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Wir hatten uns am Morgen kaum angezogen, als der Sturm schon wieder tobte. Da trafen Galsan und ein Gova aus Parka bei uns ein. Jener brachte Lebensmittel, dieser den strengen Befehl von seinem Vorgesetzten, dem »Parka Tasam«, mir zu sagen, daß er, falls ich nicht unverzüglich nach Parka komme, meine ganze Bagage nach dem Langak-tso schicken, mich aber zwingen werde, nach Purang hinunterzuziehen. Der Gova war ein jovialer alter Herr, der von mir die Antwort erhielt: wenn der Parka Tasam sich unterstehe, meine Kisten anzurühren, solle er sofort abgesetzt werden! Wenn er sich noch ein paar Tage gedulde, würde ich sowieso nach Parka kommen, da auch ich es unmöglich fände, in dieser Jahreszeit noch auf dem See herumzufahren.
Darauf zogen wir aber westlich weiter, in die Buchten hinein und wieder heraus und an allen jenen Vorgebirgen vorbei, die dadurch entstehen, daß ein im Norden des Gurla liegender Gebirgsarm seine Verzweigungen nach dem See hinabschickt. Die beständig wechselnden Uferperspektiven hier, wo wir wie in einem Labyrinth umhergehen und zwischen Land und Wasser balancieren, sind unbeschreiblich bezaubernd. Die beiden großen Inseln, die weiter draußen im See liegen, sehen wir, wo wir uns auch befinden; die eine heißt Dopserma; dort nisten keine Wildgänse, wohl aber andere Wasservögel. Im Winter treibt man Yaks und Schafe über das Eis nach der Insel, wo gute Weide ist. Wenn Viehseuchen im Lande grassieren, sterben die Tiere nicht, die sich auf Dopserma aufhalten.
In wütendem Sturm mit blendenden Sandwolken gingen wir um die westlichste, spitze Seebucht und lagerten dann wieder am Ufer. Dasselbe angenehme Wetter hielt auch am letzten August an, als wir nach Nordosten weiterzogen und den Langak-tso in neuen herrlichen Perspektiven sahen. Die Luft war jetzt klar, der Kang-rinpotsche und der Gurla Mandatta standen unverhüllt und wachten über ihre Seen. Auch an der Landspitze, wo Tundup Sonam, Ische und ich unsere lange Wartezeit zugebracht hatten, und an der Sanddüne, wo wir vier Stunden gelegen hatten, kamen wir vorüber.
In der nordwestlichen Bucht überschreiten wir das alte Satledschbett, das aus tückischem Moorboden oder trocknem, hartem Ton besteht; es ist breit, hat keine Terrassen und ist in jüngerer Zeit durch die Winderosion und den Treibsand sehr deformiert und verwischt. In der Mitte entspringen zwei Quellen, die zum See fließen. Nach Westen scheint das Bett vollkommen eben, tatsächlich aber steigt es langsam und allmählich zu einer flachen Kulmination an, von der es dann endgültig nach der anderen Seite, nach dem Indus hinunter, abfällt.
Jetzt war es dunkel geworden. Eine Stunde nach der anderen ritten wir zwischen niedrigen Hügeln und Dünen und über Wiesen und Wasserarme. Ich glaubte schon, wir hätten uns verirrt, als die Glocken weidenden Viehs klingelten, ein Feuer sich zeigte und Rabsang uns mit einer Laterne entgegenkam, um uns nach dem Dorf Parka zu führen, wo mein Zelt auf einem Hofe aufgeschlagen war.
Während des sehr notwendigen Rasttages, den wir uns in Parka gönnten, wurde mit den Govas der Gegend hin und her verhandelt. Sie baten mich, am nächsten Tage doch nun endlich nach Westen aufzubrechen, und ich versprach es ihnen, aber unter der Bedingung, daß ich in Chaleb, eine halbe Tagereise weiter westlich, drei Tage bleiben dürfe. Sie gingen darauf ein, ohne meine Nebenabsichten zu durchschauen. Ich wollte nämlich um jeden Preis den heiligen Berg auf der Pilgerstraße umwandern, sah aber ein, daß die Behörden hierzu nie ihre Erlaubnis geben könnten. Nur mit List konnte es glücken.
