Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den 8ten

Oxford ist eine originelle Stadt. Eine so große Menge alter und prächtiger gotischer Gebäude von 300- bis 1000jährigem Alter wird wohl nirgends an demselben Orte so zusammengehäuft, angetroffen werden. Es gibt Stellen in dieser Stadt, wo man sich ganz in's fünfzehnte Jahrhundert versetzt glaubt, weil man durchaus nichts als Denkmale dieser Zeit, ohne irgendeine moderne Unterbrechung, um sich her versammelt sieht. Viele, ja die meisten dieser alten colleges und Kirchen sind auch im Detail sehr schön, alle aber wenigstens von höchst malerischer Wirkung, und oft hat es mich gewundert, warum man nicht manches Einzelne dieser Bauart, unter andern die ebenso schönen als zweckmäßigen, lichten Fenster, in zwei und drei Abteilungen, bisweilen mit großen Erkern abwechselnd, und unsymmetrisch verteilt, nicht auch bei unsern modernen Wohngebäuden anwendet, – denn nur die Gewohnheit kann uns wohl die regelmäßigen Reihen viereckiger Löcher, die wir Fenster nennen, erträglich machen.

Ich begab mich zuerst nach dem dreihundert Jahre alten, sogenannten Theater (aber nur für geistliche Schauspieler bestimmt), das von einem Bischof erbaut ist. Die eiserne grille, die es umgibt, hat statt der Pfeiler eine Art Termen mit den Köpfen der römischen Kaiser, ein seltsamer Einfall, der aber keinen üblen Effekt macht. In diesem Theater, das, seinem Ursprung gemäß, mehr einer Kirche ähnlich sieht, wurden in neuester Zeit der russische Kaiser, der König von Preußen und der Prinz-Regent zu Doktoren kreiert, wobei sie genötigt waren, im roten Doktorgewande zu erscheinen. Die Portraits aller dieser Souveraine wurden seitdem hier aufgestellt. Der König von England im Krönungsornate, ein vortreffliches Gemälde von Thomas Lawrence (der alten Zeiten würdig), hängt in der Mitte, in einem prächtigen Rahmen. Zu beiden Seiten, in weit einfacherer Umfassung und einfacherer Kleidung, der Kaiser von Rußland und der König von Preußen, auch von Lawrence gemalt. Der König ist nicht ähnlich, von Kaiser Alexander habe ich aber nie ein besseres Bild gesehen. Blücher wurde hier ebenfalls Doktor, und äußerte dabei: da die Herren die Souveraine zu Doktoren kreiert, so könne er nur höchstens darauf Anspruch machen, Apotheker zu werden.

In der Universitäts-Stereotype-Druckerei, wo die Bedruckung eines Bogens auf beiden Seiten nur fünf Sekunden dauert, zeigte ich mich wieder selbsttätig, und hatte die Ehre, einen Bogen aus der Bibel zu drucken, den ich Dir als Seitenstück zum Birminghamer Knopfe mitschicke. Er enthält einige interessante Begebenheiten der Makkabäer.

Es wird hier viel für die Bibelgesellschaften gedruckt, und wenn dies in derselben Progression fortgeht, so wird wohl bald die Epoche eintreten, von welcher die Jahresschrift ›Der Katholik‹, vom Jahr 1824, folgendermaßen prophezeiht: »Wenn es dahin kommt, daß alle die Bibel lesen, wird die Welt nur ein Aufenthalt für wilde Tiere sein.« Meint ›Der Katholik‹, daß alle sie dann auch verstehen und befolgen, so mag er recht haben, weil dann die ganze Menschheit zu einer höhern Existenz auf einem andern Planeten reif sein möchte. Demongeachtet bin ich mit dem ›Katholiken‹ insoweit einverstanden, daß die unüberlegte Verteilung der Bibeln an alle (auch die ungebildetsten Wilden) das Kind mit dem Bade verschütten heißt.

