den darauf markierten vier Weltgegenden. Im Westen ist eine Säule, wo die Pferde auslaufen, im Norden eine Mauer, über die sie springen müssen. Hierauf passieren sie zum erstenmal die Zielsäule im Osten, ohne sich dabei aufzuhalten, und finden eine andere Mauer im Süden. Haben sie diese zurückgelegt, so kommen sie zum zweitenmal bei ihrem Auslaufspunkt vorbei, überspringen abermals die Mauer im Norden, und endigen nun erst am Ziel, nachdem sie drei Meilen gelaufen, und dreimal über Mauern gesprungen sind. . Viele Pferde konkurrieren, um aber zu siegen, muß dasselbe Pferd in zwei Rennen gewonnen haben, daher dieses oft drei-, vier-, ja fünfmal wiederholt werden muß, wenn jedesmal ein anderes zuerst ankommt. Heute wurde es viermal durchlaufen, so daß der Gewinner, in der Zeit von noch nicht 2 Stunden, die Intervallen mitgerechnet, 12 englische Meilen angestrengt laufen, und 12mal die hohe Mauer überspringen mußte, eine Fatigue, von der man bei uns kaum glauben würde, daß sie ein Pferd auszuhalten im Stande sei. Sechs gentlemen, wie Jockeys sehr elegant in farbige seidene Jacken und Kappen, lederne Beinkleider und Stulpenstiefel gekleidet, ritten das race. Ich hatte ein vortreffliches Jagdpferd von dem Sohne meines Wirts erhalten, und konnte daher, die Bahn kreuzend, sehr gut folgen, um bei jedem Sprunge gegenwärtig zu sein.

Man interessiert sich bei solchen Gelegenheiten immer für einen besondern favourite. Der meine, und der des ganzen Publikums, war ein außerordentlich schöner Dunkelfuchs, Gamecock genannt, den ein Herr in Gelb ritt, ein hübscher junger Mann, von einer angesehenen Familie, und ein vortrefflicher Reiter. Das Pferd, welches mir, nach diesem, am besten gefiel, hieß Rosina, eine dunkelbraune Stute, von einem Cousin des Capitän B... geritten, ein schlechter Reiter, in Himmelblau. Das dritte Pferd an Güte, nach meinem Urteil, Killarney, war ein starker, aber ziemlich unansehnlicher, Wallach, von einem jungen Manne geritten, der mehr Anlage, als schon vollendete Reiterkunst, verriet. Sein Anzug war cramoisi. Der vierte gentleman vielleicht der Gewandteste unter den Reitern, aber etwas kraftlos, ritt ein sich nicht besonders auszeichnendes braunes Pferd, und war selbst auch braun angezogen. Die zwei übrigen verdienen keine Erwähnung, da sie gleich im Anfang sich hor du jeu setzten. Beim ersten Sprung nämlich stürzten sie schon beide, der eine sich bedeutend am Kopfe beschädigend, der andere mit einer leichten Kontusion wegkommend, aber doch eben so unfähig gemacht, weiterzureiten. Gamecock, der, mit Furie anlaufend, und kaum von seinem Reiter zu dirigieren, mit ungeheuern Sätzen über die Mauer mehr flog als sprang, gewann das erste Rennen mit Leichtigkeit. Ihm folgte die leerlaufende Rosina, welche ihren Reiter abgeworfen hatte, und die folgenden Sätze, mit großer Grazie auf ihre eigene Hand vollführte. Gamecock war nun so entschiedener favourite, daß man 5 zu 1 für ihn parierte. Es kam indes ganz anders, und sehr tragisch. Nachdem im zweiten Rennen dieses herrliche Pferd wieder die andern beiden (denn 3 waren, wie Du gelesen hast, schon beseitigt) weit hinter sich zurückgelassen, und die ersten zwei Sprünge auf das brillanteste zurückgelegt hatte, trat es bei dem dritten auf ein Steinstück, was eins der vorigen ungeschickteren Pferde beim Stürzen abgesprengt hatte, und welches nicht erlaubt worden war, aus der Bahn zu nehmen – und fiel so gewaltig, daß es mit dem Reiter sich überschlug, und beide noch bewegungslos dalagen, als die anderen Konkurrenten herankamen, welche, ohne auf den Gefallenen die mindeste Rücksicht zu nehmen, ihre Sprünge glücklich bewerkstelligten. Gamecock raffte sich nach einigen Sekunden wieder auf, der Reiter aber erlangte seine Besinnung nicht wieder, und wurde vom gegenwärtigen Chirurgus für hoffnungslos erklärt, da Brustknochen und Schädel zerschmettert waren. Sein alter Vater, der dabeistand, als das Unglück geschah, fiel ohnmächtig auf den Boden, und seine Schwester warf sich über den zitternden, aber bewußtlosen Körper, dem der Schaum auf dem Munde stand, mit herzzerbrechendem Wehklagen hin. Dagegen war die allgemeine Teilnahme sehr gering. Nachdem man schnell den armen jungen Mann mehrmals zur Ader gelassen, so daß er auf dem Rasen ganz in seinem Blute schwamm, schaffte man ihn weg, und das race begann von neuem zu der bestimmten Zeit, als wenn nichts vorgefallen wäre. Der braune Mann war im vorigen Rennen der erste gewesen, und hoffte jetzt den entscheidenden und letzten Lauf zu beginnen. Es war, was die Engländer ein hartes race nennen. Beide, Pferde und Reiter, machten ihre Sache vortrefflich, liefen und sprangen fast wie in Reih und Glied. Nur um einen Viertelspferdekopf kam endlich Killarney am Ziele vor. Es mußte also noch einmal gerannt werden, Dieser letzte contest war natürlich der interessanteste, da nun einer von beiden das Ganze gewinnen mußte, und gab Gelegenheit zu großen Wetten, die im Anfang al pari standen. Zweimal schien der Sieg entschieden und endigte dennoch entgegengesetzt. Beim ersten Sprung waren beide Pferde nebeneinander. Ehe sie aber an den zweiten kamen, sah man, daß das braune matt wurde, und Killarney so viel Terrain gewann, daß er, mehr als hundert Schritt vor dem andern, zum zweiten Sprung an die Mauer kam. Hier aber, gegen alle Erwartung, refüsierte er zu springen, weil der Reiter ihn nicht hinlänglich in seiner Gewalt hatte. Ehe er zum Gehorsam gebracht werden konnte, wurde er vom Braunen erreicht. Dieser machte seinen Sprung glücklich, und nun alle Kräfte anstrengend, kam er so weit vor, daß ihm der Sieg jetzt sicher schien. Die Wetten standen 10 zu 1. Die letzte Mauer drohte indes noch – und ward ihm auch in der Tat verderblich. Das schon matte Pferd, im schnellen Rennen seine letzten Kräfte erschöpfend, versuchte zwar willig den Satz, konnte ihn aber nicht mehr effektuieren, und die Mauer halb einbrechend, kollerte es, blutig gestoßen über und über, den Reiter unter seiner Last so begrabend, daß er nicht fähig war, es wieder zu besteigen. Der Reiter Killarneys hatte, während dies vorging, seinen widerspenstigen Gaul endlich bezwungen, vollendete, unter dem Zujauchzen der Menge, beide sich folgende Sprünge, und ritt dann im Schritt, ganz gemächlich und ohne fernern Rivalen, dem Ziele zu. Dort fand ich ihn aber so erschöpft, daß er kaum sprechen konnte.

