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Der Tag war strahlend, es war nicht Frühling, es war Sommer. In der Luft summten plötzlich Fliegen, Wespen und Bremsen, auf dem Erdboden war allerlei Gewürm herausgekrochen und beeilte sich, die warme Jahreszeit, die hier so kurz ist, zu genießen. Es war heiß! Um ein Uhr 21,2 Grad! Die Sonne erschien mir ebenso brennend wie in Indien. Das Tal des Sa-tschu erweitert sich nach Westen hin; an den Ufern des Flusses saßen Wildgänse, Reiher und Enten, und auf den Bergen, an deren Fuß wir auf der rechten Seite des Tales hinzogen, krächzten die Dohlen. Das neue Gras war schon sommerlich grün und frisch aus der Erde gekommen, aber erst nach den warmen Regen wird es wirklich üppig.
Wir begegneten einer Karawane von 200 Yaks in fünf Abteilungen, die je zwei pfeifende Treiber hatten.
»Woher kommt ihr?« fragte ich.
»Vom Tabie-tsaka, wo wir Salz geholt haben.«
»Wo liegt der See?«
»Nordwärts in Bongba, 30 Tagereisen von hier.«
»Geht der Weg dorthin über hohe Pässe?«
»Ja, zwölf Tagereisen nördlich ist ein hoher Paß.«
Und dann zogen sie mit ihren trippelnden Yaks nach Saka-dsong weiter. Es war das erstemal, daß ich von diesem wichtigen Salzsee reden hörte, und ich beneidete die Leute der Salzkarawane, denn sie hatten diesen den Europäern gänzlich unbekannten Weg durch den Transhimalaja hinter sich.
Die Tasam hatten wir links liegen lassen; wir schwenkten nach Nordwesten ab, gerade auf Targjaling-gumpa zu, dessen rotes Lhakang, kleine weiße Gebäude und große Tschorten auf einer Terrasse lagen, unmittelbar oberhalb der Stelle, wo Guffaru das Lager aufgeschlagen hatte. Zehn Lamas waren heruntergekommen sich zu erkundigen, ob wir Diebe und Räuber seien, die das Kloster angreifen wollten! »O bewahre,« hatte er geantwortet, »wir sind friedliche Reisende, die die Nacht hier zubringen.« »Das erlauben wir nicht,« hatten sie erwidert, »ihr müßt auf der großen Straße bleiben.« Ich schickte nun Rabsang hinauf, den schon am Tor 30 Mönche umringten. Er erhielt denselben Bescheid; nie sei ein Europäer hier gewesen, nie werde einer das Kloster betreten! Wenn die Herren des Dsong es versuchten, uns hineinzuhelfen, sollten sie es mit dem Leben büßen! Angenehme Geistlichkeit! Nicht einmal Rabsang, der Lamaist war und mehrere Gaos am Halse trug, durfte hinein. Er stand ja im Dienst eines Europäers. So feindlich waren uns diese Mönche gesinnt, daß sie die kleine Quellader verstopften, aus der wir Wasser holten! Der Devaschung ging sie, ihrer Aussage nach, gar nichts an. Wir hatten schon in Saka-dsong gehört, daß diese Mönche kriegerisch und unabhängig seien; man hatte dort behauptet, der Freibeuter, der uns am 31. Mai angehalten, müsse ein verkleideter Mönch gewesen sein. Aber wir konnten auch ohne sie und ihr Kloster, das ziemlich klein und unbedeutend aussah, fertig werden.
Hier erkrankten unsere vier Hündchen an einer seltsamen Krankheit, liefen unruhig umher, schnoben und niesten, hatten Eiter in den Augen und keinen Hunger. Abends hörte ich den einen meiner kleinen Zeltkameraden winseln und heulen, am nächsten Morgen lag er tot auf seiner Filzdecke.
Rawlings und Ryders Route zur Linken lassend, zogen wir bis an das Ufer des Tschaktak-tsangpo und dann nordwärts am Fluß entlang. Der Fluß hat starke Strömung, bildet aber keine Stromschnellen; im Süden sieht man das Tor, durch das er aus dem Gebirge heraustritt. Beim Dorfe Pasa-guk, das größer als Saka-dsong ist, lagerten wir auf dem rechten Ufer. Der Fluß war hier 43 Meter breit, höchstens 0,78 Meter tief und hatte 17,8 Kubikmeter Wasser. Am 28. Mai führte er 18,8 Kubikmeter, den Satschu und andere Nebenflüsse aber nimmt er erst unterhalb des Dorfes Pasa-guk auf.
