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Achtundvierzigstes Kapitel.
Die letzten Tage am Tso-mavang.

Um diese Zeit hatte sich Robert mehr als ich in der tibetischen Sprache vervollkommnet, er sprach beinahe geläufig. Daher konnte er, während andere Arbeiten meine ganze Zeit in Anspruch nahmen, Erkundigungen über Land und Leute einziehen und allerlei Aufträge ausführen. An der linken, kurzen Querwand der Eingangshalle Tugu-gumpas stand z. B. zur Belehrung der Pilger eine Inschrift, die Robert ins Hindi und ins Englische übersetzte und die in freier Übertragung so lautet:

»Der Tso-mavang ist die heiligste Stelle der Welt. In seiner Mitte wohnt ein Gott in Menschengestalt, der in einem Zelt haust, das aus Türkisen und Edelsteinen aller Art besteht. In seiner Mitte wächst ein Baum mit tausend Zweigen, und jeder Zweig hat tausend Zellen, in denen tausend Lamas leben. Der Seebaum hat eine doppelte Krone; die eine erhebt sich wie ein Sonnenschirm und beschattet den Kang-rinpotsche, die andere beschattet die ganze Welt. Jeder der 1022 Zweige trägt ein Götterbild, und alle diese Götterbilder wenden ihr Gesicht nach Gossul-gumpa, und alle Götter versammelten sich hier in früheren Zeiten. Einst wurde Goldwasser aus dem See geholt, und damit wurde in Tschiu-gumpa das Gesicht Hlobun Rinpotsches vergoldet; mit dem übrigen Wasser vergoldete man die Tempeldächer Taschi-lunpos. In alten Zeiten floß das Wasser über einen Paß, der Paktschu-la hieß, nach dem Ganga-tschimbo ab. Von allen Seiten strömt Wasser nach dem See hin: kaltes, warmes, heißes und kühles. Vom See geht Wasser nach dem Ganga-schäi und kommt dann wieder zurück. Alljährlich steigt Dampf aus dem See auf und umschwebt ihn einmal im Jahr, taucht in seiner Mitte unter und macht es das nächste Jahr wieder so. Wenn jemand aus der Mitte des Sees Ton heraufholt, so ist der Ton in Wirklichkeit Gold. Der See ist das Eigentum des Seegottes. Der See ist der Mittelpunkt der ganzen Welt. Der Sambu Taschi wuchs aus dem Seebaum heraus. Der Sotschim Pema Dabge ist von sehr heiligem, klarem und feinem Wasser. Im See liegt der Gjagar Schilki Tschorten. Das Schloß des Seegottes ist im See. Alle jene Lamas sprechen ihre Gebete mit einer Stimme. Alle Götter versammeln sich auf einmal im See und sitzen dort zwischen mit Gold und Edelsteinen bedeckten Tschorten aller Art. Der Geisterkönig des Südlandes residiert hier in einem goldenen Hause, und wenn jemand kommt, um sich zu waschen und zu reinigen, so wird der Geisterkönig nicht böse. Wenn wir den Geisterkönig des Südlandes anbeten, werden wir sehr reich und glücklich. Von dem See gehen unter der Erde vier große und vier kleine Flüsse aus. Die vier großen Flüsse sind: ein warmer, ein kalter, ein heißer und ein kühler. (Der Karnali, der Brahmaputra, der Indus und der Satledsch.) Wenn jemand sich im See wäscht, wird er von allen Sünden und allem Schmutz befreit. Wenn jemand sich ein einziges Mal im See wäscht, sollen die Sünden seiner Vorfahren vergeben sein und seine Vorfahren aus dem Fegefeuer erlöst werden. Datping Ngatscha kam mit 500 Pilgern vom Kang-rinpotsche, um sich im See zu waschen. Lo Mato Gjamo begegnete ihnen und bat sie, nach dem Tso-mavang zu kommen. Datschung Ngatscha und die Pilger kamen mit Massen von Blumen, die sie in den See streuten. Datschung Ngatscha ging dreimal um den See herum und stieg dann in den Himmel auf.«