Während den Zwischenräumen der verschiedenen früheren Rennen, war ich mehreren Damen und Herren vorgestellt worden, die mich alle sehr gastfrei auf ihre Landsitze einluden. Ich folgte aber lieber dem Sohne meines Wirts, der mir versprach, mir die Schönste aller Schönen zu zeigen, wenn ich mich seiner Leitung überlassen wolle, und mich nicht scheue, noch 10 Meilen im Dunkeln zu reiten. Unterwegs erzählte er mir, daß die Bewußte Mistress L.... heiße, die Tochter des ehemaligen holländischen Gouverneurs von ... sei, und sich jetzt in dem einsamen Flecken Athenry, der gesunden Luft wegen aufhalte, da sie, vom Klima angegriffen, an der Brust leide.

Um 10 Uhr kamen wir erst an, und überraschten sie in ihrem kleinen Häuschen (denn der Ort ist elend) beim Tee.

Ich möchte Dir dieses liebenswürdige Geschöpf beschreiben, so daß Du sie vor Dir zu sehen glaubtest, überzeugt, daß Du sie, gleich mir, beim ersten Blicke lieben würdest. Ich fühle aber, daß hier Beschreibung nicht ausreicht. – Alles an ihr ist Herz und Seele, und das beschreibt sich nicht! Sie war höchst einfach, ganz schwarz gekleidet, das Kleid bis an den Hals geschlossen, aber dennoch zeichnete es die schönsten Formen. Ihre Gestalt war schlank und äußerst jugendlich, voll milder Grazie, und dennoch nicht ohne Lebhaftigkeit, noch Feuer in ihren Bewegungen. Ihr Teint braun, rein und klar, und von einer sanften Glätte, wie Marmor. Schönere und glänzendere schwarze Augen und blendend weißere Zähne sah ich nie. Auch der Mund, mit der engelgleichen Kindlichkeit ihres Lächelns, war bezaubernd.

