Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Vierunddreißigster Brief

Kenmare, den 28sten September 1828

Geliebte Freundin!

War es also der Teufel oder nicht? fragst Du. Ma foi, je n'en sais rien. Jedenfalls hatte er in dem erwähnten Augenblick eine sehr recommendable, wenngleich gefährliche, Gestalt erwählt, nämlich die eines hübschen Mädchens, die in ihrem dunkelblauen, vom Regen noch schwärzer gemachten, langen Mantel eingehüllt, und der roten Mütze von Kerry auf dem Kopfe, barfuß, und vor Kälte schauernd, bei mir vorbeigehen wollte, als ich sie anhielt, und frug, warum sie hinke, und wie sie in diesem Wetter hier so allein umher irre? »Ach«, rief sie, in halb verständlichem patois, auf ihren verbundenen Fuß zeigend, »ich gehe bloß nach dem nächsten Dorfe, habe mich verspätet, bin bei dem abscheulichen Wetter gefallen, und habe mir recht wehe getan!« Hierbei sah sie ganz schalkhaft und lose aus (am Ende war doch etwas nicht ganz Geheures dabei) und zeigte so viel von dem schön gerundeten, verwundeten Bein, daß meine Laune abermals wechselte, et je crois que le diable n'y perdit rien. – Wir teilten von nun an die Beschwerden des Wegs, halfen uns gegenseitig, und fanden endlich im Tal, zuerst besseres Wetter, dann ein erholendes Obdach, und endlich einen labenden Trunk frischer Milch.

Neu gestärkt wanderte ich in der Nacht weiter, und als ich in Kenmare anlangte, hatte ich die vier deutschen Meilen in etwas über sechs Stunden zurückgelegt. Aber ich war auch herzlich müde, und sobald ich in mein Schlafzimmer trat, sprach ich mit Pathos, und Wallenstein: Ich denke einen langen Schlaf zu tun!


Derrinane Abbey, den 29sten

Dies geschah denn auch, und ich hatte Zeit dazu, denn das Wetter war so abscheulich, daß ich bis 5 Uhr nachmittags auf besseres wartete, aber leider vergebens. Ich hatte, den Abend vorher, den zu Herrn O'Connell abgeschickten, und unbesonnener Weise, vorausbezahlten Boten, ohne Antwort und mit zerbrochenem Schlüsselbein im Gasthof wieder vorgefunden, denn da er Geld in seiner Tasche gefühlt, so hat er auch dem Whiskey nicht länger widerstehen können, infolgedessen er mit seinem Pferde in der Nacht einen Felsen herabgestürzt war! Er hatte indes doch den verständigen Einfall gehabt, einen guten Freund unterwegs weiter zu expedieren, und bei meinem Erwachen fand ich daher eine sehr artige Einladung des großen Agitators glücklich vor.

Ich habe bereits gesagt, daß ich mich erst um drei Uhr auf den Weg machte, und obgleich ich sieben Stunden lang im heftigsten Regen, mit dem Winde im Gesicht, reiten mußte, und in dieser Wüste, wo nicht einmal das Obdach eines Baumes anzutreffen ist, nach der ersten halben Stunde schon kein Faden meiner Kleidung mehr trocken war – so möchte ich doch um vieles nicht den heutigen, so beschwerlichen Tag, in meinem Lebensbuche missen.

Der Anfang war allerdings schwer. Zuerst konnte ich lange keine Pferde bekommen, denn das nach Glengarriff gebrauchte hatte sich den Fuß verstaucht. Endlich erschien ein alter schwarzer Karrengaul, der für mich bestimmt war, und ein katzenartiges Tierchen, das der Führer bestieg. Auch mit meiner Toilette war ich brouilliert. Die entwichene Galosche war nicht wieder gefunden worden, und der Regenschirm schon auf dem Hexenberge aus seinen Fugen gewichen. Ich ersetzte den ersten durch einen großen Pantoffel des Wirts, den zweiten band ich, so gut es gehen wollte, zusammen, und ihn dann, gleich einem Schilde vorhaltend, die Tuchmütze, mit einem Stücke Wachsleinwand bedeckt, auf dem Kopfe, galoppierte ich, Don Quixotte nicht unähnlich, und obendrein mit einem echten Sancho Pansa versehen, neuen Abenteuern zu.