Mitten im Dorf (Abb. 227) war ein Serai mit großen Salzvorräten in Säcken. Hier wird von Zeit zu Zeit ein Tauschmarkt abgehalten, bei dem Salz die Scheidemünze bildet. Ich versuchte, weitere Erkundigungen über das Land im Norden einzuziehen, aber als ich die verschiedenen Angaben miteinander verglich, war das Resultat ein hoffnungsloser Wirrwarr. So fragte ich z. B. Wanderer, die von Tabie-tsaka kamen, wie weit sie jeden Tag gingen und wo sie Seen, Flüsse und Pässe überschritten, und als ich die angegebenen Wegstrecken addierte und die Richtung auf die Karte setzte, reichte die Linie bis Kaschgar – durch ganz Tibet und Ostturkestan! Verwendbare Daten über das Land im Norden zu erhalten, war unmöglich. Ich mußte es also mit eigenen Augen sehen! Aber wie würde das möglich sein? –
227. Mädchen in Pasa-guk.
Skizze des Verfassers.
Empört und voller Wut kam plötzlich der Hadschi zu mir, um sich zu beklagen, daß Guffaru ihn geschlagen habe. Ich saß zu Gericht und stellte ein Verhör an. Der Hadschi hatte sich geweigert, die Pferde zu hüten, als er an der Reihe war, und der Karawan-baschi hatte ihn deswegen durchgeprügelt. Das Urteil lautete, daß der Hadschi in Njuku seinen Abschied erhalte.
In dem sammetweichen Ufergras saßen Robert und ich und sahen mit sehnsüchtigen Blicken dem halbklaren Flußwasser zu, wie es in munterm Spiel nach den ersehnten Küsten hintanzte. Ein Greis und ein Jüngling gesellten sich zu uns und erheiterten uns durch Tanz und Gesang. Der Alte in einer dreieckigen Maske von Ziegenleder mit roten Zeugstreifen und Schellen tanzte und stampfte auf den Boden, und der Jüngling sang folgendes unbegreifliche Lied:
Heil dir, Gott, du Gott des Passes!
Viele Sterne funkeln in der Nacht.
Heute ist ein schöner Tag.
Möchte doch Regen kommen!
Schenk' mir ein Stück Tee oder eine kleine Münze!
O, Koch, schenkst du mir eine Prise Mehl und ein Radieschen?
So ist die Maske, die man in Tschang-tang trägt.
Am rechten Ohr eine Locke, weder groß noch klein,
Am linken ein Stöckchen, weder groß noch klein;
Weder Schatten noch Sonne.
Es ist ein väterliches Stöckchen und ein mütterliches Stöckchen,
Überall haben wir Stöckchen, mit Ästen,
Denn sie beschützen uns vor allen Gefahren.
Das Pferd hält seinen Kopf hoch,
Und der Reiter hält seinen Kopf hoch.
Die Götter sind hoch, der Erdboden ist tief.
Ihr habt Gold und Silber vollauf.
Möchte sich euer Vieh, eure Schafherden und eure Habe vermehren!
Möchte sich eure Familie vermehren!
Der König von Ladak sitzt zwischen einem goldenen und einem silbernen König. –
Jetzt ist das Lied zu Ende.
Am 10. Juni ließ ich den Tschaktak-tsangpo rechts liegen, leider ohne aus seinem Oberlauf klug geworden zu sein. Wir zogen in seinem Nebental Rock in nordwestlicher Richtung aufwärts. Vorher waren wir an zwei Türmen vorbeigekommen, die früher die Burg eines aufrührerischen Lama gewesen waren. Er lag mit Saka-dsong in Fehde, wurde aber besiegt. Im Lager am Teiche Tschuru erschien mir der Abend endlos. Das Heimweh schien auf einmal ansteckend geworden zu sein! Die Ladakis sangen nicht mehr; sie machten nur Schuhe für ihre Kinder und verknüpften dabei ihre Gedanken noch fester mit der Heimat. Auch ich fand nach der Tagesarbeit keine Ruhe. Wenn wir wenigstens wüßten, welche Antwort uns die Mandarinen geben würden, aber unsere Boten kamen ja nicht wieder! Wir schienen uns in einem Morast zu befinden und darin umherzustampfen, ohne von der Stelle zu kommen. O, du unheimliches, ödes Tibet, du schwarzes, armes, abergläubisches Volk! In der stillen Nacht waren mir die Schritte des Lagerwächters wie eine angenehme Gesellschaft.