Besonderes Interesse hat die hier ausgesprochene Vermutung, daß die vier großen Flüsse auf unterirdischem Wege vom Tso-mavang ausgehen. Hinsichtlich des Satledsch ist dieser Glaube, meiner Ansicht nach, vollkommen richtig. Man erzählte auch, daß der fünfte Taschi-Lama, dessen Grabkapelle wir in Taschi-lunpo besuchten, einmal die Wallfahrt nach dem Tso-mavang gemacht habe und bei Tugu-gumpa nach dem Ufer hinuntergegangen sei, um dem Seegott ein Kadach anzubieten. Das Kadach sei in der Luft hängen geblieben, d. h. es habe in Wirklichkeit an einem der Zweige des heiligen Seebaums gehangen, da aber der Baum nur Rinpotsches und wirklichen Inkarnationen sichtbar sei, habe es für gewöhnliche Sterbliche so ausgesehen, als hänge das Kadach frei in der Luft.

Am 11. August nahm ich einen langen Abschied von den liebenswürdigen Mönchen Tugu-gumpas, die reiche Geschenke erhielten. Sie begleiteten uns nach dem Ufer hinunter, als wir abstießen, um nach Westen weiterzurudern. In einer großen Uferlagune, deren Wasser von den vielen Wildgänsen und Möwen, die hier den Bodenschlamm aufwühlen, braun und schmutzig ist, mündet ein vom Gurla Mandatta kommender Bach, der jetzt 1,07 Kubikmeter Wasser in der Sekunde führte. Den ganzen Weg entlang zieht sich ein 6 Meter hoher Schuttwall hin, die Fortsetzung der Geröllterrasse, auf der Tugu-gumpa steht. Der Seegrund besteht bald aus Sand, bald aus Schutt – Ausläufern der Schuttkegel des Gurla Mandatta. Große Algenbündel bilden dunkle Flecke. Oben in zwei Talmündungen des Gurla sieht man schäumende Flüsse und wundert sich, daß sie sich nicht in den See ergießen. Aber die Erklärung ist leicht. Man sieht, wie 20–50 Meter vom Ufer entfernt sich unzählige kleine Löcher im Sande des Seebodens wie die Klappen eines Blutgefäßes öffnen und schließen und wie über ihnen auf der Oberfläche des Sees das Wasser brodelt. Das sind Quellen. Die Flüsse verschwinden in den Schuttkegeln, unter denen das Wasser auf Schichten undurchlässigen Glazialtons hinströmt. Erst am Saum des Schuttkegels tritt das Wasser unter dem Seespiegel hervor. Ich sah also, daß ich die Flüsse an der Stelle, wo sie aus den Tälern der Gebirge heraustreten, messen mußte, wenn ich den richtigen Wert des Zuflusses, den der Tso-mavang durch sie erhält, feststellen wollte.

Bei dem Lager Nr. 218 trat ganz nahe am Ufer eine Quellader zutage und hatte an der Stelle, wo sie aufsprang, eine Temperatur von nur 3,4 Grad, brachte also die Gletscherkälte bis zum See hinunter. Da das Schmelzwasser der Gurlagletscher demnach auf seinen unterirdischen Wegen seine niedrige Temperatur behält, ist es wahrscheinlich, daß es dazu beiträgt, das Seewasser während des Sommers kühl zu erhalten. Ganze Schwärme von Fischen spielten an der Oberfläche des Wassers und schnappten nach Mücken, die gleichsam einen Federbusch trugen und in Wolken auftraten.

Am 12. August ritt ich mit Rabsang und einem Tibeter nach dem Fuß des Gurla Mandatta hinauf. Wir überschritten die große Heerstraße zwischen Tugu-gumpa und Purang. Ein Wolf ergriff die Flucht; hier und dort fährt ein Hase aus dem Steppengras in die Höhe, und Heuschrecken fliegen geräuschvoll umher. Wir reiten in die Mündung des Tales Namreldi hinein, in dem Räuber hausen und dessen kristallklarer Fluß zwischen Wänden von anstehendem Gestein 2,86 Kubikmeter Wasser führte, gegen 1,07, die er an dem Punkt, wo er sich in den See ergießt, noch hatte. Das übrige Wasser strömt dem See also unter dem Schutt zu. Einige Kilometer weiter nach Westen hielten wir am Eingang des Tales Sälung-urdu Rast; in seinem oberen Teil liegt eine Gletscherzunge. Um ½10 Uhr war das Bett des Tales trocken, aber um ½2 Uhr toste dort ein Fluß mit Stromschnellen und Wasserfällen, dessen außerordentlich trübes Wasser ein Volumen von 1,81 Kubikmeter hatte und den See nur in Gestalt unterirdischer Quellen erreicht. Die Aussicht von diesen hochgelegenen Punkten ist großartig. Wir sehen den Tso-mavang noch mehr aus der Vogelperspektive, und im Westen schimmert das glänzende Blau des Langak-tso. Der Überblick, den man hier vom Lande erhält, ist sehr lehrreich. Die Verwitterungskegel des Gurla Mandatta, die aus Sand, Schutt und Blöcken bestehen, erstrecken sich wie umgekehrte Löffel nach Norden; ihre Stielenden tauchen unter den Seespiegel und geben zu den wechselnden Tiefen auf den Lotungslinien I und II Veranlassung. Vom Lager Nr. 218 fuhr Robert rechtwinklig zum Ufer auf eine Lotungslinie hinaus, bis er 58 Meter Tiefe erreicht hatte.

