Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Neunundneunzigste Erzählung.

Zur Zeit des Kaisers Friedrich des Ersten wurde ein allgemeiner Kreuzzug von der ganzen Christenheit unternommen, um das heilige Land wieder zu erobern. Wie Saladin, ein sehr kluger Fürst, welcher damals Sultan von Babylon war, etwas davon erfuhr, nahm er sich vor, die Zurüstungen der christlichen Regenten zu diesem Zuge selbst in Augenschein zu nehmen, um seine Maßregeln dagegen desto besser treffen zu können. Wie er nun in seinem Reiche alle nötigen Vorkehrungen gemacht hatte, ging er unter dem Vorwande einer Wallfahrt mit zweien seiner vornehmsten und verständigsten Leute und nur von dreien Dienern begleitet auf Reisen. Nachdem er schon verschiedene christliche Länder durchzogen hatte und durch die Lombardei kam, um über das Gebirge weiter hinauf zu gehen, traf es sich, daß er auf dem Wege von Mailand nach Pavia einem Edelmanne aus Pavia begegnete, namens Messer' Torello d'Istria, der mit seinen Dienern, Hunden und Falken nach einem schönen Landsitze ging, den er am Ufer des Tesino besaß. Sobald Herr Torello die Fremden gewahr ward, schienen sie ihm Leute von Stand und Ausländer zu sein, und er wünschte ihnen gütlich zu thun. Wie demnach Saladin sich bei einem seiner Leute erkundigte, wie weit sie noch bis nach Pavia hätten und ob sie noch früh genug daselbst anlangen könnten, um in die Stadt zu kommen, gab Herr Torello selbst statt seines Dieners zur Antwort: »Meine Herren, Ihr könnt nicht mehr zeitig genug dahin kommen, um eingelassen zu werden.«

»Wenn das ist (sprach Saladin), so seid so gütig, uns zu sagen, wo wir am besten Herberge finden können; denn wir sind hier fremd.«

»Das will ich gerne thun (erwiderte Torello). Ich war eben im Begriff, einen meiner Diener bis in die Nähe von Pavia zu schicken, um etwas zu bestellen. Er soll Euch begleiten und an einen Ort bringen, wo Ihr ein gutes Nachtlager finden werdet.«

Er gab hierauf einem seiner vertrautesten Diener heimlich einen Wink, was er thun sollte, und er selbst eilte indessen, so schnell er konnte, nach seinem Landhause, ließ ein schönes Abendessen bereiten und die Tafel in seinem Garten decken, und setzte sich hierauf vor seine Thür, um seine Gäste zu erwarten. Der Diener führte während der Zeit die Reisenden unter verschiedenen Gesprächen unvermerkt auf einigen Umwegen nach dem Landgute seines Herrn. Sobald Herr Torello sie kommen sah, ging er ihnen lächelnd entgegen und sagte: »Seid mir herzlich willkommen, meine Herren!« Saladin war scharfsinnig genug, zu merken, daß der Edelmann besorgt hatte, sie möchten seine Einladung nicht angenommen haben, wenn er sie gebeten hätte, wie er ihnen auf dem Wege begegnete, und daß er sie durch eine kleine List nach seinem Hause gelockt hatte, damit sie sich nicht weigern könnten, bei ihm zu übernachten. Er gab demnach dem Torello, indem er seinen Gruß erwiderte, zur Antwort: »Mein Herr, wenn man sich über zuvorkommende Leute beklagen dürfte, so würden wir über Euch zu klagen haben: denn ungerechnet, daß Ihr uns einen kleinen Umweg habt machen lassen, zwingt Ihr uns, eine große Gefälligkeit von Euch anzunehmen, die wir mit nichts, als mit einem einzigen Gruß verdient haben.«

Der Ritter, der ein sehr wohlredender Mann war, antwortete: »Meine Herren, die Bewirtung, die Ihr bei mir findet, ist nur eine Kleinigkeit gegen das, was Ihr verdient, so weit ich nach dem Äußerlichen von Euch schließen kann. Ihr würdet aber wirklich außerhalb Pavia nirgends einen erträglichen Aufenthalt finden; und deswegen laßt es Euch nicht verdrießen, einen kleinen Abweg gemacht zu haben.«

Während dieser Unterredung bezeigten sich seine Diener geschäftig, die Pferde der Reisenden, welche inzwischen abgestiegen waren, zu beschicken, und Herr Torello führte die drei Fremden in die für sie bereiteten Zimmer, wo er ihnen die Stiefel ausziehen und sie mit erfrischendem Wein bedienen ließ, indes er selbst sie mit angenehmen Unterredungen bis zur Abendmahlzeit unterhielt. Saladin und seine Begleiter sowohl, als ihre Diener, verstanden genug von Herrn Torello's Sprache, um sich verständlich zu machen, und andere zu verstehen, und sie fanden alle an dem Ritter den gefälligsten und artigsten Mann, der sie mit seinen Gesprächen besser unterhielt als irgend jemand, den sie bisher angetroffen hatten. Torello an seiner Seite glaubte zu bemerken, daß seine Gäste treffliche Männer wären, und zugleich viel vornehmer, als er im Anfange gedacht hatte; und es war ihm deswegen leid, daß er sie nicht mit einem stattlicheren Mahle für den Abend bewirten konnte. Er nahm sich aber vor, am folgenden Tage das Fehlende nachzuholen. Zu dem Ende gab er einem seiner Diener die nötigen Befehle und schickte ihn an seine Gemahlin, eine sehr verständige Frau, nach Pavia, wo man die Thore nie zu verschließen pflegte. Hierauf führte er die Fremden in seinen Garten und erkundigte sich höflich, wer sie wären.

