Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den 14ten

Mit dem Grafen B... und einem Sohne der berühmten Madame Tallien, fuhr ich diesen Morgen in die City, um das India House zu besehen, wo viele merkwürdige Gegenstände aufbewahrt werden. Tippu Sahibs Traumbuch unter anderen, in dem er jeden Tag selbst seine Träume und ihre Auslegung aufschrieb, und dem er auch seinen Untergang, gleich Wallenstein, hauptsächlich dankte. Seine Rüstung, ein Teil seines goldnen Thrones und eine seltsame Drehorgel werden gleichfalls hier aufbewahrt. Die letzte befindet sich in dem Bauche eines sehr gut dargestellten, metallenen Tigers, in natürlichen Farben und Lebensgröße. Unter dem Tiger liegt ein Engländer in roter Uniform, den er zerfleischt, und während man dreht, wird täuschend das Geschrei und Gewimmer eines mit der Todes-Agonie kämpfenden Menschen, schauerlich abwechselnd mit dem Brüllen und Grunzen des Tigers, nachgeahmt. Es ist dies Instrument recht charakteristisch zur Würdigung jenes furchtbaren Feindes der Engländer, der selbst die Tigerstreifen zu seinem Wappen machte, und von sich zu sagen pflegte: daß er lieber einen Tag lang ein auf Raub ausgehender Tiger, als ein Jahrhundert lang ein ruhig weidendes Schaf sein möge.

Das Prachtwerk über die berühmten, im harten Felsen ausgehauenen Tempel von Ellora, von Daniell, interessierte mich ungemein. Das Alter dieser herrlichen Denkmäler ist im Grunde gänzlich unbekannt. Höchst seltsam, und mit Merkels Hypothese, daß die älteste Kulturperiode der Erde von Negern ausgegangen sei, völlig übereinstimmend ist es, daß die Statue des Gottes im Allerheiligsten des ältesten Budda-Tempels ganz offenbar die sehr markierten Züge und das wollige Haar eines Negers darbietet.

Ein großer Stein von den Ruinen aus Persepolis, ganz bedeckt mit der immer noch unentzifferten Pfeilschrift, große chinesische Gemälde, haushohe chinesische Laternen, ein riesengroßer Plan der Stadt Kalkutta, schöne persische Miniaturen etc., sind die vorzüglichsten Merkwürdigkeiten dieser Sammlung.

Wir besahen hierauf auch die Warenlager, wo man alle indischen Produkte, wenn man sie sogleich nach dem Kontinent verschickt, äußerst wohlfeil kaufen kann, da sie in diesem Fall keine Abgabe an das Gouvernement zahlen. Shawls, die bei uns hundert Louisd'or wenigstens kosten würden, sind in größeren Quantitäten hier wohl für vierzig zu haben. Die schönsten, die ich je gesehen, und deren Feinheit und Pracht bei unsern Damen gewiß das größte Aufsehen machen würden, standen nur im Preis von 150 Guineen – in England sind indessen shawls überhaupt wenig Mode und werden nicht geachtet, so daß man auch fast alle in's Ausland verkauft.


Den 16ten

Der neue Dampfpostwagen ist soeben fertig geworden, und legt probeweise im Regent's Park fünf Meilen in einer halben Stunde zurück. Doch ist immer noch jeden Augenblick etwas daran zu reparieren. Ich war einer der ersten Neugierigen, die ihn versuchten, fand aber den fettigen Eisengeruch, der auch die Dampfschiffe so unangenehm macht, hier doppelt unerträglich.

Seltsamer ist noch ein anderes Fuhrwerk, dem ich mich ebenfalls anvertraute. Es besteht in nichts Geringerem als einem Wagen, der von einem Drachen gezogen wird, und zwar einem Papierdrachen, der nicht viel anders konstruiert ist, als diejenigen, welche die Kinder aufsteigen lassen. Es ist daher auch ein Schulmeister, der die Sache erfunden hat, und selbst so geschickt sein Vehikel zu führen weiß, daß er, auch mit halbem Winde, gut fortkommt, mit ganz günstigem aber auf gutem Terrain die englische Meile in 5/4 Minuten zurücklegt. Die Empfindung ist sehr angenehm, da man über die kleinen Unebenheiten des Bodens, wie darüber gehoben, hinweggleitet. Der Erfinder schlägt vor, die afrikanischen Wüsten damit zu bereisen, und hat zu diesem Behuf einen Raum am Hintergestell angebracht, wo ein Pony, gleich einem Bedienten, hintenauf steht, und im Fall einer Windstille vorgespannt wird. Was freilich hinsichtlich der fourrage anzufangen sein möchte, ist nicht wohl abzusehen, der Schulmeister rechnet aber auf die in jenen Gegenden regelmäßig wehenden Passat-Winde. Als Amüsement auf dem Lande ist die Sache jedenfalls sehr zu empfehlen, und ich sende Dir daher beiliegend eine ausführliche Broschüre mit erläuternden Kupfern, wonach Du etwaigen Liebhabern unter Deinen eignen Schulmeistern auftragen kannst, ähnliche Versuche zu machen.