Hier erhielt ich zum zweitenmal einen sehr liebenswürdigen Brief von Mr. Cassels, der sich in offizieller Sendung in Gyanima befand. Leider verhinderte die Macht der Verhältnisse, daß wir uns trafen. Er überraschte mich durch drei Pakete Tee, die mir um so willkommener waren, als ich in der letzten Zeit mit Ziegeltee hatte vorliebnehmen müssen.
Endlich erhielten wir hier auch Aufklärung über das Gerücht, das uns so lange hartnäckig verfolgt hatte, daß sechs chinesische und tibetische Beamte aus Lhasa gesandt worden seien, um mich zur Vernunft zu bringen. Das Gerücht war allerdings wahr gewesen, aber als diese Herren bei ihrer Ankunft in Saka-dsong gehört hatten, daß ich schon längst nach Westen weitermarschiert sei, waren sie einfach wieder umgekehrt!
Von Tibetern, die lange in der Gegend gelebt hatten, erhielt ich noch allerlei Auskünfte über die beiden Seen und ihre periodischen Wasserarme. Noch vor vier Jahren war etwas Wasser vom Tso-mavang nach dem Langak-tso geströmt, eine Angabe, die mit der Ryders übereinstimmt. Vor zwölf Jahren war der Abfluß so reichlich gewesen, daß man ihn ohne Brücke nicht hatte passieren können. Den Kanal nannte man teils Ngangga, teils Ganga. Das Wasser des Langak-tso soll unter der Erde westwärts strömen und an einer Stelle des alten Bettes, die Langtschen-kamba heißt, aus einem Loch wieder herauskommen. Dies Wasser soll die eigentliche Satledschquelle sein und in die großen Flüsse gehen, welche zusammen diesen Strom bilden, dessen tibetischer Name Langtschen-kamba ist. vor 12 und 48 Jahren ist die Quelle des alten Bettes viel ergiebiger geflossen als jetzt. Derartige Aufklärungen sammelte auch Sherring im Jahre 1905.
Der Langak-tso soll in alten Zeiten giftig gewesen sein, so daß jeder, der das Wasser trank, sterben mußte. Aber seitdem der heilige Fisch aus dem Tso-mavang die Landenge durchbrochen hat und in den See hineingegangen ist, ist das Seewasser wieder süß geworden. Der See friert Anfang Dezember zu, einen halben Monat früher als sein östlicher Nachbar, und zwar felderweise und langsam, während der Tso-mavang innerhalb einer Stunde zufriert. Das Eis des Langak-tso bricht auch einen halben Monat früher auf als das des Tso-mavang. Beide Seen haben meterdickes Eis. Im Winter sinkt der Spiegel des Tso-mavang unter dem Eise um einen halben Meter, wodurch es Spalten und Risse erhält und sich vom Ufer abwärts neigt. Der Langak-tso aber sinkt nur um einen oder zwei Zentimeter. Dies deutet darauf hin, daß er immer Wasserzufluß aus dem östlichen See erhält, aber im Winter selbst nur eine unbedeutende Menge Wasser abgibt.
Über die Gänseinsel erzählte man, daß drei Männer vom Devaschung beauftragt werden, sich sofort nach Ankunft der Wildgänse auf der Insel niederzulassen, um die Vögel vor Wölfen und Füchsen zu schützen. Sie bekommen acht Rupien, ein Schaf und einen Kloß Butter als Gehalt. Um diese Zeit, im Mai, ist das Eis noch ellendick, aber die Eiersammler müssen sich doch vorsehen, daß sie nicht durch einen Sturm vom Festland abgeschnitten werden. Vor einigen Jahren passierte es, daß zwei Wächter auf diese Weise auf der Insel isoliert wurden. Sie lebten dort acht Monate von Eiern und Kräutern und kehrten im nächsten Winter, sobald der See zugefroren war, über das Eis zurück. Da war der eine aber schon so entkräftet, daß er bei der Ankunft in Parka starb.
