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Achtundfünfzigstes Kapitel.
Vierzig Grad Kälte!

Mit neuen Eisblöcken in den Säcken brachen wir am 10. Januar auf, um geradeswegs nach jenem vorspringenden Berg zu ziehen, an dessen Fuß ich voriges Jahr das Lager Nr. 8 aufgeschlagen hatte und wo die Weide, wie ich wußte, gut war. Nur die große, platte, sterile Hochebene trennte uns von jener Stelle, und 24 Kilometer hatten wir zurückzulegen! Der Wind war heftig, nach einer Weile waren wir bis ins Mark durchkältet. Auf der geschützten Seite der Karawane, die voraufmarschierte, erhob sich eine rauchähnliche Staubwolke. Schon aus weiter Ferne trat aber die gelbe, vom Gras herrührende Färbung des Bodens hervor, ein Anblick, der meine Leute derartig belebte, daß sie schon während des Marsches zu singen begannen. Auch die Tiere merkten, daß sie sich guter Weide näherten, und setzten sich ohne Anfeuerungsrufe in Trab. Die Zelte wurden auf derselben Stelle wie im vorigen Jahr aufgeschlagen; hier knüpfte sich meine lange Route durch Tibet wieder zusammen. Mit einer gewissen Wehmut erblickte ich den Platz, wo Muhamed Isa sein hohes Steinmal errichtet hatte. Diesmal hatte ich alle Gefahren, die uns von Rudok her drohten, umgangen, und es ließ mich völlig gleichgültig, daß Rußland und England einander versprochen hatten, drei Jahre lang keinen Europäer nach Tibet hineinzulassen! Die Höhe betrug hier 4937 Meter.

Schon vor mehreren Tagen hatte ich von dieser Stelle und ihrem guten Gras gesprochen, und als wir am 11. aufbrachen, konnte ich den Leuten zum Abend ein noch besseres Lager versprechen. Sie wunderten sich, daß ich in dieser Einöde so gut Bescheid wisse. Die Spur der großen Karawane von 1906 hatten die vielen darüber hingefahrenen Stürme verweht, aber bald zeigte sich der Aksai-tschin-See, dessen Spiegel in dem greulichen Wetter grau und düster aussah. Sechs Kiangpfade liefen bei der herrlichen Süßwasserquelle an seinem Ufer zusammen, an der auch wir unsere Lagerfeuer zwischen denselben Steinen wie damals anzündeten. Die Gegend ist eine wirkliche Oase, das beste Lager, das wir seit Köteklik gehabt hatten. Aber es stürmte, und der See ging in hohen Wellen, die bis auf -6,3 Grad abgekühlt waren, aber keine Spur von Eisbildung zeigten. Während der Nacht schneite es wieder tüchtig, und am 12., einem Ruhetag, lag der See (4929 Meter) glänzend blau in blendend weißer Landschaft.

Wenn alles gut geht, beten die Mohammedaner nicht. Sie glauben wohl, wenn wir uns selber helfen können, sei es unnötig, Allah zu belästigen!

Ein Pferd mußten wir als Zoll für die gute Weide bezahlen. Es lag am Morgen des 13., als wir nach 28 Grad Kälte weiterzogen, steinhart gefroren beim Lager. Bei ihm blieb der gelbe Hund zurück, und als er spät abends im nächsten Lager ankam, war er so dick und faul, daß man sich sagen konnte, er habe sich gleich auf mehrere Tage versorgt. Zwei Raben folgten uns mit ihrem heiseren Krächzen. Der Schnee fiel in dichten Flocken und verbarg die Aussicht. In seinem Nebel verschwand eine Herde Antilopen wie Schatten. Ein Schaf starb auf dem Marsch, und zwei mußten geschlachtet werden, weil ihre Kräfte erschöpft waren; jetzt hatten wir nur noch drei. An diesem Abend hatten wir klingenden Frost, und die Kälte ging wieder auf 36,1 Grad hinunter.

