Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


Den 17ten

Der Tag ging mit Ruhen, Schreiben und Lesen hin, und bietet daher wenig Stoff dar; ehe ich mich zu Bette lege, muß ich aber doch, der süßen Gewohnheit folgend, noch ein wenig mit Dir plaudern. Ich dachte eben an die Heimat und unsern verehrten Freund L..., der jetzt wieder umherreist, mir aber neulich ein ganzes Heft seiner älteren Bemerkungen zusendete. Soll ich Dir eine echantillon davon mitteilen? – also höre:


Betrachtungen einer frommgemütlichen Seele
aus Sandomir oder Sandomich
Die Einwohner selbst können nicht ganz genau angeben, welche Endung die eigentlich richtige sei.

 

1., Als die sächsischen Postillone auf meine Kosten vielen Schnaps getrunken hatten etc.

Wie viel besser ist es doch bei uns, als überall in der Fremde! Freilich erlebt man dort manches Merkwürdige. Zum Beispiel ist es gewiß ein sonderbarer Umstand (und doch kann ich nach vielfältiger Erfahrung nicht mehr daran zweifeln) daß, wenn hier die Pferde müde und faul sind (was leider nur zu oft stattfindet), nur der Postillon Schnaps zu trinken braucht, um jene wieder sichtbar zu erheitern und mutig zu machen. Die Weisheit der Natur und ihre verborgenen Kräfte sind unergründlich! – Das eben erwähnte Phänomen erklärt sich indes vielleicht aus der bekannten Erfahrung, daß Wein in den Fässern zu gären anfängt, wenn der Weinstock blühtN.B. nicht zu vergessen: unsern gelehrten Professor Blindemann zu fragen, was er von dieser Auslegung hält? . Auf der letzten Station vor Torgau bekam mein Begleiter, der Gardelieutenant Graf S... aus Potsdam, bei dem das Reich der Gnade noch gar nicht zum Durchbruch gekommen ist, und der sich deshalb auch noch jeden Augenblick über weltliche Dinge so unnütz ereifert – Händel mit unserm Postillon, und ward so böse, daß er ihn, mit dem Stocke drohend, einen sächsischen Hund nannte. »O Jeses nein, mein gnädger Herr Leutnant« erwiderte dieser recht albern, »da erren Se sich, mer sind ja schon seit mehr als zehn Jahren Preißische Hunde.« Man sieht doch, daß es den Leuten hier noch ganz an unsrer nationalen Bildung fehlt.

 

2., Nach meinem schickungsreichen Unglücksfall am 6ten Juli 1827.

Vier Wochen lang konnte ich nicht schreiben! Dankbar und tief gerührt ergreife ich heute zum erstenmal wieder die Feder, um die merkwürdige Schickung aufzuzeichnen, die ich erlebte! Als ich vorigen Monat nach M... reiste, ward ich, grade wie der Fremde in den Kleinstädtern, immediat vor dem sogenannten Chausseehause schrecklich umgeworfen, und brach den rechten Arm. Mein erster Ausruf – ich gestehe es zu meiner Beschämung – war ein garstiger Fluch! Mein zweiter aber schon Dank, brünstiger Dank dem Schöpfer, daß ich nur den Arm und nicht den Hals gebrochen hatte! Bei solchen Gelegenheiten erkennt man deutlich die unergründlichen Wege, und die schützende, uns immer zur rechten Zeit Hilfe bringende Hand der Vorsehung. Hing nicht mein Leben an einem Haare, und wollte mir Gott nicht hier eindringlich beweisen, daß es nur von ihm abhing, meine Augen auf ewig zu schließen, oder mein junges Leben noch zu schonen, das vielleicht, denn was ist Gott unmöglich! noch zu großen und wichtigen Dingen bestimmt ist? Ja ihr Philosophen, innig und jubilierend fühle ich es: Nur der Glaube macht selig!

 

3., Als ich bei Torgau beinahe in der Elbe ersoff etc.

