Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Fünfzehnter Brief

London, den 15ten April 1827

Liebste Freundin!

Endlich ist der langersehnte Brief erschienen, und sogar zwei auf einmal. Warum sie so lange unterwegs geblieben? Quién sabe! – wie die Südamerikaner sagen. Wahrscheinlich ist der offizielle Leser faul gewesen, und hat sie zu lange liegen lassen, ehe er sie künstlich wieder zugesiegelt hat.

Aber wie zart und lieblich, teure Julie, ist Dein Gedicht – ein ganz neues Talent, das ich an Dir entdecke. Ja, gebe Gott doch, »daß alle deine Tränen zu Blumen werden, uns zu schmücken und uns durch ihren Duft zu erfreuen«, und daß diese schöne liebevolle Prophezeihung bald in Erfüllung gehe! Doch sind selbst die schönsten Blumen so zu teuer für mich erkauft. Deine Tränen wenigstens sollen nicht darum fließen!

Was du von H... sagst: »qu'il se sent misérable, parce qu'il n'est fier que par orgeuil, et libéral que par bassesse«, ist schlagend, und es wird leider auf gar zu viele Liberale passen!

Ich schrieb Dir in der bewußten Angelegenheit, Du möchtest dabei nur an Dich selbst denken, und Du erwiderst: Ich wäre ja Dein Selbst. Du Gute! ja ein Selbst werden wir bleiben, wo wir auch sind, und hätten die Menschen Schutzgeister, die unsern müßten gemeinschaftlich wirken – aber es gibt hier wohl keinen andern Schutzgeist, als die moralische Kraft, welche in uns selbst liegt!

Und in M... sieht es so traurig aus? Es stürmt, schreibst Du, und den Gewässern droht Verderben! Doch seitdem sind 14 Tage verflossen, und ehe dieser Brief bei Dir ankommt, schon 4 Wochen – ich darf also hoffen, Du liesest ihn im Grünen, wo alles um Dich blüht und der Zephyr fächelt, statt dem Heulen des häßlichen Sturmes. Ich sagte meinem alten B...dt: in M... wären abscheuliche Stürme. »Ja, ja«, erwiderte er, »das sind die von Brighton.« Wenn Du das gewußt hättest, liebe Julie, so wären sie Dir gewiß angenehmer vorgekommen; sie brachten Dir ja die jüngsten Nachrichten von Deinem Freunde. Wer doch mit ihnen segeln könnte!

Unserm verehrten Premier bitte ich, meinen innigsten Dank zu Füßen zu legen. Wären doch alle unsers Standes ihm gleich, wieviel populairer würde dieser sein, wären doch alle Minister überall so edel, und gerecht, wieviel weniger Unzufriedenheit würde in allen Ländern herrschen, und wäre er selbst doch noch freier und unabhängiger von so manchen Gewichten, die schwer danieder ziehen, wo Aufschwung nötig ist.

Hier ist alles beim alten und eine prächtige Fete bei Lord H... beschloß an diesem Abend die Lustbarkeiten vor Ostern. Die meisten Weltleute machen jetzt von neuem einen kurzen Aufenthalt auf dem Lande, und beginnen dann erst in 14 Tagen die eigentliche season. Auch ich werde wieder auf einige Tage nach Brighton gehen, will aber vorher noch das große Lord-Mayor- Dinner abwarten.


Den 16ten

Heute fand dieses in Guildhall statt, und nach glücklich überstandner Mühseligkeit, freut es mich sehr, ihm beigewohnt zu haben.