Ihr feiner, ungezwungener Anstand, die spielend geübte Grazie heiteren und witzigen Gesprächs, waren von der köstlichen Art, die angeboren ist, und daher ebenso sicher in Paris, wie in Peking, in der Stadt, wie auf dem Dorfe, gefallen muß. Die größte Erfahrung könnte nicht mehr Gewandtheit geben, und kein Mädchen von 15 Jahren lieblicher erröten, und freudiger scherzen. Demohngeachtet war ihr Leben das einfachste gewesen, und ihre Jugend mehr noch die unverblühbare der Seele, als die des Körpers, denn sie war Mutter von vier Kindern, den Dreißigern ziemlich nahe, und eben jetzt erst, kaum von einer ihr Leben bedrohenden Brustkrankheit genesen. Aber das Feuer aller ihrer Bewegungen, die blitzesschnelle Lebhaftigkeit ihrer Unterhaltung, waren ganz jugendlich frisch, und rissen jugendlich hin, indem sie zugleich der innern Sanftmut ihres Wesens einen unwiderstehlichen Reiz gaben. Man fühlte, daß diese Natur unter einer heißeren und glücklicheren Sonne, auf einem üppigeren Flecke der Erde, als unsere Nebelländer es sind, geboren war! Auch empfand sie selbst die wehmütigste Sehnsucht nach dieser Heimat, und Schmerz verbreitete sich augenblicklich über alle ihre Züge, als sie erwähnte, daß sie wohl nie jene linde, von Wohlgerüchen geschwängerte Luft, wieder einatmen würde. Ich war zu sehr in ihrem Anblicke verloren, um an leibliche Nahrung zu denken, wenn sie nicht selbst, mit aller gütigen Emsigkeit einer Hausfrau, Anstalt gemacht hätte, uns in ihrer kleinen Hütte, so gut es sich tun ließ, zu bewirten. Man deckte nun einen Tisch in derselben Stube, so daß das frugale Mahl die Unterhaltung nicht abbrach, und es war lange nach Mitternacht, als wir schieden, um unsre Betten aufzusuchen. Erst als ich schon in dem meinigen lag, erfuhr ich, daß, bei der Unmöglichkeit, in dem elenden, nur aus wenigen Hütten bestehenden Orte ein Bett aufzutreiben, die herzensgute und ganz zeremonielose Frau mir ihr eignes abgetreten, und sich bei ihrer ältesten Tochter einquartiert habe. Mit welchen Gefühlen ich nach dieser Nachricht endlich einschlief, magst Du Dir denken! –

Über ihre Familie, deren Namen mir so sehr auffallen mußte, konnte Mistress L... mir selbst nicht viel mitteilen. Im zwölften Jahre hatte sie Herr L..., damals Hauptmann in der englischen Armee, in ... geheiratet. Gleich darauf war ihr Vater gestorben, und sie mit ihrem Gemahl nach Irland geschifft, welches sie seitdem nie verlassen. Sie hatte wohl gehört, daß sie Verwandte in Deutschland habe, aber nie mit ihnen korrespondiert, bis sie vor drei Jahren einen Geschäftsbrief von einem Vetter aus A... erhielt, mit der Ankündigung, daß der Bruder ihres Vaters gestorben, und sie zur Universalerbin eingesetzt habe. Die Gleichgültigkeit des afrikanischen Naturkindes war so weit gegangen, daß sie diesen holländisch geschriebenen Brief nicht nur bis jetzt unbeantwortet gelassen, sondern, wie sie erzählte, auch nur zum Teil entziffern können, da sie die Sprache in so langer Zeit fast vergessen habe. »Ich kenne den Mann ja nicht«, setzte sie entschuldigend hinzu, »und die Erbschaftssache habe ich meinen Gemahl abmachen lassen.«

Der Badeort Athenry (die Quelle ist von der Art wie Salzbrunnen in Schlesien) gehört auch zu den Originalitäten Irlands. Ich habe Dir schon gesagt, daß kein Dorf in Polen von elenderem Ansehen gedacht werden kann. Dabei liegt der Hüttenhaufen auf einer ganz kahlen Anhöhe im Torfmoor, ohne Baum und Strauch, ohne Gasthof, ohne irgend eine Bequemlichkeit, nur von den zerlumptesten Bettlern, außer den wenigen Badegästen, bewohnt, welche letztere alles mitbringen, was sie brauchen, und ihren Unterhalt bis auf die geringsten Lebensmittel, fortwährend von dem 12 Meilen entfernten Galway herbeiholen lassen müssen. Einst war es anders, und noch betrachtet man mit Wehmut am äußersten Ende des jammervollen Örtchens die stolzen Ruinen einer bessern Zeit. Hier stand eine reiche Abtei, jetzt mit Efeu durchwachsen, und über den freiliegenden Altären und Grabsteinen sind die Gewölbe eingestürzt, die einst das Heiligtum schützten. Weiterhin sieht man noch die 10 Fuß dicken Mauern des Schlosses König Johanns, der seinen Gerichtshof hier hielt, wenn er nach Irland herüberkam.

