Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Llangollen, den 15ten

Wenn ich die Ehre hätte der ewige Jude zu sein, (und Geld muß dieser doch wenigstens ad libitum haben) so würde ich ohne Zweifel einen großen Teil meiner Unsterblichkeit auf der Landstraße zubringen, und dies namentlich in England. It is so delightful für jemand, der fühlt und denkt wie ich. Fürs erste stört und geniert mich keine menschliche Seele; ich bin, wo ich gut bezahle, überall der Erste (den herrschsüchtigen Menschenkindern immer ein angenehmes Gefühl) und habe nur mit freundlichen Gesichtern, und Leuten zu verkehren, die voll Eifer sind, mir zu dienen. Fortwährende Bewegung, ohne Übermüdung, erhält den Körper gesund, und die stete Veränderung in schöner freier Natur, hat dieselbe stärkende Wirkung auf den Geist. Dazu, gestehe ich, geht es mir zum Teil wie dem Doktor Johnson, der behauptete: das größte menschliche Glück sei, in einer guten englischen postchaise mit einem schönen Weibe rasch auf einer guten englischen Chaussee zu fahren. Auch für mich ist es eine der angenehmsten Empfindungen, in einem bequemen Wagen dahinzurollen, und mich gemächlich darin auszustrecken, während mein Auge sich an den, wie in der laterna magica, immer wechselnden Bildern ergötzt. Nachdem sie verschieden sind, erregen sie meine Phantasie bald ernst, bald heiter, tragisch oder komisch, und mit großem Vergnügen male ich dann in mir selbst die gegebenen Skizzen aus; und welche gigantische, launige, seltsame Gestalten nehmen sie dann oft mit Blitzesschnelle an, gleich Wolkenbildern vor meinem Geiste auf und nieder wogend! Findet sich jedoch die Phantasie einmal träge, so lese und schlafe ich gottlob mit gleicher Leichtigkeit im Wagen. Meine Packerei ist keine Plackerei, um mit dem Kapuziner zu reden, sondern so vortrefflich eingerichtet (durch lange Erfahrung), daß ich ohne embarras, und ohne meinen Dienern das Leben zu sauer zu machen, stets im Augenblick das Verlangte erhalten kann. Zuweilen, wenn das Wetter gut und die Gegend schön ist, spaziere ich auch wohl meilenweit zu Fuße, enfin erlange ich hier allein vollkommene Freiheit – und als letztes endlich darf ich den Genuß, über alles dies meiner Herzensfreundin in einer Ruhestunde zu schreiben, auch nicht gering anschlagen. Doch nun zur Sache! Ich fuhr die Nacht durch, nachdem ich am Abend noch ein seltsames Spiel am Himmel erlebt hatte. Auf der Höhe eines Berges glaubte ich vor mir ein riesenmäßiges schwarzes Gebürge, und am Fuß desselben einen unermeßlichen See zu erblicken. Es dauerte lange, ehe ich mich überzeugen konnte, daß ich nur eine optische Täuschung, durch Nebel und verschiedene Wolkenschichten gebildet, vor mir hatte. Der obere Himmel war nämlich lichtgrau und ohne Schattierung, gegen ihn aber lag eine ganz schwarze Wolkenmasse in Form des wildesten Gebürges, deren obere Linie, kühn gezeichnet, vielfach auf und nieder stieg, während die untere durch eine Nebelschicht völlig horizontal abgeschnitten war. Dieser Nebel nun schien ein auf beiden Seiten unabsehbares silberweißes Wasserbecken zu bilden, und da an ihm, unmittelbar zu meinen Füßen, sich der grüne Vorgrund, ein bewaldetes, sonniges Wiesenland anschloß, so erreichte die Täuschung wirklich einen seltenen Grad! Nur nach und nach, wie ich den Berg hinabfuhr, verschwand das zauberartige Bild in der Luft. Die schönste Wirklichkeit erwartete mich dagegen heute früh in Wales. Der Traum der Wolken schien mir im voraus die Herrlichkeit des Tales von Llangollen verkünden haben zu wollen, eine Gegend, die nach meinem Urteil alle Schönheiten der Rheinländer weit übertrifft, und dabei eine ganz besondere Originalität in den ungewöhnlich geformten Spitzen und jähen Abhängen der Berge