Nach einem fröhlichen Feste, das die Ladakis am Abend veranstalteten, ritten wir am 2. September nun wieder nordwestwärts, begleitet von einem alten grauhaarigen Gova, der bereits mein ganz besonderer Freund geworden war. Das Wetter war herrlich, aber schon jetzt spürte man morgens eine beißende Kälte, ungefähr wie daheim auf den Schären, wenn die gelben Blätter abgefallen sind und eine dünne Eishaut sich über die Buchten gespannt hat. Ganz Parka war auf den Beinen, um sich unsere Abreise anzuschauen. Zugleich mit uns brach ein vornehmer Lama auf, den ich von Leh her kannte. Seine Begleiter hoben sich in ihren neuen roten und gelben Gewändern hübsch gegen den grün und grauen Erdboden ab. Er war in Schigatse gewesen und hatte kürzlich den heiligen Berg umwandert. Während des Marsches durchwateten wir die Flüsse Dam-tschu, Sung-tschu, La-tschu und Chaleb, die dem Langak-tso jetzt zusammen etwa 10 Kubikmeter Wasser in der Sekunde zuführten.
Je näher wir dem heiligen Berge kamen, desto weniger imposant erschien er; vom Langak-tso hatte er sich am schönsten ausgenommen. Der Form nach gleicht er einem auf ein Prisma gestellten Tetraeder. Von der Mitte des weißen Scheitels geht ein senkrechter Eisstreifen aus, unter dem sich ein flacher Eisstalagmit erhebt, den von oben ein dicker Wasserstrahl bespült. Der Strahl zersplittert auf dem Eiskegel in glitzernde Sprühtropfen und Wasserglocken – ein großartiges Schauspiel, dem man stundenlang zuschauen könnte.
Unser Lager auf der Chalebheide hatte den Vorzug, fern von allen menschlichen Wohnungen zu liegen, und das war auch nötig, denn von hier aus bewerkstelligte ich drei unerlaubte Exkursionen! Der zweite dieser Ausflüge nahm nur einen Tag in Anspruch, den 6. September, sein Ziel war das alte Bett des Satledsch. An dem Punkt, wo wir das Bett erreichten, schien es nach Osten wie nach Westen hin stillstehende Wasseransammlungen zu enthalten, der Boden war aber völlig eben. An der Stelle, die mir die höchste schien, ließ ich das Siedethermometer entscheiden, das einige 10 Meter Höhe über dem See angab. Folgt man dem Bett nach Westen, so gelangt man zuerst an einen sehr enten- und algenreichen großen Süßwassertümpel, darauf an eine Reihe durch kleine Wasserarme miteinander verbundener Sümpfe und schließlich an einen Bach, der langsam nach Südwesten fließt. Der Bach ergießt sich bald in einen großen Süßwassertümpel Nr. 2, der keinen sichtbaren Abfluß hat. Gehen wir aber weiter nach dem Punkt, wo das Bett sich zwischen steilen Wänden anstehenden Gesteins zusammendrängt, so stoßen wir auf zwei Quellen, die einen neuen Bach bilden, und dieser fließt durch das hier sehr markierte Tal nach Südwesten weiter. Nach meiner Überzeugung sickert dieses Wasser unter der Erde durch und kommt aus dem Langak-tso. Folgt man, wie ich es ein Jahr später tat, dem alten Bett eine Tagereise weiter nach Westen abwärts, so findet man bei Döltschu-gumpa wasserreichere permanente Quellen, die ebenfalls im Boden des Bettes entspringen. Von hier an und auf dem ganzen Weg durch den Himalaja abwärts nennen die Tibeter den Satledsch Langtschen-kamba, den Elefantenfluß; der Hügel, auf dem das Kloster Döltschu-gumpa erbaut ist, soll Ähnlichkeit mit einem Elefanten haben, daher der Name. Die Quelle selbst bei Döltschu heißt Langtschen-kabab oder »der Mund, aus dem der Elefantenfluß kommt«, ebenso, wie die Brahmaputraquelle Tamtschok-kabab, »der Mund, aus dem der Pferdefluß