Nach -9,8 Grad in der Nacht ritten wir nach Westen weiter über einen sehr flachen Paß, eine Wasserscheide zwischen dem Tschaktak-tsangpo und dem Njuku, auf einem Weg, der einst eine Tasam gewesen war; zahlreiche Ruinen und Manis erinnerten an jene Zeit. Die Gegend hatte viel Nomaden, oft schwarze Zelte, bei denen man Schafe blöken und Hunde bellen hörte; Frauen und Knaben hüteten die Herden, an den Abhängen grasten Yaks. Das Land erinnerte an die Sommerweiden des Pamir. Auch das zweite Hündchen starb über Nacht und war am Morgen beinahe schon von den Raben verspeist.
Am 12. Juni gelangten wir wieder an die Tasam, und zwar bei Njuku (Abb. 228), wo wir das Lager aufschlugen. Der Gova von Njuku, dessen Freundschaft ich in Saka-dsong gewonnen hatte, war sehr zuvorkommend und meinte, ich könne gern wieder einen Bogen nach Norden machen, da ich die Landstraße ja zu verabscheuen schiene. Er werde mich auf einen Paß hinaufführen, von wo aus man beinahe alle Berge auf der ganzen Erde, besonders aber den unmittelbar nördlichen Lumbo-gangri sehen könne! Hier würden wir mit Leuten aus der Provinz Bongba in Berührung kommen, die uns vielleicht alles Nötige verkaufen könnten. In Njuku starb auch das dritte Hündchen. Die Tibeter sagten, daß sie an einer Halskrankheit zugrunde gegangen seien, die »Gakpa« heiße und sehr häufig vorkomme. Mama Puppy kümmerte sich übrigens kein bißchen um ihre Kleinen, als sie krank waren, sie schien ihnen eher aus dem Wege zu gehen. Wir hatten sie mit warmem Wasser gewaschen und nach besten Kräften gepflegt und taten jetzt alles, um den letzten zu retten. Die Tibeter konnten nicht begreifen, wie man sich um einen Hund soviel Arbeit machen könne.
228. Der Gova von Tuksum. Skizze des Verfassers.
Blauweiß zitternde Lichtscheine zuckten den ganzen Abend über dem Gebirge im Südwesten; unter den Blitzen traten die Umrisse der Berge scharf und schwarz hervor. Das ist das Zeichen der kommenden Monsunregen auf den Südabhängen des Himalaja. Alle sehnen sich danach. Wenn hier oben Regen fällt, ist das Gras in ein paar Tagen üppig, das Vieh wird fett und behäbig, die Milch dick und gelb; jetzt ist sie dünn und weiß und gibt wenig Butter. Die Existenz der Nomaden, ja der Wohlstand des ganzen Landes hängt vom Monsun ab. Die Sommerweide hilft den Herden die Kargheit des übrigen Jahres überstehen. Bleibt der Regen aus, so verkümmern die Herden und sterben.
Die Nacht ist still. Nur dann und wann ertönt das heitere Lachen eines Mädchens oder das Bellen eines Hundes. Der Lagerwächter summt ein Liedchen, um sich wach zu halten.
Der 13. wurde ein fauler Ruhetag – wir mußten jetzt auf Tundup Sonam und Taschi warten. Während der Rasttage rasierte ich mich immer – es ist ein schönes Gefühl, sauber zu sein, auch wenn man niemand hat, für den man sich hübsch machen möchte. Robert schoß drei Wildgänse und fing zwei noch gelbe Junge, die in sein Zelt spaziert waren und dort Spinat gemacht hatten. Wir setzten sie in den kristallklaren Men-tschufluß in der Hoffnung, daß irgendeine freundliche Gänsemama sich ihrer annehmen werde.
Von hier aus sollten es nur vier Tagereisen nach einer Gegend in Nepal sein, wo Tannenwald steht. Man denke: Tannenwald wie in Schweden und in Simla! Doch wir mußten auf diesen öden Hochebenen bleiben.
