Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den 16ten

Ich habe vortrefflich ausgeschlafen, und sitze nun im Gasthof am Meere, von der Reise ausruhend, und ergötze mich an den Schiff en, die auf allen Seiten die klare Flut durchziehen. Nach der Landseite zu ragt eine Burg, von schwarzem Marmor aufgebaut, aus den uralten Eichenkronen hervor. Mit diesem Schloß werde ich meine Ausflüge beginnen, und überhaupt hier, wo ich mich sehr gut aufgehoben sehe, mein Hauptquartier aufschlagen. Auch fand ich hier ganz unerwartet einen unterhaltenden Landsmann. Du kennst den geistreichen A..., der so mager ist, und doch so stattliche Waden besitzt, so elegant gekleidet und doch so sparsam, so gutmütig und doch so sarkastisch, so englisch und doch so deutsch erscheint. Kurz, A... frühstückte zum zweitenmal guten Appetits mit mir, und erzählte dabei die lustigsten Dinge. Er kam von S..., über welches er sich ohngefähr so vernehmen ließ:

Scherz und Ernst.

»Sie wissen, lieber Freund,« sagte er, »daß man in Wien jedem, der ein gebacknes Hendel essen, und NB. bezahlen kann, den Titel ›Euer Gnaden‹ erteilt – in S... nennt man dagegen jeden, der einen ganzen Rock trägt, in dubio, ›Herr ... Rat‹, oder noch besser, ›Herr Geheimer Rat‹, unbekümmert ob es ein wirklicher, oder nicht wirklicher (also bloß scheinbarer, phantasmagorischer) ein halber, d. h. ein pensionierter, ein ganzer, nämlich voll bezahlter, oder ein völlig unbefruchteter, eine tituläre Null sei. Sonderbar verschieden sind dabei die Attribute und die Funktionen dieses geheimnisvollen Rats-Wesens. Bald führt seinen Namen ein invalider Staatsmann in der Residenz, dem man aus Ehrfurcht für seine Altersschwäche, und zur Belohnung eines glücklich erlebten Jubiläums, eben den gelben Greifen umgehangen hat; oder ein nicht allzu tätiger, aber desto mehr von sich eingenommener Ober-Präsident in der Provinz, dem seine Verdienste bei der Durchreise eines fremden Souveräns, endlich zu Ehre und Orden verhelfen; hier ist es die rüstige Stütze der Finanzen, oder selbst der oder die rara avis, ein einflußreicher Mann nahe am Throne und dennoch ein bescheidener Mann voller Verdienst; dort aber schon wieder eine bloß vegetierende Exzellenz, die kein anderes Geschäft kennt als von Haus zu Haus gehend, veraltete Späße und Namenverdrehungen aufzutischen, die seit einem halben Jahrhundert das Privilegium haben, die crème de la bonne société in der Hauptstadt zu entzücken. Jetzt wird abermals ein genialer Mann daraus, der als Dichter und Mensch erfreut, und nie einen andern als den geraden Steg betritt – weiterhin repräsentiert es ein zwar weniger glänzendes, aber desto mehr umfassendes Genie, welches, obgleich der Themis eigen, auch ebensogut unter den Sternen, sowohl des Himmels als des Theaters, Bescheid weiß. Endlich verwandelt sich dieser Proteus gar in einen Cameralisten, berühmten Schafzüchter und Ökonomen, der seine Felder – und späterhin in einen Doktor, der die Kirchhöfe düngt; auch bei der unüberwindlichen Landwehr ist er zu finden, und PostDie Post soll übrigens in jenem Reiche durchaus Extra-Post sein, und manche es sehr bedauern, daß sie nicht noch einen größern Teil der Staatsmaschine fährt, um dem jubilarischen Stillstand einen neuen Anstoß zu geben. A. d. H. , wie Lotterie, ja Garderobe selbst, vermögen nicht ohne ihn zu bestehen. Der Hof-Philosoph, der Hof-Theologe, der Hof-Jakobiner, alle bieten sich am Ende die Hand als geheime Räte – sie sind es, waren es oder werden es sein – kurz, kein Land scheint in dieser Hinsicht mehr beraten, und zugleich geheimer! Denn so bescheiden sind diese zahllosen Räte – daß sie oft nichts geheimer halten, als ihr Talent.

