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Neunundsechzigstes Kapitel.
Kamba Tsenam, »aller Räuber Vater«.

Im Lager in Namtschen kaufte ich reichliche Vorräte an Reis, Mehl, Gerste und Tsamba, Zucker, Stearinlichte und Seife nebst 500 Zigaretten, was alles aus Tsongka hingeschafft worden war. Ein reicher Kaufmann namens Ngutu, der 50 Pferde und Maulesel und 300 Yaks besaß, verkaufte uns 2 Maulesel und 1 Pferd, sowie Zeug zu neuen Anzügen für uns alle, ferner Stiefel und Kopfbedeckungen. Abdul Kerim setzte sich schleunigst an die Arbeit, um mir einen tibetischen Anzug elegantester Art von rotem Lhasatuch zurechtzuschneidern; auf dem Kopf hatte ich eine chinesische Seidenmütze, die ich mit einem roten Turban umwand; ich trug auch chinesische Seidenstiefel und hatte mir einen zierlichen Säbel durch den Gürtel gesteckt (s. Titelbild). In meinem Ladakisattel mit der bunten Satteldecke und auf meinem milchweißen Hengst sah ich in der mir aufgezwungenen Maskerade wirklich wie ein vornehmer Tibeter aus!

In Namtschen wurde auch eine große Versammlung nach Dortsche Tsuäns Zelt einberufen, auf der die Frage meines Rückweges entschieden werden sollte. Pun Dortsche Tsuän betonte die Notwendigkeit meines Heimreisens über den Samje-la; ich antwortete ihm wieder, daß ich auf keinem anderen Weg abzuziehen gedächte als über einen Paß, der im Osten des Samje-la liege. Da wandte er sich an die anwesenden Nomaden, die wohl schon vorher instruiert worden waren, und alle beteuerten, daß man über keinen anderen Paß als den Samje-la nach Tschang-tang hinaufgelangen könne. Wir hatten indessen durch den Pferdetreiber auf dem Gäbuk-la erfahren, daß von Kamba Tsenams Zelt aus ein Weg in direkt nördlicher Richtung über das Gebirge führe. Nun aber antworteten die Nomaden, die uns Yaks vermieten sollten, jener Weg sei so schlecht, daß wir auf ihm den Tarok-tso erst in drei Monaten erreichen könnten, und erklärten, daß sie dazu ihre Yaks nicht hergeben und sie auf den steinigen Pässen nicht ruinieren wollten. Als ich mich nun erbot, die Yaks zu kaufen, wollte keiner seine Tiere hergeben. Nachdem Dortsche Tsuän mir mitgeteilt hatte, daß, wer von Saka nach Bongba zöge, in Buptö am oberen Buptsang-tsangpo sowohl Leute wie Lasttiere wechseln müsse, machte ich den Vorschlag, meine Karawane in zwei Abteilungen zu teilen, Abdul Kerim mit der einen Hälfte über den Samje-la ziehen zu lassen, während ich mit der anderen über den östlicheren Paß ginge; wir würden dann am Unterlauf des Buptsang-tsangpo wieder zusammentreffen. Ngutu, ein jovialer älterer Herr von mongolischer Herkunft, stand mir bei und meinte, es könne ihnen ja ganz einerlei sein, welchen Paß ich selber überschritte, wenn nur die Hauptmasse der Karawane über den Samje-la gehe. Aber Dortsche Tsuän ließ sich noch immer nicht erbitten und versuchte mich jetzt dadurch abzuschrecken, daß er von zehn starkbewaffneten Räubern erzählte, die im Norden des Gebirges hausten, das ich überschreiten wolle.