Ich besuchte diese Ruinen in sehr zahlreicher Begleitung. Ich sage nicht zu viel, wenn ich Dir versichere, daß aus der ganzen Gegend wenigstens über 200 halbnackte Individuen, zum Dritteil Kinder, sich um meinen nachgekommenen Wagen schon seit dem frühesten nichtstuend versammelt hatten, und nun unter Vivatgeschrei mich alle bettelnd umringten, und Mann für Mann durch die Ruinen, über Trümmern und Kratzbeeren, treulich begleiteten. Die sonderbarsten Komplimente erschallten zuweilen einzeln aus der Menge heraus, einige riefen sogar: »Es lebe der König!« Als ich bei der Zurückkunft ein paar Hände voll Kupfer unter sie warf, lag bald, von alt und jung, die Hälfte im Straßenkot, sich blutig schlagend, während die andern schnell in die Branntweinschenke liefen, um das Gewonnene sogleich zu vertrinken.

Das ist Irland! vom Gouvernement vernachlässigt oder bedrückt, von der stupiden Intoleranz des englischen Priestertums erniedrigt, von seinen reichen Landbesitzern verlassen, und von Armut und Whiskeygift zum Aufenthalt nackter Elenden gestempelt! –

Ich habe schon erwähnt, daß auch bei den gebildeten Klassen der Provinz die Unwissenheit für unsere Erziehungsbegriffe beispiellos erscheint. Ich will es noch nicht als solche aufführen, daß z. B. heute beim Frühstück vom Magnetismus gesprochen wurde, und niemand je das geringste davon gehört hatte. Du wirst übrigens nicht zweifeln, daß ich mich gern erbot, Mistress L..., deren Lebhaftigkeit bei der Beschreibung gleich Feuer fing, darin Unterricht zu geben – aber stärker ist es schon, daß in B...m, unter einer Gesellschaft von 20 Personen, niemand wußte, daß es Örter wie Carlsbad und Prag in der Welt gebe. Die Auskunft, daß sie in Böhmen lägen, half auch nichts, da ihnen Böhmen ebenso unbekannt war, denn alles, außer Großbritannien und Paris, waren für sie böhmische Dörfer. »Wo sind Sie denn eigentlich her?« frug mich einer. »Aus Brobdingrag«, sagte ich im Scherz. »Ah, liegt das am Meer? Haben Sie da auch Whiskey?« frug ein anderer. Ja der öfters erwähnte Sohn meines Wirts erkundigte sich sogar einmal ganz angelegentlich bei mir, als wir eben auf einem Spazierritte einigen Eseln begegneten, ob es auch bei uns solche Tiere gäbe? »Ach, mehr als zu viel!« erwiderte ich seufzend.


B... m, den 12ten

Gestern kehrten wir hierher zurück, mit Mühe uns von der schönen Afrikanerin losreißend, die uns indes bald nachzukommen versprochen hat, und heute benutzte ich die Muße, um einen Spazierritt nach Castle Hacket zu machen, einen einzeln in der Gegend stehenden Berg, der, nach des Volkes Meinung, ein Lieblingsaufenthalt der Feen, the good people, wie man sie in Irland nennt, sein soll. Kein Volk ist poetischer und mit reicherer Phantasie begabt. – Ein alter Mann, der die Aufsicht über die Waldungen von Castle Hacket hat, und in dem Rufe steht, mehr als andere von den good people zu wissen, erzählte uns den Verlust seines Sohnes ganz im Ton einer Romanze. »Ich wußte es«, sagte er, »schon vier Tage vorher, daß er sterben würde, denn als ich an jenem Abend in der Dämmerung nach Hause ging, sah ich sie in wilder Jagd über die Ebene dahinstürmen. Ihre roten Gewänder flatterten im Winde, und die Seen gefroren bei ihrem Nahen zu Eis, Mauern und Bäume aber bogen sich vor ihnen zur Erde, und über die Spitzen des Dickichts ritten sie hin, wie über grünes Gras. Voran sprengte die Königin auf weißem hirschartigem Roß, und neben ihr sah ich mit Schaudern meinen Sohn, dem sie zulächelte und ihm schöntat, während er, wie im Fieber, sie mit Sehnsucht anblickte, bis alle auf Castle Hacket verschwanden. Da wußte ich, daß es um ihn geschehen sei! – Denselben Tag noch legte er sich, den dritten trug ich ihn schon zu Grabe. Keinen schöneren, keinen besseren Jungen gab's in Connemara – drum hat auch die Königin sich ihn erwählt.« –