Am 14. Januar zogen wir nach Südosten über eine Ebene, deren weicher, schwer zu durchschreitender Staub wieder einem Maulesel das Leben kostete. Die Karawane schleicht in dicht zusammengedrängtem Zuge vorwärts; wenn die Tiere aneinander Gesellschaft haben, wird ihnen das Marschieren leichter; die Nachzügler, die sich der Müdigkeit hingeben, werden von den Ladakis angetrieben. Beim Lager 304 war es mit der Weide wieder schlecht bestellt, und zwei Maulesel schienen kein langes Leben mehr vor sich zu haben. Abends hatten wir schneidend grimmige Kälte. Sie sank auf 39,8 Grad, auf den Gefrierpunkt des Quecksilbers, also fast auf 40 Grad! Dies war der niedrigste Kältegrad, den ich während all meiner Reisen durch Asien je abgelesen habe!

Aber der 15. Januar bescherte uns einen schönen Morgen und italienisch blauen Himmel. Abdul Kerim und alle Mohammedaner machten mir in tragikomischer Prozession mit gedörrten Aprikosen, Mandeln und dem gemeinsamen Ruf » Aid mubarek«, »gesegnetes Fest«, ihre Aufwartung. Auf diesen Tag fiel nämlich eines der kirchlichen Feste des Islam. Durchaus komisch war dann die Prozession der vier Lamaisten, die der rechtgläubigen auf dem Fuße folgte und bei der Lobsang, der sie anführte, auf tibetische Weise seine Mütze in der Hand hielt und sich den Kopf kratzte; die Zunge streckte er aber nicht heraus – er hatte wohl in Leh gelernt, daß dies Europäern nicht imponiert. Ich schenkte jedem 10 Rupien und dem Karawan-baschi eine Uhr, die er jeden Abend ordentlich aufziehen solle, um unsere Zeiten einhalten zu können.

Und dann ging es langsam weiter, das Terrain stieg. Wie ein Leichenzug schritten wir durch das Tal aufwärts, und Suän vertrat dabei die Stelle des Pastors. Durst brauchten wir nicht mehr zu fürchten; der Boden war teilweise mit Schnee bedeckt. Aber jeden Kilometer mußten wir uns erkämpfen, und es dauerte lange, ehe wir die Vorsprünge, die wir uns als Ziel gesetzt hatten, erreichten. Auf unserer rechten Seite hatten wir ein mächtiges Schneegebirge.

310. Aussicht von Lager Nr. 307.

Aussicht von Lager Nr. 333.
Der kleine Salzsee südlich von Lager 309.
(Flecke oben infolge Gefrierens der Farbe.).

Die Pferde gehen zur Tränke zum See bei Lager 310, links Abdul Kerim.

Berg nordöstlich von Lager 310, vorn der Süßwassersee.

Sturmwolken über dem Schneegebirge südlich des Lagers 312.

Aquarelle des Verfassers.

Die nächste Tagereise führte uns über eine flache Schwelle in ein Nebental, das etwas Gras hatte. Die Kälte hatte 34,4 Grad betragen, ich konnte den Blutumlauf in meinen Füßen gar nicht wieder in Gang bringen. Bald hatte ich Schmerzen in den Füßen, bald ein unangenehmes Stechen in den Zehen, bald waren sie ganz gefühllos. Während des Ruhetages, den wir uns im Lager Nr. 306 gönnten, schoß Tubges eine Antilope und ein Ammonschaf, ein Ereignis, das die Lebenstage der beiden letzten Schafe verlängerte. Am Abend herrschte fröhliche, hoffnungsfreudige Stimmung, da die Leute wieder an gefüllten Fleischtöpfen saßen.

Gulam Rasul hatte mich hier durch sechs Flaschen Whisky überrascht, die, in dicken Filz eingenäht, bis hierher mitgenommen worden waren. Die Ladakis behaupten nämlich, daß man einen Maulesel, der Zeichen von Erschöpfung und Kraftlosigkeit zeige, retten könne, wenn man ihm Whisky oder Spiritus eingebe. Aber die Flaschen waren schwer. Drei wurden auf den Schutt gegossen und dann als Erinnerungszeichen auf einem Steinmal befestigt. Vielleicht findet sie noch einmal ein anderer Reisender. Die drei übrigen wurden einstweilen noch mitgenommen.