Den Abend widmete ich einer Pantomime, deren originelle Tollheit von so vortrefflichen Dekorationen und Maschinerien unterstützt ward, daß man sich ohne viele Schwierigkeit in die Zeit der Feenmärchen versetzen konnte. Solcher lieblicher Unsinn ist herrlich. Z. B. im Reich der Frösche ein unabsehbarer Schilfsumpf, dessen Bewohner geschickte Schauspieler auf's täuschendste agieren müssen, und zuletzt ein Tempel der Johanniswürmchen, den an ausgelassener Phantasie und wunderbarem Glanz kein chinesisches Feuerwerk erreicht.


Brighton, den 23sten

Die Mode ist eine große Tyrannin, und so sehr ich das einsehe, lasse ich mich doch auch, wie jeder andere, von ihr regieren. Seit einigen Tagen hat sie mich wieder hierher geführt zu der liebenswürdigen Missis J..., der klugen Lady L..., der reizenden F... etc. etc.

Schon bin ich wieder von Bällen und dîners ermüdet, und kokettiere wieder mit dem Meer, dem einzigen poetischen Gegenstand in der hiesigen prosaischen Welt. Eben ging ich, beim Scheiden der Nacht, von einem rout am äußersten Ende der Stadt kommend, wohl eine halbe Stunde zu Fuß an seinen Ufern hin, unter dem Schäumen und Donnern der ankommenden Flut. Die Sterne blinkten noch klar funkelnd herab, ewige Ruhe thronte oben, und wildes Brausen und Wallen tobte hier unten – Himmel und Erde in ihrem wahrsten Bilde! Wie herrlich, wie wohltuend, wie furchtbar, wie angsterregend ist doch diese Welt! Die Welt – die nie anfing, die nie endet – deren Raum nirgends begrenzt ist – in deren nach allen Seiten endloser Verfolgung, die Phantasie selbst, schaudernd sich verhüllend, zu Boden sinkt. Ach, meine teure Julie, Liebe nur findet den Ausweg aus diesem Labyrinth! Sagt nicht auch Goethe: ›Glücklich allein ist die Seele die liebt!‹


Den 24sten

Wir haben heute eine vortreffliche Jagd gemacht. Das Wetter war selten klar und sonnig, dabei wohl an hundert Rotröcke versammelt. Ein solches Schauspiel ist gewiß voller Interesse, die vielen schönen Pferde, die elegant gekleideten Jäger, fünfzig bis sechzig Hunde, die über Stock und Stein Reinecke verfolgen, und das wilde Reiterheer hintendrein, die schnelle Abwechselung von Wald und Berg und Tal, das Geschrei und Gejauchze. Es ist beinahe wie ein kleiner Krieg.

Die hiesige Gegend ist sehr hüglig, und einmal ging die Jagd einen so langen und steilen Berg hinan, daß die meisten Pferde nicht mehr fortkonnten, und auch die besten wie Blasebälge in der Schmiede stöhnten. Aber oben einmal angekommen, war der coup d'œil auch wahrhaft prachtvoll. Man übersah das Ganze, vom Fuchs bis zum letzten traîneur in voller Bewegung, mit einem Blick, und außerdem links ein reiches Tal, sich bis gegen London ausdehnend, rechts das Meer im schönsten Sonnenglanz.