Gerade als wir am folgenden Tag aufbrechen wollten, kamen der Hadschi, Islam Ahun und Gaffar zu mir und verlangten, wenn sie bei mir bleiben sollten, Befreiung von den Nachtwachen und eigene Beköstigung! Ich rief nun die anderen zusammen und fragte sie, ob noch sonst jemand sich ihnen jetzt, wo sie weggejagt würden, anschließen wolle? Aber keiner wollte. Hadschi, der einzige der Mohammedaner, der in Mekka gewesen, ja sogar zweimal dort gewesen, war der einzige Schuft in der Karawane! Er hatte die beiden andern aufgewiegelt. Meiner Beobachtung nach sind Mekkapilger immer Schurken! Der Hadschi erklärte, Räuber und Strolche auf der Landstraße seien ihm lieber als Guffaru und die anderen Ladakis. – Als wir nach Nordwesten durch das Tal des Men-tschu bergan weiterzogen, verschwanden die drei Männer uns aus dem Gesicht.
Im Lager Nr. 177 hatte ich am 15. Juni großen Empfangstag, denn einige Häuptlinge von der Bongbaseite besuchten mich; auch der Gova von Tradum, unser alter Freund, war gekommen. Sie beschlossen, mich eine kleine Strecke nach Norden reiten zu lassen, aber nur unter der Bedingung, daß ich am selben Tag wieder zurückkehre. Am 16. ritten wir daher auf gemieteten frischen Pferden nach dem Kilung-la hinauf, von wo die Aussicht orientierend und lehrreich war. Vor uns hatten wir das schwarze Lumbo-gangri-Gebirge mit seinen tiefen, wilden Tälern und steilen Felswänden, mit seinen kleinen Gletscherzungen und seinen Hauben von ewigem Schnee. Die Leute sagten, der Berg sei heilig, eine Art Pforte oder Vorhof zum Kang-rinpotsche, dem berühmten Wallfahrtsberg in der Nähe der Indusquellen. Hinter dem Lumbo-gangri liegen Tal und Fluß Rukjok-tsangpo, der dem Tschaktak-tsangpo zuströmt.
Schon hier wurde mir klar, daß diese Gipfel, die Ryder und Wood gemessen hatten, nicht mehr auf der Wasserscheide der ozeanischen Flüsse liegen konnten. Aber wie das nördlich von ihnen liegende Land aussah, das wußte keiner. Die Bongbaleute hatten Befehl erhalten, uns Halt zu gebieten, wenn wir versuchen sollten, uns nach Norden durchzuzwängen. Es gelang mir weder durch Bitten noch durch Drohungen, mehr zu erreichen als die Aussicht vom Kilung-la. Je weiter wir nach Westen schritten, desto größere Stücke des weißen Fleckes auf der Karte blieben hinter mir zurück! Es war mir ein entsetzlich bitteres Gefühl; ich setzte noch immer meine Hoffnung auf die chinesische Post aus Lhasa.
Am Morgen des 17. waren alle Berge verschneit; der Tag wurde aber warm und schön, als wir nach dem Sertschung-la hinaufritten und im Südwesten den nördlichsten Kamm des Himalaja und das breite Brahmaputratal sahen. Das abwärts führende Paßtal ist reich an Buschholz und Flugsand, der hier bis zu 6 Meter hohe Dünen gebildet hat.
Nach einem interessanten, resultatreichen Marsch lagerten wir in dem Talknoten Dambak-rong. Aber der Tag war noch nicht zu Ende. Wir hörten, daß Naser Schahs Sohn gestern auf dem Weg nach Ladak mit 22 Mauleseln in Tradum angelangt sei. Sofort wurde ein Eilbote zu ihm geschickt mit der Bitte, mich zu erwarten und mir Nachricht von Tundup Sonam und Taschi zu geben. Der Gova von Tradum ritt selbst nach Hause, um alles zu unserer Ankunft vorzubereiten. Eine Weile verging. Da hörten wir Schellengeklingel. Ein Reiter kam in starkem Trab aus dem Sertschungtal. Er war sichtlich unserer Spur gefolgt, ritt gerade auf mein Zelt zu und überreichte mir einen Brief, dessen großes Siegel die Worte: » Imperial Chinese Mission, Tibet« und dasselbe in chinesischen Schriftzeichen enthielt.