Aber eine wahre Freude ist es dagegen, zu sehen, mit welcher unbefangenen, ja rührenden bonhomie sie sich selbst untereinander Titel geben und Ehre erzeigen, jeder dem andern sein Prädikat noch um eine Stufe höher schraubend, zur Dankbarkeit aber, wie sich von selbst versteht, dasselbe wiederum von ihm erwartend. Die verschiedenen Zusätze und Wendungen, die das arme Wort ›geboren‹, dabei erleiden muß, blieben gewiß jedem Fremden, der hier die deutsche Sprache erlernen wollte, ein mystisches Rätsel. Ohne mich in dieses Labyrinth weiter hinein zu begeben, erwähne ich bloß, daß ›geboren‹ allein, auch der Bettler auf der Straße nicht mehr sein will, und ›Edelgeboren‹ eine empfindliche Beleidigung für die unteren, so wie ›Wohlgeboren‹ für die obern, auch nicht-adlichen, Staatsbeamten zu werden anfängt. Ich für meine Person schrieb hier stets an meinen Schneider: ›Hochwohlgeborner Herr‹. Es war dies allerdings ein berühmter Mann, ein Nachkomme des bekannten Freundes Robinson Crusoës, der durch den kühnen und unnachahmlichen Schnitt seiner Uniformen eine welthistorische Wichtigkeit erlangt hat. Er war also auf alle Weise wenigstens des Verdienstadels würdig.Ich kenne übrigens Züge von diesem Künstler, die manchem industriellen Edelmann unserer Zeit zur Ehre gereichen wurden, z. B. der, daß er seine Rechnungen nur alle fünf Jahre einschickt, und der großmütigste Gläubiger aller Isolanis der Armee ist.

Avis aux lecteurs!

Um in solcher willkürlichen Titelerteilung und Empfangung nicht geniert zu sein, ist es hier auch so vorteilhaft eingerichtet, daß bei der größten Rangsucht doch eine wirkliche bindende Rang-Ordnung gar nicht existiert, weder bei Hofe, noch durch die Geburt bestimmt, oder durch gesetzwerdende Meinung und Gewohnheit in der Nation begründet. Zuweilen ist es Geburt, öfter das Amt, bald Verdienst, bald Gunst, bald auch nur unwiderstehliche Impertinenz, welche den Vorrang gewährt, wie es Zufall und Umstände fügen. Dies gibt nun zu besondern Anomalien Anlaß, die einem alten Edelmanne, wie ich bin, einen Baron von Tunderdendronk, qui ne saurait compter le nombre de ses ânes, wie jener p... General sagte – gar nicht in den Kopf wollen. Klagen, Sorgen und Not haben deshalb auch kein Ende in der Gesellschaft; nur eine gewisse lustige und vortreffliche alte Dame weiß einzig und allein, fast überall, und bei jeder Gelegenheit, den ersten Rang zu behaupten – weil sie mit vielem Geist viele körperliche Kräfte und persönliche Tapferkeit verbindet, und durch diese vereinten Eigenschaften bald mit Witz, bald mit göttlicher Grobheit, bald auch, wenn nichts anders helfen will, mit einem derben Fauststoß, bei Hof- und andern Festen sich als die erste geriert, und die Erste bleibt. Ich weiß unter andern von guter Hand, daß die Gräfin Kakerlack bei einem der Höfe (denn es gibt deren mehrere hier) sich durch eine Hof-Kabale zurückgesetzt fühlte, und auf den Rat ihres Freundes, des Starostes von Pückling, sich direkt an den stets gerechten und billigen Regenten wandte, und offiziell um die Bestimmung ihres Ranges bat. Man erteilte ihr hierauf auch diesen, unmittelbar nach der Fürstin Bona, welche (hier einmal der Verdienste ihres seligen Mannes wegen) den ersten inne hat – und der Großwürdenträger, Fürst Weise, brachte ihr selbst diese Ordre. ›Aber‹, sagte er, ›liebste Gräfin, der Baronin Stolz müssen sie doch den Rang lassen, denn was wollen Sie mit Ihrer schlanken Taille gegen die ausrichten? Ein einziger Ellenbogenstoß, und Sie sind lahm auf ewig! Also lassen Sie die immer vorgehn, denn Sie wissen, die Polizei selbst fürchtet sich vor der, seit der famosen Einladung, die sie vor einigen Jahren an dieselbe ergehen ließ.‹