Den ersten Fuchs bekamen wir, der zweite aber erreichte Malepartus vor uns, und entging auf diese Art seinen Verfolgern. Fast alle diese Jagden werden auf Subskription gehalten. Die hiesige Meute z. B., aus achtzig Hunden und drei piqueurs, mit neun Pferden, bestehend, kostet jährlich 1050 L. St., wozu fünfundzwanzig Teilnehmer sind, die bezahlen. Jeder der Lust hat, kann aber auch unentgeltlich mitreiten. Es kommt also für die entrepreneurs auf den Mann nicht mehr als 42 L. St. jährlich. Diese sind jedoch nichts weniger als gleich verteilt. Die Reichen geben viel, die Armen wenig. Mancher zweihundert jährlich, ein anderer nur zehn, und ich glaube, dieses Arrangement wäre auch recht gut bei uns nachzuahmen, besonders von Seiten der Armen. Am auffallendsten sind bei diesen Jagden für unsre verwöhnten Augen die in schwarzen Röcken über Zaun und Gräben fliegenden Pastoren, welche oft, schon gestiefelt und gespornt, mit der Jagdpeitsche in der Hand, schnell vorher noch kopulieren, taufen oder begraben, um sich von der Zeremonie weg sogleich auf's Roß zu schwingen. Man erzählt von einem der berühmtesten geistlichen Fuchsjäger dieser Art, daß er immer einen zahmen Fuchs in der Tasche mit sich führte, und fand man keinen andern, diesen zum besten gab. Das Tier war so gut abgerichtet, daß es eine Weile die Hunde amüsierte, und dann, wenn es der Jagd müde war, sich schnell in seinen unantastbaren Schlupfwinkel rettete, denn dieser war kein anderer – als der Altar der Dorfkirche, zu dem ein Loch in der Mauer führte, und unter dessen Stufen ihm ein bequemes Lager bereitet war. Dies ist recht englisch religiös.


Den 6ten Februar

Ich habe mir durch Verkältung ein heftiges nervöses Fieber geholt, das mich schon vierzehn Tage an mein Bett fesselt und außerordentlich abgemattet hat. Es ist sogar nicht ganz ohne Gefahr gewesen, die jetzt jedoch, wie der Arzt versichert, vorüber ist – also besorge nichts. Sonderbar, daß man bei einer abmattenden Krankheit gegen den Gedanken des Todes so gleichgültig wird. Er kommt uns nur wie Ruhe und Einschlafen vor, und ich wünsche mir sehr zum dereinstigen Ende ein solches langsames Herannahen meiner körperlichen Auflösung. Als einer, der gern beobachtet, möchte ich auch mich selbst, sozusagen, sterben fühlen und sehen, so weit dies möglich ist, d. h. bis zum letzten Augenblick mit voller Besinnung meine Emotionen und Gedanken betrachten, die Existenz auskosten bis zum letzten Augenblick. Ein plötzlicher Tod kommt mir wie etwas Gemeines, Tierisches vor; nur ein langsamer, mit vollem Bewußtsein, wie ein veredelter, menschlicher. Ich hoffe übrigens sehr ruhig zu sterben, denn obgleich ich eben nicht ganz zum Heiligen des Lebens gekommen bin, so habe ich mich doch an Liebe und Güte gehalten und immer die Menschheit, wenn auch nicht zuviel einzelne Menschen, geliebt. Also noch nicht reif für den Himmel, wünsche ich recht sehr, nach meiner Theorie der Metempsychose, noch öfters auf dieser lieben Erde einheimisch zu werden. Der Planet ist schön und interessant genug, um sich einige tausend Jahre in immer erneuter Menschengestalt darauf umherzutummeln. Ist es aber anders, so ist mir's auch recht. Aus Gott und aus der Welt fällt man einmal gewiß nicht, und dümmer und schlechter wird man wahrscheinlich auch nicht, sondern eher gescheiter und besser.

Das schlimmste beim Tode für mich wäre der Gedanke an Deinen Schmerz, und doch – würde ich vielleicht ohne das Bewußtsein Deiner Liebe nicht ganz so wohltätig und resigniert sterben können. Es ist ein süßes Gefühl beim Tode, zu wissen, daß man auch jetzt noch jemand zurückläßt, der unser Andenken mit Liebe pflegen wird, und auf diese Art, solange jenes Augen sich dem Lichte öffnen, noch gleichsam fortzuleben in und mit ihm. Ist das nun auch Egoismus?