»Wenn die Gegend so unsicher ist,« versetzte ich, » dann sind Sie verpflichtet, mir zehn Soldaten als Eskorte mitzugeben

»Die Soldaten gehören zur Garnison Saka-dsong und dürfen zu keinem anderen Zweck verwandt werden.«

»Hören Sie mich nun an, Dortsche Tsuän, und seien Sie nicht kleinlich. Wenn Sie mir zehn Soldaten mitgeben, so wird es Ihnen ja möglich, meine Bewegungen zu kontrollieren. Ich werde den Soldaten täglich zwei Rupien pro Mann für ihre Dienstleistung zahlen. Sie können sich selber sagen, daß ich nicht in der Lage bin, mir große Ausgaben während langer Zeit erlauben zu können. Sie erhalten dadurch also eine Garantie, daß ich keine größeren und weiteren Umwege machen werde. Sobald ich mich mit Abdul Kerims Abteilung wieder vereinigt habe, bin ich außerhalb Ihrer Provinz, und die Eskorte kehrt in ihre Garnison zurück.«

»Das ist wahr,« ließen sich zwei Stimmen aus der Menge vernehmen, »wenn er täglich 20 Rupien bezahlt, kann er nicht weit gehen!«

Dortsche Tsuän erhob sich und rief noch einige der Anwesenden zur Beratung außerhalb des Zeltes. Als er zurückkehrte, sagte er, ich solle meinen Willen haben, wenn ich mit meinem Namen eine schriftliche Erklärung unterzeichnete, daß ich die Verantwortung für die Folgen selber übernehmen wolle, so daß er seinerseits nicht die Schuld daran trage, wenn mich ein Unglück treffe. Natürlich versprach ich gern, ein solches Papier zu unterschreiben!

So war die Sache entschieden. Nima Taschi, ein hochgewachsener, angenehm aussehender und mit einem aufgebauschten Schafpelz bekleideter Mann (s. bunte Tafel), sollte Anführer der Leibwache werden, und als er sagte, daß er den nordwärts führenden Weg nicht kenne, erhielt der 45jährige Pantschor Befehl, uns als Führer zu begleiten. Er wurde ins Zelt gerufen. Ich selbst hatte ihn noch nicht gesehen, aber Abdul Kerim erzählte mir, es sei derselbe Mann, der uns am 23. April den Weg nach dem Fuß des Kintschen-la gezeigt und der mich und Muhamed Isa im vorigen Jahr in Saka-dsong gesehen habe! Es war ein kleiner, magerer, aber muskulöser Mann, der mit der Flinte, die er beständig trug, schon 80 wilde Yaks erlegt hatte (Abb. 333). Auf alles, was man ihm sagte, antwortete er unterwürfig zustimmend: » La lasso, la lasso«. Man konnte ihm ansehen, daß er durchtrieben und listig war – also gerade die Sorte, die ich brauchte!

Nima Taschi, Chef der Regierungs-Eskorte, auf dem Weg zum Teri-nam-tso.
Aquarell des Verfassers.

333. Pantschor, Führer zum Teri-nam-tso.
Skizze des Verfassers.

In seiner und all der anderen Gesellschaft ritten wir am 4. Mai über den Paß Gara-la, von dessen ziemlich niedriger Schwelle man Kamba Tsenams großes Zelt auf derselben Stelle wie früher liegen sah. Hier kreuzten wir also unsern Weg vom 22. April und hatten folglich eine Schleife um das prachtvolle Schneemassiv des Tschomo-utschong gemacht.

Pantschor war Kamba Tsenams älterer Bruder, und es fiel mir auf, daß der reiche Nomade jetzt, als der Statthalter von Saka-dsong selbst seine Zelte neben ihm aufschlug, nicht herauskam, um ihn zu bewillkommnen! Nun entstand im Tal eine Zeltgemeinde, die jedenfalls weit größer war als irgendeins der vorhergehenden Lager. Kuriere und Boten kamen und gingen, kleine Yakkarawanen mit dem Proviant der Behörden zogen zu unsern Zelten hinauf, und aus der Nachbarschaft stellten sich Nomaden ein, um sich den sonderbaren Europäer anzusehen, der wie eine Bombe in die Gegend hineingeplatzt und nun endlich festgenommen war!