Gewiß ist es, daß man nicht eher ins Wasser gehen sollte, als bis man schwimmen kann, wie schon ein griechischer Weiser sehr richtig bemerkt hat. Ich war so unvorsichtig, mich ohne diese Kenntnis gestern zu baden (denn von dem rebellischen Turnen und Leibesübungen dieser Art hielt ich mich immer fern), und wäre, da ich einen Krampf in der Wade bekam, und darüber etwas die contenance verlor, vielleicht jetzt schon ein Toter, ohne einen Mann, den der Himmel wiederum grade um diese Zeit herbeiführen mußte, mich zu retten. Könnte ich gegen so viele Beweise speziellen Schutzes blind sein! – Die ganze Elbe ist mir dennoch seitdem etwas zuwider geworden. Ich bekämpfe dies aber als ein tadelnswertes Gefühl, da man bedenken muß, von welchem Nutzen dieser Fluß doch für so viele unserer Mitbrüder istUnter anderen auch für die Elbschiffahrtskommissarien, die ihre Arbeit ebenso schön beendet, und alle Orden dafür bekommen haben. Ob mir Gott wohl auch einen Orden bescheren wird? . Obgleich die Bemerkung, glaube ich, schon früher gemacht worden ist, so bleibt es doch nicht weniger beachtenswert, daß man bei großen Städten fast immer auch einen Fluß findet; – aber so weise, so gnädig hat es die gütige Vorsehung überall zu unserm Nutzen eingerichtet, wir Menschen erkennen es nur zu selten! Ja für alle hat die Natur wie eine gütige Mutter gesorgt! Der Biene gab sie ihren Stachel, dem Biber seinen Schwanz, dem Löwen seine Kraft, dem Esel die Geduld, dem Menschen aber seinen hohen Verstand, und wo dieser, nebst der trügerischen Vernunft nicht ausreicht, himmlische Offenbarung. O wie dankbar fühle ich mich immer, wenn ich dies recht bedenke, ich, der ohnedem für so viele geistige und körperliche Vorzüge mehr als viele meiner Mitmenschen zu danken habe. – Möge ich es nie vergessen! Amen.

 

4., Als ich dem Juden Abraham meinen schon zweimal prolongierten Wechsel, mit alterum tantum endlich bezahlen mußte.

Es hat mich der Zweifel beunruhigt, ob die Juden wirklich bis an der Welt Ende bestehen, und so wie jetzt, vom Fluche getroffen, zerstreut, und gedrückt auf Erden leben, und uns deshalb fortwährend so sehr werden prellen müssen!

Doch ist dieser Zweifel nicht schon Sünde, da es so in vielen heiligen Büchern steht? Überdies geht ja von unserm Lande, wo von jeher die größte Aufklärung herrschte, auch jetzo wiederum die Bekehrung dieser unglücklichen Verirrten aus. Ach hier drängt mich ein neuer banger Zweifel! Werden auch gewiß einst alle Bewohner der Erde Christen heißen? Es ist zwar so verkündet, aber neulich stieß ich bei meinen gelehrten Studien auf eine Berechnung, die mir zu meinem wahren Schrecken zeigte, daß es überhaupt unter 800 Millionen Menschen bis jetzt nur noch etwas über 200 Millionen gibt, welche sich nach dem wahren Namen nennen. Hoffentlich werden indes die braven Bibelgesellschaften das ihrige tun und nicht ermüden. Den Engländern muß es aber doch noch nicht rechter Ernst damit sein, da sie in Indien fast noch keinen einzigen bekehrt haben. Die mögen wohl, wie gewöhnlich, nur politische Zwecke damit verbindenUm dem Scherz ein ernstes Wort hinzuzufügen, möchte ich hier fragen: Wer ehrt nicht die menschenfreundlichen Motive, welche die Bibelgesellschaften hervorbrachten, und Missionarien versenden? Aber – sind diese beiden, selbst wenn nicht, wie leider so oft geschieht, der schändlichste Mißbrauch damit getrieben wird, auch die rechten Mittel zum Zweck? Der Erfolg lehrt uns fast überall das Gegenteil. Man bedenke, daß Gott selbst das Christentum erst zum zweiten Bunde sendete, der erste war rein auf irdisches Interesse und despotische Gewalt basiert.

Ich möchte daher fast sagen, wenn ich mich nicht fürchtete zu spaßhaft zu erscheinen, daß man erst damit anfangen müßte, die Wilden zu Juden zu bekehren, ehe man sie zu Christen machte. Dies würde auch mit dem Interesse des Handels, diesem wichtigen Hebel, absonderlich gut übereinstimmen. Man zivilisierte sie dann vielleicht mit Schachern weit schneller, als durch Paulus-Briefe an die Korinther.