Schon eine Viertelmeile von der Stadt machte ein zerstörender Windstoß dem Regenschirm, einst die Zierde New Bond Streets, und der seitdem so manches Ungemach mit mir getragen, ein klägliches Ende! Alle seine Bande lösten sich, und ließen nur ein zerrissenes Stück Taft, und ein Bündel Fischbein in meiner Hand zurück. Ich gab dem Führer die Reste, und mich fortan dem Wetter sorglos preis, mit der besten Laune tragend, was nicht zu ändern war.

Solange wir die Bay von Kenmare cotoyierten, ritten wir so schnell als möglich, da der Weg ganz leidlich war. Bald aber wurde es schwieriger. Den Eintritt in das rauhere Gebürge bezeichnete eine hundert Fuß hohe und pittoreske Brücke The Blackwater's Bridge (Brücke der schwarzen Wasser) genannt. Hier war eine mit Eichen besetzte Schlucht, die letzten Bäume, die ich seitdem gesehen. Ich bemerkte, daß mein Mantelsack, den der Führer auf seinem Pferde vor sich aufgebunden hatte, ebenfalls gänzlich durchnäßt zu werden anfing, und befahl daher dem Manne, sich in einer nahgelegenen Hütte womöglich eine Decke oder Matte zu verschaffen, um sie darüber zu breiten. Diese Unvorsichtigkeit hatte ich nachher Ursache, recht sehr zu bereuen, denn wahrscheinlich mochte auch ihn der Whiskey dort gefesselt haben, wenigstens bekam ich ihn, obgleich öfters anhaltend, um ihn zu erwarten, erst kurz vor Ende der Reise wieder zu sehen, welches mich später einer großen Verlegenheit aussetzte. Der nun allmählig immer mehr sich verschlimmernde Weg führte größtenteils am Meer, das der Sturm prachtvoll durchwühlte, entlang; bald über öde Moorflächen, bald an Schluchten und tiefen Abgründen hin, oder durch weite chaotische Gefilde, wo die Felsen so phantastisch übereinandergeworfen sind, daß man glauben sollte: hier sei es, wo die Giganten den Himmel gestürmt. Zuweilen erscheinen Gebilde, die gleich einem versteinten Spiel der Wolken, Menschen und Tieren ähnliche Figuren aufstellen. Als ganz besonders zierlich fiel mir, mitten in der allgemeinen Wildheit, eine Felsenwand auf, die durch ihre Fugen in vollkommen regelmäßige Quadrate, wie ein Schachbrett, abgeteilt war. Dreierlei Arten Erica, gelbe, hochrote und violette waren in den Spalten gewachsen, und markierten die scharfen Linien auf das überraschendste.

Nur selten begegnete ich von Zeit zu Zeit einem einsamen zerlumpten Wanderer, und konnte manchmal nicht umhin, daran zu denken, wie leicht es sei, mich in dieser Gegend anzufallen und zu berauben, ohne daß ein Mensch davon Notiz nehmen würde – denn mein ganzes Reisevermögen ruht in der Brusttasche meines Rockes – wie der griechische Weise führte ich omnia mea mit mir. Doch weit entfernt von räuberischen Gedanken, grüßte das gutmütige, arme Volk mich immer ehrerbietig, obgleich mein Aufzug nichts weniger als imponierend war, und in England keinen gentleman verraten haben würde. Mehrmal war ich in großer Ungewißheit, welchen der halb unsichtbaren Stege ich einschlagen sollte, wählte aber glücklicherweise, mich dem Meere stets so nahe als möglich haltend, keinen ganz unrechten, wenngleich wahrscheinlich nicht immer den nächsten. Indessen die Zeit verging – und wenn ich in langen Intervallen einem menschlichen Wesen wieder begegnete und frug: »Wie weit noch zu Mr. O'Connell?«, so segneten sie zwar immer den Vorsatz dieses Besuchs mit: »God bless Your Honour«, die Meilenzahl schien sich aber eher zu vermehren als zu vermindern. Dies ward mir erst nachher begreiflich, als ich erfuhr, daß ich dennoch einen, mehrere Meilen abkürzenden, Weg verfehlt, und dadurch einen unnützen Zeitverlust erlitten hatte.