Jetzt sollte sich mein Schicksal entscheiden! Die Ladakis drängten sich um mein Zelt. Ich merkte ihnen an, wie sehr sie wünschten, daß man uns zwänge, auf dem geradesten Weg nach Ladak zurückzukehren. Sie konnten nicht von denselben ideellen Interessen beseelt sein wie ich. In der größten Spannung erbrach ich den Brief. Er war »Lhasa, am 3. Juni« datiert und also 14 Tage unterwegs gewesen. Er war in fehlerfreiem Englisch von Ho Tsao Hsing, First Secretary to His Excellency Chang (Tang Darin), geschrieben und lautete:
Dear Doktor Hedin!
Ihr Brief an Seine Exzellenz Tschang, datiert vom 14. Mai, ist uns richtig zu Händen gekommen. Nachdem Seine Exzellenz erfahren haben, daß Sie in Raga-tasam angelangt sind und daß der Devaschung Sie am Weiterreisen verhindert hat, bedauerte er aufrichtig, daß so etwas hat vorkommen können, und hat mich beauftragt, Ihnen folgende Mitteilung zu senden:
In seinem letzten Briefe an Sie bat Seine Exzellenz, daß Sie auf demselben Wege, auf dem Sie gekommen, zurückkehren möchten; er kann daher nicht verstehen, weshalb Sie, seinen Wünschen entgegen, einen anderen Weg eingeschlagen haben. Daher sind Sie auch in eine so unangenehme Lage geraten, was Seine Exzellenz in der Tat aufrichtig bedauert.
Seine Exzellenz hat nun wiederum dem Devaschung und den Behörden längs der Heerstraße Befehl erteilt, Ihnen allen nur möglichen Schutz und alle nur mögliche Unterstützung zuteil werden zu lassen. Aber er wünscht aufs bestimmteste, daß Sie Ihre Richtung nicht nach Nordwesten hin ändern, wo sowohl das Land wie das Volk wild sind (ich möchte nur wissen, woher er das weiß!) und wo Ihnen Unglücksfälle zustoßen könnten, wofür Seine Exzellenz schwerlich auch nur die geringste Verantwortung übernehmen könnte.
Seine Exzellenz wünscht daher, daß Sie auf dem Weg, auf dem Sie gekommen sind, wieder heimkehren, und kann Ihnen nicht erlauben, eine andere Richtung einzuschlagen.
Seine Exzellenz schickt Ihnen seine besten Grüße und wünscht, daß Sie glücklich und gesund zu Hause eintreffen möchten.
Das war alles, was ich bei dem Streich gewann, der uns schon so viel Zeit gekostet hatte! Ein bestimmtes Verbot, nordwestwärts nach dem Land meiner Träume zu ziehen! Jetzt mußte der Devaschung neue Verhaltungsmaßregeln empfangen und die Bewachung immer enger um uns gezogen werden. Jetzt wurden mir auch von Süden her die eisernen Tore des Weges, der in das Verbotene Land hineinführt, zugeschlagen. Tang Darin war ebenso unerbittlich wie der Staatssekretär für Indien, Mr. Morley! Aber auch er stachelte nur meinen Ehrgeiz an, und dafür bin ich ihm Dank schuldig. Vorläufig belegten wir das Exemplar meines Passes, das auf der ganzen Straße vor uns von Gova zu Gova gehen sollte, mit Beschlag.
