Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den 20sten

Ich hielt heute früh die Nachlese, und besah noch die uralte Kirche All-Saints, wo ich, leider in sehr schlechter Erhaltung, vortreffliche bunte Gläser antraf, besonders eine Jungfrau mit dem Christus-Kinde von einer Schönheit und Lieblichkeit des Ausdruckes, deren Raphael sich nicht zu schämen hätte. Ferner St. Mary's alte Kirche, die ein seltsames Tor hat, auf dem eine Menge Hieroglyphen und die Zeichen des Zodiaks in Stein zierlich ausgehauen sind. Da ich den Erzbischof von York in London hatte kennengelernt, so schrieb ich ihm gestern ein billet, und bat ihn um die Erlaubnis, seiner Villa, wo er jetzt residiert, und ihm selbst meinen Besuch zu machen. Er hat mir sehr artig geantwortet, und mich gebeten, einige Tage bei ihm zu bleiben. Da ich dazu keine Lust habe, so nahm ich bloß ein dinner auf heute an und fuhr um 5 Uhr hinaus.

Ich fand einen vortrefflich gehaltenen, üppig fruchtbaren pleasure-ground und ein stattliches altes gotisches Gebäude in einem ganz besondern Stile, der mir sehr wohl gefiel. Es war nicht sehr groß, aber äußerst elegant, und an den 4 Enden des platten Daches standen 4 kolossale Adler mit ausgebreiteten Flügeln. Statt der schweren créneaux, die nur auf ungeheuren Massen sich gut ausnehmen, lief eine durchbrochene Steinbroderie, als Galerie rund um das Dach, die sehr künstlich, leicht und reich zugleich aussah. Daß das Innere wie alles übrige prächtig war, kannst Du Dir bei einem Manne denken, der 40 000 L. St. geistliche Revenuen hat. Der alte Erzbischof, noch ein sehr rüstiger Mann, führte mich überall herum, und unter andern auch in seinen Küchengärten und Treibhäusern, die ausgezeichnet schön sind; besonders die Küchengärten, welche überall mit Blumen geschmückt waren, und in denen alle Arten von Gemüsen und Früchten in höchster Fülle wuchsen. Dabei waren sie so reinlich, wie das eleganteste Zimmer gehalten, eine Sache, die unsre Gärtner durchaus nicht begreifen wollen; ebenso die Treibhäuser. Keine Spur hier von Unordnung und Schmutz, von herumliegenden Brettern und Utensilien, Dünger an den Wegen usw. An den verschiedenen Mauern sah man auf beiden Seiten die auserlesensten Fruchtbäume in symmetrischen Linien gezogen, unter andern viele Johannisbeerstämme, die durch Wegnahme aller kleinen Äste ein solches Wachstum erlangt hatten, daß sie wohl 12 Fuß hoch an der Mauer in die Höhe gingen, und über und über mit Trauben behangen waren, welche kleinen Weinbeeren an Größe glichen. In den Treibhäusern, wo herrliche Ananas und Grenadillas (eine westindische Frucht in Form einer kleinen Melone und von Geschmack der Granate ähnlich), üppig wuchsen, war an jedem Fenster eine verschiedene Weinsorte gezogen. Alles hing voller Früchte. Die Bäume an den Mauern im Freien, deren ich vorhin erwähnte, waren mit Netzen verhangen, und werden später mit Matten zugedeckt, so daß man bis Ende Januar reife Früchte davon pflücken kann. So war auch noch jetzt eine Stelle im Garten voll reifer Erdbeeren von einer besondern Sorte, und der Erzbischof versicherte, er erhalte diese ebenfalls bis im Januar im Freien. Als ein neues Gemüse von besonders gutem Geschmack zeigte er mir normännische Kresse, die auf dem Schnee abgeschnitten wird.

Die Menge der noch blühenden Blumen, welche überall die Gänge und Gemüsebeete umgaben, war auffallend. Ich weiß zwar, daß das Klima die Gärtner hier sehr begünstigt, demohngeachtet müssen sie vor den unsrigen noch andere Vorteile in der Behandlung der Blumen voraus haben.

Im pleasure-ground fand ich Lärchenbäume, die nicht nur riesenmäßig groß waren, sondern auch so dunkel im Laub wie Fichten, und ihre herabhängenden Äste wohl 20 Fuß weit umher auf dem Rasen ausbreiteten. Wie ich hier zum erstenmal hörte, hält man es für die Nadelhölzer sehr heilsam, wenn ihre Äste die feuchte Erde berühren können, weil sie durch diese ungemein viel Nahrung einsaugen sollen.