Dies könnte uns als Fingerzeig dienen, und die Naturgemäßheit solchen Verfahrens wird auch überall durch Erfahrung bestätigt, wo derselbe Gang zu gehen ist. Menschen, die so wenig zivilisiert sind, als z. B. die noch fast tierischen Bewohner Afrikas, zu Christen machen zu wollen – scheint mir fast ebenso unvernünftig, als den Affen europäische Sprachmeister zu schicken. Auf dieser Stufe der Kultur sind eben nur Interesse und Gewalt, der eine wohltätige Gewohnheit folgt, anwendbar, und in dieser Hinsicht möchten (einmal angenommen, daß wir Beruf und Recht haben, weniger Zivilisierte zu unsrer Zivilisation, auch ohne ihren Willen, empor zu heben) selbst die Bekehrungen mit dem Schwerte nicht so unzweckmäßig als die durch Bibelgesellschaften sein, immer vorausgesetzt, daß sie ohne Grausamkeit, und aus wahrhaft guter Absicht bewerkstelligt würdenMan kann nicht leugnen, daß Carl des Großen und der Spanier Heidenbekehrungen den meisten Erfolg hatten, nur schade, daß die Spanier, eigentlich bessere Christen, als sie waren, erst zu einem neuen Heidentume zwangen. . Der andere Weg, nämlich: durch ihr eignes augenblickliches Interesse auf die Wilden zu wirken, kann nur durch Handel erreicht werden. und scheint der gerechteste und mildeste von allen, würde aber doch auch von einem gewissen Zwang begleitet werden müssen, um schnelle und dauernde Resultate herbeizuführen. Das Schlimmste bei den Bemühungen, das Christentum voreilig einzuführen, ist aber ohne Zweifel, daß die Wilden sobald sie mit Christen in Kollision kommen, gewahr werden müssen, daß diese selbst fast in allen Dingen diese Lehre der Liebe fortwährend, sowohl unter sich als gegen sie selbst entgegenhandeln, Gouvernements, Korporationen und Einzelne. Ihr einfacher Verstand, der durch höhere Kultur noch nicht rektifiziert ist, kann dies ohnmöglich zusammenreimen, und da sie überdem, wie Kinder, bei der neuen Lehre hauptsächlich nur die Mythe ins Auge fassen, so ist es ihnen nicht sehr zu verdenken, wenn die Liberalen oder Freidenker unter ihnen ausrufen: »Fabel für Fabel, Morden für Morden, Sklaven verkaufen für Sklaven verkaufen – wo ist der Unterschied?« Hätten die christlichen Mächte ernstlich den Sklavenhandel abgeschafft, und zugleich die, zur Schande Europas, noch immer bestehenden Raubnester an Afrikas Küsten vernichtet, England aber, statt einen einzelnen Reisenden nach dem andern (die sich noch obendrein durch ihre englisch-christliche Arroganz, ohne die Mittel sie durchzuführen, dort nur verächtlich und lächerlich machen) von den Einwohnern umbringen, oder am Klima sterben zu lassen – eine sich Respekt verschaffende, und durch vorgängigen Aufenthalt an der Küste schon abgehärtete, Expedition ins Innere geschickt, die mit Würde und mit wohltätiger Gewalt, dem Handel eine menschlichere Richtung zu geben, und die entgegenstehenden Hindernisse, wenn auch zum Teil durch die Macht der Waffen, zu zerstören gesucht hätte – so würde gewiß ein großer Teil Afrikas jetzt unendlich mehr zivilisiert sein, als durch hundertjährige Missionen und Bibelsendungen zu erreichen möglich sein wird. Einige werden hier sagen: A quoi bon tout cela? Andere die Frage aufwerfen, wer uns das Recht gebe, uns ungerufen in die Angelegenheiten Fremder zu mischen? Die Antwort hierauf würde zu weit führen; was mich betrifft, gestehe ich, den Grundsatz der Jesuiten insoweit zu teilen, daß ich annehme: Ein edler Zweck, das heißt: ein zum Besten anderer gefaßter Plan, der zugleich mit der Kraft ihn auszuführen verbunden ist, heiligt auf den hohen Standpunkten der Menschheit alle, redlich in demselben Sinn angewandte Mittel, insofern sie sich nur auf offene Gewalt beziehen – denn Verrat und Unredlichkeit kann nie zum Guten führen. A. d. H.