So fing es endlich an zu dunkeln, als ich einen Teil der Küste betrat, der gewiß wenig seinesgleichen hat. Fremde Reisende sind wahrscheinlich noch nie in diesen verlassenen Winkel der Erde verschlagen worden, welcher Eulen und Seemöven mehr als den Menschen angehört, von dessen furchtbarer Wildnis es aber schwer ist, einen genügenden Begriff zu geben. Gewundene, zerrissene, kohlschwarze Felsen mit tiefen Höhlen, in welche das Meer unaufhörlich donnernd einbricht, und seinen weißen Schaum turmhoch wieder daraus hervorsprüht, der nachher an vielen Stellen trocknet, und dann vom Winde, wie wollene kompakte Flocken aussehend, bis auf die höchsten Punkte des Gebürges geschleudert wird; das klägliche, gellend den Sturm durchtönende Geschrei der ängstlich umherflatternden Seevögel; das unaufhörliche Geheul und Brausen der unterminierenden Wogen, die zuweilen bis an meines Pferdes Huf jählings heranklommen und dann zischend wieder hinabsanken; die trostlose Abgeschiedenheit endlich von aller menschlichen Hilfe; dazu der rastlos fallende Regen, und die einbrechende Nacht auf ungewissem, gänzlich unbekanntem Wege – es fing mir wirklich an unheimlich zumute zu werden – ganz ernstlich – nicht im halben Scherz wie am Tage vorher. Die Sucht nach dem Romantischen wird Dir diesmal wahrscheinlich ebenso schlecht bekommen, als dem berühmten Ritter, dachte ich ganz bedenklich, und trieb mein müdes Pferd zu möglichstes Eile. Es stolperte jeden Augenblick über die losen Steine, und mit großer Mühe brachte ich es endlich in einen schwerfälligen Trab. Meine Besorgnis vermehrte sich durch die Erinnerung an O'Connells Brief, der mir geschrieben: daß der eigentliche Zugang zu seinem Besitztum von der Seite von Killarney her stattfinde, Wagen jedoch nur zu Wasser ganz herankommen könnten, der Weg von Kenmare aber der schwierigste sei, und ich daher ja einen sichern Führer mitnehmen möchte, um keinen Unfall zu erleben. Auch fiel mir, wie es denn geht, wenn man einmal eine Gedankenrichtung angestrengt verfolgt, ein kürzlich gelesenes Volksmärchen von Croker ein, wo es heißt: »Kein Land besser als die Küste von Iveragh, um im Meere zu ersaufen, oder, wenn man das vorziehen sollte, den Hals zu Lande zu brechen!« Noch dacht ich's... da stutzte plötzlich mein Pferd, und drehte, scheuend, mit einem Satze um, den ich der alten Mähre kaum zugetraut hätte. – Ich befand mich in einer engen Schlucht, es war noch hell genug, mehrere Schritte ganz deutlich vor mir zu sehen, und ich konnte nicht begreifen, was die Ursache dieses panischen Schreckens meines Gaules war. Widerstrebend, und nur durch den gekauften Shillelagh bezwungen, ging er endlich wieder vorwärts; nach wenigen Schritten sah ich aber schon mit Staunen, daß der hier ziemlich gebahnte Weg mitten im Meer aufhörte, und beinahe glitt mir der Zügel aus der Hand, als eine schäumende Welle, vom Sturm gejagt, jetzt auf mich wie ein Ungeheuer zufuhr, und weit hinein die enge Schlucht mit ihrem weißen Geifer bespritzte. Hier war guter Rat teuer! Schroffe ungangbare Klippen starrten mich auf allen Seiten an, vor mir brauste die See... es blieb nur der Rückweg offen. Aber war ich verirrt, wie ich vermuten mußte, so konnte ich, selbst beim Zurückreiten, nicht darauf rechnen, meinen Führer wieder anzutreffen, und wo dann die Nacht zubringen? Außer O'Connells unfindbarem alten Felsenschloß war auf zwanzig Meilen keine Spur eines Obdaches zu erwarten, ich fieberte jetzt schon vor Nässe und Kälte, gewiß hielt meine Natur den Biwak einer solchen Nacht nicht aus – ich hatte in der Tat Ursache, bestürzt zu sein. Was half jedoch alles Sinnen, ich mußte zurück, das war klar, und zwar so schnell als möglich. Mein Pferd schien dieselben Reflexionen gemacht zu haben, denn, wie mit neuen Kräften begabt, trug es mich, fast galoppierend, davon. Aber, glaubst Du es wohl, eine schwarze Gestalt war abermals bestimmt, mir aus der Verlegenheit zu helfen. Vous direz que c'en est trop – mais ce nest pas ma faute. Le vrai souvent n'est pas vraisemblable. Kurzum, ich sah eine schwarze Gestalt wie einen undeutlichen Schatten über den Weg gleiten, und sich hinter den Felsen verlieren. Mein Rufen, meine Bitten, meine Versprechungen blieben vergeblich, – war es ein Schmuggler, die an dieser Küste besonders ihr Wesen treiben sollen, oder ein abergläubischer Bauer, der mich ärmsten revenant für einen Geist ansah? – jedenfalls schien er sich nicht herauswagen zu wollen, und ich verzweifelte fast schon an der gehofften Hilfe – als sein Kopf plötzlich dicht neben mir aus einer Steinspalte hervorlugte. Nun gelang es mir bald, ihn zu beruhigen; auch erklärte er mir das Rätsel des im Meere aufhörenden Weges. Dieser war nämlich nur für die Dauer der Ebbe eingerichtet – »um diese Zeit«, sagte er, »ist die halbe Flut schon heran, eine Viertelstunde später ist der Durchgang unmöglich, jetzt aber will ich Sie für ein gutes Trinkgeld noch hinüberzubringen versuchen, doch dürfen wir keinen Augenblick verlieren.