Ein echt Erzbischöfliches dinner beschloß den angenehmen Abend. Dabei fiel mir das Verhältnis der vornehmen englischen Geistlichen zu ihren Weibern wieder recht sonderbar auf. Ich sagte Dir, glaub' ich, schon, daß diese weder den Titel noch Namen ihrer Männer tragen, sondern, wie bloße Freundinnen, nur den ihrigen behalten. Die hiesige Dame des Hauses war indes eine Lady in her own right von angesehener Familie und dabei eine sehr artige Frau. Sie hat 10 Söhne und 3 Töchter. Von den letzten befand sich nur eine zugegen, ohngefähr 20 Jahre alt, die ein bei Weibern seltnes Unglück gehabt hat, nämlich ein Bein zu verlieren, das man ihr nach einem Falle vom Pferde abnehmen mußte. Die Kleidung versteckt aber bei einer Frau diesen Mangel weit besser als bei einem Manne, und ich bemerkte nicht einmal einen gehinderten Gang an ihr, ehe ich davon unterrichtet war.


Scarborough, den 21sten

Ich vergaß gestern einer drolligen Geschichte zu erwähnen, die bei Tische erzählt wurde und gewiß das stärkste Beispiel von Distraktion aufstellt, welches Du, den sich köpfenden Irländer abgerechnet, noch gehört haben wirst. Lord Seaford erzählte von seinem Onkel dem alten Grafen von Warwick, der schon früher wegen seiner Zerstreutheit berühmt war, daß er einst in einem wichtigen Geschäft von Warwick Castle abends nach London reiste, dieses dort den andern Tag zu seiner Zufriedenheit beendigte und in der Nacht wieder zurückfuhr. Als er in Warwick ankam, fiel er in Ohnmacht. Alles erschrak und frug den Kammerdiener, ob sein Herr schon in London krank gewesen sei. »Nein«, sagte dieser, »er ist ganz wohl, aber ich glaube, Gott verzeih mir, er hat, seit er weg ist, vergessen – zu essen.« Dies war auch wirklich der Fall und ein Teller Suppe, den man sofort Seiner Herrlichkeit applizierte, brachte schnell alles wieder in die gewohnte Ordnung.

Ich schreibe Dir aus einem Seebade, das sehr romantisch sein soll. Ich selbst weiß zwar nichts davon, denn es war stockfinster als ich ankam. Morgen früh habe ich dagegen alle Hoffnung auf die schönste Aussicht, da ich im 4ten Stock logiere, weil das ganze Haus schon besetzt ist.

Während der Reise hierher besah ich das Schloß Howard, dem Lord Carlisle gehörig. Es ist dies einer der englischen show-places (Schau- und Paradeplätze), gefällt mir aber nicht im geringsten. Schloß Howard stammt von Sir Vanbrugh her, demselben Baumeister, aus Ludwig XIVten Zeit, der in dem gleichen schlechten französischen Geschmack Blenheim gebaut hat. Dieses imponiert jedoch durch seine Masse, dagegen Schloß Howard weder imponiert noch anmutig erscheint. Dabei hat der ganze Park etwas höchst Trauriges, Steifes und Desolates. Auf einem Berge steht ein großer Tempel, das Erbbegräbnis der Familie. Die Särge sind in Zellen rundherum verteilt, die meisten noch leer, so daß das Ganze inwendig wie ein Bienenstock aussieht, nur freilich stiller! Im Schloß befinden sich schöne Gemälde und Antiken. Unter den ersten sind besonders die sogenannten ›Drei Marien‹ von Annibale Carracci berühmt. Es stellt dieses Gemälde den toten Christus dar, hinter welchem seine Mutter Marie in Ohnmacht gesunken ist. Die Großmutter Marie eilt klagend herbei, und Marie Magdalene stürzt sich verzweifelnd über den Leichnam. Die Abstufung zwischen dem wirklichen Tode, der bloßen Ohnmacht, dem matten Schmerz des Alters und der lebendigen Verzweiflung der Jugend, ist bewunderungswürdig wahr dargestellt. Jedes Glied an Christus' Körper erscheint wahrhaft tot; man sieht, diese Form hat für immer ausgedient, bewegungslos, kalt und starr. Alles dagegen ist Bewegung und Leben an der schönen Magdalene, bis auf die Haare selbst, möchte ich sagen, alles Lebenskraft und Fülle, aufgeregt im bittersten Jammer. Gegenüber hängt Annibales Bild, von ihm selbst gemalt. Es zeigt sehr auffallende Züge und sieht einem verwegnen highwayman ähnlicher als einem Künstler. Dich, liebe Julie, würde eine Sammlung Handzeichnungen aus der Zeit Franz des I., die sämtlichen Herren und Damen seines Hofes in 50-60 Portraits, am meisten angezogen haben. Es waren gemalte memoires. Unter den Antiken amüsierte mich eine der Capitol-Gänse von Bronze, die man mit aufgehobenen Flügeln und aufgesperrten Schnabel schnattern zu hören glaubt. Ein vortrefflich erhaltenes Bild Heinrich VIII. von Holbein ist der Erwähnung wert, sonst fiel mir eben nichts besonders auf. Der bekannte heilige Johannes von Domenichino befindet sich auch hier, angeblich als Original. Wenn ich nicht irre, ist das echte jedoch in Deutschland. Der Park, in großen Massen steif gepflanzt, ist besonders reich an Torwegen. Ich kam durch 7, sage sieben, ehe ich das Schloß erreichte. Über eine schmutzige Wasserlache, ohnfern dem Schloß, führt eine große Steinbrücke mit fünf oder sechs Bögen, über die Brücke jedoch kein Weg! Sie dient bloß als Prospekt, und damit man dies recht genau gewahr werde, ist auch nicht ein Strauch daneben oder davor gepflanzt. Es scheint, daß die ganze Anlage völlig so geblieben ist, als sie vor 120 Jahren gestiftet wurde, mit allen ihren Alleen, Quinconcen etc.; Obelisken und Pyramiden sind wie Pilze darin aufgewachsen, denn jede Aussicht bietet dergleichen als harten Endpunkt. Die eine Pyramide ist indessen wenigstens nützlich, denn sie ist zugleich ein Gasthof.