Der Kraft muß alles weichen, und dies beweiset auch wie schwierig es ist, bloß dem Verdienste, ohne allgemein ausgesprochene Regel, den Vorrang zuzugestehen; denn Verdienst ist ja so relativ! Wenn der General, der Minister groß sind, wer kann leugnen, daß auch der vortreffliche Koch, die liebenswürdige Operntänzerin ein großes Verdienst besitzen? Dies haben ja, wie uns die Geschichte lehrt, selbst Monarchen und Staaten stets anerkannt. So muß z. B. in England, wo in der Regel nur Adelstitel Rang gewähren (beiläufig gesagt wohl der sicherste, und dem Königtume gemäßeste AnhaltN.B. wenn der Adel darnach beschaffen, d. h. wahrer National-Adel ist, so wie ihn England zum Teil besitzt, oder auch wie ihn Grävell in seinem »Regenten« gut definiert. A. d. H. ) der große Feldmarschall und Premier-Minister Wellington, dem kleinen, zwar bekannten, aber keineswegs berühmten, Herzoge v. St. Albans nachgehen, weil dieser junge Mann ein älterer Herzog ist, d. h. das Verdienst seiner Ahnfrau, der Schauspielerin Nell Gwynn, Mätresse Carls des II. – älter ist, folglich das Prioritäts-Recht ausübt, vor dem spätern Verdienste des Herzogs von Wellington.

In der hiesigen Hauptstadt ist es anders. Man ist in der Regel an zu schlechtes Essen gewöhnt, um einen guten Koch sehr hoch anzuschlagen, und ist neuerlich allgemein zu tugendhaft geworden, um Mätressen zu halten. Von Verdienstschätzung ist auch nicht sonderlich mehr die Rede.Hier meint mein seliger Freund ohne Zweifel nur, in der Schätzung gewisser Beamten, die aus guten Gründen die Mittelmäßigkeit über alles lieben – denn nirgends geht von höchster Stelle wohl edlere Würdigung des Verdienstes aus, als gerade dort, wenn ich anders den gemeinten Ort richtig deute. Das ganze Land sah davon erst kürzlich ein allgemein erfreuendes Beispiel in der zarten Auszeichnung des verehrten Staatsmannes, der, an der höchsten Stelle stehend, bewiesen, daß er auch die höchsten Ansprüche darauf hat. Gibt es Einen, der noch an dem letztern zweifelt – so ist es gewiß nur er selbst. A. d. H. Was eigentlich und hauptsächlich jetzt hier Rang und Ansehen gibt, ist: Diener zu sein, des Staates oder Hofes, n'importe lequel, et comment. Beati possidentes – denn auch hier waltet das gute deutsche Sprichwort: Wem Gott das Amt gibt, dem gibt er auch Verstand! Die Bureaukratie ist an die Stelle der Aristokratie getreten, und wird vielleicht bald auch ebenso erblich werden. Schon jetzt kann selbst das Gouvernement keinen seiner Beamten mehr ohne Urteil und Recht entlassen, die Stelle im Staatsdienst die jeder inne hat, wird für sein möglichst bestbegründetes Eigentum angesehen, und es ist nicht zu verwundern, daß überall Beamtete diese Einrichtung bis in den Himmel erheben. Sonderbar, daß demohngeachtet alle Staaten mit einer freien Verfassung, wo nämlich als Prinzip angenommen ist, daß die Nation, und kein bevorrechter Stand, selbst nicht der ihrer Diener, die Hauptsache sei, einem ganz andern Systeme folgenWenn ich nicht gewiß wüßte, daß mein Freund diese Stelle anno 1828 geschrieben hätte, so würde ich sie für eine Reminiszenz aus der Antritts-Rede des Präsidenten Jackson halten. Dieser will gar, daß die sämtlichen Beamten der vereinigten Staaten (mit wenigen Ausnahmen) gleich dem Präsidenten, alle fünf Jahre andern Platz machen sollten. Eheu, iam satis! Was würden unsere Regierungs-Räte zu einer solchen Wirtschaft sagen! Ganze General-Kommissionen könnte davon, im eigentlichsten Sinne des Worts, der Schlag rühren! Denn, wer weiß, wenn in 5 Jahren es an die Renovierung ginge, ob man ihre Beibehaltung überhaupt noch der Mühe, ich wollte sagen, des Geldes, was sie kosten, wert finden würde. A. d. H. . Der nicht dienende Bürgerstand ist auf andere Weise in seiner Unbeachtetheit glücklich. Er genießt seine Wohlhabenheit con amore, und als Salz des Lebens führt er Prozesse, wozu ihm die Justiz gern allen erdenklichen Vorschub leistet. Auch der Kaufmann, sowohl christlichen als vorchristlichen Glaubens findet sein Konto und wenn er es anzufangen weiß, auch nützliche Protektion – ja recht viel Geld zu besitzen, ist beinahe so viel wert als wirklicher Geheimrat zu sein, und die reichen Banquiers, wenn sie ein gutes Haus machen, werden zu den privilegierten Ständen gerechnet, auch manchmal dafür in den Adelsstand erhoben.