Spät am Abend schlich sich Kamba Tsenam in mein Zelt. Er tat sehr geheimnisvoll und versicherte, der Gouverneur und seine Leute dürften von diesem Besuch, den er mir in der Dunkelheit mache, nichts ahnen! Er wolle mir aber nur mitteilen, daß Pantschor es ganz gut so einrichten könne, daß ich fast überallhin nach meinem Belieben ziehen könne! Die Leibwache habe zwar strenge Instruktion von den Behörden erhalten, aber nur Pantschor kenne den Weg und werde den anderen leicht blauen Dunst vormachen können! Ich brauchte Pantschor nur meine Wünsche mitzuteilen, so werde er schon für das übrige sorgen. Selbst wenn eine Bande von 50 Räubern wie ein Wirbelwind über uns herfahren sollte, würde sie sich wie eine Schafherde zerstreuen, sobald sie Pantschor mit seiner nie fehlenden Flinte unter uns sähe! Kamba Tsenam entlarvte sich als ein geriebener Kerl, der sich um die Behörden Sakas nicht im geringsten kümmerte. Der alte Fuchs versprach mir dafür zu sorgen, daß ich einen beliebigen Weg ziehen könnte, wenn ich – zum Entgelt dafür sorgen wolle, daß er Statthalter von Saka würde! Was er sagte, war natürlich leeres Geschwätz, aber man mußte sich vor ihm in acht nehmen! In Bongba hatte kein Mensch je von ihm gehört, und seine große Macht existierte wohl nur in seiner Einbildung. In seiner Heimat war er jedoch seines großen Reichtums wegen allgemein bekannt und sehr angesehen, und er prahlte damit, daß kein Räuber es wage, sich an seinen Herden zu vergreifen, da er der Freund und Vertraute dieser Leute sei. » Ich bin aller Räuber Vater«, erklärte er selbst recht bescheiden.

Seine Einladung, ihn am nächsten Morgen in seinem Zelt zu besuchen, nahm ich gern an. Als ich an dem Zelt zum erstenmal im Schneetreiben vorbeigekommen war, war es mir wie eine drohende Festung gegen meine Pläne und meine Freiheit erschienen! Wie ein Dieb in der Nacht, der jeden Augenblick entdeckt zu werden fürchtet, hatte ich mich an dem schwarzen Nomadenheim vorbeigeschlichen. Jetzt näherte ich mich seinem Eingang als geehrter Gast und wurde nur von den Hunden angefahren.

Das gewaltige, aus einer Menge Zeugbahnen zusammengenähte Zelt wird von drei im Erdboden eingemauerten Masten getragen. Längs seiner Innenseite zieht sich eine steinerne Mauer hin, und vor dieser sind Haufen von Tsamba-, Reis- und Gerstesäcken aufgereiht. Auch stehen dort Körbe und Kisten voller Kleidungsstücke. Der Altar, ein Holzgestell und ein Tisch, ist mit Gaos, Götterstatuen, Opferschalen, Gebetmühlen und heiligen Büchern bedeckt. In einer Ecke stehen wohl ein Dutzend Flinten mit Wimpeln an den Gabeln, und in einer anderen ebenso viele Säbel. Auf dem aufgemauerten Herd zur Linken des Eingangs kocht stets ein mächtiger Teekessel; so oft neue Gäste eintreten, wird er in Anspruch genommen. Eine ganze Batterie hölzerner Schüsselchen steht auf einer Steinplatte zum Gebrauch bereit. Der blaugraue Rauch steigt wie Nebel nach der als Rauchfang dienenden Deckenspalte empor. Am weitesten vom Eingang entfernt, in der rechten Ecke, hat der Hausherr seinen Ehrenplatz, einen Diwan mit einem niedrigen kleinen Tisch, und vor diesem einen Herd, der wie eine ausgehöhlte, zerbrochene Kanonenkugel aussieht und mit qualmenden Dungkohlen gefüllt ist. In einer Gruppe sitzen einige der Hirten Kamba Tsenams und trinken Tee, in einer zweiten spielen einige kleine schwarze Kinder, und in einer dritten kichern die Frauen des Zeltes. Mit kurzgeschnittenem, kreideweißem Haar, runzlig wie zerknittertes Pergament, vollständig erblindet und wie Monna Vanna nur mit einem Mantel bekleidet, saß Kamba Tsenams 83jährige Mutter auf ihrem Bett und drehte mit der rechten Hand ihre Gebetmühle, während ihre Linke den Perlen des Rosenkranzes keine Ruhe ließ. Sie schwatzte und betete abwechselnd, gelegentlich ließ sie den Rosenkranz sinken, um sich ein zudringliches Insekt abzusuchen, und manchmal hörte die Gebetmühle auf zu schnurren, wenn die Greisin in ihre dunkeln, stumpfen Gedanken versank. Zweimal erkundigte sie sich, ob der Europäer noch da sei und ob man ihm auch Tee und etwas zu essen angeboten habe.