Es dauerte volle 6 Stunden, und wurde 600 Personen gegeben. Die Tafeln waren sämtlich, der Länge des Saales nach, nebeneinander parallellaufend gestellt, bis auf eine, welche quervor auf einer erhöhten Estrade stand. An dieser saßen die Vornehmsten und der Lord Mayor selbst. Der coup d'œil von hier war imposant, auf den ungeheuern Saal und seine rundumlaufenden hohen Säulen, mit den unabsehbaren Tischen und kolossalen Spiegeln hinter ihnen, die sie bis ins Unendliche zu verlängern schienen. Die Erleuchtung machte Nacht zu Tag, und zwei Musikchöre in der Höhe, auf einem Balkon am Ende des Saals uns gegenüber, spielten während den Gesundheiten, denen immer ein Tusch voranging, allerlei Nationelles. Der Lord Mayor hielt, wohlgezählt, 26 längere und kürzere Reden. Auch einer der fremden Diplomaten wagte sich an eine solche, aber mit sehr schlechtem Erfolg, und ohne die Gutmütigkeit des Auditoriums, das jedesmal, wenn er nicht weiter konnte, so lange »hear, hear« schrie, bis er sich wieder gesammelt, wäre er förmlich stecken geblieben.

Bei jeder Gesundheit, die der Lord Mayor ausbrachte, rief ein mit silbernen Ketten behangener Zeremonienmeister hinter seinem Stuhle: »Mylords and Gentlemen, fill Your glasses!« Die Lady Mayoress und alle ihre Damen erschienen übrigens in abscheulichen Toiletten, und mit entsprechenden Tournüren. Mir war der Platz neben einer Amerikanerin, der nièce eines frühern Präsidenten der Vereinigten Staaten, wie sie mir sagte, aber ich erinnere mich nicht mehr, von welchem, angewiesen. Es ist zu vermuten, daß weder ihr rotes Haar, noch ihr albinos teint bei ihren Landsmänninnen häufig vorkommt, sonst würde das schöne Geschlecht daselbst nicht so sehr gerühmt werden. Ihre Unterhaltung war aber recht geistreich, manchmal fast mit der Laune Washington Irwings.

Um 12 Uhr begann der Ball, welcher sehr originell sein soll, da Creti und Pleti darauf erscheint, ich war aber von dem sechsstündigen dinner, in voller Uniform, so ermüdet, daß ich schnell meinen Wagen aufsuchte, und mich zu Hause begab, um einmal wenigstens vor Mitternacht zu Bett zu kommen.


Brighton, den 17ten

Diesen Morgen lasen wir schon die gestern erwähnte Rede des Diplomaten in der Zeitung. NB. so wie sie hatte gehalten werden sollen, aber nicht wie sie gehalten worden war, und dergleichen kommt wohl nicht selten vor.

Gleich nach dem Frühstück fuhr ich mit Graf D..., einem sehr lustigen Dänen, hierher, und brachte den Abend bei Lady K... zu, wo ich noch viele der frühern Badegäste antraf, auch Lady G..., deren Du Dich aus Paris erinnerst, wo der Herzog von Wellington ihr Anbeter war.

Apropos von diesem, liest Du die Zeitungen? In der politischen Welt ist hier eine gewaltige Krise eingetreten. Durch die Ernennung Cannings zum Premier haben sich die andern Minister so beleidigt gefühlt, daß, mit Ausnahme von dreien, die übrigen sieben den Abschied genommen haben, obgleich welche darunter sind, die, wenn ihre Partei nicht noch siegt, das Staatsgehalt schwer entbehren können, wie z. B. Lord Melville. Der Herzog von Wellington verliert auch sehr bedeutend dabei, und er, der alles war, ist, wie sich ein ministerielles Journal, mit der gewöhnlichen Übertreibung des hiesigen Parteigeistes heute ausdrückt, »nun politisch tot«. Es hat aber doch etwas Großartiges, so seiner Meinung alle persönlichen Rücksichten aufzuopfern. Die Karikaturen regnen auf die Geschlagenen herab, und sind mitunter recht witzig, besonders wird dem nicht sehr geliebten, alten Großkanzler Lord Eldon, übel mitgespielt, sowie dem Grafen W..., einem sonderbaren alten Manne, der einen ungeheuren aristokratischen Stolz besitzt, wie eine Mumie aussieht, und ohngeachtet seiner 80 Jahre, täglich auf einem Hardtraber zu sehen ist, wie er durch St. James Park mit der Schnelligkeit eines Vogels hindurchfliegt. Diesen Moment hat man auch für die Karikatur gewählt, mit der boshaften Unterschrift:

›The flying privy.‹

Er hatte nämlich früher das Privy Seal, welches, nebst den übrigen Insignien, aus der Luft auf das sich mit allen Zeichen des Abscheus wegwendende Publikum niederfällt – denn die zweite Bedeutung des Worts läßt sich leicht erraten.