Jeder Tag und seine Beobachtungen brachten mich der Lösung des Problems, das ich mir gestellt hatte, einen Schritt näher. Als wir am 13. längs des Westufers nordwärts ruderten, gruben wir an einigen Stellen 10 Meter vom Ufer Brunnen. Der Boden bestand aus abwechselnden Sand- und Tonlagern; zuoberst Sand, darauf eine Schicht verfaulter Pflanzenteile, dann ein 50 Zentimeter dickes Sandlager, das auf Ton ruhte. Ein 62 Zentimeter tiefer Schacht füllte sich langsam mit Wasser; es hatte dasselbe Niveau wie der Seespiegel. Es durchdrang den Sand und stand auf dem Ton. Wenn dieses Tonlager sich, wie anzunehmen, durch die schmale Landenge hindurch bis an das Ufer des Langak-tso erstreckt, so ist es klar, daß das Wasser des Tso-mavang überall durch die Sand- und Geröllbetten sickert und nach dem westlichen See abfließt. Schon jetzt erhielt ich die Überzeugung, daß auch, nachdem der alte Kanal zu fungieren aufgehört hatte, eine unterirdische Verbindung zwischen den beiden Seen bestehen mußte. Denn die Tatsache, daß der Tso-mavang vollkommen süßes Wasser hat, ist allein noch kein Beweis, daß der See Abfluß hat, da erst einige Jahre verstrichen sind, seit der Kanal abgeschnürt worden ist.

Wieder lagerten wir unter dem gastfreien Kloster Gossul. Am 15. August ritt ich mit Rabsang und einem Tibeter über die hügelige Landenge zwischen den beiden Seen, um auch nach dieser Seite hin einen Überblick über das Land zu erhalten. Es geht steil nach dem höchsten Punkt des Landrückens hinauf, von dem man eine herrliche Aussicht über den Langak-tso, dessen malerische Felsufer mit vorspringenden Kaps und Spitzen, über seine Buchten und Inseln und die ringsumliegenden steilen Gebirge hat. Der Form nach unterscheidet er sich in hohem Grade von seinem Nachbar, der rund ist und keine Inseln besitzt. Wir standen auf einer Höhe von 4887 Meter und befanden uns also 285 Meter über dem Spiegel des Manasarovar. Dann ritten wir ein flaches, mit Buschholz bewachsenes Tal hinab. Es geht in den flachen Ufergürtel über, dessen Kontur regelmäßig geschweift ist; hier sind alte, außerordentlich deutlich markierte Uferlinien, deren höchste 20,7 Meter über der Seefläche liegt. Als der Langak-tso noch so hoch stand, hatte er Abfluß nach dem Satledsch, dessen altes Bett man noch von der Nordostecke des Sees ausgehen sieht.

Heftiger Südwind wehte, und die Wellen wälzten sich nach dem Ufer, wo wir eine gute Stunde, ich zeichnend und messend, saßen. Darauf ritten wir wieder über die Landenge, aber an der Stelle, wo sie am niedrigsten (4660 Meter) und breitesten ist. In ihrer östlichen Hälfte liegt ganz nahe am Ufer des Tso-mavang ein von Hügeln umgebener Salzsumpf, dessen Spiegel 2,35 Meter unter dem des Sees liegt. Im Sand- und Schuttwall zwischen beiden sieht man wasserreiche Quellen, die von dem See nach dem Sumpfe gehen. Der Sumpf steht in einer flachen Schüssel von Ton, in der das Wasser verdunstet, die geringe Salzmenge aber, die das Seewasser enthält, sich anhäuft. An dieser Stelle ist also das Wasser des östlichen Sees verhindert, nach dem westlichen durchzusickern.