« Mit diesen Worten war er mit einem Satze hinter mir auf dem Pferde, und was es vermochte, eilten wir der, mit jedem Moment höher schwellenden Flut wieder zu. Es war mir doch ganz sonderbar zumute, als wir uns jetzt in die stürmische See förmlich zu versenken schienen, und durch die weißen Wogen und Felsen, die bei dem matten Zwielicht sich gleich Gespenstern aufrichteten, uns mühsam Bahn brechen mußten. – Auch hatten wir die größte Not mit dem Pferde; der schwarze Mann kannte aber das Terrain so genau, daß wir, obgleich bis fast unter die Arme im Salzwasser gebadet, unversehrt die gegenüberstehende Küste erreichten. Unglücklicherweise scheute sich hier noch einmal das geängstete Tier vor einer hervorstehenden Klippe, und brach beide morsche Sattelgurten mitten entzwei, so daß der Schaden hier nicht mehr zu reparieren war. Ich hatte, nach allen ausgestandenen Nöten, nun noch die angenehme Perspektive vor mir, die letzten sechs Meilen, auf losem Sattel balancierend, weiterreisen zu müssen. Der Schwarze hatte mich zwar für die Fortsetzung der Reise bestens instruiert, aber es ward bald so dunkel, daß man kein Merkzeichen mehr erblicken konnte. Der Weg ging, wie mir schien, durch ein weites Moor, und war anfänglich recht eben. Nach einer halben Stunde holprigen Trabens, nach Möglichkeit die Knie zusammenschließend, um den Sattel nicht zwischen den Beinen zu verlieren, bemerkte ich, daß sich die Straße wieder rechts in das höhere Gebürge wandte, denn das Steigen ward immer steiler und anhaltender. Hier fand ich eine Frau, die bei ihren Schweinen oder Ziegen die Nacht zubrachte. Der Weg teilte sich in zwei Arme, und ich frug, welchen ich einschlagen müsse, um nach Derrinane zu kommen! »O! beide führen dahin«, sagte sie, »der linke ist aber zwei Meilen näher.« Natürlich schlug ich diesen ein, überzeugte mich aber bald zu meinem Schaden, daß er nur für Ziegen gangbar sei. Ich verwünschte die alte Hexe und ihre trügerische Auskunft, vergebens mattete sich das Pferd ab, durch die Steinblöcke zu klimmen, und halb stolpernd, halb fallend warf es endlich Sattel und mich zugleich ab. Auch war es nicht möglich, den Sattel allein darauf zu erhalten, er rutschte immer von neuem herunter, und ich mußte mich zuletzt bequemen, ihn selbst auf die Schultern zu laden, und das Pferd dazu zu führen. Bis hierher hatte ich mich noch ziemlich guter Dinge erhalten, der Geist war auch jetzt noch willig, aber das Fleisch fing an schwach zu werden – der Mann am Meere hatte gesagt: »sechs Meilen noch, und Sie sind da«, und nachdem ich eine halbe Stunde scharf geritten, war die vorher befragte Frau dennoch wieder dabei geblieben, es seien noch sechs Meilen auf dem kürzesten Wege bis Derrinane. Ich fing an zu fürchten, daß dieses gespenstige Bergschloß gar nicht zu erreichen sein möchte, und ein Kobold mich nur dem andern zuwerfe. Ganz mutlos setzte ich mich auf einen Stein, von Hitze und Frost gleich peinlich durchschauen, als, wie die tröstende Stimme des Engels in der Wüste, ein Ruf meines Führers erschallte, und ich bald darauf den Hufschlag seines Pferdes vernahm. Er hatte einen ganz andern Weg durch das innere Gebürge eingeschlagen, bei dem die Seepassage vermieden ward, und glücklicherweise von der Frau erfahren, welche Direktion ich genommen. Im kostbaren Gefühl der nunmehrigen Sicherheit, vergaß ich alles Schmälen, belud den Rettungsengel mit meinem Sattel und nassen Mantel, übergab ihm das nackte Pferd, und setzte mich auf das seinige, zu möglichstes Eile antreibend. Wir hatten wirklich noch fünf Meilen zu reiten, und zwar, wie mir der Führer sagte, durch einen mit Abgründen eingefaßten Bergpaß – ich kann jedoch nichts weiter über den zurückgelegten Weg berichten. Die Dunkelheit war so groß, daß ich nur mit der äußersten Anstrengung der Figur des Mannes vor mir, wie einem undeutlichen Schatten, folgen konnte. Ich merkte wohl an dem häufigen Stolpern der Pferde, daß wir uns auf unebnem Boden befanden, ich fühlte, daß es unaufhörlich steil bergauf oder hinunter ging, daß wir zwei Bergströme durch tiefe Furten passierten – aber das war auch alles, – nur zuweilen ahnete ich mehr, als ich sah, daß eine schroffe Felswand mir zur Seite stand, oder das tiefere Schwarz unter mir verriet, daß ein jäher Abhang nahe war – das Ganze aber vergegenwärtigte mir so lebhaft Mistress Ann Radcliffes Romane, daß ich mich beinah für einen ihrer Helden gehalten hätte, der eben im Begriff sei, Udolphos Geheimnisse zu entdecken. Endlich! endlich – brach heller Lichtschimmer durch das Dunkel – der Weg ward ebner, ein paar Spuren von Hecken wurden sichtbar, und in wenigen Minuten hielten wir vor einem alten Gebäude, das auf dem felsigen Seeufer stand, und freundliche goldne Lichter durch die Nacht strahlte. Es schlug auf dem Turm grade 11 Uhr, und ich gestehe es, mir ward schon bange für mein dîner, als ich nichts Lebendes, außer am obern Fenster einen Mann im Schlafrocke, erblickte. Bald indes wurde es geräuschvoller im Haus, ein eleganter Bedienter erschien mit silbernen Leuchtern, und öffnete mir seitwärts eine Türe, wo ich mit Verwunderung eine Gesellschaft von fünfzehn bis zwanzig Personen an einer langen Tafel, beim Wein und Dessert sitzen sah. Ein schöner großer Mann, von freundlichem Ansehen, kam mir entgegen, entschuldigte sich, daß er so spät mich nicht mehr erwartet hätte, bedauerte meine Reise in so furchtbarem Wetter, präsentierte mich vorläufig seiner Familie, die mehr als die Hälfte der Gesellschaft ausmachte, und führte mich dann in mein Schlafzimmer. Dies war der große O'Connell. – Eine kurze Toilette restaurierte mich schnell, während man unten für meine, allerdings nach solcher tour nicht zu verschmähende, Beköstigung sorgte.