Da wir einmal vom Sterben reden, muß ich Dir noch etwas erzählen. Erinnerst Du Dich, von meinem vorigen Aufenthalte in Brighton her, eines schottischen chieftains, eines etwas phantastischen, aber kräftigen und originellen Schotten? Er hat eben in der Blüte dieser männlichen Kraft zu leben aufgehört. Mit seinen beiden Töchtern auf einem Dampfboot eingeschifft, erhielt er kurz vor dem Debarkieren von einer Segelstange einen so heftigen Schlag an den Kopf, daß er davon auf der Stelle in einen Anfall von Raserei versetzt wurde, in Folge dessen in's Meer sprang und ans Land schwamm, wo er nach wenigen Stunden verschied. Dies Ende hatte einige tragische Verwandtschaft mit der Geschichte seines Vorfahren, die er mir mit so viel Stolz mitteilte, dessen nämlich, welcher seine Hand abhauend, sie ans Ufer warf und ihr nachschwamm.


Den 8ten

Der Doktor findet mich sehr geduldig – du lieber Gott, ich habe wohl Geduld gelernt – und um gerecht zu sein, Widerwärtigkeit ist für den Geist eine kostbare Schule. Widerwärtigkeit entsteht aber im tiefsten Grunde auch nur aus eignen Fehlern, die sich dadurch wieder selbst bessern, und man kann unbedingt annehmen, daß die Menschen, wenn sie von Hause aus stets vernünftig und gut handelten, kaum ein Leid mehr kennen würden. Aber die Freuden müßten auch so subtil werden, daß man auf alles Irdische nur wenig Wert mehr setzen könnte. Keine dîners mehr, bei denen man so gerne ein Indigestion riskiert. Kein Ruhm mehr, dem man mit so viel befriedigter Eitelkeit nachjagt, kein süßes und verbotnes Liebeswagen, kein Glanz, der es andern zuvortut! – es wäre am Ende, Gott verzeih' mir die Sünde, doch nur ein wahres Philisterleben, ein Stillstand, wenngleich in scheinbarer Vollkommenheit. Wahres Leben aber ist Bewegung und Kontrast. Es wäre also am Ende das größte Ungemach, wenn wir einmal alle hier ganz vernünftig würden. Ich glaube indes, die Gefahr ist noch nicht so nahe. Du siehst, meine Krankheit hat mich bis jetzt nicht geändert, ich würde Dir aber dennoch gar nichts davon geschrieben haben, wenn dieser Brief eher abginge, als bis ich ganz hergestellt bin. So kannst Du ihn aber mit völliger Seelenruhe lesen, und überzeugt sein, daß ich bis zum letzten Hauch alles genießen will, was uns der freundliche Gott beschert hat, Heller oder Goldstücke, Kartenhäuser oder Paläste, Seifenblasen oder Rang und Würden, wie es die Zeiten und Umstände mit sich bringen, und zuletzt auch noch den Tod, und, was dann neues darauf hier oder dort folgen wird. Schön sind die ernsten Tugenden, aber dazwischen, als Würze! So z. B. genieße ich schon wahrhaft meine jetzige Mäßigkeit, ich fühle mich dabei ganz ätherisch leicht, über das Animalische erhabner als gewöhnlich. – Von andern Verirrungen ist gar nicht mehr die Rede, und dies alles gibt mir wirklich einen Vorgeschmack der einstigen reineren Freuden – des Alters. Denn für gewisse Dinge – gestehen wir es nur frank und frei, – hat der böse Franzose wenigstens halb recht, welcher sagt: que c'est le vice qui nous quitte, et bien rarement nous, qui quittons le vice. Selbst die ehrlichsten der Schwärmer fanden die sicherste Tugend nur im Messer, wie der große Origenes.