Brighton, den 20sten

Heute habe ich die Erfahrung gemacht, wie gefährlich die hiesigen Nebel werden können, was ich früher kaum glauben wollte, da sie in London gewöhnlich nur zu komischen Szenen Anlaß zu geben pflegen.

Ein Bekannter hatte mir eins seiner Jagdpferde geborgt, da die meinigen in London geblieben sind, und ich nahm mir vor, meine Direktion diesmal nach einer mir noch unbekannten Seite der Dünen zu nehmen, die man die Teufelsschlucht nennt, war auch schon mehrere Meilen durch Berg und Tal über den glatten Rasen fortgeritten, als plötzlich die Luft sich zu verfinstern anfing, und in wenigen Minuten ich nicht mehr 10 Schritt weit vor mir sehen konnte. Dabei blieb es auch, und war fortan an keine Aufhellung des Wetters mehr zu denken. So verging wohl eine Stunde, während ich bald dort, bald dahin ritt, um einen gebahnten Weg aufzufinden. Meine leichte Kleidung war schon durchnäßt, die Luft eiskalt geworden, und hätte mich die Nacht übereilt, so wäre die Perspektive eine der unangenehmsten. In dieser Not, und ganz unbekannt mit der Gegend, fiel es mir glücklicherweise ein, meinem alten Pferde, das so oft hier den Fuchsjagden beigewohnt, völlig freien Willen zu lassen. Nach wenig Schritten, und sobald es sich frei fühlte, drehte es auch sogleich in einer kurzen Volte um, und setzte sich in einen ziemlich animierten Galopp, den Berg, wo ich mich eben befand, gerade hinunterlaufend. Ich nahm mich wohl in acht, es nicht mehr zu stören, ohngeachtet der halben Dunkelheit um mich her, selbst als es durch ein Feld hohen stachligen Ginsters in fortwährenden Sätzen, wie ein Hase, brach. Einige unbedeutende Gräben und niedrige Hecken hielten es natürlich noch weniger auf, und nach einer starken halben Stunde angestrengten Laufens brachte mich das gute Tier glücklich an die Tore Brightons, aber von einer ganz andern Seite, als von welcher ich ausgeritten war. Ich fühlte mich sehr froh, so wohlfeilen Kaufs davongekommen zu sein, und nahm mir ernstlich vor, in diesem Nebellande künftig vorsichtiger zu sein.

Meine Abende bringe ich jetzt gewöhnlich bei Lady K... oder Mrs. F... zu, und spiele Ecarté und Whist mit den Herren, oder Loo mit den jungen Damen. Diese kleinen Kreise sind weit angenehmer als die großen Gesellschaften der Metropolis. Denn dort versteht man alles, nur eben die Geselligkeit nicht. So werden Künstler dort auch bloß als Modesache vorgeführt und bezahlt; mit ihnen zu leben, Genuß aus ihrer Unterhaltung zu ziehen, das kennt man nicht. Alle wahre Bildung ist meistens nur politischer Natur, und der politische Partei- wie der modische Kastengeist gehen auch auf die Gesellschaft mit über. Es entsteht daraus ebensowohl ein allgemeines décousu, als eine strenge Abscheidung der einzelnen Elemente, welches, verbunden mit dem an sich schon höchst unsozialen Wesen der Engländer, den Aufenthalt für den Fremden auf die Dauer unangenehm machen muß, wenn er sich nicht die intimsten Familienkreise öffnen, oder selbst ein lebhaftes politisches Interesse annehmen kann.

