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Dreiundvierzigstes Kapitel.
Die Quelle des heiligen Flusses. – Ein Abschied.

Bei herrlichem Wetter machten wir uns auf den Weg, keine Wolken verhüllten die Gipfel des Kubi-gangri. Wir folgten dem linken Ufer des Kubi-tsangpo und ritten am Fuß der gewaltigen Moränenmassen entlang, die sich hier wohl 150 Meter über dem Talgrund erheben und die einst auf der linken, westlichen Seite von dem Riesengletscher aufgeworfen worden sind, den alle die Gletscherzungen einst gebildet hatten, von denen jetzt nur noch kurze Stücke vorhanden sind. Der Moränencharakter ist deutlich erkennbar; bald sehen wir geschweifte Rücken und Wälle mit steilem Absturz nach beiden Seiten, bald abgerundete Hügel, die sich übereinander erheben. Die Oberfläche bedeckt oft feines Geröll mit Gras und hochalpinen Blumen, die sich in all ihrem Liebreiz bemühen, den kurzen Sommer möglichst zu genießen. Hier und dort hat ein Bergrutsch stattgefunden, und man sieht, daß es dem Gestein an jeder Spur von Schichtung fehlt. Gelegentlich passieren wir einzelne Granitblöcke, aber sie sind klein; der größte mochte wohl 8 Kubikmeter haben. Auf dem ebenen Talboden dehnen sich Sümpfe mit üppigem Gras; in mehreren Tümpeln sind Wildgänse in der Sommerfrische. Zweimal stoßen wir auf ganz frische Fährten kleiner Herden wilder Yaks, die nach dem rechten Ufer des Kubi-tsangpo gewechselt hatten. Es klatscht unter den Pferdehufen auf diesem sumpfigen Boden, der nur selten von kleinen Flächen Gletscherton unterbrochen wird.

Von den Moränen strömen zahlreiche Bäche herab. Sie werden von schmelzenden Schneefeldern gespeist und sind daher, im Gegensatz zu den Gletscherbächen, kristallklar. In den Moränen haben sie tiefe Erosionstäler ausgegraben, einer von ihnen hatte an seiner Mündung einen gewaltigen Kegel abgesetzt, über dessen Oberfläche hinweg der Bach sich fächerförmig in zehn Armen hinabstürzte, die zusammen 3 Kubikmeter Wasser führten. Ein sehr wesentlicher Teil des Brahmaputrawassers stammt von schmelzendem Schnee. Überall hörte man Bächlein im Schutt rieseln und sprudeln, und alle kamen von den liegengebliebenen Schneefeldern, die vergeblich gegen die Glut der Frühlingssonne ankämpften.

Jetzt haben wir den kolossalen Gletscher, der sich von einem ausgedehnten Firnbecken im Westen des Muktschung-simo-Stockes herabzieht, gerade vor uns. Zwischen seinen Stirnmoränen und der älteren Moräne, der wir gefolgt sind, hat ein ziemlich wasserreicher Fluß sich sein Tal geschnitten. Sein Wasser ist halbklar und grün; es stammt also von Schneefeldern her. Ein wenig unterhalb der Endmoräne vereinigt er sich mit den zahlreichen trüben Armen des Gletscherflusses, von denen derjenige der größte ist, der am dichtesten am Fuß des Muktschung-simo-Stockes fließt. Noch 200 Meter unterhalb des Zusammenflusses kann man das grüne Wasser deutlich von dem braunen unterscheiden, nachher aber vermischen sich die kalten Ströme miteinander. Wo der Fluß, der noch immer in mehrere gewundene Arme gespalten bleibt, beim Lager Nr. 201 nach Nordosten abbiegt, empfängt er bedeutende Beiträge von den weiter ostwärts liegenden Gletschern und so entsteht der Kubi-tsangpo.

Schließlich ritten wir auf jäh abstürzendem Gelände im Zickzack zwischen Blöcken und Geröllabhängen, über Bäche und tückisches schwankendes Moos, über Grasflecke und dickichtartig miteinander verwachsene Büschel nach einem dominierenden Aussichtspunkt (5015 Meter) auf dem alten Moränenrücken hinauf. Vor uns haben wir ein Labyrinth mächtiger, abschüssiger, zerklüfteter, schwarzer, nackter Felsen, Hörner, Pyramiden, Säulen, Dome und Grate, Moränen, Eiszungen, Schnee- und Firnfelder, kurz eine Landschaft, die an großartiger Wildheit ihresgleichen sucht.