Den 22ten

Wenn die Leute in England so oft an Erkältungen und Schwindsucht sterben, so liegt es noch mehr an ihren Gewohnheiten als an dem Klima. Spaziergänge auf dem nassen Rasen sind die beliebtesten, und in jedem öffentlichen Zimmer sind beständig mehrere Fenster offen, so daß man es vor Zug kaum aushalten kann. Auch wenn sie zugemacht sind, pfeift der Wind doch hindurch, denn selten sind sie dicht und nie doppelt. Das Klima selbst ist aber auch, so gut es die Vegetation unterstützt, für Menschen abscheulich. Heute ritt ich bei dem schönsten Wetter und klarstem Himmel, auf einem Mietgaul um 9 Uhr früh aus, und war noch keine Stunde fort, als mich schon der schrecklichste Platzregen überfiel, und durch und durch badete. Endlich erreichte ich ein Dorf, wo ich in der Verzweiflung, nirgends einen Torweg zum Unterreiten zu finden, vom Pferde absprang und in eine Stube zu ebner Erde eindrang, deren Tür offenstand, und wo zwei uralte Weiber etwas am Kamin brauten. In England wird alles Häusliche so heilig gehalten, daß ein Mensch, der in eine fremde Stube tritt, ohne sorgfältig vorher sich annonciert und um Erlaubnis gebeten zu haben, stets Schrecken und Unwillen erregt. Auch ich wurde daher, ohngeachtet die Ursache meines Eindringens deutlich genug von meinem Hut und Kleidern rann, nicht zum besten von den alten Damen empfangen, deren Rang höchstens dem einer Schusters- oder Tischlers-Frau gleich sein mochte; nichts aber malt das Entsetzen und den ohnmächtigen Zorn meiner Wirtinnen malgré elles, als, kaum daß ich beim Feuer angelangt war, der Mietgaul, dessen Klugheit Nestor Ehre gemacht haben würde, sich ebenfalls durch die Türe drängte, und ehe man ihm wehren konnte, höchst ruhig und anständig beim Kamine stand, um mit einer schalkhaft dummen Miene seine triefenden Ohren am Feuer zu trocknen. Die beiden alten Hexen wollten vergehen vor Wut, ich vor Lachen. Mit Gewalt sollte ich nun das Tier wiederherausbringen – mir aber tat der arme Gefährte zu leid, selbst wagten sie nicht Hand an ihn zu legen, und unter Schelten und Schmähen, was ich, so gut ich konnte, durch süße Worte und einen Schilling zu besänftigen suchte, blieben wir so, halb bittend, halb gewaltsam, beide glücklich in der Stube, bis wir ein wenig trockener geworden waren, und die Bourraske aufgehört hatte. Das Trockenwerden half indessen nicht viel, denn beim Eintritt in das romantische Forge-Valley fingen Sturm und Regen von neuem zu toben an. Ich ergab mich in mein Schicksal, obgleich ohne alle Schutzmittel, und tröstete mich mit den Schönheiten der Umgebung, ein enges hohes, mit üppigem Wald bewachsenes Tal, in dem ein reißender Waldbach sich schäumend seinen Weg bahnte. An dem Bache hin führte eine bequeme Straße. Ich bemerkte unterwegs eine einfache und hübsche Art, einen Quell zu fassen, bloß durch zwei große gesprengte Steine mit einem noch größern quer darüber gelegt, unter welcher Pforte das Wasser sprudelnd hervorströmt.