Der 5. Mai, mein letzter Tag in Dortsche Tsuäns Gesellschaft, mußte irgendwie gefeiert werden. Ich lud daher die ganze Gesellschaft zu einem Fest im Lager ein. Die beiden Gouverneure und Oang Gjä erhielten ihren Platz in meinem Zelt, in dessen Mitte unsere Teetassen auf einem Präsentierbrett gefüllt wurden. Der Tag war unfreundlich und kalt gewesen und es schneite, aber wir wärmten uns die Hände über dem Kohlenbecken und hüllten uns in die Pelze wie vier vornehme Tibeter, während der Pöbel draußen im Kreise saß. In der Mitte jenes Kreises brannte ein helles Feuer, das aus vier großen Dungsäcken unterhalten wurde. Es ist pechfinster, aber gelbe Flammen werfen ihr flackerndes Licht über die schwarzen Tibeter, Diener, Hirten, Nomaden und Soldaten, Weiber und Kinder, Jünglinge und Greise. Sie bilden lebhafte Gruppen in ihren vom Ruß der Lagerfeuer geschwärzten Pelzen, ohne Kopfbedeckung und mit den auf die Schultern herabfallenden, zottigen schwarzen Haaren. Der Feuerschein macht einen verzweifelten Versuch, sie zu vergolden. Sie treten scharf beleuchtet in wirkungsvollem Relief hervor, hinter ihnen aber liegen stille, tiefe Schatten (Abb. 337).

337. Abschiedsfest für die Tibeter am 5. Mai 1908.

Ich habe Abdul Kerim ermahnt, sein Allerbestes zu tun, und er meldet, daß fünfzehn Nummern, abwechselnd Tanz und Gesang, in ununterbrochener Reihenfolge das Programm bilden werden. Die erste Nummer ist ein Tanz mit Stöckchen, die Säbel vorstellen sollen. Die zweite eine Jagdepisode: ein wildes Tier, dargestellt von zwei hockenden Männern, über die eine Filzdecke mit zwei Stöcken als Geweih geworfen ist, geht brüllend um das Feuer. Ein Jäger schleicht mit der Flinte umher, erblickt das Untier und tötet es mit einem einzigen Schuß! Dann führt er mit seinen Freunden einen Siegestanz um die Strecke aus. – Nun folgt ein gemeinschaftlicher Ladakitanz, bei dem der kleine Gulam die Schar anführt, und endlich tanzt Suän seinen urkomischen Tanz mit einer Dame, die durch einen Stock dargestellt wird, den er in der ausgestreckten Hand hält. Alle andern klatschen im Takt in die Hände und bringen die Tibeter dazu, es ebenso zu machen, und meine Gäste im Zelt krümmen sich vor Lachen!