Hier hielten wir Rast, und während die Pferde an den Abhängen grasten, zeichnete ich ein Panorama. Die größte Gletscherzunge, die von dem eigentlichen Kubi-gangri kommt, sehen wir unter uns aus der Vogelperspektive. Sie wird von drei verschiedenen Firnfeldern gespeist und hat zwei deutliche Mittelmoränen, die hier und dort Rücken bilden, nachdem das nackte Eis auf den Seiten abgeschmolzen ist. Ihre rechte Randmoräne ist gut entwickelt und teilweise noch mit Schnee bedeckt. Die linke ist in ihrem oberen Teil mächtig, weiter unten, wo der grüne Fluß ihre Basis bespült, schmal. Oberhalb mündet eine von Westen kommende Eiszunge in den Hauptgletscher ein, und wo beide zusammenstoßen, hat der Nebengletscher einen kolossalen Stirnwall aufgetürmt, der mit der linken Seitenmoräne des Hauptgletschers verschmilzt. Der ganze unterste Teil der Front des Hauptgletschers ist mit Schutt bedeckt; nur hier und dort tritt das Eis zutage. Hier stehen mehrere kleine Wasseransammlungen; einige haben intensiv blaues Wasser, andere sind braun von Schleifmaterial und zeigen, daß sie mit den Wassern der Grundmoräne in Verbindung stehen. Zwei dieser kleinen Seen haben senkrechte Seiten von blauschillerndem Eis, wie Eingänge wunderbarer Märchengrotten. Eine Reihe Randspalten im Eis verdeckt noch Schnee. Die Endmoräne ist ein Gewirr von Hügeln, Geröll und Blöcken, mit Schneeflecken auf der Schattenseite. In einem Tal zwischen diesen Hügeln fließt der mittelste Gletscherfluß hin, nachdem er zwei Seen passiert hat. Die Endmoräne kommt jedoch nicht dazu, sich anzuhäufen, weil ihr abgeladenes Material nach und nach von dem Gletscherfluß zerrieben und fortgeschwemmt wird, dessen Arme sich unmittelbar unterhalb in tollen Krümmungen über das ebene Bett des Talbodens hinschlängeln.

Eine Wanderung auf dem Gletscher wäre nicht schwer, wenn man erst auf seinen Rücken hinaufgekommen wäre. Es gibt manche gefährliche, unter Schnee verborgene Spalten, denen man aber dadurch ausweichen könnte, daß man auf den Schuttwällen der Mittelmoränen bliebe. Das Massiv des Kubi-gangri, das von unserem Aussichtspunkt aus am weitesten rechts, in Westnordwest, sichtbar ist, heißt Gave-ting; von ihm geht der große Nebengletscher aus.

Die Front des Hauptgletschers, wo der wasserreichste aller Gletscherflüsse des Kubi-gangri beginnt, ist die wirkliche Quelle des Brahmaputra. Die übrigen, im Südosten des Lagers Nr. 201 in ihn einmündenden Flüsse sind kleiner und kürzer. Wir konnten nicht an sie herangelangen, weil die Pferde zu tief im Sand und Schlammboden des Hauptflusses einsanken.

Auf dem Rückweg machten wir an der Stelle halt, wo der Hauptarm des Kubi-tsangpo unter dem Eis heraustritt, und ich fand, daß die Quelle des Brahmaputra 4864 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Einzelheiten muß ich bis auf die wissenschaftliche Arbeit verschieben, die seinerzeit über diese Reise herausgegeben werden wird.

Am 14. Juli schien es mir in meinem Zelt glühend heiß, schon um sieben Uhr hatten wir +7,3 Grad; in der Nacht war es beinahe 8 Grad kalt gewesen. Der Himmel war absolut klar, ich konnte daher nicht darauf verzichten, noch einen orientierenden Überblick über die herrliche Gletscherwelt des Kubi-gangri zu erhalten.