Ich wanderte von hier nach dem Museum, das eine Mischung sehr verschiedener Gegenstände enthält. Gleich beim Eingange sieht man auf der Treppe ein Bild der Schlacht von Pavia, worin die wichtigsten Personen Portraits sind, in ihrer Zeit nach dem Leben gemalt, wie daneben bemerkt ist. Das Bild ist ganz in dem Stil der alten Miniaturen, und auch sehr merkwürdig wegen der vielen genauen Trachten und Rüstungen jener Zeit. Darunter steht: ›Comen les gens de L'empereur deffirent les francoys en lan 1525.‹ Des Kardinal Wolsey' und Kardinal Richelieu' Bildnisse, sowie mehrerer anderer historischer Personen zierten diese Treppe. Unter ihnen befand sich auch das eines berühmten Gärtners Carls I., Tredescant mit Namen, von welchem Kollege R... nicht wegzubringen war, das Bild mit einer Art Protektion betrachtend, und besonders sehr zufrieden mit einer Guirlande von Mohrrüben und Gurken, die den Gartenahn malerisch umschlang. Für mich war das Interessanteste auf diesem Gemälde das Konterfei eines seltsamen, ganz ›Tausend und eine Nacht‹ ähnlichen großen Vogels, mit Namen Dodo, der diesem Gärtner lebendig zugehört haben, seitdem aber nie wieder seinesgleichen gesehen worden sein soll. Als Beweis, daß die Geschichte keine Fabel sei, zeigte man uns im museo noch den ganz fremdartigen Kopf und Schnabel des Dodo.

In der Naturaliensammlung waren eine große Menge, zum Teil sehr seltne, Papageien aufgestellt, nebst einem andern merkwürdigen Vogel, der Stacheln an seinen Flügeln hat, mit denen er kleine Fische wie mit einer Lanze anspießt; dabei sieht der diminutive Kämpe, der nur sechs Zoll hoch ist, ungemein putzig, und wie ein Strauß en miniature aus, nur viel klüger und kampflustiger. Sehenswert war auch das Schnabeltier, eine Art kolossaler Wasserratze mit Schwimmhäuten und einem Entenschnabel, aus jenem seltsamen Weltteil Neuholland, das uns durch seine dem übrigen Naturreich fremde Produktionen, fast auf die Vermutung bringt, es gehöre einer andern Schöpfungsepoche an, oder sei einst von einem vorbeisegelnden Stern verloren worden und auf unsere Erde niedergefallen.

Ein Gemälde von Kolibrifedern bietet Farben dar, die überirdisch erscheinen, und ebenso überraschend war das Basrelief eines herrlich goldgrün geharnischten Ritters, dessen Harnisch aus den Flügelschalen des Goldkäfers bestand. Eine gute Satire auf den heutigen Landadel wäre es, wenn man einen solchen Ritter mit der blauen Rüstung des Mistkäfers darstellte.

Im Kuriositäten- cabinet ist zu vielerlei, um es Dir, gleich einem Antiquar, alles herzuerzählen. Ich beschränke mich daher, wie immer, nur auf das, was mich am meisten anspricht, und das ist nicht immer das berühmteste. Also zuerst ein mit Edelsteinen besetzter Handschuh Heinrichs VIII., und ein sehr wohlerhaltener, fast chinesisch geformter Sorgenstuhl desselben. Ferner ein eigenhändiger Brief der Königin Elisabeth an Lord Burleigh, sehr zierlich geschrieben, und eine niedliche Reitgamasche und Schuhe der Maiden Queen, welche wenigstens einen allerliebsten Fuß verraten. Endlich ihre Uhr mit einer geschmackvollen Kette, aus fünf Medaillons bestehend, eines unter dem andern, die alle anders gefärbte Haare enthalten, wahrscheinlich von ihren verschiedenen Günstlingen. Merkwürdiger noch ist ein anderes Medaillon, mit einem groben Portrait in Mosaik, und einer Inschrift, die beweist, daß es dem König Alfred zugehört habe. Dies seltene Überbleibsel des Altertums wurde erst vor zehn Jahren auf der Insel Atheiney, wo Alfred sich vor den Dänen verbarg, beim Aufreißen eines Feldes gefunden.