kommt«, und die Indusquelle Singi-kabab, »der Mund, aus dem der Löwenfluß kommt«, heißen. Der vierte in der Reihe ist der Maptschu-kamba, der Pfauenfluß oder Karnali. Die Tibeter behaupten also, daß die Quelle des Satledsch jetzt beim Kloster Döltschu liege, nicht im Himalaja oder Transhimalaja, aus denen er jedoch sehr wasserreiche Nebenflüsse erhält. Sie sind auch überzeugt, daß das Quellwasser des Langtschen-kamba aus dem Langak-tso stammt. Und ich bitte auf die außerordentlich beachtenswerte Tatsache aufmerksam machen zu dürfen, daß die erste der beiden heiligen Quellen, deren Wasser sich in den Tage-tsangpo ergießt, ebenfalls Langtschen-kamba heißt (s. S. 86), ein Beweis, daß man die Quelle in alten Zeiten im Osten des Tso-mavang annahm.
Jetzt rate ich dem, der an der Frage der Lage der Satledschquelle kein Interesse nimmt, das nun folgende Zitat zu überschlagen. Während meines Aufenthalts in Kyoto im Dezember 1908 zeigte mir der Geographieprofessor der dortigen Universität, Herr Ogawa, eine Sammlung chinesischer Bücher über die Geographie Tibets. Eines davon, Schui-tao-ti-kang, »Die Grundzüge der Hydrographie«, ist eine Kompilation, die Tschi Tschao Nan im 26. Jahre des Kaisers Kien Lung, also im Jahre 1762, ausgeführt hat. Im 22. Buche dieses Werks steht folgende Mitteilung über die Quelle des Satledsch, die Professor Ogawa mir mit großer Liebenswürdigkeit wortgetreu übersetzt hat Ich habe nur ein paar Sätze ausgelassen, die mit dem Problem direkt nichts zu tun haben.:
»Der Kang-ka-kiang tritt aus dem Kang-ti-ssu-schan (Kailas, Gangri) aus, auf dessen Südostseite der Lang-tschuan-ka-pa-pu-schan (Langtschen-kamba oder Langtschen-kabab), groß wie ein Elefant, liegt. Das Relief wird allmählich immer hügeliger nach der südwestlichen Grenze hin und kulminiert im Kang-ti-ssu-schan (Kailas). Der Berg hat einen Umfang von mehr als 140 Li. Auf allen Seiten bildet er abschüssige Wände, die die umliegenden Berge um mehr als tausend Fuß überragen und angehäufter Schnee scheint auf den Felsen zu hängen. Hunderte von Quellen strömen von dem Gipfel nieder, fließen aber am Fuße des Berges unter der Erde. Er liegt im äußersten Westen der Provinz Tsang, 310 Li nordöstlich von Ta-ko-la-tscheng (Taklachar?) in A-li (Ngari?), aber mehr als 5590 Li südwestlich von Sining-fu in der Provinz Schensi. Seine Länge ist 36 Grad 4 Minuten westlich und seine Breite 30 Grad 5 Minuten nördlich. In alten Zeiten war die Gegend unbekannt, läßt sich aber mit einigem Vorbehalt mit dem A-nok-ta-schan der Schui-ching-Aufzeichnungen identifizieren. In der Nachbarschaft gibt es vier hohe Berge, von denen der südliche Lang-tschuan-ka-pa-pu-schan heißt und 250 Li südöstlich von Ta-ka-lo-tscheng liegt. Die Eingeborenen nennen den Berg so, weil seine Gestalt der eines Elefanten gleicht. Östlich von diesem Berge liegt der Ta-mu-tschu-ko-ka-pa-pu-schan (Tamtschok-kabab, die Quelle des Flusses Jalu-tsang-pu oder Jere-tsangpo). Quellen treten aus dem Nordfuß des Berges aus und sammeln sich zu einem See an. Das Wasser strömt 70 Li nach Nordwesten und nimmt einen Fluß auf, der von Nordosten kommt. Der Fluß befindet sich im Gebirge 80 Li nordöstlich vom Lang-tschuan-ka-pa-pu. Zwei Flüsse fließen von dem Berge nach Westen und biegen nach ihrer Vereinigung nach Nordwesten um. Der Lauf des vereinigten Flusses schlängelt sich dann 60 Li weiter, biegt nach Südwesten ab und vereinigt sich mit dem Hauptfluß. Dies ist eine Quelle.