Nachdem ich mit Tsering verabredet hatte, daß wir uns im Tal des Dongdongflusses treffen wollten, ritten wir die Abhänge und Rücken der alten Moräne hinauf, durch ihre Täler und über ihre Terrassen von unfruchtbarer Erde, die jetzt infolge der Schneeschmelze weich und tückisch war, an kleinen Seen mit klarem, grünem Wasser vorüber und nach dem allerhöchsten Punkt ihres Rückens hinauf, wo es nichts gab, was uns die Aussicht hätte verdecken können.

Erst nahm ich eine Serie von neun Photographien auf (Abb. 249, 250, 251). Dann wurde zum Schutz gegen den heftigen Wind ein Mantel über das Stativ gehängt und in diesem Schilderhäuschen saß ich beinahe vier Stunden lang und zeichnete ein Panorama, das den ganzen Horizont umfaßte. Unterdessen schnarchten meine Begleiter am Boden, und ich freute mich, diesen königlichen Bergriesen von Angesicht zu Angesicht allein gegenüber zu sitzen. Der ganze Aufbau ist phantastisch wild, und das einzige Gesetz, das gehorsam befolgt wird, ist, daß jeder Gletscher von zwei gewaltigen schwarzen Felsenkämmen eingerahmt wird.



249, 250, 251. Kubi-gangri mit den Quellen des Brahmaputra, am 14. Juli 1907 aufgenommen.

Um dem Leser einen Begriff von der Gegend zu geben, füge ich hier den Teil des Panoramas bei, der den Kubi-gangri umfaßt (Abb. 252). In S 27° O haben wir den tetraederförmigen Gipfel, den unsere Führer Ngomo-dingding nannten. In S 11° O erhebt sich ein Gipfel von beinahe genau derselben Form, der Absi. Östlich von ihm liegt also der Ngomo-dingding-Gletscher und auf dessen Westseite der Absigletscher. Westlich von diesem folgt das plumpe Massiv des Muktschung-simo, dessen Scheitelpunkt in S 24° W sichtbar ist. Die Nordseite gleicht einem Pferdestall mit geraden, kurzen Ständen, von denen jeder seinen kleinen Hängegletscher hat. Im Südwesten erheben sich zwei scharfe Spitzen und in S 57° W zwei domförmige Kuppen, die nur aus Eis und Schnee bestehen; sie gehören zu dem Langta-tschen-Massiv und ihre Firnfelder speisen zum großen Teil den Gletscher, an dessen Front die Brahmaputraquelle liegt. Auch der Gletscher muß daher Langta-tschen genannt werden. In S 70° W, S 88° W und N 83° W erheben sich Gipfel des Gave-ting-Stockes. In N 55° W tauchen drei Gipfel des Dongdong auf, von dem einer der Quellarme des Brahmaputra ausgeht, der aber mit dem Kubi-tsangpo verglichen nur unbedeutend ist.

252. Panorama des Kubi-gangri und des Langta-tschen-Gletschers mit der Quelle des Brahmaputra
(Standpunkt 5015 Meter, 13. Juli 1907).
'Skizze des Verfassers

[Bild fehlt.]

Gegen Nordosten fällt das scharfgezeichnete Tal des Kubi-tsangpo ab, und in der Ferne zeigen sich die Gebirge von Tschang-tang, unzählige, unglaublich gleichmäßige, dichtgedrängte Pyramidenspitzen, die einen feingezähnten Horizont bilden und infolge der großen Entfernung in eine einzige rosa Nuance mit unbedeutenden Schneefeldern verschmelzen. Der Transhimalaja scheint sich nach dieser Seite hin zu verbreitern und flacher zu werden, als er im Osten ist.

Erst spät ritten wir auf abschüssigem Weg nach dem Lager am Dongdong hinunter. Und nun hieß es schnell westwärts eilen und den Mandarinen und dem Devaschung zum Trotz noch möglichst viele neue Entdeckungen und Kenntnisse – auf verbotenen Wegen – sammeln!

