Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Erster Brief

Dresden, den 8ten Sept. 1826

Meine teure Freundin!

Deine Liebe bei unserm Abschied in B... hat mir so wohl und weh getan, daß ich mich noch nicht davon erholen kann. Immer steht Deine kummervolle Gestalt vor mir, ich lese noch den tiefen Schmerz in Deinen Blicken und Tränen, und mein eigenes Herz sagt mir nur zu sehr, was Du dabei empfunden haben mußt. Gott gebe uns bald ein so freudiges Wiedersehen, als der Abschied traurig war!

Ich kann vorderhand nichts sagen, als Dir in's Gedächtnis rufen, was ich so oft wiederholte, daß ich ohne Dich, meine Freundin, mit mir in dieser Welt zu wissen, keine ihrer Freuden mehr ungetrübt genießen könnte, daß Du also, wenn Du mich liebst, vor allem über Deine Gesundheit wachen, Dich durch Geschäfte, so viel Du kannst, zerstreuen, und auch die ärztlichen Anordnungen nicht verabsäumen sollst.

Als mich auf dem Wege die Schwermut, welche allen Gegenständen einen so trüben Anstrich gibt, ganz überwältigen wollte, suchte ich eine Art Hilfe bei Deiner Sévigné, deren Verhältnis mit ihrer Tochter in der Tat viel Ähnliches mit dem unsrigen hat, mit der Ausnahme jedoch: que j'ai plus de votre sang, als Frau von Grignan von dem ihrer Mutter. Du aber gleichst der liebenswürdigen Sévigné, wie dem Portrait einer Ahnfrau. Die Vorzüge, welche sie vor Dir hat, gehören ihrer Zeit und Erziehung an, Du hast andere vor ihr voraus, und was dort vollendeter und abgeschlossener als klassisch erscheint, wird bei Dir – reicher und sich in das Unendliche versenkend – romantisch. Ich schlug das Buch au hasard auf. Artig genug war es, daß ich gerade auf diese Stelle traf:

›N'aimons jamais ou n'aimons guères
17 est dangéreux d'aimer tant!‹

worauf sie gefühlvoll hinzusetzt,

›Pour moi j'aime encore mieux le mal que le remède,
et je trouve plus doux d'avoir de la peine à quitter
les gens que j'aime, que de les aimer médiocrement.‹

Ein wahrer Trost ist es mir schon jetzt, Dir ein paar Zeilen geschrieben zu haben. Seit ich mich wieder mit Dir unterhalte, glaube ich Dir auch wieder näher zu sein.

Reiseabenteuer kann ich Dir noch nicht mitteilen, ich war so sehr mit meinen innern Empfindungen beschäftigt, daß ich kaum weiß, durch welche Orte ich gekommen bin.

Dresden erschien mir weniger freundlich als gewöhnlich, und ich dankte Gott, als ich mich im Gasthof auf meiner Stube wieder häuslich eingerichtet fand.

Der Sturm, der mir den ganzen Tag gerade in's Gesicht blies, hat mich übrigens sehr erhitzt und fatiguiert, und da ich ohnedem, wie du weißt, nicht ganz wohl bin, so bedarf ich der Ruhe.

Der Himmel gebe auch Dir in M... eine sanfte Nacht, und einen lieben Traum von Deinem Freunde!