»Der Fluß strömt 40 Li nach Westen bei Norden weiter, dann nach Nordosten dem Wasser aus dem See Kung-scheng (Guntschu-tso) entgegen, das unter das Bett des Seebeckens sinkt, das aber, nachdem es wieder zutage getreten ist und drei nördliche Zuflüsse aufgenommen hat, nach Südwesten dem Flusse (Satledsch) zuströmt.
»Der See Kung-schen-o-mo hat zwei Quellen, die eine kommt von Nordosten, vom Ta-ko-la-kung-ma-schan und fließt 150-160 Li, die andere von Osten vom westlichen Fuße des Ma-erh-yo-mu-ling (Marium-la) auf der Westgrenze von Tscho-schu-te. Dieses letztere Gebirge bildet die Ostgrenze von A-li und ist die Hauptkette, die vom Kang-ti-ssu (Kailas) nach Südosten geht. Das Wasser des Sees Kung-scheng (Guntschu-tso) strömt über 50 Li nach Westen und bildet einen zweiten See, der 80 Li groß ist und keinen Abfluß hat. Mehr als 10 Li weiter nach Westen gibt es jedoch einen dritten See mit einer unterirdischen Quelle, der 30 Li lang ist. Von Norden her kommt ein Fluß nach dem See. Jetzt strömt der Fluß 60 Li nach Südwesten und empfängt einen von Nordosten kommenden Fluß, und 40 Li weiter südwestwärts nimmt er einen Fluß auf, der aus den nördlichen Gebirgen kommt, und noch weiter nach Südwesten hin begegnet der Fluß dem Wasser aus dem Lang-tschuan-ka-pa-pu-schan.
»Dieses Wasser bildet den See Ma-piu-mu-ta-lai (Mavang, Manasarovar). Von Süden nach Norden ist er 150 Li lang, von Osten nach Westen 80 oder 100 Li breit, und er hat mehr als 200 Li Umfang. Am Nordufer des Sees sind zwei Flüsse, die von Norden kommen. Der See liegt 120 Li südlich vom Kang-ti-ssu (Kailas). Das Wasser fließt auf der westlichen Seite aus dem See hinaus und in den See Lang-ka (Langak-tso) hinein, der 60 Li entfernt liegt. Dieser letztere See nimmt einen Fluß auf, der von Norden herkommt. Der See Lang-ka hat eine schmale, rechtwinklige Form mit Vorgebirgen und ist länglich; seine Länge von Süden nach Norden beträgt 170 Li, seine Breite von Osten nach Westen beläuft sich auf 100 Li. An seiner nördlichen spitzen Ecke empfängt er den Fluß, der von Nordosten kommt. Dort gibt es drei Quellen, 70 Li vom Südfuß eines südlichen Ausläufers des Kang-ti-ssu (Kailas) entfernt; sie fließen nach Süden ab, vereinigen sich in einem Bett und strömen dann als ein Fluß 150–160 Li südwestwärts, ehe sie sich in den See ergießen. Der See ist dem Umfang und Areal nach ebenso (wie der Tso-mavang), hat aber eine andere Gestalt.