Um einer Verkältung wo möglich zu begegnen, nahm ich bei meiner Zuhausekunft ein warmes Seebad, und begab mich dann auf den Sand, d. h. auf die Stelle, wo das Meer bei der Ebbe zurücktritt, eine sehr eigentümliche Promenade. Reitpferde und Wagen stehen darauf in Menge zum Mieten bereit, und man kann mehrere Meilen, hart am Saum der Wellen, auf einem Boden zart wie Samt dahinreiten. Das alte Schloß von Scarborough auf der einen Seite, und eine prächtige eiserne Brücke, die zwei Berge verbindet, auf der andern, erhöhen das Pittoreske des Anblicks. Ich ritt nachher bei der Abendsonne Schein auch noch auf das Schloß hinauf, von dem die Aussicht prächtig ist, und das eine imposante Ruine bildet. Hier wurde Gaveston der Günstling Eduard II., vom Grafen Warwick, dessen Grab ich Dir auf meiner ersten Landtour beschrieb, gefangen, und schnell zur Hinrichtung nach seinem Schlosse abgeführt.

Auf dem höchsten Punkte der Ruine steht ein eisernes Behältnis, wie ein Kienkorb konstruiert, das zu Signalen dient. Es wird eine große Tonne Teer hineingesetzt und angezündet. Sie brennt dann in hohen, lodernden Flammen die ganze Nacht. Das Schloß steht auf einem weit in die See hervortretenden Felsen, der zirka 150-200 Fuß senkrecht aus der See emporsteigt, und oben neben dem Schloß auf seiner Oberfläche noch eine schöne Wiese bildet.


Den 23ten

Meine heutige Exkursion führte mich an der Seeküste hin nach Filey, wo eine berühmte Felsenbrücke von der Natur selbst in das Meer hineingebaut worden ist. Derselbe Mietgaul, eine Stute ihres Geschlechts, den ich gestern ritt, zog mich heute in einem ziemlich gut konditionierten gig. Das Meer war schön blau und voller Segel. In Filey, einem Fischerdorf, nahm ich einen Führer und eilte auf dem festen Meersande der Brücke zu. Wir kamen bei vielen seltsam gestalteten Felsen vorüber, hie und da lag auf einer Spitze ein Fisch in der Sonne, der bei der Ebbe sitzengeblieben und dort lebendig geröstet worden war; manche Hohlungen in Stein fand ich mit einer Unzahl kleiner Muscheln angefüllt, die von weitem Tonkugeln glichen. Die Brücke selbst ist eigentlich nur ein breites Felsenriff, welches eine halbe Viertelstunde in das Meer hinausgeht. Seltsam sind die einzelnen Blöcke in phantastischen Figuren durcheinander geworfen, und man muß sich sehr in acht nehmen, nicht von ihren schlüpfrigen Kanten hinabzugleiten. Die Flut kam bereits heran, und deckte schon einen Teil des Riffs. Nachdem ich alles hinlänglich betrachtet, kletterte ich an den Uferfelsen ziemlich beschwerlich hinan, um den Rückweg oben zu nehmen, wo ein angenehmer Wiesenweg mich bald zum nahen Gasthof brachte, in dem mein Fuhrwerk mich erwartete.