Die Kopie eines chinesischen Schiffes (einer junk) in der Größe eines Kahns, so daß man recht gut damit sogleich eine Spazierfahrt auf dem Wasser machen könnte, sowie das Modell des sogenannten Druidentempels zu Stonehenge, ein sehr vollständiges Kabinett fossiler Knochen u. s. w. erwähne ich noch, und führe Dich nun in die Gemäldegalerie, von Elisabeth erbaut, und ganz in statu quo erhalten. Die Decke derselben ist mit Holz- caissons verziert, und in jedem caisson ein Wappen, was sich gar altertümlich und prächtig ausnimmt. Sehr gut ausgeführte Gipsmodelle von den berühmtesten Tempeln des Altertums stehen im Vorsaal. Unter den Gemälden befinden sich einige vortreffliche. Das liebste war mir ein Portrait der Königin Maria von Schottland, authentisch von dem Italiener Zuccaro gleich nach ihrer Ankunft aus Frankreich gemalt, wo sie noch in allem unbeschreiblichen Reiz ihrer Jugend und Frische glänzte. Man begreift, wie diese Frau nur leidenschaftliche Verehrer oder wütende Feinde haben konnte. Ein im wahren Sinne des Wortes reizenderes, verführenderes Gesicht wird man selten sehen, aber bei aller französischen Grazie verrät es doch, daß diese Schönheit eigensinnig genug, und in ihren Leidenschaften nichtsachtend sein konnte, doch von Bösem oder Gemeinem, wie das erste bei Elisabeth, Katharine von Medici, das letzte bei der Königin Anna sichtlich ist, keine Spur. Eigentlich ein echt weiblicher und daher ganz verführerischer Charakter, mit allen Tugenden und Schwächen ihres Geschlechts in erhöhtem Maßstabe ausgestattet. Den Besitz eines solchen Bildes möchte ich ein wahres Glück nennen! Das Original möchte einem schon mehr zu schaffen machen. Derselbe Künstler hat auch Elisabeth gemalt, ein Portrait, das dem in Warwick beschriebenen vollkommen gleich ist. Graf Leicester, kurz vor seinem Tode dargestellt, erweckt auch viel Interesse. Sein Gesicht ist ebenso vornehm als schön, und obgleich es nicht ein großes Genie verrät, hat es doch den Ausdruck eines klugen, im äußern Anstand würdevollen und kräftigen Mannes. Von dem Glanz der Jugend ist nichts mehr übrig, wohl aber eine gewisse stolze Gemächlichkeit der sichern unerschütterlichen Gunst. In einer Kopie der ›Schule von Athen‹ von Giulio Romano, bewunderte ich von neuem das herrliche Antlitz des jungen Herzogs von Urbino, dieses Ideals sanfter jugendlicher Schönheit. Das schönste Mädchen könnte damit überzufrieden sein. Auch Raphaels eigenes Bild ist dort am bedeutendsten. Garricks Portrait von Raphael Mengs entsprach meiner Vorstellung von diesem Künstler nicht so wohl, als das in Stratford. Desto mehr gefiel mir ein Bild Carls XII. in Lebensgröße von Schroeder, auch jeder Zoll – ein großer Don Quixote, und ein sehr charakteristisches Portrait Carls II. von Peter Leley. Ich finde, daß Carl II. wie seine Weltbildung, auch in den Zügen ganz französisch aussieht, und namentlich eine auffallende Ähnlichkeit mit Bussy Rabutin hat. Sein Vater hängt in einer mehr als gewöhnlich anziehenden Abbildung daneben. Gewiß hat er ein schönes Gesicht mit vielsagenden Augen, aber der weiche, leidende, ideologische Ausdruck desselben zeigt genügsam an, daß der Träger solcher Züge keinem Manne wie Cromwell und keiner Zeit wie der seinigen gewachsen war. Es ist aber das größte Unglück für einen Hochstehenden, in eine unrechte Zeit zu geraten, wenn er nicht groß genug ist, ihr seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Der große Philosoph Locke, von Gibson, erscheint als ein magrer Stubengelehrter; daneben hängen ein schöner, fetter Luther, von Holbein, der stattliche Händel, von Hudson, und ein Portrait von Hugo Grotius, mit einem feinen, schlauen und doch ritterlich ehrlichen Gesicht, mehr den rüstigen Weltmann als den Gelehrten zeigend. Das sind ungefähr die Gegenstände, die mich am meisten anzogen.


Den 9ten

Heute bin ich erst recht in Oxford umhergeirrt, und kann nicht ausdrücken, mit welchem innigen Vergnügen ich in dieser gotischen Stadt, von Kloster zu Kloster wandernd, mir die alten Zeiten aufgefrischt habe. Unter andern gibt es eine prachtvolle Allee von Rüstern hier, die, gleich den von dieser Promenade sichtbaren Gebäuden, dem Jahre 1520 ihren Ursprung verdankt. Von dieser Königin aller Alleen, in der auch nicht ein Baum fehlt, und die mitten durch eine Wiese am Wasser hinführt, sieht man von der einen Seite eine reizende Landschaft, von der andern einen Teil der Stadt mit fünf bis sechs der schönsten gotischen Türme, an sich schon ein herrlicher Anblick, der aber heute noch durch einen bezogenen Himmel, an dem der Wind schwarze, phantastische Wolken, gleich dem wilden Heer hinjagte, und an dem sich zuletzt der schönste Regenbogen, wie aus einem der Türme steigend, und in den andern herabsinkend, über die ganze Stadt spannte – fast märchenhaft und bezaubernd wurde.