ausspricht. Ein reißender Fluß, die Dee, windet sich in tausend phantastischen Krümmungen, die dichtes Laubholz überschattet, durch den Wiesengrund, woraus schroff auf beiden Seiten hohe Berge emporsteigen, die bald mit uralten Ruinen, bald mit modernen Landhäusern, zuweilen auch mit Fabrikstädtchen, deren turmhohe Feueressen dicken Rauch emporwirbeln, oder auch mit grotesken, einsam stehenden Felsengruppen, gekrönt sind. Die Vegetation ist durchgängig reich, und Berg und Tal voll hoher Bäume, deren mannigfache Farbenschattierungen so unendlich viel zur Anmut und dem Malerischen einer Landschaft beitragen. In dieser üppigen Natur erhebt sich, mit um so grandioserem Effekt, eine einzige lange, schwarze, kahle Bergwand, nur mit dichtem, dunklem Heidekraut bedeckt, die sich geraume Zeit längs der Straße hinzieht. Diese prächtige Straße, von London bis Holyhead (200 Meilen)Wo andere Meilen nicht ausdrücklich genannt sind, ist immer von englischen die Rede, deren bekanntlich vier und eine halbe auf die deutsche Meile gehen. A. d. H. so eben wie ein Parkett, führt hier an der Seite der linken Bergkette entlang, ohngefähr in der Mitte ihrer Höhe, und allen ihren Krümmungen folgend, so daß, während man im scharfen Trabe und Galopp dahinfährt, fast jede Minute sich die Ansicht völlig umwandelt, und man, ohne seinen Sitz zu verändern, abwechselnd das Tal bald vor sich, bald seitwärts, bald rückwärts übersieht. An einem Ort führt eine Wasserleitung aus 25 schlanken Steinbogen, ein Werk, das den Römern Ehre gemacht haben würde, mitten durch das Tal und über den Dee, so einen zweiten Fluß, 120 Fuß über dem andern, hinströmen lassend. Das Bergstädtchen Llangollen gewährt nach einigen Stunden ein köstliches Ruheplätzchen, und ist mit Recht seiner lieblichen Gegend wegen so häufig besucht. Die schönste Aussicht hat man vom Kirchhofe, neben dem Gasthaus, wo ich vor einer halben Stunde, auf ein Grabmonument geklettert, stand, und mich, mit herzlicher Frömmigkeit glückselig des schönen Anblicks freute. Unter mir blühte ein terrassenförmiges Gärtchen mit Wein, Jelängerjelieber, Rosen und hundert bunten Blumen, die wie zum Bade bis an den Rand des schäumenden Flusses hinabstiegen; rechts verfolgte mein Blick die emsig murmelnden gekräuselten Wellen zwischen dicht herabhängendem Gebüsch; vor mir erhob sich eine doppelte Waldregion, durch Wiesenflächen mit weidenden Kühen abgeteilt, und über alles hoch oben die kahle konische Spitze eines vielleicht ehemaligen Vulkans, den jetzt die düstern Ruinen der uralten welschen Burg, Castel Dinas Bran, zu deutsch: die Krähen-Veste, wie eine Mauerkrone, decken; links zerstreuen sich die steinernen Häuser des Städtchens im Tal, und neben einer malerischen Brücke bildet der Fluß hier einen ansehnlichen Wasserfall; dicht hinter diesen angelehnt aber stellen sich, gleich Riesenwächtern, drei große Bergkolosse majestätisch vor, und verschließen dem Auge alle fernern Geheimnisse der wunderbaren Gegend. Erlaube nun, daß ich – vom Romantischen zum vielleicht weniger feinen, aber doch auch keineswegs zu verachtenden Sinnengenuß zurückkehrend – mich nach inwärts wende, das heißt, nach der Stube, wo mein durch die Bergluft ungemein vermehrter Appetit, mit nicht geringem Wohlbehagen, auf dem schön geblümten irländischen Damasttuch, dampfenden Kaffee, frische Perlhuhneier, dunkelgelbe Gebirgsbutter, dicken Rahm, Toast, MuffinsEine Art lockerer Semmel mit krokanter Rinde, die heiß mit Butter gegessen wird. A. d. H. , und zuletzt zwei eben gefangene Forellen mit zierlichen roten Fleckchen erblickt – ein Frühstück, das Walter Scotts Helden in den Highlands nicht besser von diesem großen Maler menschlicher Notdurft erhalten könnten. Je dévore déjà un œuf – adieu.