Am 18. marschierten wir in demselben Längstal weiter. Alle Bergketten ziehen in ostwestlicher Richtung, was in Tibet das Gewöhnliche ist. Zur Rechten hatten wir eine gewaltige Kette, die wir überschreiten mußten, um uns nach Südosten wenden zu können. Durch eine Lücke im nördlichen Gebirge erblickten wir im Nordosten die mächtigen Schneekuppen, die wir auch 1906 links hatten liegen lassen. Nach Osten zeigten sich keine Hindernisse, aber wir bogen nach Südosten ab und zogen ein Tal hinauf. Noch ehe wir das Lager (Abb. 310 und bunte Tafel) aufschlugen, war wieder ein Maulesel gefallen, und mit ihm hatten wir schon ein Viertel der Karawane verloren!

Im selben Tal ging es am folgenden Tag bergauf weiter. Bisweilen war es zwischen seinen harten, horizontal gelagerten Terrassen 10 Kilometer breit. Unten an einer jähabstürzenden Bergwand lagen fünf Kesselsteine – bis hierhin waren also tibetische Jäger vorgedrungen! Die Ladakis wurden ganz vergnügt, als sie wieder Anzeichen von Menschen sahen. Das Tal lief in eine weite Ebene aus; im Südosten zeigte sich eine Lücke. Da aber das Gelände nach Osten hin niedriger war, setzten wir unsern Marsch in dieser Richtung fort. Als wir dort ankamen, war die Aussicht von der außerordentlich flachen Paßschwelle jedoch nichts weniger als ermutigend – eine Welt von Gebirgen! Wir beschlossen, da zu lagern, wo wir uns befanden (5305 Meter hoch), und am nächsten Morgen den anderen Weg südlich einzuschlagen.

Ein scheußliches Lager! Der Sturm tobte so heftig, daß die Männer die Zelte, deren eiserne Pflöcke klingend aneinanderschlugen, ehe sie in die Erde gerammt wurden, kaum aufrichten konnten. Vorher mußten wir erst Feuer anzünden, damit wir mit unseren erstarrten Händen überhaupt etwas anfassen konnten. Und damit der Sturm uns das Feuer nicht wegfegte, mußte eine kleine Schutzmauer von Steinen errichtet werden. Jetzt hatten wir Natur und Elemente gegen uns, und dazu die Aussicht auf den Widerstand der Menschen! Die Weide war erbärmlich; ein graues Pferd und der letzte Maulesel aus Poonch lagen am Morgen tot an der Erde. Er war der älteste der Veteranen, denn ich hatte ihn schon aus Srinagar mitgebracht, er hatte mir redlich gedient, und ich war betrübt über seinen Tod. Nun war nur noch ein einziges lebendes Wesen, das mich vom ersten Anfang an begleitet hatte, in der Karawane, nämlich die braune Puppy; sie und Klein-Puppy leisteten mir in dieser endlosen Einsamkeit Gesellschaft.

Vom Lager Nr. 309 aus, wo wir einen Tag verweilten, hatte man freie Aussicht über ein neues Längstal, das wie das vorige nach Süden ging. Dort lag ein konzentriert salziger See. Beinahe in jedem Lager zeichnete ich, ganz wie früher, ein Panorama der Gegend und versuchte auch manchmal kleine Aquarelle zu malen. Ich mußte dabei, in der Zeltöffnung sitzend, das Zeichenblatt über das Kohlenbecken legen, damit der Pinsel nicht zum Eisklumpen gefror. Trotzdem pflegte mein Himmel, der gleichmäßig blauen oder grauen Ton erhalten sollte, sich in eine Eishaut mit seltsamen Froststernen und Kristallen zu verwandeln (s. bunte Tafel).