Am glücklichsten und achtungswürdigsten ist in dieser Hinsicht ohne Zweifel die wohlhabende mittlere Klasse in England, deren aktive Politik sich nur auf das Gedeihen ihrer Provinz beschränkt, und unter der überhaupt ziemlich gleiche Ansichten und Grundsätze herrschen. Diese unmodische Klasse allein ist auch wahrhaft gastfrei und kennt keinen Dünkel. Sie recherchiert den Fremden nicht, aber kommt er in ihren Weg, so behandelt sie ihn freundlich und mit Teilnahme. Ihr eignes Vaterland liebt sie leidenschaftlich, aber ohne zu persönliches Interesse, ohne Hoffnung auf Sinecuren, und ohne Intrige. Diese Art Leute sind zwar auch manchmal lächerlich, aber immer achtungswert, und ihr National-Egoismus in billigere Schranken gebannt.

Wie ehemals in Frankreich kann man daher mit vollkommenem Rechte auch in England sagen: que les deux bouts du fruit sont gâtes, die Aristokratie und der Pöbel. Die erste hat allerdings eine bewunderungswürdig herrliche Stellung – aber ohne große Mäßigung, ohne große, der Vernunft und der Zeit gebrachte Konzessionen, wird sie diese Stellung vielleicht kein halbes Jahrhundert mehr inne haben. Ich sagte dies einmal dem Fürsten E..., und er lachte mich aus, mais nous verrons!

Schließlich exzerpiere ich Dir noch einige Stellen aus den hiesigen Journalen, um Dir einen Begriff von der Freiheit der Presse zu geben.

  1. »Jedes Schiff in England sollte seine Freudenfahnen aufstecken, denn Lord Melville war ein incubus, auf den Dienst drückend. Verdienstvolle Offiziere mögen nun eine Chance finden, unter Lord Melville hatten sie keine.«
  2. »Wir hören aus guter Quelle, daß der große Capitaine (Lord Wellington) sich außerordentliche Mühe gibt, wieder in das cabinet zu dringen, jedoch vergebens. Dieses verzogene Kind des Glücks hätte sich nicht einbilden sollen, daß sein Austritt einen Augenblick das Gouvernement in Verlegenheit setzen könnte. Wir glauben übrigens, daß er nicht der einzige Ex-Minister ist, der bereits seine Torheit und Arroganz bitter bereut.«
  3. »Das Minister-Septemvirat (sieben sind, wie gesagt, ausgeschieden), welches erhöhte Stationen erzwingen wollte, ist Herrn Humes neuem Penalty-Gesetz viel Dank schuldig; denn nach dem alten Gesetz wurden Bediente, die höheres Gehalt von ihren Herrschaften extorquieren wollten, mit Recht in die Tretmühle geschickt.«
  4. Man versichert, ein großer Septemviratist (Lord Wellington) habe sich erboten, in den Dienst zurückzukehren, jedoch nur unter der Bedingung, daß man ihn zum dirigierenden Minister, zum Groß-Connetable, und zum Erzbischof von Canterbury mache.«

Unsere Minister würden sich nicht wenig wundern, wenn eine der löschpapiernen Zeitungen so mit ihnen umspränge.

Morgen begebe ich mich nach der Stadt zurück, denn wie einst die Römer Rom, nennen auch die Engländer London nun »die Stadt.«


London, den 22sten

Ich kam grade noch zur rechten Zeit an, um einem großen dinner beim neuen Premier beizuwohnen, zu dem ich die Einladung schon in Brighton erhalten.

Dieser ausgezeichnete Mann macht die honneurs seines Hauses ebenso angenehm, als er die Herzen seiner Zuhörer im Parlament hinzureißen weiß. Schöngeist und Staatsmann tour à tour, fehlt ihm nichts als eine bessere Gesundheit, denn er schien mir sehr leidend. Mistress Canning ist ebenfalls eine geistreiche Frau. Man behauptet, daß sie das Departement der Zeitungen im Hause habe, d.h. diese lesen müsse, um ihrem Manne die nötigen Auszüge daraus mitzuteilen, und auch selbst manchmal einen Parteiartikel darin zu schreiben nicht verschmähe.