So behelfen sich denn viele aufs beste; nur mit dem armen Adel, besonders dem alten (insofern er nicht auch in den sichern Hafen der Bureaukratie eingelaufen ist), sieht es kläglich aus! Ohne Geld und freien Grundbesitz, seine Adels-Titel ins Unendliche vervielfältigend, und seine Stammgüter ins Unendliche teilend, ohne Anteil an der Gesetzgebung als den, welcher ihm in einer ständischen Schule vergönnt wird, wo man ihn zur graduellen Ausbildung einstweilen nach Quinta gesetzt hat, von seinen früher innegehabten Stiftern und Pfründen schon längst abgelöstAblösen, regulieren, separieren – welcher Guts- und auch bäuerliche Besitzer in jenem aufgeklärten Lande kennt nicht die eigentliche Bedeutung dieser Worte! Schön und liberal, obgleich den Knoten etwas gewaltsam durchhauend, war die Idee des Gesetzes, aber wie wird es ausgeführt! Hierüber wäre ein Buch zu schreiben, und sollte geschrieben werden. Die Ausführung dieses Geschäfts ist nämlich vollkommen von der Art, wie ein gewisser Herr von Wanze als Pächter verkleidet den wohlhabenden Bauern zu A... auf ihrer Kirmes das Pharao lehrte. Ihr setzt Euer Geld, sagte er, ich teile die Karten rechts und links. Was links fällt, gewinne ich, was rechts fällt, verliert ihr. A. d. H. , von den Behörden mehr als billig gehudelt, ja oft wegen seiner so schlecht soutenierten Ansprüche nicht nur ausgelacht, sondern auch angefeindet und verfolgt, hat er, als Corporation, sein Ansehen beim Volke gänzlich verloren, und es bleibt ihm kaum eine andere wesentliche Eigenschaft mehr übrig, als die, zur einzigen Pflanzschule für Kammerherrn bei den verschiedenen respectiven Höfen der Hauptstadt zu dienen; immer noch ohne Zweifel ein beneidenswertes Los. –

Diese letztere Wahrheit wird auch gebührend von vielen erkannt, und manches Geistreiche darüber, besonders von einer berühmten Schriftstellerin als Vorfechterin, ausgesprochen, die seit geraumer Zeit mit ihrem Gemahl in einer Art gemeinschaftlichen Romanenwettlauf begriffen war, welcher jede Leipziger Messe dem erfreuten Publikum zwei bis drei dergleichen Produkte, zu ebensoviel Bänden das Stück, zu liefern pflegte. Das Merkwürdigste dabei war, daß die Werke des Mannes von der überschwänglichen Zartheit einer weiblichen Feder, die der Frau hingegen von etwas schwerfälliger männlicher Vielwisserei herzurühren schienen, ein Blei, das selbst die alchimistische Hand eines liebenswürdigen und geistreichen Prinzen nicht in Gold verwandeln konnte. Beide Schriften, besonders die erstern, haben indes ihre vogue erlebt, bis endlich die anmutig anzusehenden, und naiv kindlichen Nordlandshelden des edlen Ritters, die sich mit Zärtlichkeit duellierten, und mit klaren blauen Augen dem totgestochenen Freunde den Friedenskuß aufdrückten, ebenso wie seine wunderbaren Rosse, die über Felsenzacken galoppierten und durch Meere ihren Herren nachschwammen, ohngeachtet aller dieser wundervollen Gaben, Walter Scotts unbehosten Bergschotten weichen mußten.