Als ich wieder in den Saal trat, fand ich noch den größten Teil der Gesellschaft versammelt. Man bewirtete mich sehr gut, und es wäre undankbar, nicht Herrn O'Connells alten Wein zu loben, der in Wahrheit vortrefflich war. Nachdem die Damen uns verlassen hatten, setzte er sich zu mir, und es konnte nicht fehlen, daß Irland der Gegenstand des Gesprächs werden mußte. »Sahen Sie schon viele seiner Merkwürdigkeiten?« frug er; »waren Sie schon im Norden, um den Giant's Causeway (der Riesensteg) zu bewundern?« – »O nein«, erwiderte ich lächelnd, »ehe ich Irlands Riesen steg besuche, wünschte ich zuerst Irlands Riesen zu sehen«, und damit trank ich ihm und seinem hohen Beginnen von Herzen ein Glas seines guten Clarets zu.

Daniel O'Connell ist wahrlich kein gemeiner Mann, wenngleich der Mann des Volks. Seine Gewalt in Irland ist so groß, daß es in diesem Augenblick unbedingt nur von ihm abhängen würde, von einem Ende der Insel zum andern, die Fahne der Empörung aufzupflanzen, wenn er nicht viel zu scharfsichtig, viel zu sehr seiner Sache auf gefahrlosere Art sicher wäre, um einen solchen Ausgang herbeiführen zu wollen. Gewiß hat er auf eine merkwürdige Weise, im Angesicht der Regierung, und auf gesetzlichem offenkundigem Wege, geschickt den Moment und die Stimmung der Nation benutzend, sich diese Macht über dieselbe verschafft, welche ohne Armee und Waffen, dennoch der eines Königs gleicht, ja sie gewiß in vielen Dingen noch übertrifft – denn wie wäre es z. B. je Sr. M. Georg dem IV. möglich gewesen, vierzigtausend seiner treuen Irländer drei Tage vom Whiskey-Trinken abzuhalten, wie es doch O'Connell, bei der denkwürdigen Wahl für Clare, zu bewerkstelligen gewußt hat. Der Enthusiasmus erreichte dort einen solchen Grad, daß das Volk selbst, unter sich, eine Strafe auf das Betrunkensein setzte. Diese bestand darin, daß der Delinquent in eine seichte Stelle des Flusses geworfen, und dort zwei Stunden, mit mehrmaligem Untertauchen, festgehalten wurde.

