Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Vierundzwanzigster Brief

Cobham Hall, den 30sten Juni 1828

Geliebte Freundin!

Nachdem ich meinen Brief an Dich abgeschickt hatte, und dann mit einigen Damen eine Landpartie gemacht, fuhr ich auf eine assemblée beim Herzog von Clarence, wo diesmal ein solches echt englisches Gedränge war, daß es mir, wie vielen andern, durchaus nicht gelang, hereinzukommen, und wir nach einer halben Stunde unverrichteter Sache wieder abziehen mußten, um uns auf einem andern Balle zu entschädigen. Die Masse im ersten Zimmer wurde so zusammengepreßt, daß mehrere Herren ihre Hüte aufsetzten, um nur besser mit den Armen arbeiten zu können. Mit Juwelen bedeckte Damen wurden förmlich niedergeboxt, und fielen oder standen vielmehr in Ohnmacht. Schreie, Stöhnen, Fluchen und Seufzen waren die einzigen Töne, die man vernahm. Einige nur lachten, und so unmenschlich es war, muß ich mich doch anklagen, selbst unter diesen letztern gewesen zu sein, denn es war doch gar zu spaßhaft, so etwas ›Gesellschaft‹ nennen zu hören. In der Tat hatte ich es aber auch so arg bisher noch nicht erlebt.

Früh am andern Morgen ritt ich nach C... Hall, um einige Tage dort zuzubringen, auf eine Einladung zu Lord D...s Geburtstag, der heute ländlich und anspruchslos gefeiert wurde. Die Familie befand sich, außer mir, ganz allein noch durch den ältesten Sohn mit seiner schönen und lieblichen Frau vermehrt, welche gewöhnlich in Irland residieren. Häuslichkeit war überall an der Tagesordnung. Man aß früh, um gegen Abend dem souper im Freien beiwohnen zu können, welches Lord D... allen seinen Lohnarbeitern gab, ohngefähr 100 an der Zahl. Es ging dabei höchst anständig zu. Wir saßen im pleasure-ground am eisernen Zaun, und auf der gemähten Wiese waren die Tische für die Leute gedeckt. Erst bekamen ohngefähr 50 junge Mädchen aus der Lancaster'schen Schule, die Lady D... im Park gestiftet, Tee und Kuchen. Alle waren egal angezogen, und mitunter recht hübsch, Kinder von 6-14 Jahren. Nach diesen erschienen die Arbeiter und setzten sich an eine lange Tafel, die reichlich mit ungeheuern Schüsseln voll Braten, Gemüse und Pudding besetzt war. Jeder brachte sein Besteck und seinen irdenen Becher selbst mit. Die Diener des Hauses legten vor, machten überhaupt die honneurs und schenkten das Bier aus großen Gartengießkannen ein. Die Musikanten des Dorfes musizierten dazu, und zwar weit besser als die unsrigen, waren auch weit besser angezogen, dagegen die Arbeiter nicht so gut und reinlich aussahen, als unsre Wenden in ihrer Sonntagstracht. Es waren durchaus nur diejenigen Bewohner des Dorfes und der Umgegend eingeladen, die fortwährend für Lord D... arbeiten, sonst niemand. Die Gesundheiten aller Mitglieder der Familie des Lords wurden mit neunmaligem Hurrahgeschrei sehr förmlich getrunken, worauf unser alter Kutscher Child (jetzt in Lord D...s Dienst) der eine Art englischer improvisatore ist, mitten auf den Tisch stieg, und eine höchst possierliche Rede in Versen an die Gesellschaft hielt, in der auch ich vorkam, und zwar indem er mir wünschte:

›to have always plenty of gold and never to become old‹,
(immer genug Geld zu haben und nie alt zu werden)

was der doppelten Unmöglichkeit wegen fast satirisch klang.

Während dieser ganzen Zeit, und bis es dunkel ward, tanzten und hüpften die kleinen Mädchen unter sich mit großer Gravität auf dem Rasen, ohne irgendeinen Zusammenhang, wie Marionetten, rastlos umher, die Musik mochte schweigen oder spielen. Unsere Gesellschaft im pleasure-ground ward endlich auch von dieser Tanzlust angesteckt, und ich selbst gezwungen, mein deshalbiges Gelübde zu brechen, was ich meiner Tänzerin, der 60jährigen Lady D..., ohnmöglich abschlagen konnte.