Die poetischen Kammerjunker und gelehrten Teezirkel der gnädigen Frau waren bereits schon lange vorher, als ein wenig ausgetrocknet, verlassen worden. Ein solcher Teezirkel war es bekanntlich auch, in dem Ahasverus, wie wir in den Memoiren des Teufels lasen, nach so langer rastloser Wanderung zum erstenmal Ruhe fand, und selig entschlief. Seitdem sind die dicken Bände der berühmten Schriftsteller zu schmalen Erzählungen eingeschwunden, liebliche Ephemeren, die zwar nur einen Tag lebten, aber dafür sich auch nur an Höfen, in Kammern, unter Prinzen, Hofdamen und Fräuleins, Kammerherrn, Kammerjunkern und auch Hofkammerlakaien (denn nichts was dem Hofe angehört, ist gering zu schätzen) bewegen. Sogar spukende Kammern kamen neulich zum Vorschein; die Geister, welche erschienen, waren aber so matt, so sehr ausgemergelten Hofschranzen ähnlich, avec un tel air de famille, daß sie höchstens an eine Gänsehaut erinnerten, ohne sie jedoch zu erregen. Die Pikanteste von allen war ohne Zweifel diejenige, welche einst die Gesellschaft der Hauptstadt persiflierte, in der die arme Viola eine verdächtige Rolle spielte, und eine vornehme Dame auftrat die jene für große Summen an eine hohe Person verkauft haben sollte. Diese Geschichte war mit Recht eine moralische zu nennen, denn sie erweckte bei jedem Gutgearteten, der sie damals las, gewiß gerechten Abscheu vor Verleumdung und leichtsinniger Verdammung. Böswillige aber ergötzten sich auf andere Art daran – und so blieb das Ganze nicht ohne Wert, ein Meisterstück aber könnte man es nennen, wollte man es gegen alle die mittelalterlichen, jugend- und jammervollen, christlichen und zotenreißenden, italienisierenden und deutschtümelnden etc. Erzählungen halten, welche die Bedürfnisse unserer Journal- und Almanachs-Literatur jetzt myriadenweise hervorrufen, und von denen man zum Teil nicht einmal mit Schiller sagen kann, daß sich darin: ›wenn sich das Laster besp... die Tugend zu Tische setze. Es kommt hier weder zudem einen noch dem andern, sondern von Anfang bis zu Ende leidet man nur an dem geistigen pendant einer sogenannten Ekel-Kur. Nachdem vergebens nach allen Seiten gezielt worden ist, brennt zuletzt das Ganze dennoch ohne Explosion von der Pfanne, und weit entfernt, sich zu Tische zu setzen, bleibt der unglückliche Leser für lange Zeit von aller Nahrung degoutiert.Der Billigkeit gemäß, muß man jedoch zugeben, daß der Ausnahmen von dieser Schilderung auch viele sind. Wenn z. B. Goethe nicht verschmäht »einen Mann von 40 Jahren« unter die Unmündigen zu schicken, wenn Tieck sich unserer mit einer ganz echten Novelle erbarmt, L. Schefer, in seltsam sich durchkreuzenden Blitzen, Herz und Geist zu berühren weiß, Kruse eine Kriminal-Geschichte anmutig macht, oder irgend eine Therese, Friederike etc., die, sonst so undurchdringlichen, Geheimnisse weiblicher Herzen enthüllt (der Verdienst anderer Haupterzähler, der Kürze wegen, gar nicht einmal zu erwähnen) so sieht man wohl, daß einige Hand-Arbeiter gar gute und vollständige Ware liefern könnten – wenn nicht bereits die ganze Fabrik durch das Maschinen-Wesen verdorben wäre. A. d. H.