Den 9ten

Nie habe ich einen Doktor gehabt, der es so gut mit dem – Apotheker meint. Jeden Tag zwei Medizinen; ich ernähre mich mit nichts anderm, da ich aber leider ernstlich krank bin, nehme ich gelassen, was verlangt wird. Eine Krankenwärterin, wie Du es bist, vermisse ich aber sehr, und meine dürre und trockne Wirtin, welche sich doch öfters sehr gutwillig dazu anbietet, wäre ein schlechter Ersatz. Indessen lese ich viel und bin ganz heiter. Wollte ich mich melancholischen Selbstquälereien überlassen, so könnte ich mich, außer den positiven Ursachen dazu, noch negativ darüber ärgern, daß jetzt, wo ich zu Haus bleiben muß, fortwährend das schönste Wetter ist. Da ich aber die Weiser meiner Geistesuhr auf eine ganz andere Direktion gestellt habe, so bin ich im Gegenteil sehr dankbar, die freundliche Sonne täglich zu sehen, und daß sie, ohngeachtet ihrer Größe und Herrlichkeit, nicht verschmäht, meine Stube von morgens an emsig zu wärmen, den Tag über freundliche Lichtstrahlen hineinzusenden, die alles wie mit Gold überziehen, und abends sogar sich die Mühe nicht verdrießen läßt, mir armen Kranken, der wohl eingehüllt an seinem großen Fenster sitzt, am Meeressaum seltsame Wolkenbilder vorzumalen, die sie bald mit tiefem Blau, gelbem Feuer oder Purpur färbt, und endlich, Abschied nehmend, sich jeden Abend in solcher Herrlichkeit zeigt, daß die Erinnerung noch lange nachher den düstern Schatten der sinkenden Nacht ihren trüben und unheimlichen Eindruck benimmt, den sie sonst wohl der Seele des Einsamen und des Leidenden zu bereiten pflegen. Und so hat denn alles zwei Seiten. Der Törichte kann über alles in Verzweiflung geraten, der Weise aus allem Befriedigung und Genuß ziehen. –


Den 10ten

Ein Brief von Dir erregt mir immer große Freude, wie Du weißt, aber wieviel mehr noch in meiner jetzigen Lage. Beurteile daher, mit welchem Jubel der heutige empfangen wurde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

F... hat sehr Unrecht, das auszuschlagen, was ihm geboten wird. Es wäre Wahnsinn, als Schiffbrüchiger im Meere schwimmend, und schon bedeutend erschöpft, ein Fischerboot zu verschmähen, das sich zur Rettung darböte, um auf einen Dreidecker zu warten. Möglich allerdings, daß ein solcher bereits hinter dem Felsen nahet, und in dem Augenblick, wo das Boot den Hilflosen für eine geringere Bestimmung entführt hat, mit vollen Segeln ankommt – aber allwissend sind wir nicht, wir müssen die Chancen, welche die Verbindung der Begebenheiten uns darbietet, nach der Probabilität, nicht nach der Möglichkeit, behandeln.

Meine Geschenke haben Dir also gefallen? Nun so segne sie Gott! Die kleinen Freuden sind so gut als die großen, und man sollte die Kunst ordentlich studieren, sich dergleichen noch weit öfter zu machen. Es gibt viel sehr wohlfeile Materialien dazu. Kein Aberglaube muß sich aber darein mischen, wie Du bei der übersandten Schere äußerst. Gute Julie, die Schere soll noch erfunden werden, die unsre Freundschaft entzweischneiden kann, das könnte nur eine Krebsschere sein, die rückwärts agierend die Vergangenheit wegschnitte. Aber über etwas anderes muß ich schmälen. Wofür habe ich Dir so viel schönfarbiges blotting-paper geschickt, wenn Du wieder in die abscheuliche Mode des Sandstreuens verfällst, welche die Engländer schon längst nicht mehr kennen, ebenso wenig wie mit Sand bestreute Fußböden. Mehrere Lot dieses Ingredienz flogen mir ins Gesicht, als ich Deinen Brief öffnete. Willst Du mir denn auch Sand in die Augen streuen, liebe Julie, und hat Dir Jeremias vielleicht eine neufromme Streubüchse aus B... dazu mitgebracht?

Ich bin sehr fleißig, und benutze meine Muße, mehrere Bände meines Lebensatlasses in Ordnung zu bringen. Den ganzen Tag über hefte ich ein, beschneide, schreibe (denn Du weißt unter jedes Bild kommt ein Kommentar) was nur ein armer Kranker tun kann, um sich die Zeit zu vertreiben, und sehe jetzt schon im Geiste 20 Folio-Bände des klassischen Werks in unserer Bibliothek stehen, und uns selbst, alt und gebückt geworden, davor sitzen, ein wenig radotieren, aber doch triumphierend uns der alten Zeiten freuen. Junges, neuaufgeschossens Volk lacht uns hinter unserm Rücken verstohlen aus, fliegt aus und ein, und wenn einer draußen fragt: »Was machen denn die Alten?« so lautet die Antwort: »Ach, die sitzen und studieren über ihrer Bilderbibel, und hören und sehen nicht mehr.« Das möchte ich nun gar zu gern erleben, und es ist mir immer, als wenn es auch so noch kommen müßte! – Was aber alles noch dazwischen liegen wird – das freilich weiß Gott allein!