Am folgenden Tag segelten wir mit günstigem Wind nach der Nordwestecke des Tso-mavang, wo Tschiu-gumpa sich auf seiner Felspyramide erhebt. Dieser Punkt, das Lager Nr. 219, sollte nun einige Tage unser Hauptquartier werden. Die Kontur des Tso-mavang gleicht einem Totenschädel von vorne gesehen, und wir hatten nur noch den eigentlichen Scheitel zu untersuchen. Ein Ruhetag wurde zu einer ersten Rekognoszierung im Kanalarm benutzt, wo mehrere kalte und heiße Quellen entspringen; zwei der letzteren hatten eine Temperatur von 47 und 50 Grad, aber bei einer dritten reichte ein 65gradiges Thermometer nicht zum Messen der Temperatur aus, sondern die Röhre zersprang; Eine 47gradige Quelle mit gemauertem Bassin soll als Gesundheitsbad benutzt werden, obgleich man Tibeter sein muß, um sich in einem so heißen Wasser nicht zu verbrühen. Eine daneben liegende kleine Steinhütte dient als Entkleidungsraum. Etwas weiter abwärts führt eine Brücke, die aus vier, auf zwei Steinpfeilern ruhenden Balken besteht, über den Kanal; sie ist außerordentlich gut imstande und liefert einen Beweis mehr, daß der Kanal vor noch gar nicht so langer Zeit Wasser geführt hat. An den Pfeilern der Brücke sieht man noch deutliche Wassermarken 47 Zentimeter über den jetzigen stillstehenden, nach Schwefel riechenden Becken, die reich an schleimigen Algen sind und durch Quellen gebildet werden. In ihnen hielten sich junge Wildgänse auf, die sich nur mühsam vor der braunen Puppy schützen konnten.

Tschiu-gumpa, das fünfte der acht Klöster des Sees, das ich besuchte (Abb. 265), ist klein und hat 15 Lamas, die hier auf Lebenszeit eintreten, während der Abt alle drei Jahre wechselt. Es besitzt einige Yaks, 500 Ziegen und 100 Schafe, die zum Salztransport nach Purang benutzt werden, wo die Mönche Gerste eintauschen. Ein Mönch, ein zwanzigjähriger Jüngling aus Rudok, hieß Tsering Tundup und gehört zu den Tibetern, deren ich mit besonderer Sympathie und Wärme gedenke. Seine Mutter wohnte auch im Kloster und besorgte die Schafe und Ziegen, wenn sie allabendlich in die Hürden getrieben wurden. Er selbst war ungewöhnlich hübsch, fein, liebenswürdig und gefällig und zeigte und erklärte mir alles. Von seiner kleinen, armseligen Klosterzelle auf dem Felsengipfel aus konnte er ungestört träumend auf den heiligen See im Osten und den von den Göttern verschmähten Langak-tso im Westen sehen, aber trotzdem war er melancholisch, was dazu beitrug, ihn mir sympathisch zu machen. Er gestand aufrichtig, daß er des einförmigen Lebens in Tschiu-gumpa müde sei; jeder Tag sei seinem Vorgänger gleich, und ständig müsse man um dürftigen Unterhalt kämpfen und auf räuberische Anfälle vorbereitet sein. Da sei es doch schöner, so wie ich zu leben und frei zwischen den Gebirgen umherzuwandern. Er bat daher, ob er nicht mit mir kommen dürfe; ich antwortete, daß ich ihn gern mit nach Ladak nehmen würde. Da erhellte sich sein Gesicht; aber dann bat er mich, sich die Sache noch überlegen zu dürfen, bis ich von der nächsten Seefahrt zurückkehre.