Den 10ten früh

Vous avez sans doute cuit toutes sortes de bouillons amers, ainsi que moi. Indessen bin ich heiterer und wohler aufgestanden, als gestern, und gleich zur Aufräumung meiner Sachen, wie zu allen den kleinen Geschäften geschritten, welche die Vorbereitung für eine weite Reise nötig machen. Am Abend fühlte ich mich wieder recht angegriffen, und da ich einen Rückfall meines nervösen, hypochondrischen Übelbefindens befürchtete, was Du meine ›maladie imaginaire‹ tauftest, so ließ ich den Hofrat W... kommen, den Lieblingsarzt der hier durchreisenden Fremden, weil er, seine Geschicklichkeit abgerechnet, ein amüsanter und lustiger Gesellschafter ist. Du kennst meine Art, Ärzte zu gebrauchen. Niemand kann mehr homöopathischer Natur sein – denn in der Regel kuriert mich schon das bloße Gespräch mit ihnen über meine Übel und ihre Heilmittel zur Hälfte, und nehme ich dann ja noch etwas von dem Verschriebenen, so geschieht es gewiß nur in Tausendteilchen. Dies bewährte sich auch heute, und nach einigen Stunden, die W... an meinem Bette zubrachte, und mit mancher pikanten Anekdote würzte, soupierte ich mit besserem Appetit, und schlief leidlich bis zum hohen Morgen. Als ich meine Augen aufschlug, fielen sie auf ein Briefchen von Dir, das der ehrliche B... mir auf die Decke gelegt hatte, wohl wissend, daß ich den Tag nicht freudiger beginnen könnte. In der Tat, nach dem Vergnügen von Dir zu hören, habe ich nur noch eins – Dir zu schreiben. – Fahre nur fort, so ganz zwanglos Deinen Gefühlen Worte zu geben, und schone auch die meinigen nicht. Ich weiß es ja wohl, daß Deine Briefe noch lange einer ernsten, trüben Landschaft gleichen müssen! Ich werde beruhigt sein, wenn ich nur manchmal ein liebliches Sonnenlicht seine Strahlen hineinwerfen sehe.


Leipzig, den 11ten

In einem recht schönen Zimmer mit wohlgebohntem Parkett, eleganten meubles und seidenen Vorhängen, alles noch in der ersten fraicheur, deckt man soeben den Tisch für mein dîner, während ich die Zeit benütze, Dir ein paar Worte zu schreiben.

Ich verließ heute früh um 10 Uhr Dresden in ziemlich guter Stimmung, das heißt, bunte Phantasiebilder für die Zukunft ausmalend, nur die Sehnsucht nach Dir, gute Julie, und die daraus folgende Vergleichung meines faden und freudelosen Alleinseins gegen die herrliche Lust, mit Dir in glücklicheren Verhältnissen diese Reise machen zu können, griffen mir oft peinlich an's Herz.

Vom Wege hieher ist nicht viel zu sagen, er ist nicht romantisch, selbst nicht die, mehr Sand als Grün zur Schau tragenden, Weinberge bis Meißen. Doch erregt die zu offene, aber durch Fruchtbarkeit und Frische ansprechende Gegend zuweilen angenehme Eindrücke, unter andern bei Oschatz, wo der schön bebuschte Culmberg, wie ein jugendlich gelocktes Haupt in das Land hineinschaut. Die Chaussee ist gut, und es scheint, daß auch in Sachsen das Postwesen sich verbessert, seitdem in Preußen der vortreffliche Nagler eine neue Post-Ära geschaffen hat. Nichts ist mir dabei belustigender als B...s frischer Eifer, der selbst die Gutwilligsten unter den Phlegmatischen rastlos antreibt, und sich gegen sie benimmt, als habe er bereits mit mir die ganze Welt durchreist, und es, wie sich von selbst versteht, überall besser gefunden, als im Vaterlande.

Bei dem gereizten Zustande meiner Gesundheit ist der bequeme englische Wagen eine wahre Wohltat. Ich tue mir überhaupt etwas darauf zugute, das Reisen in gewisser Hinsicht besser als andere zu verstehen, nämlich die größte Bequemlichkeit, wozu auch das Mitnehmen der möglichsten Menge von Sachen gehört (in der Ferne oft liebe, gewohnte Andenken) mit dem geringsten embarras und Zeitverlust zu verbinden zu wissen. Diese Aufgabe habe ich besonders diesmal vollkommen gelöst. Ehe ich in Dresden einpackte, glaubte man ein Warenlager in meinen Stuben zu sehen. Jetzt ist alles in den vielfachen Behältnissen des Wagens verschwunden, ohne diesem dennoch ein schweres überladenes Ansehen zu geben, das unsre Postillone so leicht erschreckt, und den Gastwirten einen auf der großen tour Begriffenen anzeigt. Jede Sache ist bei der Hand, und dennoch wohl gesondert, so daß, im Nachtquartier angekommen, in wenigen Minuten das ›häusliche Verhältnis‹ in dem fremden Orte schon wieder hergestellt ist. Unterwegs aber geben mir die hellen Kristallfenster vom größten Format, die kein Gepäck und kein Bock verbaut, ebenso freie Aussicht als eine offene Kalesche, und lassen mich zugleich Herr der Temperatur, die ich wünsche. Die Leute auf ihrem hinter dem Wagen befindlichen hohen Sitze, übersehen von dort alles Gepäck und die Pferde, ohne in das Innere neugierige Blicke werfen, noch eine Konversation daselbst überhören zu können, wenn ja, im Lande der Brobdingnags oder Lilliputs angelangt, einmal Staatsgeheimnisse darin verhandelt werden sollten. – Ich könnte ein Kollegium über dieses Kapitel lesen, das dem Reisenden gar nicht unwichtig ist, bin aber hier nur deshalb so weitläufig geworden, um Dir ein vollständiges Bild zu liefern, wie Du mich, die Welt durchziehend, Dir denken sollst, und das nomadische Wohnhaus, mit dem die wechselnden Postgäule mich täglich weiter Deinem Gesichtskreise entrücken.