Mit Kutus als Anführer tanzen nun die Mohammedaner einen Jarkenttanz um das Feuer mit ausgebreiteten Armen und fliegenden Gewändern; zwischen dem Feuer und dem Zelt nehmen sie sich wie rabenschwarze Silhouetten aus, aber jenseits des Feuers erscheinen sie rötlichgelb im Licht der Flammen, ihre schweißbedeckten Gesichter glänzen wie Bronze. Eine Gesangnummer folgt, schallende Töne werden von den Bergwänden zurückgeworfen, die Tibeter erkennen eine Melodie und stimmen händeklatschend ein, auch der Rauch des Feuers beteiligt sich am Tanz und schlägt dem Zuschauer gerade ins Gesicht, immer lauter wird der Gesang, immer ausgelassener die Stimmung, die Nomaden lachen, daß sie die Hände gegen die Knie stemmen müssen; wie eine Feder bewegt sich Suän wieder auf dem Schauplatz und rotiert in grotesk komischen Pirouetten; dies gefällt den Nomaden, und sie wollen es ihm nachmachen; mit nach hinten gebogenem Nacken führt der plumpe Abdullah einen unbeschreiblichen Tanz aus, und als er sich so hintenüberneigt, daß er das Gleichgewicht verliert und rückwärts in die äußersten verkohlten Feuerbrände purzelt, kennt das Entzücken der dankbaren Zuschauer keine Grenze mehr. Sie ersticken beinahe vor Lachen, springen umher und stoßen ein wildes Geheul aus, der Tanzmeister aber schüttelt sich die Kohlen vom Rock und humpelt nach seiner Ecke. Ich freute mich, wie die Tibeter sich amüsierten; einen so vergnügten Abend hatten sie vielleicht in ihrem ganzen Leben noch nicht gehabt! Dortsche Tsuän sagte etwas Ähnliches. Ngavang lachte vergnügt grunzend, und Oang Gjä freute sich wie ein Kind an diesem ungewöhnlichen Schauspiel. Ich selber aber versank eine Weile in Träume. Ich dachte an die wunderbare Bahn, die mein Lebensschicksal eingeschlagen hatte! Durch die Rauchwolken sah ich das ganze alte Asien vor mir und die Abenteuer der vergangenen Jahre hinter mir. Vor den Augen der Erinnerung tanzte ein Karneval von alten Lagerszenen mit Feuern, die wie Sternschnuppen in der Nacht erloschen, von heitern Liedern, die zwischen ganz anderen Bergen verklungen waren, der verhallende Klang von Saitenspiel und Flöten. Und ich wunderte mich selber, daß ich nie genug davon bekommen konnte und des flackernden Scheines der Lagerfeuer noch nicht überdrüssig war!

Der Wind wird stärker, der Schnee fällt dichter und zischt im Feuer, und die Flocken werden von unten beleuchtet. Weiß in den Haaren und auf den Schultern, sind die Tibeter wie Nebelgestalten, hinter denen das Dunkel der schwarzen Nacht brütet, das nur dann und wann vom Wiehern eines Ponys oder dem Bellen eines Hundes durchdrungen wird. Der letzte Feuerungssack wird nun in die nur noch schwach flackernden Flammen geschüttet, sein Inhalt brennt auf und sinkt zusammen; nur die glühenden Kohlen bleiben noch zurück und zischen im unermüdlich fallenden Schnee. Da erheben sich meine dankbaren Gäste um Mitternacht, verteilen Trinkgelder unter die Auftretenden, verabschieden sich und verschwinden wie Gespenster in der Dunkelheit, um ihre eigenen Zelte aufzusuchen. Nun herrscht die Nacht allein über dem Tal, die Gegend liegt still und schweigend, und nur der wirbelnde Schnee erzeugt ein sausendes Geräusch auf der Zeltleinwand!