265. Küche in Tschiu-gumpa.
Skizze des Verfassers.

Die ganze Nacht regnete es. Am Morgen des 18. war alles naß, auch die Sachen in meinem vom Winde gepeitschten und zerfetzten Zelt, wo sich kleine Pfützen gebildet hatten. Aber Tsering kam mit der Wäsche, also war es nicht so schlimm. Wir hatten eine lange Fahrt vor uns, deren Ziel das Lager Nr. 212 war, der erste Punkt am heiligen See, wo wir gelagert hatten. Das Programm der Exkursion umfaßte auch einen Besuch der drei noch übrigen Klöster, das Messen der Wassermenge der von Norden kommenden Zuflüsse und das Zeichnen einer Karte des Nordufers. Wir nahmen daher auf vier Tage Proviant, den Rabsang und Adul zu Pferd längs des Ufers befördern sollten. Wir wollten uns am Eingange des Tales Serolung bei Serolung-gumpa treffen. Diese letzte Fahrt sollte meine Untersuchungen des Sees abschließen, aber gerade, weil sie die letzte war, wurde sie von meinen Leuten mit Furcht betrachtet. Sie meinten, ich hätte dem Seegott jetzt so lange getrotzt, daß nun mein Stündlein gekommen sei, und er werde Rache nehmen und mich jetzt für immer behalten!

Aber der Morgen war herrlich, und als wir um ½6 auf den blanken See hinausruderten, waren es 9,2 Grad. Der Wolkenmantel des Gurla erstreckte sich bis zum Wasser, das südliche Land war überhaupt nicht zu sehen. Der Pundiberg war total beschneit und machte einen winterlichen Eindruck. Beim ersten Lotungspunkt (20 Meter) sah man die Zelte wie weiße Punkte über dem See schweben. Tschiu-gumpa thronte stolz auf seiner Felsenspitze, wie eine Seemarke von jedem Punkte des Ufers, mit Ausnahme des westlichen, sichtbar. Beim zweiten Lotungspunkte sank das Lot tiefer als 40 Meter. Schukkur Ali und Tundup Sonam rudern wie Galeerensklaven, denn sie hoffen, auch mit dieser letzten Linie fertig zu werden; und dann hat die Sache ein Ende. Manchmal schneidet das Boot rauschend Straßen von Schaum und Seegras. Noch beim fünften Punkte (49 Meter) sieht man die Zelte mit dem Fernglas, dann aber verschwinden sie. Man ahnt auch Gossuls erinnerungsreiches Kloster auf seinem Felsen.

»Jetzt haben wir ein Drittel des Weges hinter uns«, sagte ich.

»Gott sei Dank,« erwidert Schukkur Ali, »möchte sich das Wetter heute nur halten.«

Ein toter Fisch trieb, mit dem Bauch nach oben, auf dem Wasser; solche an Land getriebene Fische benutzt das Volk als Medizin. Die Tiefen bleiben sich gleich, der Seegrund ist sehr eben. Beim 13. Punkt hatten wir aber doch 33 Meter und beim vierzehnten 55 Meter, was einen Landrücken auf dem Seeboden oder einen Schuttkegel vom Fuße der nördlichen Gebirge ankündigte. In einem Abstand vom Ostufer, der wohl eine Wegstunde betragen mochte, sahen wir Rabsang und Adul reiten; sie erwarteten uns bereits an dem verabredeten Ort. Sie machten dann den Vorschlag, in einer Steinhütte, die auf der rechten Seite des Eingangs zum Serolungtale steht, zu übernachten, aber dafür dankte ich, weil Pilger und Landstreicher dort zu wohnen pflegen. Sechs Mönche aus dem Kloster, unsere alten Freunde, besuchten mich, und vier muntere und lachende, aber schwarze und schmutzige Weiber kamen mit Feuerungskörben auf dem Rücken wie ein Wirbelwind die steilen Halden herunter. Puppy hatte Rabsang begleitet und unterwegs bei einem Kloster einen niedlichen kleinen Kavalier mit einem roten Schellenhalsband aufgestöbert. Es war ein schönes Gefühl, auch diese letzte Linie nun erledigt zu haben und unter dem Licht der ewigen Sterne auf dem Sandufer einzuschlafen.