Flamborough Head den 24sten abends

Entfernungen werden hier ganz anders kalkuliert als bei uns. Meine ehrwürdige Matrone brachte mich heute, fünf deutsche Meilen weit, bequem in zwei Stunden hierher. Kaum angekommen, mietete ich ein anderes Pferd, um den noch 1½ deutsche Meile weiter entfernten Leuchtturm und die Felsenhöhlen zu erreichen, welche Flamborough Head merkwürdig machen. Es war das schönste Wetter geworden, und dabei sehr windig, so daß ich diesmal wenigstens gewiß hoffte, ungenäßt zu bleiben, – ich irrte mich aber sehr, denn kaum bei dem Meerfelsen angelangt, bekam ich nicht nur den obligaten Platzregen, sondern diesmal noch eine Zugabe, nämlich ein derbes Gewitter. Dies war jedoch eine angenehme Veränderung, denn Donner und Blitz nahmen sich auf der Spitze der Kalkfelsen, senkrecht über dem schäumenden Meer, vortrefflich aus. Der Douanier, welcher mich begleitete (es ist eine Station dieser Leute hier neben dem Leuchtturm), brachte mir, den nur ein leichter Frack schützte, zwar sehr gefällig einen Regenschirm, der Sturm erlaubte aber nicht, auf dem gefährlichen und schlüpfrigen Wege über den Abgrund sich desselben zu bedienen. Das Meer hat die Kalkfelsen hier so unter- und ausgewaschen, daß viele turmartige Pfeiler ganz einzeln im Wasser stehen, welche in ihrer blendenden Weiße, durch den schwarzen Himmel noch greller gemacht, riesenhaften Seegespenstern glichen, in weite Leichentücher gehüllt. Außerdem gibt es eine große Menge Höhlen von verschiedener Größe, zu denen man während der Ebbe trocknen Fußes gelangen kann. Jetzt war indes grade hohe Flut, und ich mußte ein Fischerboot benützen, was glücklicherweise sich dort eben aufhielt, um zu der größten der Höhlen zu fahren. Der frischen Luft wegen ruderte ich den ganzen Weg tapfer mit, und fand diese Bewegung, die ich heute zum erstenmal versuchte, so angenehm, daß ich sie künftig so oft als möglich wiederholen will. Die See ging so hoch, daß ich an Gefahr glaubte und dem Fischer dies äußerte. Er antwortete ganz poetisch: »O Herr! glaubt Ihr, daß mir das Leben nicht ebenso süß ist als Euch, weil ich nur ein armer Fischer bin? Bis an die Höhle ist keine Gefahr, aber hinein dürfen wir heute nicht.« Ich warf also nur einige Blicke in den ungeheuren Torweg, wo der Meeresschaum unter dem Heulen der Wellen, wie Rauch emporwirbelnd, umherspritzte. Da mich der Fischer versicherte, daß man sich vom Seewasser nie erkälte, so tauchte ich meine nassen Glieder nochmals in die grüne Salzflut und bestieg dann mein Roß, um dem Leuchtturm zuzureiten. Dieser war mir um so interessanter, da ich nur einen sehr unvollkommenen Begriff von der Konstruktion dieser Türme hatte. Er hat oben einen Aufsatz von Glas wie ein Treibhaus, in dessen Mitte an einer eisernen Stange 21 Lampen im Zirkel umher befestigt sind, die sich durch eine Art Uhrwerk immerwährend langsam drehen. Alle diese Lampen sind mit großen, inwendig stark mit Silber plattierten, stets mit höchster Reinlichkeit geputzten Reflektoren versehen, und sieben davon haben außerdem eine Scheibe rotes Glas vor sich, welches in Newcastle gemacht wird, und dem alten Rubinglas fast ganz gleich kommt. Dies hat den Zweck, das Licht des Leuchtturms so zu wechseln, daß es in der Ferne bald rot bald weiß erscheint, und dadurch, von den Schiffen aus, von jedem andern Licht ohne Mühe unterschieden wird. Die Lampen werden mit Öl gespeist, das so rein wie Wein ist, und von dem ein ganzer Keller voll Fässer stets im Vorrat bleibt. Ebenso ist der ganze Apparat doppelt vorhanden, um bei einem Zufall das Beschädigte auf der Stelle ersetzen zu können. Die Lampen bilden zwei Kreise übereinander, unten 12, oben 9.

Ich bemerkte einen Tisch zum Putzen der Lampen, der mir sehr zweckmäßig schien, um das Springen der Gläser zu verhindern. Die obere Platte ist von Eisenblech, mit mehreren Löchern nebeneinander, um die Gläser hineinzustellen. Auf einer Platte darunter steht ein Kohlenfeuer. Diese Vorrichtung hat den doppelten Nutzen, einmal, daß die Gläser gleich in eine sichere Lage kommen, zweitens, daß sie nicht leicht springen, da fortwährend das Blech in gelinder Wärme erhalten wird.

Eine Gelegenheit, die ich hier finde, diesen Brief sicher nach London an die Gesandtschaft zu spedieren, erlaubt mir meinen Reisebericht zu teilen. Ich schließe daher für diesmal, immer mit der Bedingung, wie Scheherazade morgen wieder anzufangen. Also sans adieu.

Dein L.


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