Am Morgen des 6. Mai war das Land wieder so weiß wie im weißesten Winter. Federleicht und unhörbar wie Watte fielen noch immer die Flocken, und sogar die Tibeter hatten sich wärmer angezogen. Die Statthalter und ihr Gefolge kamen zur Abschiedsvisite, worauf ich sie zu ihren gesattelten Pferden begleitete, ihnen noch einmal Lebewohl sagte und ihnen für die Freundlichkeit dankte, die sie mir erwiesen hatten, trotz der großen Last, die ich ihnen verursacht! Dortsche Tsuän sprach die Hoffnung aus, daß wir uns noch einmal im Leben wieder sehen würden – man lernt die Menschen viel leichter kennen und lenkt sie viel leichter, wenn man sie freundlich behandelt und sanft mit ihnen umgeht; mit Gewalt, Härte und Drohung erreicht man nichts. Hochaufgerichtet, eine prachtvolle Erscheinung, saß der Gouverneur auf seinem Pferd; sein Gesicht verdeckte eine dunkle Brille und eine rote über die Stirn herabgezogene Kappe, die es gegen den Wind schützten. Seine Reiterschar war bedeutend zusammengeschmolzen, da die ganze Eskorte beauftragt war, mich zu begleiten. Sie spornten ihre Pferde mit den Fersen und waren bald auf dem hügeligen Weg, der nach dem Gara-la hinaufführt, verschwunden.

Meine eigene Karawane sollte jetzt in zwei Partien geteilt werden. Nur fünf Mann sollten mich begleiten, Gulam, Lobsang, Kutus, Tubges und Kuntschuk. Wir hatten acht Ziegen, der Milch wegen – unsere alten Schafe waren um einen Spottpreis verkauft worden. Die Eskorte unter Nima Taschi erhielt hundert Rupien Vorschuß für die ersten fünf Tage. Mit Pantschor wurde nur vereinbart, daß er gut bezahlt werden solle, wenn er mich dahin führe, wohin ich wolle! Die übrigen sieben Ladakis erhielten Befehl, unter Abdul Kerims Führung über den Samje-la nach dem Buptsang-tsangpo langsam am Fluß hinunter zu ziehen und uns an der Stelle, wo er sich in den Tarok-tso ergießt, zu erwarten. Was sie auch täten, den Buptsang-tsangpo dürften sie nicht verlassen, da wir einander sonst verlieren könnten. Rindor und Pemba Tsering waren angewiesen, sie über den Samje-la nach Buptö zu begleiten, um die Kebjongleute wegen des verweigerten Transports zur Rede zu stellen. Mein Gepäck war minimal, und ich nahm außerdem nur 1000 Rupien mit, für die übrige Reisekasse war Abdul Kerim verantwortlich. Er war ein Ehrenmann, im übrigen aber kein Kirchenlicht. Mit uns zogen auch einige Nomaden, deren sechs Yaks das Gepäck trugen.

Obgleich wir nur ein paar Wochen getrennt sein sollten, war der Abschied entsetzlich rührselig, und viele kindische Tränen rollten an wettergebräunten Wangen herab. Ich hatte noch einige Pferde gekauft, so daß alle meine Ladakis reiten durften. So ritten wir denn in geschlossener Kolonne talaufwärts. Der Talgrund ist voll morschen, krachenden Eises, voll runder Grasbüschel, zwischen denen Mauselöcher liegen, voll glockenförmiger Eisplatten und harten, grünen Schieferschutts. Es geht nach Nordosten und dann gerade nach Westen über den kleinen Doppelpaß Schalung-la hinüber und nach dem Gjägongtal hinunter, wo wir bei Kamba Tsenams Hürden lagern, um noch einige Proviantschafe zu kaufen. Die Eskorte (Abb. 329, 338, 339) war schon angelangt und saß Tee trinkend in ihrem schwarzen Zelt. –

329. Ein »Kavallerist« meiner Eskorte. Skizze des Verfassers.


338, 339. Soldaten unserer Eskorte.

Ich plauderte gerade mit Kamba Tsenam und Pantschor, als ein großer, kräftig gebauter junger Mann erschien und in meiner Zelttür Platz nahm.