Der Wirt im Hôtel de Saxe, gewiß einem der besten Gasthöfe in Deutschland, ist ein alter Bekannter von mir, der, als ich in Leipzig studierte, sich sogar manches Recht auf meine Dankbarkeit erwarb. Viele fröhliche, zuweilen ausgelassene Mahle wurden damals in seinem Hause gehalten, und ich lud ihn daher ein, auch heute mein einsameres zu teilen, um mir von der Vergangenheit und dem wilden Jünglingsleben wieder etwas vorzuerzählen. Die jetzigen Zeiten sind leider überall ernster geworden, sonst ward das Vergnügen fast zum Geschäft erhoben, man dachte und studierte nur darauf, und den stets Tanzlustigen war gar leicht aufgespielt – heutzutage findet man das Vergnügen nur noch im Geschäft, und großer Reizmittel bedarf es, um außerdem froh zu werden, wenn es überhaupt noch erlangt wird.


Weimar, den 13ten abends

Ich will Dich mit keiner einzigen Tirade über die Schlachtfelder von Leipzig und Lützen, noch einer Beschreibung des chetiven Monuments Gustav Adolphs, noch der magern Schönheiten der Umgegend von Schulpforte ermüden. In Weißenfels, wo ich ein Buch zu kaufen wünschte, war ich verwundert, zu hören, daß in des großen Müllners Wohnort kein Buchhändler zu finden sei. Wahrscheinlich haben sie gefürchtet, daß er ihnen dort aus erster Hand einen Prozeß an den Hals hängen würde.

Die Fluren von Jena und Auerstädt betrat ich mit eben den Gefühlen, die zwischen den Jahren 1806 und 1812 ein Franzose der großen Armee gehabt haben mag, wenn er über Roßbachs Felder schritt, denn der letzte Sieg bleibt (wie das letzte Lachen) immer der beste – und als nach so vielen Schlachterinnerungen mich der Musensitz, das freundliche Weimar in seinen Schoß aufnahm, segnete ich den edlen Fürsten, der hier ein Monument des Friedens aufgerichtet, und einen Leuchtturm im Gebiete der Literatur aufbauen half, der so lange in vielfarbigem Feuer Deutschland vorgeflammt hat.

Am nächsten Tage stellte ich mich diesem, meinem alten Chef, und den sämtlichen hohen Herrschaften vor, die ich wenig verändert, den Hof aber durch zwei liebenswürdige Prinzessinnen vermehrt fand, die, wären sie auch im geringsten Privatstande geboren, durch äußern Reiz und treffliche Erziehung ausgezeichnet erscheinen müßten. Man ist übrigens hier noch von einer, anderwärts ganz aus der Mode gekommenen, Artigkeit gegen Fremde. Kaum war ich angemeldet, als schon ein Hoflakai bei mir erschien, um sich nebst einer Hofequipage für die Zeit meines Hierseins zu meiner Verfügung zu stellen, und mich zugleich ein für allemal zur Mittagstafel einzuladen.

Der Großherzog hatte am Morgen die Güte, mir seine Privatbibliothek zu zeigen, die elegant arrangiert, und besonders reich an prächtigen englischen Kupferwerken ist. Er lachte herzlich, als ich ihm erzählte, kürzlich in einem Pariser Blatte gelesen zu haben, daß auf seinen Befehl Schiller ausgegraben worden sei, um sein Skelett in des Großherzogs Bibliothek in natura aufzustellen. Die Wahrheit ist, daß bloß seine Büste mit denen anderer die Säle ziert, sein Schädel aber dennoch, wenn ich recht hörte, im Postamente derselben verwahrt wird, allerdings eine etwas sonderbare Ehrenbezeugung.