Der Alte schien so unbefangen, und so fest von der Wahrheit seiner Erzählung überzeugt, daß es nur kränkend hätte für ihn sein können, den geringsten Zweifel daran zu äußern. Dagegen erwiderte er unsere Fragen nach weiteren Details mit großer Bereitwilligkeit, und ich behalte mir also noch vor, Dir die genaueste Toilette der Feenkönigin zu Deinem nächsten Maskenball ausführlicher zu liefern.

Am Fuße dieses nicht geheuren Berges ist ein hübscher Landsitz, und der Berg selbst, bis an seine Spitze, mit jungen, gut wachsenden Pflanzungen bedeckt. Auf dem steinigen Gipfel steht eine künstliche Art Ruine, bloß von losen Steinen aufgeschachtet, die sehr mühsam, und wegen der leicht abrollenden Steine, nicht ohne Gefahr zu erklettern ist. Die Aussicht ist aber des Versuches wert. Von zwei Seiten irrt das Auge fast schrankenlos über die unermeßliche Ebene – auf den andern beiden schließt den Horizont Lough Corrib, ein 30 Meilen langer See, dem die Hügel der Grafschaft Clare, und weiter hin das düstere, romantisch geformte Gebürge von Connemara zum Hintergrunde dienen. In der Mitte des Sees wendet dieser sich, gleich einem Flusse, in das Innere des Gebürges, wo das Wasser sich in einem engen Bergpasse nur nach und nach zwischen den höchsten Spitzen verliert, die gleichsam eine Pforte bilden, um es aufzunehmen. Grade hier ging die Sonne unter, und die Natur, die meine Liebe zu ihr gar oft vergilt, zeigte mir diesen Abend eines ihrer wunderbarsten Schauspiele. Schwarze Wolken hingen über den Bergen, und der ganze Himmel war umzogen. Nur da, wo die Sonne jetzt eben hinter dem dunklen Schleier hervortrat, erfüllte sie die ganze Bergschlucht mit überirdischem Lichtglanz. Der See funkelte unter ihr wie glühend Erz, die Berge aber erschienen, wie durchsichtig, im stahlblauen Schimmer, dem Brillantfeuer ähnlich. Einzelne, flockige Rosenwölkchen zogen langsam in dieser Licht- und Feuerszene, gleich weidenden Himmelsschäfchen, über die Berge hin, während zu beiden Seiten des geöffneten Himmels dichter Regen, in der Ferne sichtbar, herabströmte und wie einen Vorhang bildete, der rundum jeden Blick in die übrige Welt verschloß. Dies ist die Pracht, welche sich die Natur allein vorbehalten hat, und die selbst Claudes Pinsel nicht nachahmen könnte.