Am andern Tage hatte ich noch mehr Gelegenheit, O'Connell zu beobachten. Im Ganzen übertraf er meine Erwartung. Sein Äußeres ist einnehmend, und der Ausdruck von geistvoller Güte in seinem Gesicht, mit Entschlossenheit und Klugheit gepaart, äußerst gewinnend. Er hat vielleicht noch mehr Suada, als wahre großartige Beredsamkeit, und man bemerkt oft zuviel Absicht und Manier in seinen Worten, demohngeachtet muß man der Kraft seiner Argumente mit Interesse folgen, an seinem martialischen Anstand Gefallen finden, und oft über seinen Witz lachen. Gewiß ist es, daß er weit eher einem General aus Napoleons Regime, als einem Dubliner Advokaten ähnlich sieht. Diese Ähnlichkeit wird dadurch noch auffallender, daß er vortrefflich französisch spricht, denn er ist in den Jesuiter-Collegien zu Douai und St. Omer erzogen. Seine Familie ist alt, und wahrscheinlich früher sehr bedeutend im Lande gewesen. Seine Freunde behaupten sogar, er stamme von den ehemaligen Königen von Kerry ab, und beim Volke vermehrt dies ohne Zweifel sein Ansehen. Er selbst erzählte mir, nicht ganz ohne Prätention, daß einer seiner Vettern Comte O'Connell und Cordon Rouge in Frankreich sei, der andere, Baron in Österreich, General und kaiserlicher Kammerherr, er aber sei der Chef der Familie. Soviel ich sehen konnte, wurde er von den anwesenden Mitgliedern dieser, fast mit religiösem Enthusiasmus verehrt. Er ist jetzt ohngefähr 50 Jahre alt und sehr wohl konserviert, obgleich er eine blonde Perücke trägt. Übrigens hat er eine ziemlich geräuschvolle Jugend durchlebt. Unter anderm machte ihn ein Duell, schon vor 10 Jahren, gewissermaßen berühmt. Die Protestanten hatten gegen ihn, dessen Talente ihnen bereits gefährlich wurden, einen gewissen d'Esterre, einen Schläger und bretteur von Profession aufgestellt, der durch alle Gassen Dublins mit einer Jagdpeitsche ritt, um, wie er sagte, diese einmal an des Königs von Kerry Schulter zu legen. Die natürliche Folge war eine Zusammenkunft am nächsten Morgen, wo O'Connell seine Kugel in d'Esterres Herz niederlegte, während dessen Schuß ihm nur den Hut durchlöcherte. Dies war sein erster Sieg über die orangemen, denen so viele wichtigere gefolgt sind, und noch hoffentlich folgen werden. Sein Ehrgeiz schien mir unbegrenzt, und sollte er die Emanzipation durchsetzen, woran ich nicht zweifle, so wird er damit seine Karriere keineswegs schließen, sondern sie wahrscheinlich dann erst recht beginnen. Übrigens liegt auch das Übel in Irland, und überhaupt in der ganzen Verfassung Großbritanniens, zu tief, um durch die große Emanzipation der Katholiken gründlich gehoben werden zu können. Doch dies würde mich zu weit führen. Auf O'Connell zurückzukommen, muß ich noch erwähnen, daß er auch von der Natur das für ein Parteihaupt wertvolle Geschenk eines herrlichen Organs verliehen erhalten hat, verbunden mit einer guten Lunge und einer starken Konstitution. Sein Verstand ist scharf und schnell, und seine Kenntnisse, auch außer seinem Fach, nicht unbedeutend. Dabei sind, wie schon gesagt, seine Formen gewinnend und populär, obgleich etwas vom Schauspieler darin bemerkbar ist, und bei einer sichtbaren großen Meinung von sich selbst, zuweilen auch ein wenig, was die Engländer vulgarity nennen, mitunterläuft. Wo wäre ein Gemälde ganz ohne Schatten!