Den Park sah ich mit erneutem Vergnügen wieder. Die Gegend ist zwar nicht eben reich an pittoresker Schönheit, aber die Anlagen sind so verständig erdacht, die einzelnen Partien so sinnig und schön ausgeführt, daß sie ein Gefühl der Befriedigung zurücklassen, welches ähnliche Bestrebungen, auch bei günstigerer Natur, selten in dem Grade hervorbringen. Als neuen Zusatz fand ich in einem weiten Rondell, in dessen Mittelpunkt ein herrlicher alter Baum steht, einen kleinen botanischen Garten angelegt, wo man, nach dem Linnéischen System geordnet, einzelne Exemplare aller im Freien aushaltenden Bäume, Sträucher und Pflanzen antrifft, die der hiesige Park und Garten enthält. Es kann keinen freundlichern Ort zum lebendigen Studium der Botanik geben, als den Sitz unter diesem alten Baume, der wie ein ehrwürdiger Stammvater auf die ihn umgebende Jugend von allen Formen, Blättern, Blüten und Farben herabschaut. Im Verlauf meiner Exkursion besah ich auch noch ein Mustervorwerk des Großherzogs, wo kolossales Schweizervieh wenig Milch gibt – denn diese Verpflanzungen des Fremden taugen gewöhnlich nicht viel; ferner die anmutige Fasanerie, die reich an Gold- und Silberfasanen und weißen Rehen ist. Einen seltsamen Anblick gewährte der große Trutenbaum, auf welchen 70 bis 80 dieser schwerfälligen Vögel vom Fasanenjäger gewöhnt sind, gemeinschaftlich hinaufzuklettern, wo dann die alte Linde, über und über mit solchen Früchten behangen, ein wunderbar exotisches Ansehen gewinnt.

Da man sehr zeitig bei Hofe speist, hatte ich kaum Zeit, mich en costume zu werfen, und fand, etwas spät kommend, schon eine große Gesellschaft versammelt, unter der ich mehrere Engländer bemerkte, die jetzt sehr vernünftigerweise hier deutsch studieren, statt früher mit vieler Mühe den Dresdner ungraziösen Dialekt zu erlernen, und äußerst gastfrei aufgenommen werden. Die Unterhaltung bei Tafel wurde bald sehr animiert. Du kennst die Jovialität des Großherzogs, der hierin ganz seinem Freunde, dem unvergeßlichen Könige von Bayern, gleicht. Man rekapitulierte mehrere scherzhafte Geschichten aus der Zeit, wo ich noch sein Adjutant zu sein die Ehre hatte, und nachher mußte ich mein großes cheval de bataille reiten – die Luftballon-Fahrt. Interessanter waren Herzog Bernhards Erzählungen von seiner Reise in Nord- und Süd-Amerika, die wir, wie ich höre, bald mit Anmerkungen von Goethe versehen, gedruckt lesen werden. Dieser Prinz, den die Geburt hoch gestellt hat, steht als Mensch noch höher, und niemand konnte, namentlich den freien Amerikanern, eine vorteilhaftere Idee von einem deutschen Fürsten geben, als gerade er, der freie Würde im Benehmen mit echter Liberalität der Gesinnung, und anspruchloser Liebenswürdigkeit des Umgangs verbindet.

Abends war große assemblée, eine Art Vereinigung, die ihrer Natur nach nicht zu den genußreichsten gehört. Jede Annehmlichkeit aber kehrte für mich zurück, als ich beim Spiel der Frau Großherzogin gegenüber meinen Platz eingenommen hatte. Wer hat nicht von dieser edlen und vortrefflichen deutschen Frau gehört, die selbst Napoleon mit ihrer stillen Klarheit zu imponieren wußte, und von jedem geliebt wird, der ihres milden und liebreichen Umgangs sich erfreuen darf. Wir saßen zwar, wie gesagt, am Spieltisch, gaben aber wenig auf die Whist-Regeln Achtung, und heitere Unterhaltung nahm den größten Teil der Zeit hinweg.