»Das Wasser des Sees Lang-ka fließt von Westen aus (aus dem See), und nachdem es über 100 Li westwärts geströmt ist, biegt es nach Südwesten ab, heißt jetzt Lang-tschu-ho und hat mehr als 200 Li lang einen gewundenen Lauf. Darauf empfängt der Fluß den Tschu-ka-la-ho, der von Nordosten kommt.«
Diese Schilderung der Lage der Satledschquelle hat so außerordentlich großes Interesse, daß ich ihre Veröffentlichung um so mehr nicht bis zu meiner wissenschaftlichen Arbeit habe aufschieben wollen, als sie mir in meiner schon in Indien ausgesprochenen Vermutung, daß der Tage-tsangpo nichts anderes als der oberste Teil des Laufes des Satledsch oder, mit anderen Worten, daß die Quelle des Tage-tsangpo auch die Quelle des Satledsch sei, recht gibt. Bei der Debatte, die sich um das Problem entsponnen hat, sind viele Zitate herausgesucht worden, aber sie lassen sich an Bedeutung nicht vergleichen mit dem soeben angeführten, das 60 Jahre älter ist als das älteste der anderen, nämlich Gerards Ansicht, daß der Guntschu-tso die Quelle des Satledsch sei.
Die Beschreibung in Tschi Tschao Nans Hydrographie zeichnet sich durch ebenso peinliche Übereinstimmung mit der Wahrheit und Gewissenhaftigkeit aus wie alle anderen chinesischen Erdbeschreibungen. Man vergleiche die Beschreibung des Kailas (Kang-rinpotsche) mit dem, was ich bereits über ihn gesagt habe!
Lang-tschuan-ka-pa-pu ist die chinesische Übertragung des tibetischen Langtschen-kabab, das wortgetreu »Quelle des Satledsch« bedeutet. Wenn uns der chinesische Verfasser nun mitteilt, daß »östlich von Langtschen-kabab Tamtschok-kabab liegt«, das die Quelle des Flusses Jere-tsangpo (Brahmaputra) ist, so muß man gestehen, daß seine Beschreibung ganz genau mit der Wirklichkeit übereinstimmt, wie der erste Europäer in dieser Gegend, ich selbst, sie gefunden habe! Denn auf dem Tamlung-la stand ich auf dem Paß, der das Wasser zwischen Brahmaputra und Satledsch scheidet, und unmittelbar südlich vom Paß sah man den Ganglung-gangri und den Gletscher, aus dem der Tage-tsangpo entsteht und in dem die Quelle des Satledsch liegt.
Ferner heißt es, daß der See Guntschu-tso zwei Quellen habe, die eine von Nordosten her vom Berg Ta-ko-la-kung-ma, der augenscheinlich mit D'Anvilles Tacra-concla identisch ist, die andere von der Westseite vom Paß Marium-la, eine Angabe, die mit Ryders Karte in allen Einzelheiten übereinstimmt. Heutzutage ist der Guntschu-tso vollständig abgeschnürt und salzig; er gehört also nicht mehr zum Satledschsystem. Vor 147 Jahren aber hatte er einen Abfluß, der zum Teil unterirdisch weiter strömte, dann wieder zutage trat und sich mit dem Langtschen-kamba oder Tage-tsangpo vereinigte. Der chinesische Verfasser betont an zwei verschiedenen Stellen seiner Beschreibung, daß der Fluß des Guntschu-tso, der damals in seinem Unterlauf mit dem jetzigen Toktschenfluß identisch war, nur ein Nebenfluß des Langtschen-kabab oder Tage-tsangpo sei. Und daß der Tage-tsangpo seinerzeit auch von den Tibetern für den Quellfluß des Satledsch gehalten wurde, geht daraus hervor, daß sein Name, Langtschen-kamba, noch der oberen der beiden heiligen Quellen im Tale des Tage-tsangpo verblieben ist.