Mit Rabsang machte ich am folgenden Morgen einen 27 Kilometer langen Ritt nach Norden, um die Wassermenge der Flüsse des Patschen- und des Patschungtales zu messen. Wir hatten mit den anderen verabredet, daß wir uns am Nordufer, wohin sie mit dem Gepäck ruderten, treffen wollten. Blieben wir lange aus, so sollten sie auf einem Hügel ein Feuer anzünden, damit wir sie fänden. Eine Weile folgten wir dem von Schlammdämmen, kleinen Landspitzen und Lagunen zerrissenen Ufer, ritten dann durch den Semo-tsangpo, der aus dem Toktschental kommt, ließen linker Hand die beiden kleinen Filialseen liegen, die von üppigen Weiden umgeben sind, auf denen eine Menge Kiangs weideten, die uns anglotzten, die Ohren spitzten, schnaubten und in langsamem Galopp davonliefen; dann überschritten wir die »Tasam«, » the great trunk road«, und ritten in das enge, scharf ausgeprägte Patschental hinauf, dessen Fluß 1,98 Kubikmeter Wasser führte. Hierauf ritten wir westlich bergauf und bergab über die Hügel hin und konnten uns eines neuen Blicks auf den heiligen See mit dem Gurla Mandatta im Hintergrund erfreuen. Der Patschungfluß führte 2,36 Kubikmeter Wasser. Als die Arbeit erledigt war, ging es wieder südwestwärts. Auf den Wiesen gingen noch die Wildesel spazieren; sie sind beinah zahm, denn an den Ufern des heiligen Sees löscht niemand ein Lebenslicht aus. 30 Stuten standen auf einem Haufen; ein Hengst bewachte sie; die Sonne sank, vielleicht ist dies die Art, wie diese Tiere den Gefahren der Nacht entgegengehen. Von Zeit zu Zeit trennte sich eine Stute von der Schar und beschrieb einen Kreis um ihre Schwestern. Sofort lief der Hengst ihr nach und zwang sie zu den anderen zurückzukehren. Dies Spiel wiederholte sich oft, es schien mir dabei darauf angelegt zu sein, den Hengst zu necken.

Wir reiten über sumpfige Wiesen und kleine Dünen; vom See ist jetzt nichts zu sehen; wir sehnen uns danach, die Wellen in der Südwestbrise rauschen zu hören; aber immer tauchen neue Hügel vor uns auf. Endlich erblicken wir den Rauch des Lagerfeuers. Adul hatte ein vier Monate altes Kiangfüllen gefangen, das krank war und sich immer im Kreise drehte. Die Mutter kam während der Nacht, sich nach dem Füllen umzusehen, gab es aber wohl als unheilbar auf; es starb auch bald darauf.

Der 20. August wurde benutzt, eine Karte von einem Teil des Nordufers, das einen sehr schwach geschweiften Bogen beschreibt, aufzunehmen und eine Lotungstour gerade in den See hinein bis zu 47 Meter Tiefe zu machen. Während das Wasser der Oberfläche auf dem ganzen Wege eine Temperatur von 13,1 Grad bei ungefähr derselben Lufttemperatur hatte, sank die Temperatur des Wassers auf dem Seegrunde von 13,4 Grad auf 7,8 Grad bei 47 Meter Tiefe.

Wir fangen langsam an, Not zu leiden; ich lebe von Brot und Tee. Die Frikandellen, mit denen mich Adul am Morgen des 21. anzuschmieren versuchte, waren durchaus verdorben und strandeten daher in Puppys Magen. Als Rabsang und ich nordwärts nach Pundi-gumpa ritten, war es bei +13 Grad geradezu heiß, so daß uns ein kleiner Regenschauer nur angenehm war. Pundi liegt auf einem Felsenabsatz in einer Talschlucht; sein Abt ist 80 Jahre alt und hat acht Mönche unter sich. Einer war ein Chinese aus Peking, der schon 40 Jahre im Kloster verlebt hatte und durch und durch Tibeter geworden war, aber seine Muttersprache auch nicht vergessen hatte. Auch von dort hat man eine prachtvolle Aussicht über den See. Gerade als wir nach dem Lager Nr. 222 am Ufer hinabreiten wollten, kam ein Bote von Robert mit der Nachricht, daß die Behörden in Parka sich wieder einmal weigerten, uns Transporttiere zu liefern oder uns sonst zu helfen, da sie nie gehört hätten, daß es mir erlaubt worden sei, einen ganzen Monat am See zu bleiben! Er erzählte auch, unsere Ladakis seien durch allerlei Räubergeschichten, die in der Gegend kursierten, sehr in Angst versetzt worden, so daß sie sich alle nach mir sehnten.