. Übrigens las ich neulich von einem Missionar daselbst, daß ihm ein Hindu recht frech geantwortet habe: »Ich lasse mich nicht eher von Euch zum Christen bekehren, bis Ihr Euch von mir nicht auch zum Hindu habt bekehren lassen – denn ich glaube an die Wahrheit meiner Religion, Ihr an die Wahrheit der Eurigen. Was Einem recht ist, ist dem Andern billig – und einzelne Fabeln und Mißbräuche mag es vielleicht in beiden geben, der Geist aber wird wohl aus seiner Familie sein.« Das sind noch recht schlechte AussichtenKotzebue in seiner neuesten Reise um die Welt gibt uns ein ergreifendes Gemälde von dem Unwesen der englischen Missionare auf Otahaiti und den Sandwichs-Inseln. Als man, fügt er hinzu, den, für das Glück seines neu geschaffenen Reichs zu früh verstorbenen, König Tameamea zur Annahme der christlichen Religion bewegen wollte, erwiderte er, auf die Statuten seines Kultus hinweisend: Dies sind unsre Götter, die ich seit meiner Kindheit zu verehren gelehrt wurde. Ob ich Recht oder Unrecht daran tue, weiß ich nicht; aber ich folge meinem Glauben, der nicht schlecht sein kann, da er mir vorschreibt, keine Ungerechtigkeit zu begehen. A. d. H. ! Ich selbst, der, ohne mich deshalb rühmen zu wollen, bereits in meiner Vaterstadt einen alten Juden, mit dessen Handel es nicht mehr recht fort wollte, zur Taufe vermochte, wofür er noch jetzt eine Pension von mir erhält – suchte auch mein Scherflein zu der Sinneswandlung eines wirklichen Indiers beizutragen, der nach vielen wunderbaren Schicksalen bis in unsere hyperboreischen Gegenden verschlagen worden war, woselbst die Herrnhuter sich lange, und dennoch vergebens, mit seiner Bekehrung bemüht hatten. Er hörte mir recht geduldig zu, und ich muß gestehen, ich bewunderte, von der Wichtigkeit des Gegenstandes hingerissen, meine eigne Beredtsamkeit. Aber was war der ganze Erfolg? Er sah mich lächelnd an, nahm mein Almosen, schüttelte mit dem Kopf wie eine Pagode, und ließ mich ohne alle weitere Antwort stehen!

 

P. S. Eben erhalte ich zu meinem großen Schrecken die Nachricht, daß der von mir bekehrte Jude gestorben, und auf dem Todbette, aus Gewissensbissen – (sollte man so etwas für möglich halten!) wieder ein Jude geworden ist!

 

5., Als ich vom Begräbnis der Madame R... zurückkam.

Vor einigen Tagen begab sich hier eine höchst merkwürdige Geschichte! Es sind erst kürzlich zehn Jahre verflossen, daß ein hübsches, und was mehr sagen will, auch ein frommes Mädchen in einem hiesigen Konditorladen angestellt war. Obgleich vielen Versuchungen bei ihrem süßen Metier ausgesetzt (denn nicht alle junge Leute, die den Konditorladen besuchen, besitzen meine Sittsamkeit) wollte sie doch auf niemand hören, und fand ihre Freude bloß in der Frömmigkeit. Sie versäumte keine Betstunde beim Präsidenten S... oder andere, wo sie nur zu einer solchen Zutritt erlangen konnte, und ging vor allen jeden Sonntag, wenigstens einmal, in die Kirche. Eines Sonntags jedoch (es war Martini, wenn ich nicht irre) vergaß sie dieser Pflicht, und blieb, sich mit weltlichem Putze beschäftigend, zu Hause. Da nahte sich ihr die Nemesis in Gestalt eines jungen Mannes, dem sie schon längst heimlich geneigt war, und der an jenem verhängnisvollen Tage es wahrscheinlich sehr weit in ihrer Gunst brachte, denn kurze Zeit darauf heiratete er sie. Im Anfang lebten sie sehr glücklich, und bekamen mehrere Kinder. Nach und nach jedoch ließ, in den Zerstreuungen der Ehe, ihre Frömmigkeit bedeutend nach. Die Unglückliche schien ihre weltlichen Pflichten als Gattin und Mutter zu lieb zu gewinnen, und von nun an dem Genusse der Betstunden und der Lektüre heiliger Bücher sogar vorzuziehen, aber die Folgen ihres Leichtsinns zeigten sich bald. Ihren Mann traf vielfaches, wie man versichert, sonst unverschuldetes Unglück, einige ihrer Kinder starben, die Familie verfiel in Armut, und der Mann hierüber zuletzt in die tiefste Melancholie. Letzten Sonntag aber, grade am zehnten Jahrestag jenes erwähnten Sonntags, wo das unglückliche Mädchen nicht in die Kirche ging, hat ihr Mann, in einem Anfall von Wahnsinn, sich und seine Frau grausam ermordet! Hier erkenne man, wie die gerechte göttliche Strafe langsam, aber desto sicherer ihr Opfer findet. – Ich enthalte mich aller strengen Betrachtungen, aber wer durch dieses warnende Beispiel nicht gewitzigt wird, nicht einsieht wie strafbar und gefährlich es ist, den regelmäßigen Besuch der Kirche auch nur einmal aus Leichtsinn zu versäumen – den bedaure ich! Er kann nur durch Schaden klug werden, und wohl ihm, wenn er es noch diesseits wird! –