Und ferner heißt es: Dieses Wasser, nämlich das Wasser des Langtschen-kabab oder des Quellarmes des Satledsch, bildet den See Ma-piu-mu-ta-lai, also den Tso-mavang oder Tso-mavam, wie der Name auch ausgesprochen wird; auf D'Anvilles Karte wird er Ma-pama Talai geschrieben, wobei D'Anville mitteilt, daß Talai See bedeute. Er hätte hinzufügen können, daß es dasselbe Wort ist wie in Dalai-Lama, dem Priester, dessen Weisheit so unendlich wie der Ozean ist, denn das mongolische Wort Talai oder Dalai bedeutet Ozean. Mit diesem Wort hat der chinesische Verfasser hervorheben wollen, daß der Tso-mavang viel größer ist als die anderen im Text angeführten Seen.
Wie man anzunehmen allen Grund hat, strömte das überflüssige Wasser des Tso-mavang im Jahre 1762 durch den Kanal nach dem Langak-tso. Die Länge des Kanals betrug 60 Li, die meinen neun Kilometern entsprechen. Alle von Norden aus den Tälern des Transhimalaja kommenden Flüsse, die sich in die beiden Seen ergießen, sind richtig angeführt. Der See Langak wird Lang-ka genannt. Auf D'Anvilles Karte, zu der die Jesuiten, die zur Zeit des Kaisers Kang Hi (am Anfang des 18. Jahrhunderts) in Peking lebten, das Material geliefert haben, heißt der See Lanken. Auf derselben Karte heißt der von dort nach Westen gehende Fluß Lanc-tschou (Satledsch), es wird aber ungereimterweise die Vermutung ausgesprochen, daß er der Oberlauf des Ganges sei. Die Gebirge im Süden des Tso-mavang nennt D'Anville Lantchia-Kepou, was Langtschen-kabab ist, und das südöstlich davon liegende Gebirge Tam-tchou, also Tam-tschok, in dem er ganz richtig den Yarou Tsanpou, den Brahmaputra, entspringen läßt. Das Material zu der Karte des ganzen Chinesischen Reichs, das die Jesuiten dem Kaiser Kang Hi im Jahre 1718 übergaben, wurde vom Jahre 1708 bis zum Jahre 1716 gesammelt, aber über Tibet verschaffte der Kaiser sich Aufklärungen durch Eingeborene, die zu ihrer Arbeit von den Jesuiten angelernt wurden, ganz wie in späterer Zeit englische Topographen die indischen Punditen angelernt haben.
Aus D'Anvilles Karte erfahren wir also, daß vor 200 Jahren der Satledsch durch das Bett, das ich bereits beschrieben habe, aus dem Langak-tso abfloß. Professor Ogawas Übersetzung des chinesischen Textes läßt uns erfahren, daß noch im Jahre 1762, oder einige Jahre früher, der Fluß noch immer aus dem Langak-tso heraustrat. Und es wird ausdrücklich gesagt, daß der Fluß Tschu-ka-la-ho (= Tschu-kar, der jedoch, der Angabe nach, aus Nordosten anstatt aus Südosten kommt) nur ein Nebenfluß sei.
Im Jahre 1846 fand Henry Strachey keinen sichtbaren Abfluß, sagt aber, daß ein solcher unter der Erde vorhanden sei, und hält es für wahrscheinlich, daß auch der Kanal Wasser führen könne, wenn der See nach heftigen Regengüssen sehr gestiegen sei.
Am 30. Juli 1908 hörte ich vom Oberlama des Klosters Döltschu-gumpa, der in der Gegend geboren und damals 55 Jahre alt war, daß, als er noch ganz klein gewesen sei, von Zeit zu Zeit Wasser aus dem See herausgeströmt sei. Doch als er zehn Jahre alt gewesen, also im Jahre 1863, sei auch dieses Wasser versiegt und habe sich seitdem nie wieder gezeigt. Dagegen flössen die Quellen im Bett permanent, sowohl im Winter wie im Sommer und unabhängig von den Niederschlägen. Man sei daher im Kloster der Ansicht, daß sie aus dem Langak-tso stammten, nenne sie aber trotzdem Langtschen-kabab, den Fluß, der aus dem Munde des Elefanten herauskommt.