Von diesem alten Musensitz Englands, von allen jenen colleges, jedes verschieden von dem andern, und in verschiedenen Zeiten gebaut, jedes große Höfe einschließend und mit prachtvollen Türmen geschmückt, jedes mit einer mehr oder minder verzierten Kirche, einer Bibliothek und Gemäldegalerie versehen, und alle in ihrer Art immer von neuem Interesse – nehme ich das angenehmste Andenken mit. Wenn Du es aushalten kannst, immer und immer mehr aus der alten Schüssel zu genießen, so führe ich Dich noch weiter mit mir umher.

Mein erster Gang am Morgen war also nach der Radcliffe-Bibliothek, ein rundes in neuerer Zeit aufgeführtes Gebäude, das heißt im vorigen Säkulum auf Dr. Radcliffes Kosten erbaut, und ziemlich in der Mitte der Stadt gelegen. Es enthält im Innern nichts als eine Rotunde, durch drei Etagen steigend, mit einer Kuppel und zwei Reihen offener Galerien übereinander, aus denen Seitengemächer wie Strahlen aus dem mittlern Rund nach außen laufen, wo die Bücher (welche nur Medizin und Naturphilosophie betreffen) aufgestellt sind. An den Pfeilern unten stehen rund umher Abgüsse der besten Antiken. Eine kleine höchst akkurat gebaute Wendeltreppe führt in einem Seitentürmchen zur letzten Galerie – auf dem Dache, von welcher man eine schöne Übersicht der mit tausend Spitzen gen Himmel strebenden gotischen Paläste hat. Auch die umliegende Gegend ist freundlich, fruchtbar und baumreich. Man zählt in allem vierundzwanzig colleges (Art Klöster, für Erziehung bestimmt) und dreizehn Kirchen in dem kleinen Raum einer Stadt, die nur 16 000 Einwohner hat.