 

6., Als ich meinen letzten Korb in D... bekam.

Ich bin sehr unglücklich in der Liebe, eine Sache, die schwer zu begreifen ist, aber dennoch bleibt es wahr, daß mir schon wieder einer meiner wohl angelegtesten Pläne mißlungen ist!

Seit lange schon liebte ich Fräulein M... mit allem Feuer meines ungestümen Charakters. Ich wagte zwar nicht, es ihr zu sagen, aber meine Blicke, die ich stundenlang schmachtend auf sie heftete, sprachen zu deutlich, um nicht verstanden zu werden. Demohngeachtet hatte ich meiner Angebeteten noch kaum mehr als ein spöttisches Lächeln abgewinnen können, als endlich eine wichtige Epoche, nämlich ihr achtzehnter Geburtstag eintrat. Ich beschloß durch eine ausgezeichnete Galanterie jetzt ihr Herz zu bestürmen, was ich mir umso eher, und mit gutem Gewissen erlauben durfte, da ich nie andre als redliche Absichten hege. Ich dachte nun lange nach, was ich wohl wählen sollte. Rosenstöcke und alle botanischen Geschenke, wie Früchte u. s. w. sind so alltäglich, Putz durfte es nicht sein, denn dies würde einer indirekten Andeutung geglichen haben, daß ich sie für eitel halte, noch weniger hätte ich ihr mögen etwas Kostbares anbieten, um sie nicht für interessiert zu erklären, ein frommes Gesangs- oder Erbauungsbüchlein wagte ich nicht zu wählen, um nicht sündlich bei irdischen Zwecken Heiliges zu profanieren – nein, nur etwas Gefühlvolles und zugleich zart auf unsre Verhältnisse Anspielendes mußte es sein. – Da fiel mir plötzlich, wie ein Blitz in dunkler Nacht, der Gedanke ein, daß die Zeit der frischen Heringe herannahen. Dies Wort elektrisierte mich, und mit der gewöhnlichen Schnelligkeit meiner Konzeptionen, gewahrte ich im Augenblick, was hier alles verborgen liege. Sogleich schickte ich eine Staffette nach Berlin, um dort, wo alles Neue bekanntlich stets zuerst zu finden ist, womöglich noch vor der jährlichen Annonce in den zwei löschpapiernen Zeitungen, besagte Geschöpfe Gottes zu erhalten. Alles ging nach Wunsch – beide lagen vor mir, ehe wenige Tage vergingen. Ich ließ sie nun noch, statt der Petersilie, auf einigen liebevollen Blättern des Claurenschen Vergißmeinnichts (die nie verblühen) anrichten, und überdachte nochmals, was ihre stumme Sprache (nämlich der Heringe) außerdem noch alles auszudrücken fähig sei.

Es wäre vielleicht zu weit hergeholt, wenn ich es geltend machen wollte, wie Hering an Hymen erinnere, und beide Worte unmittelbar eine etymologische Verwandtschaft haben, weil sie beide mit einem großen H anfangen und auch das kleine n in beiden vorkommt – aber deutlicher schon sprach der Umstand: daß sie ein Paar waren – die Haupt-Pointe aus, auf die es abgesehen war. Die blaue Farbe, die an den Himmel erinnert, bedeutete unsre beiderseitige Sanftmut, und die starke Einsalzung die Schärfe unsres Verstandes und attischen Witzes. Die unverwelkbaren Blätter schrien, sozusagen: Vergiß mein nicht! und spielten zugleich sehr deutlich auf die nie versiegende Wonne an, die wir empfinden würden, wenn wir uns erst ganz besäßen! Was aber, glaube ich, der Sache die Krone aufsetzte, war ohne Zweifel das artige Wortspiel, welches im Namen selbst liegt. Hering – her-Ring! Deutlicher und zugleich delikater (in jeder Bedeutung des Ausdrucks, denn frisch eingesalzene Heringe sind in Preußen und Sachsen eine Delikatesse) konnte ich meine Liebe und meine redlichen Absichten unmöglich erklären. Um jedoch ganz sicher zu sein, gehörig verstanden zu werden, legte ich oben darauf noch eine, auf chinesisches Reispapier zierlich gemalte und ausgeschnittene Rose, in deren Blättern ich mit schüchterner Hand folgende kleine Erstlinge meiner Muse verbarg:

Wem ist's so wohlig auf dem Grund,
Wer wird in blauer Flut gesund?
Der Hering.

Die Flut sind Deine blauen Augen,
O laß hinab in sie mich tauchen
Als Hering.

Ach, so erhöre doch mein Fleh'n,
Laß Schönste, ach laß es gescheh'n –
Gib her-Ring!

Wer sollte glauben, daß alles dennoch umsonst war! In schlichter Prosa antwortete mir die Frau Mutter ganz ungebunden und kurz: ihre Tochter bedaure sehr, von jeher eine idiosynkratische Abneigung gegen Heringe empfunden zu haben, so daß sie selbst die letzten Theaterstücke des berühmten Willibald Alexis nicht mehr sehen konnte, seitdem sie in Erfahrung gebracht, daß der Verfasser nur Hering heiße. Sie sende mir daher meine Fische nebst begleitender Poesie mit vielem Danke für die gute Meinung, in beifolgendem Korbe ergebenst zurück.

Glücklicherweise tröstet die Frömmigkeit ein wahrhaft von ihr ergriffenes Gemüt über alles, aber ich mußte wohl zwei Stunden in der Bibel lesen, ehe ich wieder hinlängliche Geduld und Fassung erhielt – und obgleich der Walfisch, welcher Jonas verschlang, und mit dem ich mich heute unterhielt, sehr groß war, so verschwand er doch jeden Augenblick in meiner Phantasie vor dem verhängnisvollen Herings-Paar.

In meinem Ärger (den ich leider immer noch nicht ganz besiegt habe) muß ich aber den erwähnten beiden Löschpapiernen nun auch etwas abgeben. Sie sollten doch in ihren Annoncen sich nicht nur richtiger Orthographie befleißigen, sondern auch auf den Sinn einige Rücksicht nehmen. Von den schmähligen Wurstbällen, Wisotzki, und Jungfern-Stechen, will ich nichts sagen, aber in einer Sammlung vaterländischer Merkwürdigkeiten, die ein Berliner Freund von mir angelegt hat, finde ich von besagten Zeitungen einige Blätter mit folgenden zwei Todes-Anzeigen von demselben unglücklichen Vater; und einer dritten, ältern Ankündigung zu einem Konzert.

  1. Heute nahm der liebe Gott, auf seiner Durchreise durch Teltow, meinen jüngsten Sohn Fritz, an den Zähnen zu sich.
  2. (Einen Monat später.) Heute nahm der liebe Gott schon wieder meine Tochter Agnese zur ewigen Seligkeit zu sich.
  3. Montag wird im hiesigen Schauspielhause ein Konzert gegeben. Der Ertrag der Einnahme ist zur Grundlage eines Unterstützungs-Fonds unsrer im Kampfe für das Vaterland gebliebenen Landsleute bestimmt.

Nun frage ich jeden , ob das nicht den Tod lächerlich machen heißt, gewiß eine schwere Sünde, auch wenn sie absichtslos begangen wird.

 

Soweit vorderhand unser Freund L...

Aber die Nacht wird blässer – schon dämmert das neue Licht. Ich sage also wie das Lied von Moore: Es ist schon Tag, d'rum gute Nacht. Ich sende Dir diesen langen Brief, den ein Bekannter morgen früh mit nach London nimmt, durch unsre Gesandtschaft, und schließe mit einem herzlichen Kuß, der, wohl eingesiegelt, hoffentlich die p... Douanen unangefochten passieren wird, und wenn ich zaubern könnte, sich für jeden unberufenen Leser in einen derben Nasenstüber verwandeln müßte.

Dein treuer L...


 << zurück weiter >>