Aber noch immer war der verhängnisvolle Tag nicht zu Ende. Als die Sonne unterging, kamen meine verschollenen Eilboten, Tundup Sonam und Taschi angewandert, staubig und zerlumpt, ihre Bündel auf dem Rücken! »Gut gemacht und willkommen, zehn Rupien pro Mann und einen neuen Anzug erhaltet ihr als Belohnung! Was bringt ihr Neues?« Keine Briefe! Nur eine Bescheinigung von Ma, daß er meine Post nach Lhasa gesandt hat, und einen Brief von Gulam Kadir an Muhamed Isa. Schigatse hatten sie in elf Tagen erreicht und sich dort drei Tage ausgeruht. Dann waren sie von Taschi-lunpo aus direkt nach Westen aufgebrochen. Sie waren den ersten Tag schnell und lange marschiert und bei Sonnenuntergang nach dem Ta-la hinaufgestiegen, als neun Wegelagerer, zwei mit Flinten und die andern mit Säbeln, über sie hergefallen waren und sie zu Boden geworfen hatten. Die beiden Flinten waren auf die Gabeln gestellt, die Läufe auf ihren Kopf gerichtet worden, die sieben Säbel waren aus der Scheide geflogen und einer der Männer hatte gesagt:
»So wahr euch euer Leben lieb ist, her mit allem, was ihr Wertvolles habt!«
Zu Tode erschrocken, hatten die beiden Ladakis gebeten, ihnen alles zu nehmen, was sie haben wollten, wenn sie ihnen nur das Leben ließen. Die neun Räuber hatten nun die Bündel der Überfallenen geöffnet und sie gründlich ausgeplündert, ja ihnen sogar ihre kleinen Gaos mit Götterbildern, ihr Kochgeschirr und 18 Rupien in Silber geraubt. Die Kleider, die sie auf dem Leibe trugen, hatten sie behalten dürfen. Aus reinem Zufall hatten die Räuber ein kleines Bündel mit 30 Tengas übersehen, das Tundup Sonam in der Rückseite seiner Leibbinde versteckt hatte. Nachdem die Plünderung im Handumdrehen erledigt worden, waren die Wegelagerer im Gebirge verschwunden. Unsere beiden besiegten Helden waren weinend auf der Walstatt geblieben, bis es dunkel wurde; dann waren sie zuerst ganz langsam gegangen, hatten sich immerfort umgeschaut und in jedem Schatten einen Räuber gesehen, dann aber hatten sie ihre Schritte beschleunigt und waren zuletzt beinahe gerannt. Todmüde waren sie schließlich unter zwei Steinblöcke am Wegrand gekrochen und hatten am nächsten Morgen drei schwarze Zelte erreicht, wo man ihnen zu essen gegeben und ihnen erzählt hatte, daß vor zwei Tagen ein Lama auf demselben Ta-la bis auf die Haut ausgeraubt worden sei. Nun aber waren sie gerettet, und es war rührend zu sehen, wie sie sich freuten, wieder bei uns zu sein. Sie hatten Muhamed Isas Grab gesehen, und die Unterhaltung hierüber rief Tserings Kummer wieder wach.
Am 18. Juni zogen wir durch offenes Gelände nach Tradum, wobei wir den Weg auf der nördlichen Talseite nahmen, während die Tasam auf der südlichen blieb. Der Boden war sandig. Kleine boshafte Bremsen fliegen summend in die Nüstern der Pferde und machen sie toll. Sie gehen jetzt wie die Wildesel mit dem Maul am Boden, um sich vor den Bremsen zu schützen. Rechts liegt der Tuto-pukpa, ein Berg, zu dem die Leichen aus Tradum auf Yaks gebracht werden, um dort zerstückelt zu werden. Wir reiten zwischen Tümpeln, in denen sich Massen von Wildgänsen mit ihren niedlichen, dottergelben Jungen aufhalten. An einem Felsenvorsprung sind Steinmale und Wimpelstangen errichtet; die Bergwand ist schwarz, aber ihre ganze Front nach dem Wege hin ist rot angestrichen – »ach, das ist Blut auf Baldurs Opferstein!« Von hier aus sieht man das Dorf Tradum, seinen Tempel und seine Tschorten auf einem Hügel. Im Südwesten tritt die dunkle, schneegekrönte Wand des Himalaja wild, großartig und steil hervor. Im Südosten sieht man die Tasam sich wie ein helles Band schlängeln; unser Pfad mündet in sie ein; sie ist zwölf Meter breit zwischen grasbewachsenen Sandterrassen; sie ist die » great trunk road« Tibets.
Wir hatten kaum unser Lager aufgeschlagen, als der entlassene Hadschi und seine beiden Begleiter ankamen und uns mit einem »Salam« begrüßten! Aber ich war böse und jagte sie wieder fort. Nachher hörte ich, daß sie geweint hätten; da tat es mir bitterlich leid, daß ich unfreundlich gewesen war. Nun aber war es zu spät; man hatte sie, als die Abendschatten sich herabsenkten, schweren Schrittes in die Steppe hinauswandern sehen.
Das Kloster Tradum-gumpa steht unter Taschi-lunpo; seine fünf Mönche leben vom Ertrag ihrer Schaf- und Yakherden und treiben Handel nach Nepal. Um den Tempel stehen acht Tschorten, und im Göttersaal thront der unsterbliche Schakyasohn zwischen dem elfköpfigen, sechsarmigen Avalokiteschvara und andern Göttern. In einem Schieferhügel oberhalb des Klosters liegt eine Eremitenklause, von der man eine herrliche Aussicht über das Brahmaputratal und den aus dem Gebirge heraustretenden Tsa-tschu-tsangpo hat.