Noch ein andrer interessanter Mann, und ebenfalls ein (wiewohl mehr im stillen wirkendes) Haupt der Katholiken, war hier gegenwärtig, derselbe Mann, den ich bei meiner Ankunft im Schlafrocke gesehen – Vater Lestrange, ein katholischer friar, der zugleich O'Connells Beichtvater ist. Er kann als der eigentliche Stifter jener Catholic-Association angesehen werden, über die man in England soviel gespottet hat, und die dennoch, sozusagen, bloß mit negativen Kräften, durch gewandte Tätigkeit im Verborgenen, durch allmähliche Organisierung und Bildung des Volkes zu einem bestimmen ZweckAlle katholischen Kinder in Irland werden sorgfältig unterrichtet, und können wenigstens lesen, während die protestantischen oft höchst unwissend sind. Überhaupt ist der moralische Ruf der katholischen Geistlichkeit in Irland überall exemplarisch, wie einst der verfolgten Reformierten in Frankreich. Die unterdrückte Kirche scheint überall die Tugendhafteste zu werden, und die Gründe sind leicht aufzufinden. A. d. H. , eine unumschränkte Autorität über dasselbe erlangt hat, die fast der Hierarchie im Mittelalter gleicht, nur mit dem Unterschiede, daß diese dort für Sklaverei und Dunkel, jene hier für Freiheit und Licht benutzt wird. Es ist auch dies einer der Ausbrüche jener zweiten großen Revolution, welche bloß und allein durch intellektuelle Mittel, ohne irgendeine Beimischung von physischer Gewalt, bewerkstelligt zu werden anfängt, und deren fast einzige, aber unwiderstehliche Waffen, die Rednerbühne und die Druckerpresse sind. Lestrange ist ein Mann von philosophischem Geist, und unerschütterlicher Ruhe. Seine Formen sind die eines vollendeten Weltmanns, der in mannichfachen Geschäften Europa durchreist hat, die Menschen gründlich kennt, und bei aller Sanftmut doch einen scharfen Zug von großer Schlauheit nicht immer ganz verbergen kann. Ich möchte ihn das Ideal eines wohlmeinenden Jesuiten nennen.