Von hier besuchten wir die von Heinrich VIII. erbaute Bibliothek, innerlich und äußerlich größtenteils in ihrem primitiven Zustand erhalten, und mit nicht weniger als 300 000 Büchern ausgestattet. Das Lokal sieht keinem andern dieser Art ähnlich, und versetzt auch im Innern vollständig in dahingegangene Jahrhunderte. Die Kreuzesform, die seltsamen Schränke und Eisengitter halb blau, halb vergoldet, von einer jetzt nicht mehr gesehenen Form, die ungeheuren Fenster, von der Breite dreier Kirchenfenster zusammengenommen, und mit dem schönsten farbigen Glase geziert, die bunte vergoldete Decke mit unzähligen caissons, jedes das Bild einer aufgeschlagenen Bibel mit vier Kronen enthaltend – selbst das noch beibehaltene alte costume der an den Tischen sitzenden Doktoren in Luthers Tracht – wie ungewöhnlich wird die Phantasie durch solchen Anblick angeregt! In der Mitte der hohen Schränke geht eine Galerie rund umher, um zu den höherstehenden Büchern zu gelangen. An dem Geländer dieser Galerie, die unten wieder eine Decke bemalter caissons bildet, sind die Portraits der verschiedenen Bibliothekare, vom ersten bis zum letzten, aufgehangen, einige leider in moderner Kleidung, welche daher wie Affen unter ihren ehrwürdigen Altvordern erscheinen. In dem mittleren Teile des Saals sind auf beiden Seiten die Schränke so aufgestellt, daß sie zugleich eine lange Gasse verschlossener cabinets bilden, in denen jeder, der die Bibliothek benutzen will, ganz ungestört arbeiten kann; eine alte, höchst nachahmungswürdige Einrichtung. Außer diesem Hauptsaale sind die übrigen Bücher in Zimmern enthalten, die den ganzen ersten Stock des viereckigen Gebäudes einnehmen. Hier sind höchst merkwürdige Manuscripte und alte Drucke aufbewahrt, man bedauert aber soviel hier zu sehen, was Deutschlands Armut dem englischen Reichtum hat zollen müssen, unter andern ein herrliches Exemplar der ältesten Fustischen Bibel, von 1440 glaube ich, die unserm Doktor Barth gehörte, und mit vielen Noten von seiner Hand versehen ist. Eine wahre Freude hatte ich, ein Manuskript zu finden, das so sehr dem einen Teil des Froissarts in unserer Bibliothek glich (dem mit den Miniaturen auf jedem Blatt), ganz mit denselben Arabesken von Früchten und Blumen auf Goldgrund geziert, Stil und Farben der Bilder so völlig ähnlich, daß es fast keinem Zweifel unterworfen sein kann, es müsse von demselben Maler herrühren. Leider ist darauf weder Name noch Jahreszahl vorhanden. Der Inhalt ist Curtius' Geschichte Alexanders, alle Personen aber im costume der Zeit des Schreibers, und wie im Froissart, die französischen und englischen Ritter, so bricht auch hier Alexander, von Kopf bis zum Fuß in Eisen gehüllt, eine Lanze mit Darius, und wirft ihn unsanft aus dem Sattel. Ein sehr merkwürdiges französisches Manuscript, dessen Gegenstand ein Heldengedicht in Versen ist, enthält (ein äußerst seltner Fall) den Namen des Schreibers mit dem Jahr 1340, und darunter auch Namen und Datum des Malers 1346, was vermuten ließe, daß der letzte sechs Jahre zu den Miniaturen gebraucht hat, die fast alle auf einem ganz ungewöhnlichen Grunde, aus Gold, blau und rot, nach verschiedenen Richtungen quadriert, und einer Tapete ähnlich, gemalt sind. Besonders interessant wird diese Schrift dadurch, daß auf jedem Blatte, wo sich ein Bild befindet, der Maler um den Text, statt einer Einfassung oder Arabeske, die Darstellung damaliger Gewerbe, Spiele und Ergötzlichkeiten angebracht hat. Nur eine flüchtige Durchsicht zeigte mir, neben einer Menge Spielen und Aufzügen, die wir nicht mehr kennen, auch mancherlei so ganz noch, wie wir es in unsern Tagen sehen, daß ich oft darüber erstaunte. Z. B. ein Maskenball, Kämmerchen vermieten, das Händespiel, gioco di villano genannt, dasselbe mit den Füßen, was wir Knaben oft in der Schule exerzierten, um uns im Winter zu erwärmen, Hahnenschlag und Hahnengefechte, Seiltänzer und Taschenspielerkünste, Kunstreiter und abgerichtete Pferde, die mitunter noch schwerere Kunststücke machen als die unsrigen, Scheibenschießen nach einem Mann, der (mille pardons) seinen bloßen H... der Gesellschaft zukehrt, wie in Pförten in der Lausitz noch ein ähnlicher existiert, eine Schmiede, wo ein Pferd im Notstall beschlagen wird, ein Frachtwagen mit drei großen Karrenpferden voreinander gespannt, mit Leitern an den Seiten, Geschirr etc. ganz in der heutigen Form, selbst das costume des Fuhrmanns in seiner blauen blouse das nämliche, und manches andere, was ich nicht alles hererzählen will, zeigte an, daß, wenn vieles sich änderte, doch auch unendlich viel sich gleichblieb, und vielleicht, à tout prendre, das Getreibe der Menschen in den verschiedenen Zeiten sich weit ähnlicher sieht, als man sich vorzustellen pflegt.

Ein Boccaccio mit äußerst schönen Miniaturen und prachtvoller Schrift gehört zu den elegantesten Paradestücken der Bibliothek, und als eine der größten Seltenheiten wird eine lateinisch und griechisch abgefaßte Apostelgeschichte aus dem 7. Jahrhundert gezeigt, in der jede Zeile nur ein Wort in beiden Sprachen enthält. Für sein hohes Alter ist das Ganze sehr wohlerhalten.

In dem Aller-Seelen-College ist eine Stelle in dem schönen Hofe, (den übrigens der feinste Rasen bedeckt) wo man einen besonders herrlichen Anblick fortwährend übereinander hinragender Spitzen und façades altertümlicher Gebäude hat, ohne die geringste Mischung mit Modernem. Hier ist ebenfalls eine Bibliothek von 70 000 Bänden in einem 120 Fuß langen und 60 Fuß hohen Saal aufgestellt. In der Mitte steht eine Himmelsuhr, die unser ganzes Sonnensystem ungemein einfach versinnlicht, und regelmäßig das Jahr hindurch mit Sonne und Planeten den gleichen Lauf hält.