Den Heimweg entlang erzählte mir mein junger Begleiter unaufhörlich von Mistress L..., die er, wie ich wohl sah, nicht ungestraft, wie die Mücke das Licht, so lange umspielt hatte. »Nie«, sagte er unter anderem, »bemerkte ich, bei aller ihrer Lebhaftigkeit, auch nur einen Augenblick, üble Laune oder Ungeduld an ihr – nie hatte eine Frau ein besseres temper.« Dieses Wort ist, ebenso wie gentle, unübersetzbar – nur eine Nation, die das Wort comfort erfinden konnte, war zugleich fähig, temper zu erdenken – denn temper ist in der Tat im Geistigen, was comfort im Materiellen. Es ist der behaglichste Zustand der Seele, und das größte Glück, sowohl für die, welche es besitzen, als für die, welche es an andern genießen. Vollkommen wird es vielleicht nur beim Weibe gefunden, weil es mehr duldender, als tätiger Natur ist. Dennoch muß man es von bloßer Apathie sehr unterscheiden, welche andere entweder langweilt, oder Ärger und Zorn nur vermehrt, während temper alles beruhigt und mildert. Es ist ein echt frommes, liebendes und heitres Prinzip, mild und kühlend wie ein wolkenloser Maitag. Mit gentleness im Charakter, comfort im Hause und temper in seiner Frau, ist die irdische Seligkeit eines Mannes erschöpft. Temper, in höchster Potenz, ist ohne Zweifel eine der seltensten Eigenschaften – die Folge einer vollendeten Harmonie (Gleichgewichts) der intellektuellen Kräfte, die vollständigste Gesundheit der Seele. Große und hervorstechende einzelne Eigenschaften können daher nicht damit verbunden sein, denn, wo eine Kraft hervortritt, hört das Gleichgewicht auf. Man kann also hinreißen, leidenschaftliche Liebe, Bewunderung, Achtung einflößen, ohne deshalb temper zu haben, – vollkommen liebenswürdig auf die Dauer aber wird man nur durch seinen Besitz. Das Wahrnehmen der Harmonie in allen Dingen wirkt wohltätig auf den Geist; des Grundes oft sich unbewußt, wird die Seele doch immer dadurch erfreut, welcher ihrer Sinne es auch sei, der ihr dies Gefühl zuführt. Eine solche Person also, die mit temper begabt ist, gewährt uns beständigen Genuß, ohne je unsern Neid zu erregen, noch andere zu heftige Empfindungen zu erwecken. Wir stärken uns an ihrer Ruhe, beleben uns an ihrer stets gleichen Heiterkeit, trösten uns an ihrer Resignation, fühlen den Zorn schwinden vor ihrer liebenden Geduld, und werden am Ende besser und froher am Geister-Klange ihrer Harmonie.

Wie viel Worte, gute Julie, wirst Du sagen, um eins zu beschreiben, und dennoch habe ich nur unvollkommen ausgedrückt, was – temper – sei.


Den 13ten

Die schöne Aussicht des gestrigen Abends lockte mich, heute von nahem zu sehen, was ich dort nur von ferne geschaut. Mein gefälliger Freund arrangierte zu diesem Endzweck schnell unsere Equipage, einen kleinen char à bancs, den wir tandem (d. h. ein Pferd vor das andere gespannt) mit Postpferden fuhren. Wir beschlossen: den See Corrib, Cong und seine Tropfsteinhöhlen in Augenschein zu nehmen, und um die Zeit aufs beste zu benutzen, erst in der Nacht wieder zurückzukehren. Nach vier Stunden scharfen Trabens, und einigen kleinen Unglücksfällen, die dem gebrechlichen Fuhrwerk zustießen, erreichten wir das, einige zwanzig Meilen entfernte, Cong, wo wir zuvörderst in dem elenden Gasthof ein mitgebrachtes Frühstück von irländisch zubereitetem HummerEin vortreffliches Gericht! Das Rezept mündlich. , wie die Chinesen, mit Hölzchen verzehrten, da keine Messer und Gabeln zu haben waren, und uns dann sogleich nach den Höhlen auf den Weg machten, wie gewöhnlich von einem halbnackten Gefolge begleitet. Jeder von diesem suchte irgendeinen Dienst zu tun; bückte man sich nach einem Stein, so rissen sich zehn darum ihn aufzuheben, und baten dann um ein Trinkgeld; war eine Tür zu öffnen, so stürzten zwanzig darauf zu, und erwarteten gleichfalls Belohnung. Später, als ich schon alle meine Münzen ausgeteilt hatte, kam noch einer, der behauptete, mir, ich weiß nicht mehr welche Kleinigkeit, gezeigt zu haben. Ich wies ihn unwillig ab, und sagte, meine Börse sei leer. »O«, rief er: »A gentleman's purse can never be empty!« (eines gentleman's Börse kann nie leer sein) keine üble Antwort – denn unter der Form eines Kompliments verbarg sie einen boshaften Doppelsinn; es hieß: Du siehst zu sehr wie ein gentleman aus, um nicht Geld zu haben; bist du aber so ungenerös keins zu geben, so bist du auch kein gentleman mehr; hast du aber wirklich nichts, so bist du's noch weniger. Die Menge fühlte dies, und lachte, bis ich mich loskaufte.