»Ich habe den Bombo schon früher, bei Naktschu gesehen«, sagte er. »Ihr hattet einen Burjäten und einen Lama bei euch. Es ist sieben Jahre her.«

»Das stimmt allerdings. Hast du mir Grüße zu bringen?«

»Nein, ich wollte nur fragen, ob Sie nicht Lust hätten, mir zwei feine Yaks abzukaufen. Sie können sie für die Hälfte des Wertes erhalten.«

»Danke. Jetzt brauche ich gerade keine Yaks. Was ist dein Gewerbe?« fragte ich.

»Räuber«, antwortete er, ohne im geringsten verlegen zu werden!

Als er sich entfernt hatte, erzählte mir Kamba Tsenam, der junge Mann habe vor einiger Zeit einen Nomaden in Rukjok getötet und sei nun gekommen, um wegen des Bußgeldes für den Mord zu unterhandeln. Die Behörden suchten eifrig nach der Bande, zu der der Mann gehöre, und er, Kamba Tsenam, und Pantschor wüßten auch ganz genau, wo ihre Mitglieder sich aufhielten, zeigten sie aber nicht an, um nicht aus Rache ihres Eigentums beraubt zu werden. Kamba Tsenam und sein Bruder standen augenscheinlich mit den Räuberbanden der Gegend auf sehr vertrautem Fuß, und ich hatte sie stark im Verdacht, daß sie mit ihnen gemeinschaftliche Sache machten! In Pantschor hatten wir entschieden einen echten Räuberhauptmann zum Führer. Er erzählte selbst, der Devaschung habe ihn anstellen wollen, um ihn als Späher und Wegweiser zu verwenden, wenn Räuberbanden aufgespürt würden, er sei aber nicht darauf eingegangen. Übrigens wußte er, daß ich viel Geld bei mir hatte; ich war daher in seiner Gesellschaft nicht allzu sicher. Er konnte jederzeit einen nächtlichen Überfall arrangieren und dann bei der Schlußabrechnung den Unschuldigen spielen. Er selbst gab sich den Anschein, als kenne er die Gegend nur zwei Tagereisen weit in nördlicher Richtung. Als er aber unsere sechs Pferde besichtigte, sagte er: »Das da haben Sie von einem alten Nomaden gekauft, der westlich vom Scha-kangscham wohnt, und dies da von Tsong-pun Taschi.« Kannte er jedes Pferd im Lande, so kannte er das Land wohl auch! Ich bat ihn, mir unsere Lagerplätze auf der Reise nach Norden aufzuzählen, aber er nannte mir nur die beiden ersten und fügte hinzu: »Die übrigen werden Sie so nach und nach erfahren, und wenn ich selber den Weg nicht finde, so gibt es in der Nähe stets irgendeinen Räuber, den ich fragen kann.«

Am 7. Mai sagten wir dem alten Räuberhauptmann Kamba Tsenam Lebewohl und ritten zusammen nach dem Gjägong-la hinauf, der 5490 Meter hoch ist. Er liegt in der ausgeprägten Kette, die Kantschung-gangri genannt wird, und ich bemerkte mit großem Interesse, daß alles Wasser auf der Nordseite des Passes dem Tschaktak-tsangpo zuströmt. Der Kantschung-gangri war also nicht der Hauptkamm des Transhimalaja, und der Gjägong-la war nur ein Paß zweiter Ordnung. Die große Wasserscheide kam erst einige Tagereisen weiter nördlich.

Auf der Nordseite passierten wir eine heiße Quelle namens Memotschutsän, die im Quellauge eine Temperatur von +34,2 Grad hatte, während in einem zweiten das Wasser kochte und dampfte. Die Quellen sind von Verkalkungen, Terrassen und Bassins umgeben, in denen Kranke baden.

Pantschor hatte ein altes Fernglas, das er fleißig benutzte, um nach Räubern und wilden Yaks auszuspähen. Er meinte, daß wir immer zusammenbleiben müßten, da uns auch Räuber überfallen könnten, die ihm unbekannt seien, und bat uns, ihm in solchem Fall mit unsern Waffen bei der Verteidigung zu helfen!

Das Lager dieses Tages trug die Nummer 400.


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