Am 15. Juli ließen wir unsere frühere Straße zur Rechten liegen, zogen über verwickelte Moränen nordwärts und sahen vom Paß Kargan-la die Schneegipfel des Dongdong und des Tschema-jundung immer deutlicher werden. Am 16. Juli war der Himmel bewölkt, es hagelte ein paarmal, und die Hügel um uns herum glänzten weiß von den Schloßen. Wir ritten an zwei kleinen Seen vorbei und kamen wieder mit anstehendem Gestein, grünem und schwarzem Schiefer, in Berührung. Vom Tugri-la aus hatten wir eine prachtvolle Aussicht über eine Welt von Bergen, deren Namen ich jetzt nicht alle aufzählen kann. Noch eine Schwelle, den Sen-kamba-la, überschritten wir, um in das breite, offene Tal des Tschema-jundung-Flusses zu gelangen, der von einem ziemlich großen Gletscher im Süden herkommt, der zu der Gruppe Tschema-undung-pu gehört. Hier gab es mehrere Nomadenzelte und sieben von Pilgern aus Bongba bewohnte Zelte auf einem Haufen. Mit Kind und Kegel waren diese Pilger nach dem Kang-rinpotsche unterwegs, um die Wallfahrt um den heiligen Berg zu machen. Die meisten Pilger aus dem fernen Osten schlagen diesen südlichen Weg ein; auf dem Heimweg gehen sie dann über den Marium-la.

17. Juli. Bei zehn Grad Wärme und völlig windstiller Luft war es im Sattel sehr heiß. Der braunen Puppy wurde das Laufen sehr sauer, das Wasser tropfte ihr von der heraushängenden Zunge. Aber die Antilopen und die Hasen konnte sie trotzdem nicht in Frieden lassen. Sie jagte ihnen pfeilschnell nach, holte sie aber nie ein und kam verdutzt wieder zu mir zurück, jedoch nur, um bald die aussichtslose Verfolgung von neuem aufzunehmen. Der Ronggak-tschu ist ein Nebenfluß des Tschema und kommt von Nordwesten. Im Süden ließen wir den kleinen Doppelsee Kuru-tschok liegen. In Westsüdwest sieht man den Punkt, wo der Tschema-jundung den Angsi-tschu aufnimmt, den westlichsten der Quellflüsse des Brahmaputra.

Im Tal des Tyntschung lagerten wir dann bei netten Nomaden, die uns schnell neue Yaks besorgten, denn von hier aus kehrten die drei Musketiere nach gut ausgeführtem Auftrag wieder nach Schamsang zurück. Die ganze Exkursion nach der Quelle des Brahmaputra hatte nur 110 Rupien gekostet! Sie war mehr wert gewesen! Die Eingeborenen erzählten, daß zehn Räuber in der letzten Zeit die Gegend unsicher gemacht hätten, aber spurlos verschwunden seien, sowie sich im Tyntschung das Gerücht verbreitet habe, daß eine europäische Karawane im Anzug sei; wir wurden daher als Befreier empfangen, und die Leute wußten kaum, was sie uns alles zuliebe tun sollten. Ein Hindukaufmann aus Almora lagerte hier, um bei den Nomaden Salz und Schafwolle einzukaufen, und verkaufte ihnen Filzteppiche und Zeugstoffe aus Agra und Amritsar.

Am nächsten Tag zogen wir über den Marnjak-la (5302 Meter) und hatten den Angsi-tschu unmittelbar unter uns liegen; am 19. Juli ließen wir diesen Fluß hinter uns und folgten dem ihm tributpflichtigen Flüßchen Loang-gonga aufwärts bis an seine Quelle auf dem außerordentlich flachen Paß Tam-lung-la oder Tag-la, der nichts anderes ist als eine Querschwelle in einem offenen Längstal. Aber dieser Paß ist trotzdem von außerordentlicher Bedeutung, denn er ist die Wasserscheide zwischen dem Brahmaputra und dem Manasarovar. Seine Höhe beträgt 5298 Meter. Im Süden rollt sich vor uns eine Reihe Schneeberge auf, im Westsüdwesten zeigt sich der Gurla Mandatta oder Memo-nani, ein majestätisches, imposantes Gebirgsjoch, das derselben Himalajakette angehört wie der Kubi-gangri. Der Paß liegt zwischen alten Moränen, die einen kleinen unbedeutenden See, den Tamlung-tso, umschließen, aus dem der Loang-gonga heraustritt. In einiger Entfernung sieht man im Süden die flache Wasserscheide zwischen dem Angsi-tschu und dem Gang-lung, einem Flusse, der von dem Gebirgsstock gleichen Namens herkommt und sich unter dem Namen Tage-tsangpo in den Manasarovar ergießt. Die allerneuesten Karten über Westtibet geben ein sehr unrichtiges Bild dieses Landes, das bisher noch nie von Europäern besucht worden ist. Anstatt einer scharf markierten, meridionalen Bergkette fand ich ein offenes hügeliges Längstal, zwischen dessen Moränen sich die Wasserscheide hinzieht. Und hier sagte ich dem Brahmaputra Lebewohl; in seinem Flußgebiet hatte ich, vom Sela-la an, ein halbes Jahr verlebt! Wir lagerten an einer Stelle, wo der Gang-lung-Fluß einen Moränenwall durchbricht und schäumende Kaskaden bildet.