Da O'Connell beschäftigt war, machte ich früh mit dem friar eine Promenade nach einer wüsten Insel, trocknen Fußes über den, von der Ebbe entblößten, glatten Meersand schreitend. Hier stehen die eigentlichen Ruinen der alten Abtei Derrinane, wovon O'Connells Haus nur ein Appendix ist. Sie soll einst von der Familie wieder hergestellt werden, wahrscheinlich wenn gewisse Hoffnungen erst erfüllt sind.

Als wir zurückkamen, fanden wir O'Connell, wie einen chieftain, auf der Schloß-Terrasse, von seinen Vasallen und andern Volksgruppen umringt, die sich Verhaltungsbefehle holten, oder denen er Recht sprach. Da er Jurist und Advokat ist, wird ihm dies um so leichter. – Niemand würde es aber auch wagen, gegen seine Entscheidungen zu appellieren. O'Connell und der Papst sind hier gleich infaillible. Prozesse existieren daher nie in seinem Bereich, und dies dehnt sich nicht bloß auf seine eigenen tenants, sondern, wie ich glaube, auch auf die ganze Umgegend aus. Ich verwunderte mich nachher, sowohl O'Connell als Lestrange in religiöser Hinsicht ohne alle Bigotterie, ja mit sehr philosophischen und toleranten Ansichten zu finden, ohne deshalb aufhören zu wollen, gläubige Katholiken zu sein! Ich wünschte, ich hätte einige jener wütenden imbéciles unter den englischen Protestanten, wie z. B. Herrn L..., hierherzaubern können, welche die Katholiken für so unvernünftig und bigott ausschreien, während sie selbst allein, im wahren Sinne des Worts, dem fanatischen Glauben ihrer politisch-religiösen Partei anhängen, und im voraus fest entschlossen sind: vor Vernunft und Menschlichkeit stets ihre langen Ohren zu verschließen.

Im Lauf des Tages sollte eine Parforcejagd auf Hasen stattfinden, (denn Hr. O'Connell hält eine kleine Meute) die in den Bergen, und an den weiten kahlen Abhängen hin, gewiß ein sehr malerisches Schauspiel abgegeben haben würde; die schlechte Witterung ließ es aber nicht dazu kommen. Mir behagte auch Ruhe, und die höchst interessante Gesellschaft, der ich gar manche lehrreiche Berichtigung verdankte, weit besser.


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