Saladin antwortete: »Wir sind cyprische Kaufleute und kommen von Cypern, um wegen unserer Geschäfte nach Paris zu reisen.«

»Wollte Gott (erwiderte Torello), daß in unserem Lande die Edelleute das wären, was in Cypern (wie ich sehe) die Kaufleute sind.«

Unter diesen Gesprächen kam die Abendstunde heran; man setzte sich zum Essen, und der Tisch ward so gut besetzt, wie es in der Geschwindigkeit nur immer möglich gewesen war. Nach aufgehobener Tafel glaubte Herr Torello, daß seinen Gästen am meisten mit der Ruhe gedient sein würde; er ließ ihnen demnach sehr schöne Betten anweisen und sie legten sich bald darauf schlafen.

Der Diener des Torello hatte indessen die Botschaft seines Herrn in Pavia an die Gemahlin desselben bestellt. Mit einem mehr königlichen, als weiblichen Sinne ließ sie augenblicklich alle Freunde und Diener ihres Gemahls berufen und alles zu einem herrlichsten Gastmahle veranstalten; ließ die vornehmsten Einwohner der Stadt beim Fackellicht einladen; Kleider, Wäsche und köstliches Pelzwerk zurechtlegen und alles übrige so einrichten, wie es ihr Gemahl ihr aufgetragen hatte.

Des andern Morgens früh standen die Reisenden auf; Herr Torello stieg mit ihnen zu Pferde, nahm seine Falken mit und ritt mit seinen Gästen an eine Furt, um ihnen zu zeigen, wie seine Vögel abgerichtet wären. Wie hierauf Saladin um einen Wegweiser bat, der ihn nach Pavia führen und ihm daselbst das beste Quartier anweisen könnte, sprach Herr Torello: »Das nehme ich selbst auf mich, weil ich ohnehin dort Geschäfte habe.«

Sie glaubten dieses, und da es ihnen sehr lieb war, so machten sie sich mit ihm auf den Weg. Wie sie um die dritte Stunde in Pavia ankamen und glaubten, daß Herr Torello sie nach dem besten Gasthofe führen würde, brachte er sie nach seinem eigenen Hause, woselbst schon gegen fünfzig der vornehmsten Leute zu ihrem Empfange versammelt waren, welche sich um die Wette beeiferten, ihnen ihre Pferde und die Steigbügel zu halten. Saladin und seine Gefährten merkten bald, wie sich die Sache verhielt und sagten: »Herr Torello, dies haben wir uns nicht von Euch erbeten, Ihr habt uns gestern Abend schon mehr Gutes erwiesen, als wir wünschen konnten, und Ihr könntet uns jetzt wohl ohne weitere Umstände unsere Straße ziehen lassen.«

»Meine Herren! (erwiderte Torello) was ich gestern Abend für Euch thun konnte, das habe ich weniger Euch selbst zu verdanken, als dem Zufall, der Euch zu einer solchen Stunde zu mir führte, da Ihr genötigt waret, in meiner Hütte vorlieb zu nehmen. Diesen Morgen aber steht es bei Euch selbst, mich und alle diese Herren, die um Euch sind, zu verbinden; wenn Ihr glaubt, daß es gütig gehandelt sein würde, ihnen abzuschlagen, in ihrer Gesellschaft bei mir zu Mittag zu essen, so habt Ihr Euren Willen.«