Bangor, abends

Der Regen, der mich von London, mit kurzen Intervallen, stets begleitet hat, blieb mir auch heute treu, doch scheint sich nun das Wetter zum Guten ändern zu wollen. Ich habe indes allerlei zu erzählen und einen interessanten Tag zu beschreiben. Also, noch zur rechten Zeit, ehe ich Llangollen verließ, fielen mir die beiden berühmten Jungfern (gewiß die berühmtesten in Europa) ein, welche in diesen Bergen nun bereits über ein halbes Jahrhundert hausen, von denen ich schon einst als Kind, und jetzt wiederum in London viel erzählen hörte. Du hast gewiß auch durch Deinen Vater Kunde von ihnen vernommen. Si non, voilà leur histoire. Vor 56 Jahren kam es zwei vornehmen, jungen, hübschen und fashionablen Damen in London, Lady Eleanor Butler und der Tochter des eben verstorbenen Lord Ponsonby, in ihre Köpfchen, die Männer zu hassen, nur sich zu lieben und zu leben, und von Stunde an, als Zweisiedler in eine Einsiedelei zu ziehen. Der Entschluß wurde sofort ausgeführt, und nie haben beide Damen seit dieser Zeit auch nur eine Nacht außer ihrer cottage geschlafen. Dagegen reist kein Mensch nach Wales, der präsentabel ist, ohne sich einen Brief oder Empfehlung an sie mitgeben zu lassen, und wie man behauptet, interessiert sie scandal noch heute eben so sehr, wie damals, als sie noch in der Welt lebten, und ihre Neugierde, alles, was in dieser vorgeht, zu hören, soll sich ebenfalls gleich frisch erhalten haben. Ich hatte von mehreren Damen zwar Komplimente für sie, aber keinen Brief, den ich zu verlangen vergessen, und schickte daher nur meine Karte, entschlossen, wenn sie meinen Besuch ablehnten, wie man mich befürchten machen wollte, die cottage zu erstürmen. Rang öffnete aber hier leicht die Türen, und ich erhielt sofort eine graziöse Einladung zu einem zweiten Frühstück. In einer Viertelstunde langte ich in der reizendsten Umgebung, durch einen netten pleasure-ground fahrend, bei einem kleinen geschmackvollen gotischen Häuschen an, gerade der Krähenveste gegenüber, auf die mehrere Aussichten durch das Laub hoher Bäume gehauen waren. Ich stieg aus, und wurde schon an der Treppe von beiden Damen empfangen. Glücklicherweise war ich bereits gehörig auf ihre Sonderbarkeiten vorbereitet, sonst hätte ich schwerlich gute contenance erhalten. Denke Dir also zwei Damen, wovon die älteste, Lady Eleanor, ein kleines rüstiges Mädchen, nun anfängt, ein wenig ihre Jahre zu fühlen, da sie eben 83 alt geworden ist; die andere aber, eine große imponierende Gestalt, sich noch ganz jugendlich dünkt, da das hübsche Kind erst 74 zählt. Beide trugen ihr, noch recht volles Haar schlicht herabgekämmt und gepudert, einen runden Mannshut, ein Männerhalstuch und Weste, statt der inexpressiblesDie »Unaussprechlichen« wird dieses Kleidungsstück in England genannt, wo eine Frau der guten Gesellschaft zwar wohl häufig Mann und Kinder verläßt, um mit einem Liebhaber davonzulaufen, aber doch zu dezent ist, um das Wort »Beinkleider« öffentlich nennen hören zu können. aber einen kurzen jupon, nebst Stiefeln. Das Ganze bedeckte ein Kleid aus blauem Tuch von ganz besonderem Schnitt, die Mitte zwischen einem Männer-Überrock und einem weiblichen Reithabit haltend. Über dieses trug aber Lady Eleanor noch erstens: den grand cordon des Ludwigsordens über den Leib, zweitens: denselben Orden um den Hals, drittens: abermals dito das kleine Kreuz