Das Lager war ganz in der Nähe des Klosters Langbo-nan an der Mündung des Gjuma-tschu. Nachdem wir diesen Fluß gemessen und festgestellt hatten, daß er 2,09 Kubikmeter Wasser führte, hatten wir all das oberirdische Wasser, das sich in den Manasarovar ergießt, aufgespürt und gefunden, daß es 31 Kubikmeter in der Sekunde betrug, oder 2 616 400 Kubikmeter in 24 Stunden, die ungefähr einem Wasserwürfel von 139 Meter Seitenlänge entsprechen. Aber wieviel Wasser mag dem See auf unterirdischen Wegen, die ich nicht hatte kontrollieren können, zuströmen? Wahrscheinlich ein Volumen, welches das des oberirdischen Wassers bedeutend übersteigt! Denn der Manasarovar liegt in einer Mulde zwischen kolossalen Gebirgen, die beständig unterirdische Quellen speisen. Jedenfalls sickert das Überschußwasser, soweit es nicht durch Verdunstung verloren geht, auf unterirdischen Wegen nach dem Langak-tso, der niedriger liegt.

Am 22. ruderten wir wieder vom Ufer gerade in den See hinein, bis wir eine Stelle mit 41 Meter Tiefe erreicht hatten, und kehrten dann, in scharfem günstigem Winde segelnd, nach unserm Ausgangspunkt zurück. Es war das letztemal, daß ich das Lot in die heiligen Wellen hinabsenkte, fest überzeugt, daß ich es nie wieder tun würde! Denn jetzt hatte ich 138 ausgelotete Punkte, die gleichmäßig über den See verteilt waren und ein durchaus zureichendes Material zum Konstruieren einer Isobathenkarte bildeten. Schukkur Ali war komisch anzuhören, als ich ihn darauf aufmerksam machte, daß dies unsere letzte Fahrt auf dem Tsomavang gewesen sei. Er hielt sich die Hände vors Gesicht, als ob er beten wolle, und sagte feierlich, daß wir trotz aller Gefahren »durch die Gnade Allahs, die Gnade des Sahib, die Gnade des Papas und der Mama des Sahib und die Gnade aller Verwandten des Sahib doch das Glück gehabt hätten, die Arbeit glücklich zu Ende führen zu können!« Ich erlaubte mir zu bemerken, daß er die »Gnade des Seegottes« vergesse! Aber da machte er eine wegwerfende Handbewegung und sagte, daß er an den Seegott nicht mehr glaube!

Nachher ritt ich mit Rabsang nach dem Kloster Langbo-nan hinauf, während die anderen nach Tschiu-gumpa ziehen sollten. Ich unterlasse es, das Kloster jetzt zu beschreiben, dessen größte Sehenswürdigkeit der zwölfjährige Abt Tsering war, ein aufgeweckter, freimütiger und heiterer Knabe mit blitzenden, lebhaften Augen, kreideweißen Zähnen, frischer, gesunder Gesichtshaut und von sympathischem Aussehen (Abb. 202). Er saß auf einem Diwan hinter einem rotlackierten Tisch in seinem Tsemtschung genannten Bibliotheksaale, interessierte sich sehr für alles, was ich vorhatte, guckte in mein Skizzenbuch, probierte mein Fernglas und bat mich um ein paar Bleistifte. Während der Stunde, in der ich in seiner Zelle zu Gast war, wurden wir gute Freunde, und als ich ihm schließlich Lebewohl sagte, ahnten wir beide nicht, daß wir uns noch einmal im Leben treffen würden – ein Jahr darauf!

202. Der zwölfjährige Prior von Langbo-nan.
Skizze des Verfassers.

Während der Runde durch das Kloster stießen wir in der Hofgalerie auf einen armen Kerl, der krank dalag und leidend aussah. Ich fragte, wie es ihm gehe, und er erzählte mir, daß er am 18. August, also am Tage, an dem uns Rabsang und Adul entgegengeritten waren, elf Maulesel und zwei Pferde, mit Tsamba und Gerste beladen, nach Parka geführt habe, dessen Gova der Besitzer dieser Karawane sei. Wo sich der Patschungfluß in die östliche Uferlagune ergießt, sei er elf Uhr morgens von zwölf Räubern, die von der Seite des Patschungtales herangestürmt seien, überfallen worden. Sie wären sämtlich beritten und mit Flinten, Säbeln und Spießen bewaffnet gewesen, hätten zwei ledige Pferde für Proviant bei sich gehabt und Masken vor dem Gesicht getragen! Im Handumdrehen wären sie abgesessen, hätten ihm einen Mantel über den Kopf geworfen, die Hände auf den Rücken gebunden, ihn gründlich ausgeplündert, unter anderen ihm auch 400 Silberrupien geraubt und wären dann wieder nach dem Patschungtal zurückgeritten, dem Rabsang und ich am Tage darauf einen flüchtigen Besuch abgestattet hatten. Er habe dann durch sein Geschrei Hilfe herbeigerufen und in sehr jämmerlichem Zustand eine Zuflucht in Langbo-nan gefunden. Er zeigte uns einige tiefe Messerstiche an den Beinen, seinem Pelz und dem Sattel, denen arg mitgespielt worden war, als er einen verzweifelten Versuch gemacht hatte, sich zu verteidigen. Dies war das Ereignis gewesen, mit dem man unsere Ladakis so in Angst versetzt hatte.