An einem Hofe wie der hiesige, den so viele Fremde besuchen, kann es nicht daran fehlen, daß oft seltsame Originale sich einfinden, die, auch den am wenigsten zum Medisieren Geneigten, Stoff zu pikanten Anekdoten liefern müssen. Einige ganz lustige wurden mir nach beendigtem Spiele, als ich mich wieder unter die Gesellschaft gemischt, erzählt, unter andern auch eine merkwürdige, Visiten-Karte in natura gezeigt, die einer bekannten, von einem Engländer kursierenden Anekdote wahrscheinlich ihr Dasein verdankte. Dies Vorbild brachte nämlich den, wegen seiner lustigen Laune fast berüchtigten, Baron J... auf den Gedanken, die Sache mit einem seiner Tisch-Freunde, einen ehemaligen Hauptmann, dem die Welt und ihre Sitten ziemlich fremd geblieben waren, von neuem ins Leben zu rufen. Er insinuierte zu diesem Endzweck dem bisher ganz einsam in D... Lebenden, daß es die Höflichkeit von ihm jetzt durchaus erfordere, eine Visiten-Runde in der Stadt zu machen, worauf der harmlose Capitaine geduldig erwiderte, er wisse zwar damit keinen Bescheid, wolle sich aber gern der Leitung J...s überlassen. »Wohlan«, sagt dieser, »ich werde die Visiten-Karten, die französisch sein müssen, und alles übrige selbst besorgen, und Dich in drei Tagen in meinem Wagen abholen. Du wirst Uniform anziehen, und auf den Karten muß bemerkt werden, in wessen Diensten Du früher gestanden.« Alles geschah, wie verabredet, man kann sich aber denken, welchen lachenden Gesichtern die Besuchenden begegneten, da ihnen überall Visiten-Karten folgenden Inhalts vorangeschickt worden waren:

Le Baron de J... pour présenter: feu Monsieur le Capitaine de M..., jadis au service de plusieurs membres de la confédération du Rhin.


Den 14ten

Diesen Abend stattete ich Goethe meinen Besuch ab. Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stube, deren clair-obscur nicht ohne einige künstlerische Koketterie arrangiert war. Auch nahm sich der schöne Greis mit seinem Jupiters-Antlitz gar sittlich darin aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum geschwächt, er ist vielleicht weniger lebhaft als sonst, aber desto gleicher und milder, und seine Unterhaltung mehr von erhabener Ruhe als jenem blitzenden Feuer durchdrungen, das ihn ehemals, bei aller Grandezza, wohl zuweilen überraschte. Ich freute mich herzlich über seine gute Gesundheit, und äußerte scherzend, wie froh es mich mache, unsern Geister-König immer gleich majestätisch und wohlauf zu finden. »O, Sie sind zu gnädig«, sagte er mit seiner immer noch nicht verwischten süddeutschen Weise, und lächelte norddeutsch, satirisch dazu, »mir einen solchen Namen zu geben.« – »Nein«, erwiderte ich, wahrlich aus vollem Herzen, »nicht nur König, sondern sogar Despot, denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltsam mit sich fort.« Er verbeugte sich höflich, und befrug mich nun über einige Dinge, die meinen früheren Aufenthalt in Weimar betrafen, sagte mir dann auch viel Gütiges über M... und mein dortiges Streben, mild äußernd, wie verdienstlich er es überall finde, den Schönheitssinn zu erwecken, es sei auf welche Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer auch das Gute und alles Edle sich mannigfach von selbst entwickele, und gab mir zuletzt sogar, auf meine Bitte, uns dort einmal zu besuchen, einige aufmunternde Hoffnung. Du kannst Dir vorstellen, Liebste, mit welchem empressement ich dies aufgriff, wenn es gleich nur eine façon de parler sein mochte. Im fernern Verlauf des Gesprächs, kamen wir auf Sir Walter Scott. Goethe war eben nicht sehr enthusiastisch für den großen Unbekannten eingenommen. ›Er zweifle gar nicht‹, sagte er, ›daß er seine Romane schreibe, wie die alten Maler mit ihren Schülern gemeinschaftlich gemalt hätten, nämlich, er gäbe Plan und Hauptgedanken, das Skelett der Szenen an, lasse aber die Schüler dann ausführen, und retouchiere nur zuletzt.‹ Es schien fast, als wäre er der Meinung, daß es gar nicht der Mühe wert sei, für einen Mann von Walter Scotts Eminenz seine Zeit zu so viel fastidiösen Details herzugebenSir Walters offizielle Erklärung, daß alle jene Schriften von ihm allein seien, war damals noch nicht gegeben. A. d. H. . »Hätte ich«, setzte er hinzu, »mich zu bloßem Gewinnsuchen verstehen mögen, ich hätte früher mit Lenz und andern, ja ich wollte noch jetzt Dinge anonym in die Welt schicken, über welche die Leute nicht wenig erstaunen, und sich den Kopf über den Autor zerbrechen sollten, aber am Ende würden es doch nur Fabrikarbeiten bleiben.« Ich äußerte später, daß es wohltuend für die Deutschen sei, zu sehen, wie jetzt unsere Literatur die fremden Nationen gleichsam erobere, »und hierbei,« fuhr ich fort, »wird unser Napoleon kein Waterloo erleben.«