desselben im Knopfloch, et pour comble de gloire eine silberne Lilie von beinahe natürlicher Größe als Stern – alles, wie sie sagte, Geschenke der Bourbon'schen Familie. So weit war das Ganze in der Tat höchst lächerlich, aber nun denke Dir auch beide Damen wieder mit der angenehmen aisance, und dem Tone der großen Welt de l'ancien régime, verbindlich und unterhaltend ohne alle affectation, französisch wenigstens ebenso gut sprechend, als irgend eine vornehme Engländerin meiner Bekanntschaft, und dabei von jenem wesentlich höflichen, unbefangenen, und ich möchte sagen, naiv-heitern Wesen der guten Gesellschaft damaliger Zeit, das in unserm ernsten, industriellen Jahrhunderte des Geschäftslebens fast ganz zu Grabe getragen worden zu sein scheint, und mich bei diesen gutmütigen Alten wahrhaft rührend ansprach. Auch konnte ich nicht ohne lebhafte Teilnahme die ununterbrochene und doch so ganz natürlich erscheinende zarte Rücksicht bemerken, mit der die Jüngere ihre schon etwas infirmere ältere Freundin behandelte, und jedem ihrer kleinen Bedürfnisse sorgsam zuvorkam. Dergleichen liegt mehr in der Art, wie es getan wird, in scheinbar unbedeutenden Dingen, entgeht aber dem Gefühlvollen nicht.

Ich debütierte damit, ihnen zu sagen, daß ich mich glücklich schätzte, ein Kompliment an sie ausrichten zu können, das mein Großvater, der vor 50 Jahren ihnen aufzuwarten die Ehre gehabt hätte, mir an die schönen Einsiedlerinnen aufgetragen habe. Diese hatten nun zwar seitdem ihre Schönheit, aber keineswegs ihr gutes Gedächtnis verloren, erinnerten sich des G... C... sehr wohl, brachten sogar ein altes Andenken von ihm hervor, und wunderten sich nur, daß ein so junger Mann bereits gestorben sei! Nicht nur die ehrwürdigen Jungfern, auch ihr Häuschen war voller Interesse, ja mitunter enthielt es wahre Schätze. Keine merkwürdige Person fast, seit dem vergangenen halben Jahrhunderte, die ihnen nicht ein Portrait, oder andere Curiosa und Antiquitäten als Erinnerung zugeschickt hätte. Diese Sammlung, eine wohl garnierte Bibliothek, eine reizende Gegend, ein sorgenfreies, stets gleiches Leben, und innige Freund- und Gemeinschaft unter sich – dies sind alle ihre Lebensgüter; aber nach ihrem kräftigen Alter und ihrem heitern Gemüt zu schließen, müssen sie nicht so übel gewählt haben. –

Unter unbändigem Regen hatte ich die guten alten Damen besucht, und unter demselben Platzregen ging jetzt die Reise weiter, zuerst bei der Ruine einer alten Abtei vorüber, und dann bei dem einstigen Palast Owen Glendowers, dessen Du Dich aus Shakespeare, und meinen Vorlesungen in M... erinnerst. Die Mannigfaltigkeit der Gegend ist außerordentlich; zuweilen ist man von einem wahren Getümmel von Bergen aller Formen umringt, dann glaubt man sich, das Land weit überblickend, fast wieder in der Ebene, bis man von neuem in eine dunkle enge Waldstraße eingeschlossen wird. Weiterhin treibt der Fluß ruhig eine friedliche Mühle, und gleich darauf braust er im Abgrunde über Felsenblöcke, und bildet in der Tiefe einen prachtvollen Wasserfall. Gerade an dieser Stelle, der Kaskade von Pont-y-Glyn gegenüber, begegnete ich einer sehr eleganten englischen Droschke (die sehr verbesserte Ausgabe des Wiener Originals) mit vier hübschen Pferden bespannt, aber mit einem noch hübscheren Mädchen darin, die von einer zwar älteren, aber auch nicht übel aussehenden Frau begleitet