Auch im Lager Nr. 310 opferten wir einen Tag, da das Gras dort besser war, als seit längerer Zeit (s. bunte Tafel). Es wuchs im Sand am Ufer eines kleinen Süßwassersees mit einer offenen Quellwake, wo die Tiere, die ihren Durst lange nur mit Schnee hatten stillen können, endlich einmal wieder ordentlich saufen konnten. Seit dem heiligen Abend hatten wir nur 302 Kilometer zurückgelegt, also im Durchschnitt 10 Kilometer täglich; es ging beinahe aussichtslos langsam! Jetzt hatten wir drei Tage lang wütenden Sturm gehabt; auch hier flogen gelbe Sandstreifen über das Eis, und der Wind pfiff heulend durch das Gras. Abdul Kerim nähte mir einen mohammedanischen langen Kaftan; ich sollte ihn, wenn ich demnächst meine beabsichtigte Verkleidung anlegte, unter dem Pelz tragen.

Am 24. Januar war das ganze Land blendend weiß, die Sonne schien, aber stürmischer Wind fegte Treibschnee wie Streuzucker oder Marmorstreifen längs des Erdbodens hin, was ein sausendes Geräusch hervorbrachte. Leicht wie Federbälle eilten Antilopen, die sich dunkel gegen das weiße Erdreich abhoben, davon. Noch ein Maulesel starb auf dem Marsch; dies Klima konnten nicht einmal tibetische Maulesel vertragen! Ich selbst war lahm und halbtot vor Kälte, ehe ich im Lager ankam.

Nach 29 Grad Kälte hüllten schwere Wolken die Gegend in Dämmerung. Die zerklüfteten Gebirge im Süden erinnerten an ein Geschwader von Panzerschiffen, das bei Regenwetter ein Probeschießen abhält; ihre grauen Rümpfe sahen aus tiefhängenden Wolken hervor. Das Tal war etwa 10 Kilometer breit. Nach Osten hin wurde der Schnee geringer, und schließlich waren nur noch die Fährten wilder Tiere mit Schnee angefüllt, so daß sie weißen Perlenketten auf dem dunklen Erdboden glichen.

Wie oft lese ich, wenn ich jetzt in meinen Tagebüchern von dieser Reise durch die Wildnis blättere, die Worte: »dieser Tag war der ärgste, den wir bisher erlebt haben!« Und dennoch kamen beständig Tage, die noch schlimmer waren. So der 26. Januar. Der Himmel war mit so dichten Wolken bedeckt, daß man unter dem Gewölbe eines Gefängnisses zu reiten glaubte (s. bunte Tafel S. 230). Der Sturm tobte mit unverminderter Heftigkeit; schon als ich eine Viertelstunde im Sattel gesessen hatte, war ich gelähmt und betäubt. Die Hände schmerzten, und mit dem Atem mußte ich die rechte Hand zu jeder neuen Aufzeichnung auftauen! Aber schon nach zwei Sekunden Kompaßbeobachtung war die Hand wieder gefühllos. Die Füße peinigten mich weniger, denn in ihnen hatte ich überhaupt kein Gefühl mehr. Nur den einen Wunsch hatte ich, noch das Lager des Tages zu erreichen, ehe mir das Blut in den Adern völlig zu Eis erstarrt sein würde!

Nun aber sind wir endlich am Arport-tso und haben das nördliche Becken des Sees links zurückgelassen, während sich ein großes Becken wie ein Fjord nach Süden hinzieht. Kaps und vorspringende Berge gehen in den See, dessen Form sehr unregelmäßig ist. Er versperrt uns den Weg. Sollen wir rechts oder links weiterziehen? Wir nähern uns seiner Mitte und warten, während ich Lobsang auf Untersuchung ausschicke, ob die Karawane etwa über das Eis des Sees gehen kann. Er eilt voraus und macht uns bald Zeichen, nachzukommen. Wir ziehen nach dem Ufer hinab und auf eine Landspitze hinaus, die sich in einen nadelfeinen Erddamm verschmälert.