Doch auf die gelehrte und liebenswürdige Dame zurückzukommen, von der eben die Rede war, so spielte zu der Zeit, als ich in den dortigen Regionen verweilte, um die Wintersonne ihres Hof- und Schriftglanzes, ein seltsamer Insektenschwarm, in der großen Welt eine coterie genannt – welche, soviel ich weiß, noch jetzt als Grundsatz aufstellt (wer hätte heutzutage nicht Grundsätze!): daß der Adel wirklich von einer andern Sorte Blut, als andere Menschen, durchströmt werde, und nur höchstens im Wege der Impfung ein gemeiner Baum noch veredelt werden möge, z. B. durch natürliche Kinder großer Herren u. s. w. Dieser Adel bleibe also vor allem rein und abgeschlossen, lehrt sie, er entehre sich weder durch Industrie noch gemeinnützige Spekulationen, welches eine gewisse Frau von Tonne, in einer sehr gehaltreichen Schrift, als einen Hauptgrund des Verfalles des Adels im Lande aufführt. Etwas schriftstellern und künstlern (auch für Geld, ja selbst für bürgerliches Geld) bleibt jedoch dem Adel erlaubt, wie man überhaupt Künstlern eine Mittelstufe zwischen Adeligen und Bürgerlichen gestattet. Konstitutioneller, hoher Adel und repräsentative Verfassung ist dagegen keineswegs nach dem Geschmack dieser Partei, aus dem sehr natürlichen Grunde, weil unter solchen fatalen Umständen ihr eigner Adel, dessen Alter sie selbst allein genau kennen, und dessen verschuldeter Landbesitz sich in tausend kleine Anteile bis zur mikroskopischen Unentdeckbarkeit versplittert hat – zu dem schrecklichen Lose verdammt sein würde, in der Kammer der Gemeinen (wo noch?) Platz nehmen zu müssen. Wer kann es ihnen daher verdenken, wenn sie in solcher Lage die Kammer des Prinzen vorziehen, besonders wenn sie Herren darinnen werden können – doch das verhüte Gott! Hoffentlich bleiben sie hier immer nur tituläre, nicht wirkliche geheime Räte und Kammer herren

(Die Fortsetzung ein andresmal)


Abends

Ich konnte es doch nicht so lange aushalten, in der Stube sitzen zu bleiben; das Schloß vor meinen Fenstern lockte zu mächtig! Ich bestieg also gleich nach A...s Abreise einen Bergklepper, und ritt wohlgemut darauf zu. Dieses merkwürdige Gebäude ist von einem in jeder Hinsicht steinreichen Manne aufgeführt; denn seine, eine Stunde weiter im Gebürge liegenden Steinbrüche, bringen ihm jährlich 40 000 L. St. Er hat an einer der vorteilhaftesten Stellen, am Ufer des Meeres, einen weitläufigen Park angelegt, und die sonderbare, aber meisterhaft ausgeführte, Idee gehabt, alle Gebäude darin in dem altsächsischen Stil zu erbauen. Man schreibt diese Architektur fälschlich in England den Angelsachsen zu, da sie doch von den sächsischen deutschen Kaisern herrührt, und gewiß keines dieser vielfachen Monumente älter ist. Schon die den Park umgebende, wohl eine deutsche Meile fortlaufende hohe Mauer, erhält dadurch ein seltsames Ansehen, daß in ihrer obern Schicht 3 bis 4 Fuß hohe, aufrecht stehende, unegale, spitzige Schieferstücke eingemauert sind, eine zugleich sehr zweckmäßige Vorrichtung. Bei jedem Eingang droht ein turmartiges Fort mit Fallgittern u. s. w. dem Eindringenden (kein übles Symbol für die Illiberalität der modernen Engländer, die ihre Gärten und Besitztümer strenger als wir unsere Wohnstuben verschließen), dann muß der Besucher noch eine Zugbrücke passieren, ehe er den dunklen Torweg der imponierenden Burg betritt. Der schwarze, nur roh bearbeitete, Marmor von der Insel Anglesey, aus dem die großen Massen bestehen, harmoniert wunderbar