In den Zeitungen spielen jetzt die Blasebälge eine große Rolle. Einem mit Upasgift als Experiment getöteten Esel hat man nach einer Stunde seines Todes durch fortwährendes Einblasen in die Lunge wieder neues Leben gegeben, das Parlament soll ebenfalls durch einen großen Blasebalg künftig fortwährend mit reiner Luft während der Sitzungen versehen werden, und als probates Mittel wider den plötzlichen Stickfluß wird angegeben, daß man nichts zu tun habe, als dem Patienten die Nase zuzuhalten und mit dem am Kamine hängenden Blasebalge atmosphärische Luft in den Mund zu blasen. Es wird also jetzt bald eine noch größere Menge aufgeblasener Leute in England geben als bisherDas Prinzip dieser Erfindung ist sehr einfach. Wenn man einen Blasebalg mit einer großen Blase von unten in Verbindung bringt, und am obern Ende derselben ein kleines Loch macht, und dann durch Agitierung des Blasebalgs Luft, die auf eine gewisse Temperatur gestellt ist, hineinströmen läßt, so könnte ein Parlament von Lilliputs in der Blase sitzen und deliberieren, und alle ihre Ausdünstungen würden fortwährend oben hinausgehen, und die frische Luft von unten in eben dem Maße sich kontinuierlich erneuen. Diese Art des Heizens und Ventilierens zugleich, ist das Prinzip des Herrn Vallance, welches dem englischen Senat appliziert werden soll. Vielleicht verbindet man auch noch eine Äolsharfe damit, um schlechten Organen zu Hilfe zu kommen. .


Den 12ten

Meine Krankheit hat mich gehindert, nach Schottland zu gehen, wozu ich alles bereitet, und viele Einladungen erhalten hatte; jetzt wird mich die erwartete Ankunft W...s und der Beginn der season wohl in London zurückhalten. Zum erstenmal ließ mich endlich der Doktor heute wieder ausfahren, und ich richtete meinen Weg nach dem nicht sehr entfernten Park von Stranmore, um die frische Luft und das Vergnügen eines romantischen Spaziergangs recht mit vollen Zügen zu genießen. In die Gärten wurde mir jedoch der Zutritt nicht verstattet, obgleich ich meine Karte der Gebieterin zuschickte. Wir sind freilich liberaler, aber dieses vornehme Rarmachen hat auch sein Gutes. Es gibt den Dingen selbst, und der Vergünstigung ebenfalls, wenn sie eintritt, mehr Wert.

Apropos, dabei fällt mir Dein neuer Direktor ein. Es ist ein Gewinn für uns, ihn zu erhalten, demohngeachtet bitte ich Dich, es ein wenig mit ihm, wie die Besitzerin von Stranmore zu machen. Sei nicht von Anfang an zu sehr zuvorkommend, damit Dir, wenn sie verdient wird, Steigerung übrig bleibt. Sei freundlich, aber mit Würde, immer die obere Stellung nuancierend, die Du gegen ihn notwendig zu behaupten hast. Suche ihn nicht durch Schmeicheleien und überartiges Behandeln zu gewinnen, sondern lieber durch ehrendes Vertrauen, und auch durch solide Vorteile, die am Ende auf alle Leute, sie mögen reden und selbst denken wie sie wollen, ihren Eindruck doch nicht verfehlen können. Dennoch mußt Du deshalb seine Ambition nicht geringer in Anschlag bringen, sie im Gegenteil stets wach erhalten, durch vorsichtiges Hingeben und Dankbarkeit für gezeigten Eifer, aber auch durch sanften Verweis, wo Du ihn für nötig hältst, damit er sieht, Du habest ein Urteil. Als ein ehrenwerter Mann wird er dann gewiß bald unsre Sachen mit demselben Interesse wie die seinigen führen. Zuletzt endlich ermüde ihn bei seiner obern Direktion nicht zu sehr mit Details, wolle nicht zu viel Kontrolle in jeder Kleinigkeit über ihn ausüben, und wache streng darauf, seine Autorität auf die ihm Untergebenen zu unterstützen, so wie die Deinige gegen ihn zu behaupten. Nur da, wo Du befürchten könntest, daß etwas Wichtiges verfehlt werde, stehe keinen Augenblick an, die genaueste Auseinandersetzung zu verlangen. In sehr wichtigen Fällen, die Aufschub vertragen, wirst Du natürlich mich immer befragen. – Hiermit schließt Polonius seine Ermahnungen.