Meine Untersuchungen an Ort und Stelle, sowie das chinesische Zitat beweisen, daß Oberst S. G. Burrard vollkommen recht hat, wenn er in seiner meisterhaften Beschreibung der Flüsse des Himalaja und Tibets (Kalkutta 1907) den Tso-mavang und den Langak-tso und alle ihre Zuflüsse zum Flußgebiete des Satledsch rechnet, und ich möchte hier die beiden folgenden, von Oberst Burrard ausgesprochenen Sätze besonders hervorheben:
» The connection between the two lakes may be taken as established, but that between the western lake and the Sutlej basin is still open to question. If the water from Rakas Tal flows into the Sutlej once a century, and then only for such a short period as to be observed by no one, we shall still be justified in including the lakes in the catchment area of the river.«
(»Die Verbindung zwischen den beiden Seen kann als festgestellt angesehen werden, aber die zwischen dem westlichen See und dem Satledschbecken ist noch fraglich. Wenn das Wasser aus dem Rakastal nur einmal in 100 Jahren in den Satledsch fließt und dann nur während einer so kurzen Periode, daß sie niemand beobachtet, werden wir noch berechtigt sein, die Seen in das Stromgebiet des Flusses einzuschließen.«)
In Verbindung hiermit will ich hervorheben, daß der Wasserstand der tibetischen Flüsse und Seen je nach der Menge der Niederschläge periodischem Wechsel derselben Art wie die Brücknerschen Perioden unterworfen ist. In den beiden Seen verändert sich der Wasserstand von Jahr zu Jahr. Gegenwärtig stehen sie sehr niedrig, aber nichts könnte hindern, daß sie sich in naher oder ferner Zukunft wieder langsam heben; daß der Tso-mavang so anschwölle, daß er sein Wasser durch den Kanal an den Langak-tso abgäbe, und daß schließlich dieser See, wie einst, sich seines überflüssigen Wassers durch das jetzt ausgetrocknete Bett des Satledsch entledigte. Das Wahrscheinlichste ist jedoch, daß der Langak-tso dem Zeitpunkt entgegengeht, an dem er auch seinen unterirdischen Abfluß verliert und ebenso wie der Gungtschu-tso und der Panggong-tso vollständig abgeschnürt und infolgedessen mit der Zeit salzig wird. Aber nach dem, was Professor Brückner mir mitgeteilt hat, kann es lange dauern, ehe der See merkbar salzig wird, nachdem er seinen Abfluß eingebüßt hat. Der nächste Schritt der Entwicklung ist dann, daß der Tso-mavang vom Langak-tso abgeschnürt und ebenfalls salzig wird.
Jedoch brauche ich mich nicht in Prognosen und Spekulationen zu vertiefen, die einer Zukunft angehören, über deren Überraschungen wir nur mehr oder weniger wahrscheinliche Vermutungen anstellen können. Es ist unsere Pflicht, uns einzig und allein auf Tatsachen und Beobachtungen zu stützen.
Und nun, da wir uns darüber einig sind, daß die beiden Seen zum Flußgebiet des Satledsch gehören, ist die nächste Frage die: welcher der Flüsse, die sich in den Tso-mavang ergießen, ist der Quellfluß des Satledsch? Natürlich der wasserreichste und längste. Auf diese Ehre hat der Fluß, der seinerzeit dem Guntschu-tso entströmte, nie Anspruch erheben können, und der Guntschu-tso kann daher als Quelle des Satledsch nicht in Frage kommen. Der Tage-tsangpo führte 11 Kubikmeter Wasser in der Sekunde, während alle anderen in den Tso-mavang mündenden Flüsse höchstens 2–3 Kubikmeter führten. Die Quelle des Tage-tsangpo an der Front des Ganglunggletschers ist daher die Quelle des Satledsch.