Den 4ten Juli

Lange habe ich mich nicht so gut amüsiert als hier. Am Tage mache ich in der schönen Gegend Exkursionen, oder fahre in Lady D...s Phaeton und Einspänner ohne Weg und Steg in den Wiesen und dem Hochwalde des Parks umher, und auch abends nehme ich, wie jeder, nicht mehr Teil an der Gesellschaft als mir gefällt. Gestern saßen wir so alle (9 Personen), wohl ein paar Stunden lang, nach dem Essen in der Bibliothek gemeinschaftlich zusammen, und lasen, jeder aber, versteht sich, sein eignes Buch, ohne daß ein einziges Wort, die Lektüre unterbrochen hätte, über welches peripatetische Stillschweigen wir doch zuletzt selbst lachen mußten, eingedenk des Engländers, welcher in Paris behauptete, que parler c'était gâter la conversation.

Nachdem ich am ersten Tage die erwähnte Lancaster'sche Schule besichtigt hatte, wo eine einzige Person 60 Mädchen unterrichtet, die aus der Umgegend, so weit sie dem Lord gehört, täglich auf 4 Stunden hierherkommen, ritt ich nach Rochester, um die Ruinen des dortigen alten Schlosses zu besehen, ein schöner Überrest des Altertums. Was nicht mit Gewalt zerstört wurde, steht noch felsenfest seit Wilhelm des Eroberers Zeiten, also mehr als 800 Jahre. Besonders schön sind die Überreste des Eßsaals mit kolossalen Säulen, verbunden durch reich verzierte sächsische Bogen. Die Steinornamente wurden alle in der Normandie gearbeitet und zu Wasser hergesandt. Ich erstieg die höchste Spitze der Ruine, wo ich eine herrliche Aussicht fand, auf die Vereinigung der beiden Flüsse Medway und Themse, die Städte Rochester und Chatham nebst den dock-yards in der letzten, und einer reich bebauten Umgegend.

Zum dinner bekam unsere Gesellschaft einen Zuwachs durch Mr. und Mrs. P..., Mr. M... und einen Neffen Lord D...s; Mrs. P... erzählte eine gute Anekdote vom Schauspieler Kemble. Auf einer seiner Kunstreisen in der Provinz spielte dieser in einem Stück, worin ein Kamel vorkommt. Er sprach deshalb mit dem Dekorateur und äußerte: daß gerade, wie er heute gesehen, ein Kamel in der Stadt sei – der Dekorateur möge sich es daher ansehen, um sein artifizielles Tier demselben so ähnlich als möglich zu machen. Der Mann schien hierüber sehr verdrüßlich und erwiderte: es täte ihm leid, daß die Herren von London glaubten, in der Provinz sei man so gar unwissend; was ihn beträfe, so schmeichle er sich, ohne weitere Inspektion, heut abend ein natürlicheres Kamel herzustellen, als irgendwo eins in der Stadt umhergehen könne.

Am folgenden Tage wurde abermals, und zwar diesmal in Gesellschaft der Damen, ausgeritten, und später, nach dem luncheon, eine Wasserfahrt auf Lord D...s eleganter Jacht gemacht. Bis zur Themse fuhr ich die Gesellschaft four-in-hand, was ich in der letzten Zeit so wenig geübt habe, daß an einem Kreuzwege meine leaders (Vorderpferde) mit ihren Köpfen wider Willen in das Innere einer quer vorbeieilenden Diligence gerieten, und dadurch in beiden Wagen, sowohl vor als hinter mir, einige Schreie des Schreckens hervorriefen, was den alten Child, der mich als seinen Schüler ansieht, sehr entrüstete.

An einem Tage verlor ich so, wie der große Korse, all meinen Ruhm in der großen Kunst, die Zügel zu führen, die man vom Throne ›regieren‹, vom Bocke ›fahren‹ nennt. Ich mußte daher auch den letzteren abdizieren, weil die Damen behaupteten, daß ihr Leben, während ich diesen Platz einnähme, in zu großer Gefahr schwebte.

Dies verdroß mich so sehr, daß ich, auf der Jacht angekommen, sogleich die Strickleitern hinaufkletterte, und im Mastkorbe blieb, wo ich, von einem lauen Zephyr gefächelt, gemächlich die stets sich ändernde Aussicht bewundern, und über meinen tiefen Sturz philosophieren konnte.


Den 5ten

Nachdem ich heute noch fleißig geholfen, einige neue Prospekte im Gebüsch auszubauen, woran wir alle Hand legten, und einen Weg im Park angegeben hatte, dem man die Ehre antun will, ihn nach mir zu benennen, nahm ich herzlichen Abschied von dieser vortrefflichen Familie, die den Vornehmen jedes Landes zum Muster dienen könnte, und kehrte, versehen mit mehreren Empfehlungsbriefen für Irland, nach London zurück.


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