»Gewiß«, erwiderte er, mein etwas fades Kompliment überhörend, »ganz abgesehen von unsern eignen Produktionen, stehen wir schon durch das Aufnehmen und völlige Aneignen des Fremden auf einer sehr hohen Stufe der Bildung. Die andern Nationen werden bald schon deshalb deutsch lernen, weil sie inne werden müssen, daß sie sich damit das Lernen fast aller andern Sprachen gewissermaßen ersparen können. Denn von welcher besitzen wir nicht die gediegensten Werke in vortrefflichen deutschen Übersetzungen? Die alten Klassiker, die Meisterwerke des neueren Europas, indische und morgenländische Literatur, hat sie nicht alle der Reichtum und die Vielseitigkeit der deutschen Sprache, wie der treue deutsche Fleiß und tief in sie eindringende Genius besser wiedergegeben, als es in andern Sprachen der Fall ist? Frankreich«, fuhr er fort, »hat gar viel seines einstigen Übergewichts in der Literatur dem Umstande zu verdanken gehabt, daß es am frühesten aus dem Griechischen und Lateinischen leidliche Übersetzungen lieferte, aber wie vollständig hat Deutschland es seitdem übertroffen!«

Im politischen Felde schien er nicht viel auf die so beliebten Constitutions-Theorien zu geben. Ich verteidigte mich und meine Meinung indes ziemlich warm. Er kam hier auf seine Lieblings-Idee, die er mehrmals wiederholte, nämlich daß jeder nur darum bekümmert sein solle, in seiner speziellen Sphäre, groß oder klein, recht treu und mit Liebe fortzuwirken, so werde der allgemeine Segen auch unter keiner Regierungsform ausbleiben. Er für seine Person habe es nicht anders gemacht, und ich mache es in M... ja ebenfalls so, setzte er gutmütig hinzu, unbekümmert was andere Interessen geböten. Ich meinte nun freilich, mit aller Bescheidenheit, daß, so wahr und herrlich dieser Grundsatz sei, ich doch glaube, eine konstitutionelle Regierungsform müsse ihn eben erst recht ins Leben rufen, weil sie offenbar in jedem Individuum die Überzeugung größerer Sicherheit für Person und Eigentum, folglich die freudigste Tatkraft und zugleich damit die zuverlässigste Vaterlandsliebe begründe, hierdurch aber dem stillen Wirken in eines jeden Kreise eben eine weit solidere allgemeine Basis gegeben wurde, und führte endlich, vielleicht ungeschickt, England als Beleg für meine Behauptung an. Er erwiderte gleich, das Beispiel sei nicht zum besten gewählt, denn in keinem Lande herrsche eben Egoismus mehr vor, kein Volk sei vielleicht wesentlich inhumaner in politischen und Privat-VerhältnissenHier habe ich meinen Freund fast in Verdacht, daß er Goethe nur seine eigene Meinung in den Mund gelegt hat. A. d. H. , nicht von außen herein durch Regierungsform käme das Heil, sondern von innen heraus durch weise Beschränkung und bescheidene Tätigkeit eines jeden in seinem Kreise. Dies bleibe immer die Hauptsache zum menschlichen Glücke, und sei am leichtesten und einfachsten zu erlangen.