mit dem majestätischen Charakter der Gegend. Bis in die kleinsten Details, selbst die Stuben der Bedienten, und noch geringere Plätze nicht ausgenommen, ist mit genauer Sorgfalt alles reiner »old Saxon Style«. Im Eßsaal fand ich eine Nachahmung des Dir früher beschriebenen Schlosses Wilhelms des Eroberers zu Rochester. Was damals nur ein großer Monarch ausführen konnte, realisiert jetzt als Spielwerk, nur noch größer, schöner und kostbarer, ein simpler Landgentleman, dessen Vater vielleicht mit Käsehandel anfing. So ändern sich die Zeiten! Der Grundplan des Gebäudes, den mir der gefällige Architekt vorlegte, gab Gelegenheit zu einigen häuslichen Informationen, die ich Dir hier mitteile, weil fast alle englischen größeren Landhäuser so eingerichtet sind, und sie, wie so vieles, die Zweckmäßigkeit englischer Gebäude dartun. Die Dienerschaft hält sich nie im Vorzimmer, hier ›die Halle‹ genannt, auf, welche immer wie die Ouverture bei einer Oper, den Charakter des Ganzen anzudeuten sucht. Sie ist gewöhnlich mit Gemälden oder Statuen geschmückt, und dient, wie die elegante Treppe und alle übrigen Zimmer, nur zum beliebigen Aufenthalte der Familie und Gäste, welche sich lieber manchmal selbst bedienen, als immer einen solchen dienenden Geist hinter ihren Fußstapfen wissen wollen. Die Bedienten sind daher alle in einer entfernteren großen Stube (gewöhnlich im rez-de-chaussée) versammelt, wo sie auch zusammen, ohne Ausnahme, männliche und weibliche, zu gleicher Zeit essen, und wo alle Klingeln aus dem Hause ebenfalls aboutieren. Diese hängen in einer Reihe numeriert an der Wand, so daß man sogleich sehen kann, von woher geklingelt wird; an jeder ist noch eine Art pendulum angebracht, das sich 10 Minuten lang, nachdem die Klingel schweigt, noch fortbewegt, um den Saumseligen an seine Pflicht zu erinnern!Diese Penduln können also von einem spitzfindigen Bedienten, je nachdem sie längere oder kürzere Zeit nachschwingen, zugleich als ein Thermo- oder Hygrometer der Geduld ihrer respektiven Herrschaften benutzt werden. A. d. H. Das weibliche Personal hat gleichfalls ein großes Versammlungszimmer, worin es, wenn nichts anderes vorkommt, näht, strickt und spinnt. Daneben befindet sich ein Behältnis zum Reinigen der Glaswaren und des Porzellans, welches den Mädchen obliegt. Jede von diesen, so wie die männlichen Diener, haben im obersten Stock ihre besondere Schlafzelle. Nur die Ausgeberin (housekeeper) und der Haushofmeister (butler) bewohnen unten ein eignes Quartier. Unmittelbar an das der Ausgeberin anstoßend ist die Kaffeeküche und die Vorratskammer für alles, was zum Frühstück nötig ist, welche, in England wichtige, Mahlzeit speziell zu ihrem Departement gehört. Auf der andern Seite ist ihr Waschetablissement, mit einem kleinen Hofe verbunden; es besteht aus 3 pièces, die erste zum Waschen, die zweite zum Plätten, die dritte bedeutend hohe, welche mit Dampf geheizt wird, zum Trocknen bei schlechtem Wetter. Neben des Haushofmeisters Logis befindet sich seine pantry, ein geräumiges feuerfestes Zimmer mit rund umherlaufenden Schränken, wo das Silber aufbewahrt wird, das er auch hier putzt, sowie die zur Tafel nötigen Glas- und Porzellanwaren, die ihm, sobald sie von den Mädchen rein gemacht sind, welches alles sehr pünktlich geschieht, sogleich wieder abgeliefert werden müssen. Aus der pantry führt eine verschlossene Treppe in die Bier- und Weinkeller, welche der butler ebenfalls unter sich hat.