Während der folgenden Tagereise wächst er zwischen Granitmoränen, Flugsand und Morästen zu einem bedeutenden Flusse an und empfängt von Süden her zahlreiche Zuflüsse. Eine Karawane aus Purang, 50 Yaks und acht mit Flinten bewaffnete Männer in blauen, mit Pelzwerk gefütterten Mänteln, war nach dem Jahrmarkt in Gyanima unterwegs. In der Gegend Tag-ramotsche, wo wir wieder lagerten, gab es viele Nomaden und Bettler mit Stäben und Bündeln auf dem Weg nach dem heiligen Berge. Auch trafen wir sechs Kaufleute aus Ladak, die auf 45 Eseln getrocknete Pfirsiche zum Verkauf transportierten. Sie waren vor anderthalb Monaten aus ihrer Heimat abgereist.

Am 21. Juli ritten wir das zwischen zerklüfteten Felsen zusammengedrängte Tage-bup-Tal hinab. Es wird von dem Flusse Tage-tsangpo gebildet, dessen Wasser auf Sandboden hellgrün und auf dunkelm Schutt blauviolett schillert. Langtschen-kamba ist ein kleines Nebental auf der rechten Seite, von dem aus Räuber wehrlose Wanderer zu überfallen pflegen. Unmittelbar unterhalb entspringt eine Quelle, deren kristallklares Wasser eine Temperatur von 3,5 Grad hatte. Sie wird als heilig angesehen und ist durch eine mit Zeugstreifen und Lappen behängte Stange bezeichnet, die einer Vogelscheuche gleicht. Auch diese Quelle heißt Langtschen-kamba.

Etwas weiter abwärts liegt auf einer steilen Halde am rechten Ufer die Quelle Tschakko, deren Wasser (+4,6 Grad) sich in einem runden, metertiefen Brunnen sammelt. Um diesen herum ist eine Mauer gezogen, auf deren flachen Decksteinen Buddhabilder und heilige Worte eingemeißelt sind; Blätter aus den heiligen Schriften stecken zwischen den Blöcken, aus denen die Mauer besteht, und von einer Stange gehen Wimpelschnüre und Lappenbüschel aus. Durch das Wasser, das so klar wie Spiegelglas war, erblickte man am Boden des Brunnens einige rote und blaue Perlen, zwei schlechte Türkisen, ein paar Muscheln und allerlei andern Trödel, den fromme Pilger als Opfergaben hineingeworfen hatten. Das Wasser gilt für wundertätig. Gebete murmelnd, schöpfte unser Führer sich seine Holzschale voll und goß sie dann über sein eigenes Haupt und die Mähne seines Pferdes aus, um es dadurch gegen die Wölfe zu feien. Zu demselben Zweck band er dem Pferd einen Lappen von der Stange in der Stirnmähne fest. Er selbst trank einen tüchtigen Schluck, um sich gegen Räuberkugeln unverwundbar zu machen. Wenn ein Schaf oder anderes Vieh krank geworden ist, braucht man es nur mit dem heiligen Wasser zu besprengen, um es wieder gesund zu machen. Wenn der Wanderer oder der Pilger an der Quelle lange sitzen bleibt und meditiert, von dem Wasser trinkt, sich Kopf, Hände und Beine wäscht und glaubt, dann kommt es vor, daß er auf dem Boden des Quellbrunnens Goldmünzen und Edelsteine findet! Der Kranke aber, der seinen ganzen Körper in dem wundertätigen Wasser badet, wird wieder gesund – ein Lourdes im kleinen! Während meine Begleiter sich mit dem Wasserschöpfen beschäftigten, saß ich am Brunnenrand, lauschte der mystischen Musik der im Winde flatternden Gebetwimpel und fand dieses fesselnde Tibet mit jedem Schritt, den ich darin zurücklegte, immer geheimnisvoller.