war. Wir hielten beide zur Besichtigung des Wasserfalles an, und während unsere Wagen so gegenüber standen, schielte das Mädchen neugierig nach mir herüber, was ich bemerkte, und lachte. Dies erschreckte die scheue Engländerin, sie ward über und über rot, und konnte doch gleich nachher, in jugendlicher Lustigkeit, sich selbst des Lachens nicht über die Pantomimen enthalten, welche ich, im Wagen, vor der Begleiterin versteckt, ihr adressierte. Der Kampf, in den sie darüber mit sich selbst geriet, machte die Szene noch komischer. In diesem Moment fielen meine Augen auf einen Haufen eben von mir gesammelter schöner Bergblumen, und ich schrieb schnell auf ein ausgerissenes Blatt meines Portefeuille folgende Worte: »F... M... empfiehlt sich den unbekannten Damen respektvoll und bittet um Erlaubnis, ihnen zwei eben gepflückte Sträußer Gebirgsblumen zu senden; er sollizitiert als Gegengeschenk um die Namen der liebenswürdigen Reisenden, die ihm sein guter Stern bei Pont-y-Glyn begegnen ließ.« – Dies befahl ich meinem Kammerdiener zu übergeben. Es wurde wie ich hinter dem herabgezogenen Rouleau sah, mit satyrischem Lächeln von der ältern Dame, mit Erröten von der Jüngern aufgenommen. Die Antwort lautete: »Sehr verbunden; aber die unbekannten Damen müssen incognito bleiben... vielleicht – sehen wir uns in London wieder.«

Hierauf erfolgte das Zeichen zur Abfahrt, und dahin eilten wir, nur noch ein paar ungewisse Blicke tauschend, nach ganz verschiedenen Weltgegenden hin. War das nicht der Anfang einer artigen kleinen aventure? Wäre ich noch ein Mensch, der seinen Launen nachgeben kann, ich hätte sogleich umkehren lassen und das Mädchen verfolgt bis... doch nichts weiter davon; sie kam mir aber lange nicht aus den Gedanken, denn sie war zu hübsch, um sie so schnell zu vergessen. Auf der nächsten Station erkundigte ich mich nach ihr, aber niemand wollte sie kennen. Ich blieb also allein mit dem Überrest meiner Blumen, und schmollte ein wenig, bis neue Gegenstände wieder meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Denn das Tal von Llangollen ist nur die Vorrede zu der eigentlichen Epopöe – dem höhern Gebürge von Wales. Nachdem man hinter dem erwähnten Wasserfall, eine halbe Stunde lang in einer fast unbedeutenden, nur durch wenige Hügel unterbrochenen, Ebene gefahren ist, tritt man nicht weit von Cernioge Mawr Inn mit einem Mal in das Allerheiligste – ein mächtig ergreifender Anblick! Ungeheure schwarze Felsen bilden rund umher das erhabenste Amphitheater, dessen gezackte und zerrissene Zinnen in den Wolken zu schwimmen scheinen. Unter einer achthundert Fuß tief niedersteigenden Felsenwand, bahnt der Fluß sich seinen schwierigen Weg, von Abgrund zu Abgrund hinabstürzend. Vor uns lag eine perspektivische Ansicht übereinander wogender Berge, die endlos schien. Ich war so entzückt, daß ich mir durch lauten Ausruf Luft machen mußte. Und dabei kann man die herrliche Straße nimmer genug loben, welche, nie jähling steigend oder sinkend, alle die belles horreurs dieser Bergwelt so gemächlich betrachten läßt. Sie ist, wo sie nicht von Felsen geschützt wird, durchgängig mit niedrigen Mauern eingeschlossen, und in gleichen Distanzen sind ebenfalls zierlich gemauerte Nischen angebracht, in denen die Steine zur Ausbesserung aufgeschichtet sind, was weit geordneter aussieht, als die freiliegenden Steinhaufen an unsern Landstraßen.