Hier hat das Eis sich links zu 2 Meter hohen Terrassen aufgetürmt, die aus wunderbar durchsichtigen grünen Blöcken und Schollen bestehen; auf der rechten Seite aber breitet sich das Eis, soweit man über das südliche Becken hinsehen kann, wie eine glatte Scheibe von herrlicher dunkelgrüner, an Lorbeerblätter erinnernder Farbe aus. Die Fläche hat die gewöhnliche Zauberkraft des Eises, man bleibt stehen und starrt in die dunkle, kalte Tiefe hinab. Der wirbelnde Schnee fährt in weißen Kometenschweifen über die Eisbahn. Wir stehen auf der Spitze der Landzunge und haben den schmalsten Teil des Arport-tso vor uns, wo der See wie eine Wespe eingeschnürt ist. Gerade hier sind durch die Eispressung Zäune, Blockmauern und Gehege entstanden, zwischen denen der angehäufte Treibschnee fest und zäh auf der Eisfläche liegt. Auf dem freien Eis marschieren, wäre natürlich unmöglich gewesen, der Wind hätte die Karawane wie Spreu fortgeweht. Dagegen bot die Schneebahn einen ausgezeichneten Weg. Lobsang ging voran und führte uns in allen möglichen Schlangenwindungen; wir kamen aber hinüber und erreichten am Fuß eines vorspringenden Felsens das andere Ufer.

Dann aber kam es ärger. Der vorspringende Felsen fiel auf der östlichen Seite gerade ins Wasser ab, und hier mußten wir auf glattem, zwar zuvor mit Sand bestreutem Eis, von dem der Wind allen Schnee weggeweht hatte, weiter. Ein Pferd und ein Maulesel nach dem anderen glitten aus und stürzten. Einige versuchten nicht, sich wieder zu erheben; sie wurden auf dem Eis nach festem Boden geschleift und dort frisch beladen. Andere fielen unglücklich und schlugen dumpf auf das steinharte, tückische Eis auf. So mußten wir eine ganze Reihe vorspringender Felsen umziehen, bis wir endlich an einen gelangten, wo der Weg versperrt war. Denn an seinem Fuß entsprangen Quellen, die große Waken offenhielten; dort rauschten eiskalte Wellen mit metallischem Klang gegen die Eisränder, gegen die der Wind, der noch immer Wolken von Treibschnee wie einen winterlichen Elfenreigen über das dunkelgrüne Eisfeld hinjagte, sie aufpeitschte. Wir mußten uns also über die steilen Hügel hinaufarbeiten, bis wir endlich, erschöpft, in einer Bucht strandeten, die ein wenig Gras führte. Einen Maulesel hatten wir auf dem Eis zurücklassen müssen. Zwei Männer gingen zurück und gaben ihm einen Schluck Whisky, wonach er noch mit ins Lager kam. Aber mein Brauner aus Schigatse, der mich so manches Mal nach dem Osttor Taschi-lunpos getragen hatte, blieb auf immer dort. Es ist so traurig, die Veteranen sterben zu sehen.

Der Arport-tso liegt 5298 Meter hoch; das Wasser, das aus einer Wake geholt wurde, war durchaus trinkbar. Vor uns lag ein hoher Paß, aber wir waren nicht mehr imstande, ihn in einem Tag zu erreichen; wir mußten auf der südöstlichen Uferebene des Sees lagern, die Rawling einst besucht hatte. Wir waren kaum 2 Kilometer marschiert, aber die Weide war gut, und die Tiere bedurften des Futters. Den ganzen Tag fiel dichter Schnee. Ich blieb hübsch im Zelt und bedauerte die armen Tiere, die bei der Kälte im Freien grasten. Klein-Puppy war nun schon so entwickelt, daß er allein draußen zwischen den Zelten umherspazierte, um Fleisch zu mausen. Das eine Schaf wurde geschlachtet.