Von Lord Byron redete er nachher mit vieler Liebe, fast wie ein Vater von seinem Sohne, was meinem hohen Enthusiasmus für diesen großen Dichter sehr wohl tat. Er widersprach unter andern auch der albernen Behauptung, daß ›Manfred‹ eine Nachbetung seines ›Faust‹ sei, doch sei es ihm allerdings als etwas Interessantes aufgefallen, sagte er, daß Byron unbewußt sich derselben Maske des Mephistopheles wie er bedient habe, obgleich freilich Byron sie ganz anders spielen lasse. Er bedauerte es sehr, den Lord nie persönlich kennengelernt zu haben, und tadelte streng, und gewiß mit dem höchsten Rechte, die englische Nation, daß sie ihren großen Landsmann so kleinlich beurteile und im allgemeinen so wenig verstanden habe. Doch hierüber hat sich Goethe so genügend und schön öffentlich ausgesprochen, daß ich nichts weiter hinzuzufügen brauche. Ich erwähnte zuletzt der Aufführung des ›Faust‹ auf einem Privattheater zu Berlin, mit Musik vom Fürsten Radziwill und lobte den ergreifenden Effekt einiger Teile dieser Darstellung. »Nun«, sagte Goethe gravitätisch, »es ist ein eigenes Unternehmen, aber alle Ansichten und Versuche sind zu ehren.«

Ich grolle meinem schlechten Gedächtnis, daß ich mich nicht mehr aus unsrer ziemlich belebten Unterhaltung eben erinnern kann. Mit hoher Ehrfurcht und Liebe verließ ich den großen Mann, den dritten im Bunde mit Homer und Shakespeare, dessen Name unsterblich glänzen wird, solange deutsche Zunge sich erhält, und wäre irgend etwas von Mephistopheles in mir gewesen, so hätte ich auf der Treppe gewiß auch ausgerufen:

Es ist doch schön von einem großen Herrn,
mit einem armen Teufel so human zu sprechenIch glaube nicht, daß der erhabene Greis die Bekanntmachung dieser Mitteilung tadelnd aufnehmen wird. Jedes Wort, auch das unbedeutendere, seinem Munde entfallen, ist ein teures Geschenk für so viele, und sollte mein seliger Freund ihn irgendwo falsch verstanden, und nicht vollkommen richtig wiedergegeben haben, so ist wenigstens nichts in diesen Äußerungen enthalten, was, meines Bedünkens, eine Indiskretion genannt werden könnte. A. d. H. .


Den 15ten abends

Ich war heute beim Erb-Großherzog im Belvedere zur Tafel eingeladen, und fuhr um zwei Uhr auf einem angenehmen Wege dahin. Das Wetter ist, seit ich hier bin, wundervoll, Tage von Kristall, wie Deine Sévigné sagt, wo man weder Hitze noch Kälte fühlt, und die nur Frühjahr und Herbst so geben können.

Der Erb-Großherzog und seine Frau Gemahlin leben im Belvedere ganz wie Privatleute, und empfangen ihre Gäste ohne Etikette, nur mit der zuvorkommendsten Artigkeit. Die Großfürstin schien noch sehr gedrückt vom Tode des Kaisers, demohngeachtet machte sie später, als die Unterhaltung animierter ward, der Gesellschaft eine ergreifende Beschreibung von der Überschwemmung in Petersburg, deren Augenzeugin sie gewesen war. Ich habe immer die vortreffliche Erziehung und die mannigfachen Kenntnisse bewundert, welche die russischen Prinzessinnen auszeichnen. Bei der verstorbenen Königin von Württemberg konnte man es Gelehrsamkeit nennen. Ich hatte dieser Fürstin einst in Frankfurt einen Brief zu überbringen, und blieb, nachdem ich ihn übergeben, auf ihren Befehl im Zirkel stehen, bis die Übrigen entlassen sein würden. Ein Professor der Pestalozzischen Schule war der erste, welcher an die Reihe kam, und selbst weniger von seinem Systeme zu wissen schien als die Königin (damals noch Großfürstin Katharine), da sie seine weitschweifigen Antworten mehreremal mit der größten Klarheit rektifizierte. Ein Diplomat folgte, und erhielt ebenso in seiner Sphäre, so weit die allgemeine Unterhaltung es gestattete, die feinsten und gewandtesten Antworten. Hierauf begann sie ein gründliches Gespräch mit einem berühmten Ökonomen aus A.... und zuletzt schlossen tiefsinnige und glänzende Reflexionen in einer lebhaften Kontroverse mit einem bekannten Philosophen die merkwürdige Audienz.