Das Gebürge von Wales hat einen sehr eigentümlichen Charakter, der schwer mit andern zu vergleichen ist. Seine Höhe ist ohngefähr der des Riesengebürges gleich, es erscheint aber unendlich grandioser in Form, ist weit reicher an Bergspitzen, und diese besser gruppiert. Auch die Vegetation ist mannigfaltiger an Pflanzenarten, obgleich nicht so zahlreich an Bäumen überhaupt, und es hat Flüsse und Seen, die dem Riesengebürge ganz abgehen. Es fehlen ihm also die majestätischen, geschlossenen Wälder der Heimat Rübezahls, und an einigen Stellen desselben hat auch der Anbau des Menschen die Mittelstraße bereits überschritten, die meiner Ansicht nach, zu einer vollendet schönen Landschaft gehört; dagegen ist die höhere Region, von Capel Curig bis einige Meilen von Bangor, so wild und schroff, als man es sich nur wünschen kann, und weite Strecken rot und gelb blühender Heiden, nebst Farrnkräutern und andern Pflanzen, die in unserm härtern Klima nicht fortkommen, bekränzen die Felsen, und ersetzen die Bäume, welche in dieser Höhe nicht mehr gedeihen. Die größte Mannichfaltigkeit des Gemäldes bewirken aber die kolossalen, wilden und seltsamen Formen der Berge selbst. Einige sehen wirklich Wolken weit ähnlicher, als festen Massen. So ist unter andern der Tryfan mit so sonderbar geformten Basaltsäulen auf seiner Spitze bedeckt, daß alle Reisenden überzeugt sind, Menschen da oben zu sehn, die eben den Berg erstiegen, und nun in die weite Aussicht hineinschauen – es sind aber nur die Berggeister, die Merlin auf ewige Zeiten dahin gebannt.

Geschmackvoll fand ich es, daß sämtliche Chaussee-Häuser so ganz im Charakter der Gegend gehalten waren; aus rohem rötlichen Bruchstein erbaut, mit Schiefer gedeckt, von einfacher, schwerer Architektur und mit eisernen Toren versehn, deren Gitterwerk die sich kreuzenden Strahlen zweier Sonnen nachahmt. Der postboy zeigte mir die Überreste eines alten Druidenschlosses, wohin, wie ich in meinem Buche nachlese, Caratacus nach seiner Niederlage bei Caer Caradoc retirierte. – Die welsche Sprache klingt selbst wie Krähengekrächze. Beinahe alle Namen fangen mit C an, welches mit einem Krach-Laut ausgesprochen wird, den eine fremde Kehle nicht nachahmen kann. – Diese Ruine ist jetzt in zwei bis drei bewohnte Hütten verwandelt, und ihre Lage nicht eben ausgezeichnet. Bemerkenswerter schien mir weiterhin ein Felsen, der in der Gestalt eines Bischofs mit Krummstab und Mitra sich darstellte, als stiege er eben aus einer Höhle, um den erstaunten Heiden das Christentum zu predigen. Woher kömmt es wohl, daß, wenn die Natur so spielt, es eine fast erhabne Wirkung macht, und wenn es die Kunst nachahmen will, dies immer lächerlich erscheint?

Ein kleines tormento im Gebürge sind die vielen Kinder, welche, wie Gnomen kommend und verschwindend, den Wagen mit unbegreiflicher Beharrlichkeit bettelnd begleiten. Ermüdet von dieser Zudringlichkeit hatte ich mir bestimmt vorgenommen, keinem etwas mehr zu geben, weil man sonst darauf rechnen kann, gar nicht mehr von ihnen verlassen zu werden; aber eines dieser kleinen Mädchen bezwang dennoch alle meine Entschlüsse durch ihre Ausdauer. Gewiß eine deutsche Meile lief sie im scharfen Trabe bergaufbergab, nur manchmal durch Fußwege abkürzend, mich aber nie aus den Augen lassend, neben mir her, wobei sie unaufhörlich denselben jammervollen klagenden Ton, gleich einer Seemöve, ausstieß, der mir zuletzt so unerträglich wurde, daß ich mich gefangen gab, und der nicht zu ermüdenden Läuferin meine Ruhe mit einem Schilling abkaufte. Der unheilbringende Ton war mir aber, wie der Tick-tack einer Uhr, die man fortwährend zu hören gewohnt ist, so im Ohre geblieben, daß ich ihn den ganzen Tag nicht los werden konnte.


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