Hier starb auch unser viertes Hündchen, das ich als Andenken aus Schigatse behalten zu dürfen gehofft hatte. Mama Puppy war jetzt wieder allein auf ihrer Matte, und vor den Zelten lagen die beiden schwarzen Hunde vom Ngangtse-tso.
Der Gova von Tradum war ein angenehmer, gemütlicher Schalk und verachtete den Devaschung gründlich. Er wollte mich das Tsa-tschu-Tal nicht hinaufziehen lassen, aber er hatte nichts gegen einen Ausflug nach dem Passe Kore-la; dieser ist zwei Tagereisen weit südwestlich entfernt und gehört zu dem Himalajakamm, der eine Wasserscheide zwischen dem Brahmaputra und dem Ganges ist! Er ließ uns sogar sechs Pferde mieten und gab mir zwei Führer für den Ausflug mit, der am Morgen des 20. Juni angetreten wurde.
Die erste Nacht sollten wir an dem Punkt lagern, wo der Tsatschu-tsangpo sich in den obern Brahmaputra ergießt. Mit meinen gewöhnlichen Begleitern ritt ich über die Grassteppe und Sanddünen nach Südsüdwesten. Vor uns zeigten sich drei Wanderer mit Bündeln auf dem Rücken und Stöcken in den Händen. Als wir sie eingeholt hatten, blieben sie stehen und kamen dann heran, um ihre Stirn an meine Füße zu legen. Es waren der Hadschi und die beiden anderen! Ich war innerlich froh über die Gelegenheit, sie wieder zu Gnaden annehmen zu können. Sie sollten künftig die Yaks begleiten.
Auf dem rechten Flußufer am Fuß des Hügels (4565 Meter), auf dessen Gipfel die Ruinen des alten Klosters Liktse liegen, war das Lager schon aufgeschlagen. Hier führt eine wichtige Handelsstraße über den Fluß, eine Fähre sorgt für die Verbindung zwischen beiden Ufern. Der Tsa-tschu-Fluß hatte jetzt eine Breite von 32,5 Meter und eine Tiefe von kaum einem Meter; der Brahmaputra war 110 Meter breit und bis zu 1,75 Meter tief und machte einen viel imposanteren Eindruck als weiter abwärts.
Es war nicht leicht, das Seil über den Fluß zu spannen, weil heftiger Südweststurm herrschte und starker Wellengang war. Robert ruderte mit dem Seil vom rechten Ufer in den Fluß hinaus; vom linken aus wateten einige Ladakis soweit wie möglich in das seichte, sehr langsam tiefer werdende Wasser hinein, um das ihnen zugeworfene Ende aufzufangen und es am Ufer zu befestigen. Als wir das Seil endlich über den Fluß gespannt hatten, zerriß es durch den Druck des Windes und der Wellen und mußte noch einmal gespannt werden. Wir hatten +12 Grad in der Luft und +15,4 Grad im Wasser, aber die Leute waren doch vom Wind so durchfroren, daß sie ein großes Feuer anzünden mußten. Obendrein regnete es tüchtig, der erste Regen, seit wir Ladak verlassen hatten! Im Gebirge grollte der Donner.
In der Nacht blieb die Minimumtemperatur zum erstenmal über Null, +3,2 Grad! Und der Morgen war nach dem gestrigen Sturme herrlich, der Himmel zur Hälfte mit heitern Sommerwölkchen bedeckt, kein Lüftchen regte sich und die Oberfläche des Flusses lag blank wie ein Spiegel, den langsame Wasserwirbel schwach marmorierten. Die Fähre war schon mit Passagieren und Gütern im Betrieb. Für jede Überfahrt erhielt der Fährmann einen Tenga; er setzte zweimal stündlich über den Fluß. Unsere Pferde und Yaks wurden schwimmend hinüber befördert, nachdem sie nachts auf der Steppe des linken Ufers gegrast hatten.