Christus-College ist ein schönes Gebäude neuerer Zeit, nur eine Abteilung davon ist uralt, und die Kirche von altsächsischer Bauart, wo antike Säulen mit runden und Spitz-Bogen sonderbar, aber nichts weniger als das Auge beleidigend, durcheinander abwechseln. Hier ist der berühmte Schrein der heiligen Frideswide, ein überaus prächtiges und geschmackvolles gotisches Grabmal aus dem Anfang des achten Jahrhunderts, also jetzt schon 1200 Jahre wohl erhalten. Es war mit silbernen Aposteln und andern Zieraten versehen, die unter Cromwell geraubt wurden, wie überhaupt dieser unglückliche Religionskrieg den Monumenten des Altertums in England einen unersetzlichen Schaden zugefügt hat, da bis dahin alle diese Sachen auf das vollständigste konserviert waren. Bei diesem college ist auch der reizende Spaziergang, von dem ich Dir schon geschrieben. Er führte uns zu dem Magdalenen-Kloster, das zum Teil neu restauriert ist, und von allen colleges den höchsten Turm hat. Die Restaurationen, welche dem alten Stile vollkommen gleich ausgeführt sind, und diese Teile des Gebäudes nun wieder 500 Jahre länger sichern werden, kosten, obgleich nur ein sehr geringer Teil fertig ist, bereits 40 000 L. St. Man kann sich also denken, welche ungeheuren, gar nicht mehr zu erschwingenden Summen die Aufführung solcher Werke von Grund aus heutzutage kosten würde. Die arbeitenden Klassen und zum Teil die Künstler, haben offenbar in unserer Zeit über die Verzehrenden den Vorsprung gewonnen, und ihre Arbeit ist daher so teuer geworden, daß etwas wirklich Großes in der Kunst nach diesem Maßstabe kaum mehr bezahlt werden könnte, denn für die Summe, welche ehemals ein Götterwerk Raphaels erkaufte, kann man heute (selbst verhältnismäßig in Hinsicht auf den geringem Geldwert) kein Portrait von Thomas Lawrence mehr erstehen. Der botanische Garten schloß unsre Promenade, enthält aber nichts, das des Aufzeichnens wert wäre. Ich erlöse Dich daher für jetzt, meine gute Julie. Mais cest à y revenir demain.


Buckingham, den 10ten

Es ist sündlich, wie mein Privat-Tagebuch seit lange schon von mir vernachlässigt wird! Je mehr die Reisebriefe an Dich anschwellen, je mehr schrumpft jenes unglückliche Journal zusammen. Wenn Du diese Briefe verbrannt hast, werde ich gar nicht mehr wissen, was in jener Zeit aus mir geworden ist. Denke Dir wie unangenehm, vor seinem eignen Gedächtnis zu verschwinden! Ja, meine Einbildungskraft ist durch die vielen Ruinen und Anklänge vergangener Zeiten so montiert, daß ich schon in eine Zukunft hinüberträume, wo selbst alle Ruinen aufhören, und wo man nicht nur seinen Schatten, sondern den ganzen Menschen verloren haben wird, um auf neuen Sternen ein neues Leben zu beginnen – denn mit der Erinnerung, man sage, was man wolle, verliert man doch das ganz, was man jetzt ist, wie schon auf dieser Erde der Greis beinahe sich als Kind verloren hat. Wiederfinden können wir uns aber dennoch, meine Herzensfreundin, und dann wird das Band, das uns hier verbindet, sich auch notwendig wieder dort neu anknüpfen müssen. Dies kann uns auch genügen.

Ein abscheuliches Wetter, Regen und Dunkelheit hielten mich in Oxford bis 3 Uhr nachmittags zurück, wo es sich soweit aufklärte, daß ich abfahren konnte. Der Postillon wußte den Weg, welcher keine Hauptstraße ist, nicht recht genau, und fuhr uns eine große Strecke um, so daß wir erst sehr spät hier ankamen. Während man in meiner Stube Kaminfeuer machte, trat ich in die des Wirts, wo ich ein sehr hübsches Mädchen, seine Nichte, fand, nebst zwei Doktoren aus dem Orte, mit denen ich mich den Abend ganz gut unterhielt.


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