Ein concert bei Gräfin A... war sehr besucht, Galli und Madame Pasta, die vor kurzem angekommen sind, und die Oper sehr heben werden, sangen darin. Die Zimmer waren gepfropft voll, und mehrere junge Herren lagen auf dem Teppich zu den Füßen ihrer Damen, den Kopf bequem an die Sofakissen gelehnt, die den Schönen zum Sitze dienten. Diese türkische Mode ist wirklich recht bequem, und es wundert mich ungemein, daß sie C... in Berlin noch nicht eingeführt, und sich einmal bei Hof zu den Füßen einer der Hofdamen hingelagert hat. Man würde vom englischen Gesandten dies gewiß sehr ›charmant‹ wie die Berliner sagen, gefunden haben.


Den 25sten

Nach langer Zeit besuchte ich heute wieder das Theater. Ich traf es glücklich, denn Listen spielte zum Kranklachen in einer kleinen farce, die zur Zeit Ludwig XV. in Paris vorgeht. Ein reicher englischer Kaufmann, den der spleen quält, reist nach jener Stadt, um sich zu zerstreuen. Kaum ist er im Gasthofe einige Tage etabliert, als man ihm den Besuch des Polizeiministers meldet, der (sehr gut im costume der Zeit gehalten) sofort eintritt, und dem erstaunten citizen eröffnet, wie man einer berüchtigten Spitzbubenbande auf der Spur sei, welche diese Nacht noch hier einbrechen wolle, um ihn, bei dem man viel Geld vermute, zu berauben und zu ermorden. Alles hänge nun von seinem Benehmen ab, fügt der Minister hinzu, wenn er sich das Geringste merken lasse, weniger heiter scheine als sonst oder irgend etwas Besondres tue, was Besorgnis verrate, und dadurch vielleicht die Unternehmung der Räuber beschleunige, so könne man ihm für nichts stehen, und sein Leben sei in der höchsten Gefahr, denn noch wisse man selbst nicht, ob die Hausleute mit im Komplott wären. Er müsse sich daher auch wie gewöhnlich um 10 Uhr ins Bett legen, und es darauf ankommen lassen, was dann geschähe.

Mr. Jackson, mehr tot als lebendig über diese Nachricht, will sogleich das Haus verlassen, der Minister erwidert aber ernst, daß dies durchaus nicht zugelassen werden, ihm auch nichts helfen könne, da die Räuber bald seine neue Wohnung auffinden, und er dann um so sichrer ihre Beute werden müsse. »Beruhigen Sie sich«, schließt Herr v. Sartines, »es wird alles gut gehen, wenn Sie nur gute contenance halten.«

Du stellst Dir leicht vor, zu welchen lächerlichen Szenen die schreckliche Angst des alten Kaufmanns, die er fortwährend unter Lustigkeit zu verbergen suchen muß, Anlaß gibt. Sein Bedienter, ein echter Engländer, immer durstig, findet unterdessen in einem Schrank Wein, den er gierig austrinkt. Es ist aber Brechweinstein, und er bekommt nach wenigen Minuten die heftigsten Übelkeiten, wodurch sein Herr sich nun überzeugt, daß, anstatt ihn zu erstechen oder zu erschießen, man den Plan gemacht habe, ihn zu vergiften. In diesem Augenblick erscheint die Wirtin mit der chocolate. Außer sich, faßt sie Liston bei der Gurgel, und zwingt sie die Tasse selbst auszutrinken, welche diese, obgleich in großer Verwunderung über die seltsamen Sitten der Engländer, sich doch zuletzt ganz gern gefallen läßt. Das stumme Spiel Listons dabei und wie er, seines Versprechens sich plötzlich erinnernd, nachher, krampfhaft lachend, bloßen Spaß daraus machen will, ist höchst drollig. Endlich kommt 10 Uhr heran, und nach vielen burlesken Zwischenszenen legt Herr Jackson sich, mit Degen und Pistolen und in seinen Samthosen, ins Bett, dessen Vorhänge er dicht zuzieht. Unglücklicherweise hat die Tochter vom Hause eine Liebschaft, und bevor noch der Fremde das Logis bezogen, ihrem Liebhaber bereits in demselben Zimmer ein rendez-vous gegeben. Um die Entdeckung zu vermeiden, kommt sie jetzt leise hereingeschlichen, löscht das Licht behutsam aus, und geht ans Fenster, in welches ihr amant schon hereinsteigt. Sowie dieser in die Mitte des Zimmers springt und zu sprechen anfängt, hört man seltsame Angsttöne im Bette, und eine Pistole fällt mit Geprassel heraus, bald nachher die andere, der Vorhang tut sich auf, Liston versucht einen schwachen Stoß mit dem Degen, der aber seiner zitternden Hand selbst entfällt, worauf er sich ebenfalls herausstürzt und in seinem abenteuerlichen costume vor dem ebenso erschrockenen Mädchen auf die Knie fällt, und herzbrechend um sein Leben fleht, während sich der Liebhaber schleunig hinter dem Bette versteckt. Da öffnen sich die Türen, und der Polizeiminister tritt mit Fackeln ein, um dem zitternden Jackson anzukündigen, daß die Bande gefangen sei, »aber«, fügt er, die Gruppe vor sich betrachtend, lächelnd hinzu, »ich mache Ihnen mein Kompliment, daß Sie, wie ich sehe, Ihre Zeit auf eine so gute Art anzuwenden gewußt haben.«