Abends wurde die Kälte wieder schlimmer, in der Nacht hatten wir -34,6 Grad. Der kranke Maulesel suchte hinter dem Leutezelt Schutz, legte sich aber bald nieder und ließ klagendes Stöhnen hören. Ich ging hinaus und befahl den Männern, ihn von jeglichem Gefühl der Erschöpfung zu befreien.

Am Morgen des 28. fanden wir wieder zwei Pferde tot im Gras. Das eine war der Veteran aus Leh, den Robert geritten und der auch mich nach den Quellen des Satledsch getragen hatte. Ich besaß jetzt nur noch 23 Tiere, und mein kleiner Ladakischimmel war der allerletzte der Veteranen geworden. Als er mich über den Tschang-lung-jogma trug, hatte ich nicht geahnt, daß er etwa 150 Kameraden überleben werde! Jeden Morgen hingen zwei lange Eiszapfen an seinen Nüstern; er wurde aber besonders liebevoll behandelt, und ich hob ihm jeden Morgen eine Semmel von meinem Frühstück auf.

Ein Verlust von drei Tieren an einem Tag war für eine Karawane wie die unsere recht viel. Wie sollte das schließlich enden? Wir hatten ja noch unendliche Entfernungen vor uns. Drei Stunden lang arbeiteten wir uns heute mit ersterbenden Schritten nach diesem greulichen Paß, der eine Höhe von 5572 Meter hatte, hinauf, lagerten dann im Schutz eines Felsens und schlachteten das letzte, entkräftete Schaf. Wir besaßen nun keinen lebenden Proviant mehr!

Die Kälte war auf 31,4 Grad hinuntergegangen, und das erste, was ich am Morgen des 29. hörte, war wieder das ewige Heulen des Sturmes. Wir zogen in fußhohem Schnee, der uns gar nicht wieder loslassen wollte, nach Südosten. »Einer unserer schlimmsten Tage« heißt es in meinem Tagebuch. Man wird gegen alles gleichgültig, wenn man nur lebendig nach dem Lager hinkommt! Ich habe mir ein Tuch ums Gesicht gewunden, aber es verwandelt sich bald in ein Eisbrett, in dem es knackt, sobald ich den Kopf drehe. Ich versuche eine Zigarette zu rauchen, aber das Mundstück friert mir an den Lippen fest. Noch zwei Pferde starben unterwegs. Abdul Kerims Reitpferd übernahm die Last des einen; er selber mußte von nun an, wie die anderen, zu Fuß gehen. Ich folgte mit Kutus der Spur der Karawane. Dabei stießen wir auf Kuntschuk Sonam und Suän, die nicht weiter konnten und über Herzschmerzen klagten! Ich versuchte sie zu ermutigen und versprach ihnen Medizin, wenn sie langsam unserer Spur folgten. Kamen jetzt, wo wir die halbe Karawane verloren hatten, die Männer an die Reihe? Todmüde schlichen sie in der Dämmerung ins Lager.

Tief niedergeschlagen kam Abdul Kerim nun in mein Zelt und fragte, ob ich glaube, daß wir in den nächsten zehn Tagen auf Nomaden stoßen würden? Sonst halte er unsere Lage für hoffnungslos. Leider konnte ich ihm nichts anderes sagen, als daß wir, solange wir noch einen Maulesel hätten, weitermarschieren und, wenn auch dieser gestürzt wäre, versuchen müßten, uns mit soviel Gepäck, wie wir tragen könnten, nach den nächsten Nomaden durchzuschleppen. Jetzt dachte ich nicht mehr an Verfolger, die uns von hinten nachkommen könnten! Auch nicht an die Gefahren, die unser warteten; jetzt handelte es sich nur noch um das nackte Leben, um das Erreichen von Gegenden, wo man sich vor dem Tode retten konnte! Hinter uns verwischten die Schneestürme unsere Spur, und vor uns wartete die Zukunft mit ihrem undurchdringlichen Dunkel.


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