Nach der Tafel führte uns der Erb-Großherzog in die Pflanzenhäuser, welche, nach Schönbrunn, wohl die reichhaltigsten in Deutschland sind. Du weißt, liebe Julie, daß ich auf die bloße Seltenheit wenig Wert lege, und auch in der Pflanzenwelt mich nur an dem Schönen ergötze. Daher gingen viele Schätze an mir verloren, und ich konnte das Entzücken nicht teilen, in welches mehrere Kenner ausbrachen, als sie eine Staude erblickten, die zwar nur sechs Zoll hoch war, und nicht mehr als fünf Blätter ohne Blüte aufwies, aber 60 Guineen gekostet hatte, und bis jetzt noch kein anderes deutsches Pflanzenhaus zierte. Dagegen machte mir ein roter Cactus grandiflorus, der wundervoll reich blühte, und eine Menge anderer ausgezeichneter Prunkpflanzen viel Freude; mit aller Ehrfurcht besah ich das Prachtstück eines großen Brotfruchtbaumes, und fand es artig, auf dem Cactus, den die Cochenille bewohnt, mir mit einigen dieser Tierchen sofort die Finger karminrot zu färben. Die ganze Masse der Pflanzen übersteigt 60 000 verschiedene Arten. Auch die Orangerie ist prächtig, und ein Veteran von anderthalb Ellen Umfang darunter, der bereits 550 nordische Sommer glücklich ausgehalten.

Den Abend brachte ich bei Herrn v. G... zu, einem geistreichen Manne, und alten Freund der Madame Schopenhauer, die auch für mich eine freundliche Gönnerin ist. Frau v. G...e kam später, unsere Gesellschaft auf sehr angenehme Weise zu vermehren. Sie ist eine muntere, originelle und geistreiche Frau, auf welche der dem Schwiegervater mit so viel Recht gestreute Weihrauch billig nicht ohne allen Einfluß geblieben ist. Sie zeigte sich sehr erfreut, vom englischen Verfasser des ›Granby‹, welcher in Weimar deutsch studiert hat, soeben ein erstes Exemplar seines Romans überschickt erhalten zu haben. Ich fand die Opfergabe nicht sehr bedeutend, und wünschte ihr, daß der Verfasser interessanter gewesen sein möge, als sein Werk. Ich sagte dies vielleicht aus debit denn man schmeichelt hier, wie überall auf dem Kontinent, den Engländern viel zu viel, und Gott weiß, wie sehr mal à propos!


Den 16ten

Nachdem ich mich bei allen hohen Herrschaften diesen Morgen beurlaubt, widmete ich den Rest des Tages meinem Freunde Sp..., der mit seiner Familie zeigt, daß man das Hofleben und die große Welt mit der einfachsten Häuslichkeit und gewinnendsten Herzensgüte sehr wohl verbinden kann. Ein junger Engländer, Sekretär bei Herrn Canning, der deutsch wie seine Muttersprache redet, unterhielt uns mit launigen Schilderungen der englischen Gesellschaft, deren Unbeholfenheit und Mangel an Gutmütigkeit er bitter rügte, wobei er natürlich gute Gelegenheit fand, den Deutschen, wie besonders den Anwesenden Verbindliches zu sagen. So urteilen die Engländer jedoch nur im Auslande. Zurückgekommen, nehmen sie schnell wieder die gewohnte Kälte und stolze Indifferenz an, die einen Fremden wie ein geringeres Wesen betrachtet, und lachen höhnisch der deutschen bonhomie, die sie früher gelobt, so lange sie der Gegenstand derselben waren, während sie doch zu jeder Zeit die wahrhaft lächerliche Ehrfurcht, die wir für den Namen ›Engländer‹ hegen, nur als schuldigen Tribut ihrer hohen Vorzüge ansehen.

Dies ist der letzte Brief, liebe Julie, den Du von hier erhältst. Morgen früh, nicht mit dem Hahnenschrei, sondern nach meinem Kalender, um 12 Uhr, gedenke ich abzureisen, und mich bis London nicht viel unterwegs aufzuhalten. Schone, ich bitte Dich, Deine Gesundheit um meinetwillen, und erheitere Deinen Geist so viel Du es vermagst, mit jener wunderbaren Kraft, die ihm der Schöpfer verlieh: sich selbst zu bezwingen. Doch liebe mich deshalb nicht weniger – denn meine Kraft ist Deine Liebe.

Dein treuer L.


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