Jetzt ritten wir über den Tage-tsangpo, da, wo sein Tal sich nach dem flachen Becken des Manasarovar hin erweitert – ein neues Kapitel in der Chronik unserer Reise. Wieder tritt der Gurla Mandatta in all seinem Glanz hervor, und im Nordwesten erhebt sich der Kangrinpotsche oder Kailas, der heilige Berg, wie ein gewaltiger Tschorten auf dem Grab eines Lama über dem sägeartigen Gebirgskamm, der nach dieser Seite hin den Horizont bildet. Bei diesem Anblick sprangen plötzlich alle unsere Leute aus dem Sattel und warfen sich mit der Stirn auf die Erde nieder. Nur Rabsang, der ein eingefleischter Heide ist, blieb aus seinem Pferd sitzen und wurde nachher von Tsering gehörig ausgescholten.

Wir befinden uns jetzt auf offenem, hügeligem Gelände und sehen einen Schimmer des heiligen Sees Tso-mavang oder Manasarovar. Tso-njak heißt ein kleiner See, an dem wir lagerten und wohin Islam Ahun und Schukkur Ali kamen, von Guffaru geschickt, den unser langes Ausbleiben beunruhigte. Sie wurden nach Toktschen zurückgesandt, um Guffaru den Befehl zu überbringen, sich nach dem Kloster Serolunggumpa am heiligen See zu begeben, wo wir uns treffen würden.

Am 22. Juli ging es wieder über den Tage-tsangpo, der 8¼ Kubikmeter Wasser führte und in dem Rabsang ein gründliches Bad nahm, für das er seinem Pferd, das zwischen den Steinblöcken des Flußbettes einen förmlichen Purzelbaum schlug, zu danken hatte. Tsering meinte, daß er diese Abkühlung verdient habe, weil er den Kang-rinpotsche nicht begrüßt habe. Das Lager Nr. 210 war in dem breiten Tal Na-marding, aus dem ein klarer Bach nach dem Tage-tsangpo fließt. Hier herrschte heftiger Wind, und die Tibeter sagten, die Wellen des Tso-mavang seien gelegentlich so hoch und dunkel wie Nomadenzelte. Sollte ich mich mit dem kleinen Zeugboot auf diesen allen Winden ausgesetzten See wagen? Es müßte schlimm kommen, wenn ich mich entschlösse, darauf zu verzichten! Denn der See war zu lange ein Ziel meiner Wünsche und der Gegenstand meiner Träume gewesen.

Am folgenden Morgen tauchte Tundup Sonam mit der Nachricht auf, der Gova von Toktschen wolle uns zu einer Reise nach Sero-lung keine Yaks vermieten. Ich mußte daher selbst nach Toktschen reiten, über den Paß Karbu-la und am Fluß Samo-tsangpo hinunter; er ist sehr fischreich, aber man bat uns, die Fische in Ruhe zu lassen, da sie aus dem heiligen See heraufkämen. In Toktschen waren wir nun wieder alle beisammen. Der Gova stellte sich aber als ein netter Mensch heraus, der mich mit einem großen Kadach und einer Schüssel Tsamba willkommen hieß.

Nun hatte die Stunde einer Trennung geschlagen, denn von Toktschen schickte ich dreizehn meiner Leute nach Ladak zurück. Aus mehreren Gründen. In Westtibet brauchte ich nicht so viel Leute, zwölf genügten; eine leichtbewegliche Karawane richtet mehr aus und erregt weniger Aufsehen. Unter dem Befehl des erprobten Guffaru sollten sie sich auf der großen Heerstraße nach Gartok begeben und dort alles Gepäck, das ich entbehren konnte, dem britischen Agenten Thakur Jai Chand überliefern. An ihn sandte ich auch eine dreihundert Seiten umfassende Briefpost an meine Eltern und andere. Besonders wichtig war aber ein Brief an Oberst Dunlop Smith, den ich um 6000 Rupien, um Proviant, Bücher, Revolver mit Munition, zu Geschenken passende Dinge wie goldene und silberne Uhren, und vor allem um die Post bat, die sich mittlerweile für mich im Viceregal Lodge in Simla angesammelt haben mußte.