Am 21. machten wir einen 34,6 Kilometer langen Ritt, besuchten aber erst noch das kleine Kloster Liktse-gumpa, das an der inneren Seite des Hügels erbaut ist und daher nicht die herrliche Aussicht hat, die sich von dem alten, jetzt in Ruinen liegenden Kloster auf dem Hügel darbot. Von dessen Fensterscharten aus konnten die Mönche einst das pulsierende Leben des Flusses während der verschiedenen Zeiten des Jahres sehen, sein langsames Fallen im Frühling, sein Steigen während des Sommers, wenn trübe Wassermassen von auftauenden Schneefeldern und abschmelzenden Gletschern herabkamen, ihr Abnehmen im Herbst und das Zufrieren des Flusses in der Winterkälte. Und sie konnten sehen, wie im Frühling das Eis aufbrach und in großen, rasselnden Schollen flußabwärts tanzte. Jetzt aber haben die zehn Mönche die Aussicht über ein jammervolles Lehmtal zwischen unfruchtbaren Hügeln, ihr Kloster liegt abseits von allen Fahrwegen. Liktse-gumpa ist ein Ableger von Sera, erhält aber seinen Unterhalt nicht von dort und besitzt auch keine Herden. Der Ertrag der Fähre ist die einzige Einnahme der Mönche. Der Abt, Pundschun Dung, mit rotem Turban und grauem Bart, zeigte mir die Götter des Lhakang, Buddha, Padmasambhava und die anderen. Unter den üblichen heiligen Gegenständen auf dem Altar sah man zwei zu Trinkgefäßen geformte Menschenschädel, der eine innen mit Silber beschlagen. Auf dem Klosterhof lag der heilige Hund an der Kette.
Wir ritten schnell wieder von dannen. Man sieht sofort, daß hier lebhafter Verkehr herrscht. Auf den Steppen und in offenen, weichen Talgründen ist der Weg weniger deutlich ausgeprägt, denn dort geht jeder, wo es ihm gefällt; wenn man aber über Pässe und Bergvorsprünge mit hartem Gestein ziehen muß, vereinigen sich die Pfade büschelartig von allen Seiten, dort ist der Weg seit vielen Jahrhunderten ausgetreten und abgenutzt. Auf dem kleinen Paß Tsasa-la begegneten wir einer großen, mit Gerste beladenen Yakkarawane.
»Woher kommt ihr?« fragte ich.
»Aus Mundang im Lande Lo Gapus.«
Mundang findet man auf den englischen Karten von Nepal, aber wer war Lo Gapu, »der König des Südlandes?« Das klang so vornehm!
Die nächste Paßschwelle hieß Dorab-la, von seiner Höhe sahen wir das Tal des Tschockar-schung-tschu, ein breites Tal, dessen Bach teilweise vom Kore-la kommt und sich in den Brahmaputra ergießt.
Während wir rasten, zieht Guffaru mit seinem dichtgedrängten, schwarzen Troß vorbei, einem Heer beladener Yaks, pfeifender und singender Tibeter und einiger Ladakis mit unseren eigenen Tieren als Nachhut. Sie verschwinden bald im Staub der Straße, nur zwei der unseren bleiben eine Weile in einer Felsspalte sitzen, um schnell noch ein paar Züge aus ihrer von Wind und Wetter schon arg mitgenommenen Wasserpfeife zu tun. Von hier aus ziehen sie westwärts nach dem verabredeten Rendezvous, während ich in südlicher Richtung weiterreite.
In dem Tal, das nach dem Ngurkung-la hinaufführt, lagerte eine gewaltige Salzkarawane auf dem Weg nach Nepal. Die zwölf Führer hatten sich aus den Salzsäcken eine praktische Schutzmauer gegen den heftigen Wind erbaut. Wir erreichten nun das ziemlich breite Tal, das direkt nach dem Paß hinaufgeht, dessen Schwelle sich im Süden abzeichnet. Stundenlang ritten wir bergan, obgleich die Steigung nicht merkbar war; der Wind kam uns gerade entgegen. Rechts hatten wir jetzt einen Teil der wasserscheidenden Himalajakette, die wir von Tradum aus gesehen hatten. Sie wurde durch eine eigentümliche, scharf begrenzte Wolke verdeckt, die einem weißen Torpedo glich, von dessen nördlicher Spitze sich dann und wann kleine Wolkenflocken loslösen und verflüchtigen. In dem Seitental, das ganz in der Nähe der außerordentlich flachen Paßschwelle liegt, lagerten wir bei einigen schwarzen Zelten.