Doch zurück zur Höhle, dem pigeon-hole (Taubenloch), einer seltsamen Naturerscheinung. Sie liegt mitten im Felde, in einer baumlosen, öden Flur, die, obgleich flach, mit einer eigen geformten Art Kalkfelsen bedeckt ist, zwischen denen die wenige Erde mühsam zu Wiesen und Feldflächen benutzt wird. Diese Felsen sind so glatt, als wären sie poliert, und gleichen regelmäßig aufgekasteten, und halb bearbeiteten Steinen, die man zu irgendeinem kolossalen Bau hier zusammengebracht hätte. In diesem Steinfelde, ohngefähr eine Viertelstunde vom See Corrib öffnet sich nun die Höhle, wie ein weiter dunkler Brunnen, in den dreißig bis vierzig rohe, in den Stein gehauene, Stufen zu dem Flusse hinabführen, der hier unterirdisch strömt, sich eine lange Zeit durch wunderlich gestaltete Felsengewölbe seinen Weg bahnt, dann nur ans Licht tritt, um eine Mühle zu treiben, gleich darauf sich aber zum zweitenmal in den Bauch der Erde vergräbt, und später wiederum als ein breiter, kristallheller, und tiefdurchsichtiger Strom zum Vorschein kommt, der sich in die Gewässer des Sees ergießt.

Unfern der Höhle, vor der wir jetzt standen, wohnt eine »Donna del Lago«, welche die Berechtigung, Fremden das pigeon-hole zu zeigen, dem Gutsherrn mit 4 Pf. Sterl. jährlich bezahlen muß. Sie paßte vortrefflich zu der Hüterin eines solchen Eingangs in die Unterwelt, und die ganze Szene konnte nicht besser, wie die Engländer sagen in character sein. Wir waren schon im Dunkeln die Stufen hinabgeklommen, und hörten des Flusses Rauschen, ohne ihn noch zu sehen, als die riesengroße, hagere Alte, einen scharlachroten Mantel um sich geworfen, mit langen, flatternden weißen Haaren und zwei lodernden Feuerbränden in den Händen, herabkam – das leibhaftige Original zu W. Scotts Meg Merrili. Es war ein merkwürdiger Anblick, wie ihre hin und her schwankenden Fackeln die Wellen des Stroms, die hohen, von Stalaktiten gezackten Gewölbe und die blassen zerlumpten Gestalten unter ihnen grell erleuchteten, jetzt aber die Alte, unter Reden, welche wie eine Beschwörungsformel klangen, in den Fluß brennende Strohbündel warf, die, schnell dahinschwimmend, immer neue Grotten, immer groteskere Formen enthüllten, bis sie endlich, gleich kleinen Lichtern, nach hundert Windungen, in der Ferne verschwanden. Wir folgten ihnen, über die schlüpfrigen Steine kletternd, so weit wir konnten, und entdeckten zuweilen große Forellen in dem eiskalten Wasser, welche das Eigentümliche haben sollen, daß, welche Lockspeise man ihnen auch biete, doch noch nie ein Versuch sie zu fangen gelungen sei. Das Volk hält sie daher für verzaubert.

Wenn man aus der Dunkelheit wieder an die Stelle zurückkehrt, wo das Tageslicht schwach, wie in einen Schacht, hineinbricht, sieht man Efeu und Schlingpflanzen in höchst malerischen festons und Girlanden über die Felsen herabhängen. Hier halten die wilden Tauben in großer Menge ihre Nachtruhe, wovon sich die Benennung der Höhle herschreibt. Der Aberglaube des Volks erlaubt keinem Jäger, sie an diesem Orte zu beunruhigen, weshalb sie auch ohne Furcht sind, wie in einem Taubenschlage.