Der Weg von hier nach Tschiu-gumpa ist entzückend. Senkrechte, manchmal sogar überhängende Felsen von grünem und rotem Schiefer fallen steil nach dem Ufer ab, dessen Kiesstreifen nur einige 20 Meter breit sind. Zwei Riesenblöcke stehen wie Denksteine am Ufer, in den Felswänden sehen wir schwarze Grotten und alte Eremitenwohnungen, und oft kommen wir an den üblichen drei Steinen vorüber, auf denen die Teekessel der Pilger gekocht haben. Weiter westlich bilden die Vorsprünge eine Reihe Kulissen in heller werdenden Tönen; an jedem dieser Vorsprünge öffnet sich eine neue fesselnde Perspektive. Eine Wasserstandsmarke, die 1¾ Meter über dem jetzigen Seespiegel liegt, ist sehr deutlich erkennbar. Auf den Felsspitzen sitzen regungslos, wie Statuen, nach Beute ausspähende Adler.

Tschärgip-gumpa ist auf einer Terrasse in einer breiten Talmündung erbaut. Es ist ein kleines, armes Kloster, aber es hat doch sein Lhakang und seine Vorhalle mit einer großen Bronzeglocke, in deren Erz die sechs heiligen Schriftzeichen gegossen sind. Wenn die Glocke morgens und bei Sonnenuntergang läutet, wird also die unergründliche Wahrheit » Om mani padme hum« auf den Flügeln der Schallwellen über den heiligen See getragen, dessen blaue Fläche mit dem Hintergrunde der Schneefelder des Gurla Mandatta vom Hofe des Klosters gesehen ein hinreißendes Bild ist. Aber ihrem Klange lauscht kein anderer Mensch als Tschärgips einziger Mönch! Armer Mann, wie muß ihm an den langen Winterabenden zumute sein, wenn der Sturm den Treibschnee über das Eis des Tso-mavang fegt!

Ich blieb zwei gute Stunden bei ihm, denn er hatte viel zu erzählen. Er war ein weitgereister Mann, war in Selipuk und am Nganglaring-tso gewesen und erbot sich, mich von dort in 20 Tagen nach dem Dangra-jum-tso zu führen; er ahnte nichts von dem politischen Bann, unter dem ich im Verbotenen Lande umherzog! Aber er weckte von neuem meine Sehnsucht nach dem großen unbekannten Lande im Norden des heiligen Flusses. Ich war voller Gedanken, voller Pläne und voll von jenem unersättlichen desiderium incogniti, das mir nie Ruhe läßt, als ich endlich, während die Dämmerung ihren dunkeln Schleier über den von mir besiegten See ausbreitete, aus diesem achten und letzten der Klöster des Tso-mavang schied.

Noch hatten wir eine lange Strecke nach dem Lager zurückzulegen. An dem letzten vorspringenden Berg steht ein Tschorten, von wo aus unsere Feuer sichtbar waren. Bald saßen wir wieder bei den Unseren. In später Nacht ritten zwei Reiter an unserem Lager vorbei; der Nachtwächter rief: »Wer da?«, aber sie antworteten nicht. Nun weckte er Rabsang, der den Unbekannten in der Überzeugung, daß sie Räuber seien, unbedachtsamer Weise eine Kugel nachschickte. Meine Leute waren jetzt schon so weit, daß sie überall Räuber sahen.

Dies war meine letzte Nacht am Ufer des Tso-rinpotsche, »des heiligen Sees«, und mit Wehmut lauschte ich dem verrauschenden Liede der Uferbrandung in dem abflauenden Winde.


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