Ein sehr romantischer Weg brachte mich, erst durch den Park, dann am Saum eines schön bewaldeten Bergstroms hin, in einer Stunde nach dem Schieferbruch, der 6 Meilen vom Schloß im Gebürge liegt. Aus den Dir bereits genannten Einkünften kannst Du Dir denken, welch ein bedeutendes Werk dies ist. Fünf bis sechs hohe Terrassen von großem Umfang steigen an den Bergen empor, und auf ihnen wimmelt alles von Menschen, Maschinen, Prozessionen von hundert aneinander gehängten, schnell auf Eisenbahnen hinrollenden Wagen, Lasten heraufziehenden Kränen, Wasserleitungen, und so weiter. Ich brauchte ziemlich lange, um das Ganze nur flüchtig zu besehen. Um zu einem entfernteren Teile des Werks zu gelangen, wo man eben die Felsen mit Pulver sprengte, was ich zu sehen wünschte, mußte ich mich auf einem der kleinen Eisenwagen, die zum Transport des Schiefers dienen, durch eine pechschwarze, nur vier Fuß hohe und vierhundert Schritt lange, durch den Felsen gehauene Galerie auf dem Leibe liegend fahren lassen. Dies geschah vermittelst einer Winde. Es ist eine höchst fatale Empfindung, sich durch diese schmale Schlucht mit tausend unregelmäßigen Zacken, welche man, am Eingange wenigstens, deutlich sieht, bei ägyptischer Finsternis mit großer Schnelle durchreisen zu lassen, welches Fremde auch gewöhnlich ablehnen. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß wenn man, ohngeachtet der beruhigenden Versicherung des Führers, der zuerst vorausfährt, nun dennoch an irgendeine dieser Zacken anstieße, man auch unfehlbar ohne Kopf an der andern Seite ankäme. Nach Passierung dieser Galerie mußte ich noch auf einem, nur zwei Fuß breiten Wege ohne Geländer, am Abgrunde hinwandern, bis ich durch die zweite niedrige Höhle endlich zu dem gewünschten, in der Tat schaudervoll prächtigen Ort, gelangte. Hier schien man sich schon in der Unterwelt zu befinden! Die mehrere hundert Fuß hohen, spiegelglatten, abgesprengten Schieferwände ließen vom blauen Himmel kaum so viel noch sehen, um Tag von Dämmerung unterscheiden zu können. Der Boden, auf dem wir standen, war gleichfalls abgesprengter Felsen, und in der Mitte bereits ein tiefer Spalt, von ohngefähr sechs bis acht Fuß Breite, schon weiter herunter gearbeitet. Über dieser Schlucht amüsierten sich einige Kinder der Steinarbeiter, halsbrechende Sätze zu machen, um ein paar Pence dafür zu verdienen; an den Felsenwänden aber hingen überall Bergleute, gleich schwarzen Vögeln mit ihren langen Eisen pickend, und Schieferblöcke mit Geprassel herunterwerfend. Doch jetzt schien das ganze Gebürge zu wanken, lauter Warnungsruf erschallte von mehreren Seiten, die Pulvermine sprang. – Ein großer Felsen löste sich nun von hoch oben langsam und majestätisch ab, stürzte gewaltig in die Tiefe, und während Staub und abspringende Steinstückchen die Luft gleich dickem Rauch verfinsterten, hallte der Donner im wilden Echo rings um uns wider. Diese, fast täglich an verschiedenen Orten des Steinbruchs notwendigen, Operationen sind so gefährlich, daß, nach der eignen Versicherung des Direktors, man bei dem ganzen Werk im Durchschnitt jährlich auf 150 Verwundete und 7 bis 8 Tote rechnet; ein zu diesem Behuf eigens bestimmtes Hospital nimmt die Blessierten auf, und ich selbst begegnete beim Herreiten, ohne es zu wissen, der Leiche eines vorgestern Gebliebenen, car c'est comme une bataille. Die Leute waren so aufgeputzt und mit Bergblumen geschmückt, daß ich die Prozession im Anfang für eine Hochzeit hielt, und fast erschrak, als auf meine Frage, wo der Bräutigam sei, einer der Begleiter schweigend auf den nachfolgenden Sarg wies. Nach der Äußerung des Direktors ist jedoch die Hälfte der Unglücksfälle der Apathie der Arbeiter selbst zuzuschreiben, die, obgleich jedesmal gewarnt, dennoch in der Regel zu sorglos sind, um sich bei der Explosion zur rechten Zeit und weit genug zu entfernen, und da der Schiefer sich oft in platten messerscharfen Stücken ablöst, so ist ein unbedeutendes, in weite Ferne geschleudertes Stück der Art hinlänglich, dem Manne, den es trifft, die Hand, ein Bein oder gar den Kopf rein abzuschneiden, welcher letztere Fall, wie ich hörte, einmal wirklich vorkam. Da wir selbst von dem Feuer nicht zu weit entfernt standen, so benutzte ich den Wink, und machte wieder linksum, durch die höllische Galerie, um mir die friedlicheren Arbeiten zu besehen. Diese haben vielfaches Interesse. So kann z. B. Papier nicht zierlicher und schneller beschnitten werden, als hier die Schiefertafeln, und kein Kienblock kann leichter und netter spalten, als die Steinplatten, die der Arbeiter mit geringer Mühe durch einen einzigen Schlag des Meißels in Scheiben wie die dünnste Pappe, und von 3 bis 4 Fuß im Durchmesser, zerteilt. Der rohe Stein kommt aus den eben beschriebenen Regionen sämtlich auf wahren Pariser Rutschbergen zum Verarbeiten herab, und wie dort bringt die Kraft der herabrollenden beladenen Wagen auch die leeren wieder hinauf. Die Eisenbahnen sind hier nicht, wie gewöhnlich, konkav, sondern konvex, und die Wagenräder entsprechend.


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