Als ich am ersten Abend alle 25 Männer zusammenrufen ließ und ihnen meinen Beschluß, dreizehn zu verabschieden, ankündigte und fragte, wer nach Hause reisen wolle, meldete sich kein einziger. Sie wollten mich begleiten, bis ich von Tibet selber genug hätte! Nun wählte ich die dreizehn aus und behielt die besten zwölf. Unter ihnen war Taschi, der mit Tundup Sonam die abenteuerreiche Wanderung nach Schigatse gemacht hatte. Als er aber sah, daß es mir mit der Teilung der Karawane ernst war, bat er um die Erlaubnis, nach Hause ziehen zu dürfen, und wurde daher gegen einen anderen ausgetauscht.

Zwei Tage blieben wir hier liegen, um alles zu ordnen. Nachdem das Gepäck umgestaut worden war, behielt ich nur noch vier Kisten; alles andere mußte Guffaru weiterbefördern. Robert saß in meinem Zelt wie ein Bankier und stapelte Sovereigns und Rupien in kleine Haufen auf: die Löhne, Gratifikationen und Reisegelder der Heimziehenden. Meine Kasse wurde mit einem Schlag um 2118 Rupien leichter! Die wichtige Post wurde in eine Schachtel gepackt, die Guffaru in seinem Leibgürtel trug. Die Abziehenden durften auch zwei unserer fünf Flinten behalten. Spät am Abend kam Guffaru in mein Zelt, um sich meine letzten Befehle zu holen. Alter, ehrlicher Guffaru, er war im Herbst seines Lebens und im Winter Tschang-tangs bewunderungswürdig gewesen, immer unerschütterlich ruhig und zufrieden, immer seine Pflicht bis ins kleinste erfüllend. Jetzt saß er mir zum letztenmal gegenüber, weinte, daß ihm die Tränen in den weißen Bart liefen, und dankte mir für das hinter uns liegende Jahr. Ich aber bat ihn, nicht länger zu weinen, sondern sich darüber zu freuen, daß die schwere Zeit für ihn nun zu Ende sei und er gesund und mit 400 Rupien im Beutel zu den Seinen zurückkehren könne. Als wir Leh verließen, war er so arm wie eine Kirchenmaus gewesen, jetzt war er für seine Verhältnisse ein reicher Mann, und – sein Leichentuch hatte er nicht nötig gehabt! Ich sprach ihm auch aus, daß ich ihn sehr vermissen würde, daß ich aber das wertvolle Gepäck und die wichtige Post keinen anderen Händen als den seinen anvertrauen könne.

Als ich früh morgens am 26. aus meinem Zelte kam, standen die 13 Yaks der 13 Männer beladen da und schickten sich an, mit ihren tibetischen Führern abzumarschieren. Nun sprach ich den Männern meinen Dank für die Zeit aus, in der sie in meinem Dienst so viele Gefahren zu bestehen gehabt hatten, dankte ihnen für ihre Treue und ihre Geduld und bat sie, daran zu denken, daß sie für die nach Hause zurückkehrende Karawane verantwortlich seien, daß sie Guffaru gehorchen müßten und daß sie ihr Ansehen aufs Spiel setzten, wenn sie sich unterwegs nicht miteinander vertrügen. Wenn sie auf diesem Zug ebenso gewissenhaft seien wie in meinem Dienst, so werde es ihnen in ihrem ferneren Leben gut gehen, und vielleicht würden sich unsere Wege noch einmal wieder kreuzen.

Nun trat Guffaru vor und fiel laut weinend vor mir auf die Knie, und seinem Beispiel folgten alle die anderen der Reihe nach unter Schluchzen und Tränen; ich klopfte ihnen allen auf die Schulter und sehnte mich innerlich danach, daß dieser bittere Augenblick nur bald vorübergehen möchte. Darauf verabschiedeten sie sich von ihren Kameraden, die ihnen voller Rührung Grüße an Eltern, Gattinnen und Kinder in Ladak auftrugen, und dann gingen sie, wie früher so viele hundert Meilen zu Fuß, stumm, gebeugt und niedergeschlagen fort und waren bald hinter den Hügeln verschwunden.


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