Den 15ten

Die kurze Ausflucht war wohl noch zu früh, denn sie ist mir nicht gut bekommen. Dabei ist das liebe Wetter furchtbar geworden. Ein Schneesturm peitscht das Meer unter meinen Fenstern, daß es vor Wut schäumt und brüllt, und seine Wellen über den hohen Damm der Straße bis an die Häuser anbäumen.

Unter diesem Gedonner habe ich gestern meine Memoiren zu schreiben angefangen, und schon 8 Bogen vollendet, die ich diesem Brief beilegen werde.

Außerdem benutzte ich die Zeit, um Le Sages historischen Atlas von neuem durchzulesen, und kann überhaupt nicht sagen, daß ich während meiner ganzen Krankheit einen Augenblick Langeweile gefühlt hätte. Ja die große Ruhe und Leidenschaftlosigkeit einer solchen Zeit tut sogar meiner Seele wohl. – Übrigens wird der Körper nun auch bald gänzlich wieder hergestellt sein, und sobald der Himmel sich etwas aufklärt, denke ich mich von neuem unter die Menschen zu begeben.

A..., der ich Deinen Brief zugeschickt, läßt Dich vielmals grüßen. Wenn der König stirbt, wird sie als intime Freundin der neuen Monarchin vielleicht eine bedeutende Rolle hier spielen. Man behandelt sie im Publikum ohnedem schon ganz als eine Princesse du sang. Sie fängt auch an ihre Wichtigkeit selbst zu fühlen, hat sich in ihrer frühern schüchternen tournure sehr zu ihrem Vorteil verändert, und weiß recht gut, sich mit Affabilität ein air zu geben. Die Sonne des Glücks und der Gunst verändert einen Menschen, wie die Himmelssonne eine Pflanze, die im Dunkeln kümmerte, und nun im lichten Strahle bald ihr gesenktes Haupt emporhebt, und von der wohltuenden Wärme durchströmt, duftende Blüten dem Lichte öffnet. Wir, gute Julie, liegen vorderhand noch im Kerker, wie Hyazinthenzwiebeln, aber der Gärtner kann uns zum Frühjahr auch noch in bessern Boden und an die Sonne bringen, wenn er will. –


Den 20sten

Ich bin auferstanden – und siehe da, alles war fremd geworden, wo ich hinkam. Die Bekannten waren fast alle fort, und auf den Promenaden wie in den Häusern schauten mir überall neue Gesichter entgegen. Nur die kahle Gegend fand ich, als ich ausritt, noch die alte geblieben, bloß mit dem Unterschied, daß die grünen Wiesen sämtlich gedüngt waren mit – Austerschalen.

Eine Miss G..., ein nicht mehr ganz junges, aber artiges und reiches Mädchen, die schon längst Frau wäre, wenn der Freier nicht mir ihr auch ein paar ungenießbare Eltern mit übernehmen müßte, erzählte mir, daß man mich in der hiesigen Zeitung als auf dem Tode liegend annonciert hätte, während die Londner Morning Post mich auf jedem Almacks-Ball als tanzend aufgeführt habe, was in der Tat etwas gespenstig erscheint. Diese gute Miss G... ist noch immer höchst erkenntlich für ein ihr einst verschafftes billet zu besagten Almacks, und spielte und sang mir zum Danke dafür auch heute mehr vor, als ich bei meinen noch schwachen Nerven vertragen kann. Sobald die dicke Mutter hereintrat, empfahl ich mich, fiel aber bald darauf von neuem zwei andern Philomelen in die Hände, die sich ebenfalls noch hier verspätet haben.

Unter solchen Umständen werde ich, sobald meine Kräfte ganz zurückgekehrt sind, mich nach London wenden, und kann nun wohl mit gutem Gewissen und ohne Furcht, Dir Besorgnis zurückzulassen, diese lange Epistel absenden.

Der vielen Worte kurzer Sinn ist immer der nämliche: herzliche Liebe Deines

L.


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