Aus diesen düstern Regionen, wo alles beschränkt und eingeschlossen ist, wandelten wir nun dem weiten meerartigen See zu, wo alles sich ins Unendliche zu verlieren scheint. Die majestätische Wassermasse des Corrib füllt ein Becken von zwölf deutschen Meilen Länge und in der größten Ausdehnung drei deutschen Meilen Breite. Ein sonderbares Zusammentreffen ist es zu nennen, daß der See gerade soviel Inseln, als das Jahr Tage, zählt, nämlich 365. So behaupten wenigstens die Einwohner, gezählt habe ich sie nicht. Auf zwei Seiten begrenzt ihn das hohe Gebürge von Connemara, auf den andern verschwimmen seine Gewässer fast mit der plain. Die Einfahrt, den Bergen gegenüber, war daher ungleich schöner als die Rückkehr. Im ganzen soll die Schiffahrt auf diesem See, wegen der vielen Klippen und Inseln, wie den oft plötzlich sich erhebenden Stürmen sehr gefährlich sein, und erst kürzlich meldeten uns die Zeitungen, daß ein Marktschiff, auf welchem Fleischer sich mit ihren Hammeln eingeschifft, mit Menschen und Tieren ein Raub der erzürnten Seenixe geworden sei. Wir hatten einen sehr stillen, aber nicht immer heitern Tag. Als wir wieder gelandet, ließ ich meinen Begleiter vorausgehen, um die nötigen Bestellungen zu machen, und besah noch, bei Sonnenuntergang, die am Ufer liegenden Ruinen einer Abtei, die einige schöne Überreste alter Baukunst und Skulptur darbot. Irland wimmelt von Ruinen alter Schlösser und Klöster, mehr als irgendeine andere Gegend Europas, wiewohl diese Überbleibsel keine so ungeheure Massen darbieten als z. B. in England. Diese alten Ruinen (denn leider findet man hier auch gar viel neue) werden vom Volk überall als Kirchhöfe benutzt, eine poetische Idee, die, glaube ich, nur diesem Volke eigen ist. Da man nirgends darin, wie in den englischen Kirchen, geschmacklose moderne Monumente aufstellt, sondern nur die Erde aufreißt, oder höchstens einen Stein auf das Grab legt, so wird durch diesen Gebrauch das ergreifende Bild irdischer Vergänglichkeit nur erhöht, nicht entweiht. Was aber den Eindruck oft bis zum Grausenhaften steigert, ist die wenige Rücksicht, welche die späteren Totengräber auf die früher Begrabnen nehmen, deren Gerippe sie, sobald der Platz fehlt, ohne Umstände herauswerfen. Daher sind alle diese Ruinen mehr oder weniger mit Haufen von wild untereinander gewürfelten Schädeln und Gebeinen angefüllt, die nur zuweilen teilweise von den Kindern, als Spielwerk, in Pyramiden oder andere Formen aufgestellt werden. Ich erstieg, über solche Steine und Knochen mich emporarbeitend, ein verfallnes Gemach des zweiten Stockes, und weidete mich an dem fremdartigen romantischen Gemälde. Zu meiner Linken war die Mauer hinabgesunken, und öffnete dem Blick die schöne Landschaft, die den See umgibt, mit hellgrünem Vorgrunde, dem Gebürge in der Ferne, und seitwärts dem Schlosse und den hohen Bäumen des Parkes der MacNamaras, welche hier residieren. Vor mir stand noch ganz wohlerhalten ein vortrefflich gearbeitetes, wie mit point d'Alençon eingefaßtes Fenster; über ihm hingen, unzugänglich auf der freistehenden Mauer, ganze Trauben schwarzblauer Brombeeren von den üppig wuchernden Sträuchern herab. Rechts, wo die Wand des Gemachs ganz intakt geblieben war, sah man eine niedrige, mit der Hand leicht zu erreichende Nische, in der sich sonst wahrscheinlich ein Heiliger befunden, jetzt aber nur ein Totenschädel stand, mit den leeren Augenhöhlen gerade auf die schöne Aussicht gerichtet, die sich ihm gegenüber ausbreitete, als erfreue ihr Glanz und frisches Leben selbst den Toten noch. Indem auch ich derselben Richtung von neuem folgte, entdeckte ich, dicht über dem Boden, ein bisher übersehenes Gitterfenster, das einen weiten Keller erleuchtete, und sah in diesem nun eine unermeßliche Anhäufung von Gebeinen, alle auf die erwähnte Weise in mannigfaltige Formen geordnet. Die sonnige Landschaft oben, die dunkeln Knochenhaufen unten, wo die Jugend mit dem Tode gespielt – es war ein Blick in Leben und Grab zugleich, die Freude des einen wie die teilnahmlose Ruhe des zweiten versinnlichend; tröstend aber vergoldeten die rosenfarbnen Strahlen der untergehenden Sonne Lebende und Tode, gleich Boten einer schönern Welt. –

Unsere Rückfahrt in der schwarzen Nacht bei fortwährendem Regen war schwierig und unangenehm. Wir brachen nochmals eine Feder am Wagen, und hatten allerhand anderes Ungemach auszustehen. Als wir endlich nach Mitternacht in B... anlangten, fanden wir, zu meinem wahren Schrecken, den guten alten Kapitän mit der ganzen Familie noch auf, um uns mit dem Essen zu erwarten. Die überhäuften Attentionen, und die große Herzensgüte dieser Leute beschämt mich täglich, und ich bewundere oft, wie ihre leidenschaftliche Gastfreiheit, auch nie durch die geringste Spur von Ostentation verunstaltet wird.

Damit mein Brief nicht zu stark werde, und zuviel Porto koste (denn gewöhnlich muß ich für diese voluminösen Pakete einige L. St. bis an die englische Grenze bezahlen) schließe ich ihn, noch vor meiner Abreise von B...m. Du weißt mich hier wenigstens gut aufgehoben, und der Pflege von Leuten übergeben, die Dein Herz haben, wenn sie Dir auch an Geist und Bildung nicht gleichkommen. Der Himmel segne und behüte Dich!

Dein treuster L...


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