Den 26sten

Einen recht wunderlichen Ort habe ich heute früh besucht, eine Kirche, ›Der Areopag‹ genannt, wo ein Geistlicher, the Reverend Mr. Taylor, gegen das Christentum predigt, aber auch jedem erlaubt, öffentlich zu opponieren. Er hat von den englisch-christlichen Kirchen nur das beibehalten, daß man auch hier für seinen Platz einen Schilling bezahlen muß. Hr. Taylor ist gelehrt, und kein übler Redner, aber ein ebenso leidenschaftlicher Schwärmer für die Zerstörung der christlichen Religion, als es so viele andre für ihre Begründung gegeben hat. Er sagte außerordentlich starke, zuweilen wahre, oft schiefe, manchmal witzige und auch ganz unanständige Dinge. Der Saal war übrigens gedrängt voll von Zuhörern aus allen Ständen. Hier, wo die Nation auf einer so geringen Stufe religiöser Bildung steht, begreift man wohl, daß ein solcher negativer Apostel viel Zulauf haben kann. Bei uns, wo man auf dem vernunftgemäßen Wege allmählicher Reform schon weit fortgeschritten ist, würde ein Unternehmen dieser Art die einen mit heiligem Abscheu erfüllen, den andern nicht nützen, und alle mit Recht schockieren, die Polizei es aber ohnedem unmöglich machen.

Der erste Almacks-Ball fand diesen Abend statt, und nach allem, was ich von dieser berühmten reunion gehört, war ich in der Tat begierig, sie zu sehen, aber nie ward meine Erwartung mehr getäuscht. Es war nicht viel besser wie in Brighton. Ein großer, leerer Saal mit schlechten Dielen, Stricke darum her, wie in einem arabischen Lager der Platz für die Pferde abgepfercht ist; ein paar kleine nackte Nebenstuben, in denen die elendesten Erfrischungen gereicht werden, und eine Gesellschaft, wo, ohngeachtet der großen Schwierigkeit, entrée-billets zu erhalten, doch recht viel nobodies sich eingeschwärzt hatten, und die schlechten Tournüren und Toiletten vorherrschend waren, das war alles, mit einem Wort, ein völlig wirtshausmäßiges Fest, höchstens nur Musik und Beleuchtung gut – und dennoch ist Almacks der höchste Kulminationspunkt der englischen Modewelt.

Diese übertriebene Einfachheit war indes in ihrem Ursprung absichtlich, indem man grade der Pracht der reichen parvenus etwas ganz Wohlfeiles entgegensetzen und es demohngeachtet, durch die Einrichtung der Lady Patronesses, ohne deren Genehmigung niemand Teil daran nehmen konnte, inaccessible für sie machen wollte. Das Geld und die schlechte Gesellschaft (im Sinne der Aristokraten) hat sich aber dennoch Bahn hereingebrochen, und als einzig Charakteristisches ist bloß das unpassende Äußere geblieben, welches nicht übel dem Lokal eines Schützenballes in unsern großen Städten gleicht, und mit dem übrigen englischen Prunk und Luxus so lächerlich kontrastiert.


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