Saladin und seine Begleiter ließen sich bereden und stiegen ab. Die Kavaliere begleiteten sie nach den prächtigen Zimmern, die ihnen zur Aufnahme bestimmt waren. Hier legten sie ihre Reisekleider ab, erfrischten sich ein wenig und begaben sich alsdann nach dem Saale, wo auf's herrlichste für sie angerichtet war. Nachdem sie die Hände gewaschen und sich zur Tafel gesetzt hatten, wurden sie mit der größten Ordnung und Pracht bedient, und mit so köstlichen Speisen bewirtet, daß man einem Kaiser nicht besser und ehrerbietiger hätte aufwarten können. Und obgleich Saladin und seine Begleiter große Herren waren und gewohnt, alles, was groß und prächtig ist, zu sehen, so mußten sie sich dennoch hier über alles verwundern und es außerordentlich finden, da ihr Wirt kein Fürst, sondern nur ein gewöhnlicher Edelmann war. Nach der Mahlzeit und nach aufgehobener Tafel entließ Herr Torello seine Nachbarn und Freunde nach einigen kurzen Gesprächen zur Mittagsruhe und blieb allein mit seinen drei fremden Gästen, die er darauf in ein anderes Zimmer führte, und um ihnen alles zu zeigen, was ihm das liebste war, so ließ er seine Gemahlin rufen, eine treffliche Frau von großer Schönheit und von hohem, stattlichen Wuchs. Sie erschien sehr reich gekleidet, in Begleitung ihrer beiden engelähnlichen Kinder, und nahte sich, freundlich grüßend, ihren Gästen. Diese standen auf und empfingen sie ehrerbietig, nötigten sie, sich neben ihnen zu setzen und liebkosten ihre beiden holden Kinder. Da sich Herr Torello während ihrer Unterhaltung mit ihnen ein wenig entfernte, so nahm seine Gemahlin Gelegenheit, sich bescheiden zu erkundigen, woher sie kämen und wohin sie wollten; und sie antworteten ihr ebenso wie ihrem Gemahl.

»In diesem Falle (sprach sie mit freundlicher Miene) wird Euch ein wenig weibliche Vorsorge nicht unnütz sein; und ich erbitte es mir deswegen von Euch als eine besondere Gunst, ein kleines Geschenk, welches ich Euch will herbringen lassen, nicht zu verschmähen, sondern in Rücksicht dessen, daß ein Weib nach ihrem geringen Vermögen nicht viel geben kann, mehr auf den guten Willen der Geberin zu sehen, als auf den Wert des Geschenkes, und es freundschaftlich anzunehmen.«

Es wurden hierauf einem jeden zwei Kleider gebracht; das eine mit Seide, das andere mit Pelzwerk gefüttert, und nicht für Bürger oder Kaufleute, sondern für Personen von hohem Stande gemacht, nebst seidenen Unterkleidern und feinem leinen Gewande. »Nehmt dieses von mir (sprach sie). Ich habe Euch mit meinem Gemahl auf gleichen Fuß gekleidet; und da Ihr weit von Euren Frauen entfernt seid, einen langen Weg bereits zurückgelegt und noch eine weite Reise vor Euch habt, so werden die übrigen Sachen, so geringe auch Ihr Wert ist, Euch vielleicht zu statten kommen; denn die Kaufleute sind (wie ich wohl weiß) an Reinlichkeit und Bequemlichkeit gewöhnt.«

Die Herren verwunderten sich und sahen, daß Herr Torello es an keinem Stücke wollte fehlen lassen, ihnen Gutes und Ehre zu erweisen, und fast vermuteten sie, nach der Kostbarkeit der Kleider zu urteilen, daß Herr Torello ihren Stand erraten hätte. Inzwischen antwortete einer von ihnen: »Edle Frau! Dies sind so köstliche Sachen, daß wir sie nicht füglich annehmen könnten, wenn uns nicht Euer fügliches Ansinnen, dem man nichts versagen kann, dazu nötigte.«

Nachdem dieses geschehen und Torello schon wieder hereingekommen war, nahm die Dame Abschied von ihnen und ging hin, um auch ihre Diener mit den nötigen Sachen versorgen zu lassen. Herr Torello erhielt von ihnen durch vieles Bitten, daß sie den ganzen Tag bei ihm blieben. Wie sie demnach zuerst ein wenig geruht hatten, legten sie ihre Kleider an und ritten mit ihrem Wirt in der Stadt umher, worauf sie in einer zahlreichen Gesellschaft angesehener Männer zu gehöriger Stunde ein prächtiges Abendmahl bei ihm einnahmen und sich alsdann zur Ruhe begaben. Mit Anbruch des Tages standen sie auf und fanden statt ihrer abgerittenen Gäule drei schöne, mächtige Staatsrosse für sich, und starke frische Pferde für ihr Gefolge gesattelt und aufgezäumt fertig. Wie Saladin dieses sah, konnte er sich nicht enthalten zu seinen Gefährten zu sagen: »Ich schwöre bei Gott, daß ich nie einen wackerern, höflicheren und verständigeren Mann, als diesen gefunden habe; und wenn die christlichen Könige sich gegen ihres Gleichen so als Könige betragen, wie dieser als Rittersmann, so braucht der Sultan von Babylon nicht zu besorgen, daß ein einziger von ihnen, geschweige denn so viele, als sich jetzt gegen ihn rüsten, ihm über den Hals fallen werde.« Weil sie nun fanden, daß Weigern vergeblich sein würde, so dankten sie ihm sehr verbindlich und bestiegen ihre Pferde. Herr Torello begleitete sie eine große Strecke aus der Stadt, und endlich mußte Saladin (der sich zwar ungern von ihm trennte, weil er ihm sehr lieb geworden war), ihn bitten, zurückzukehren, weil er eilte, weiter zu kommen. Indem Herr Torello mit Leidwesen Abschied von ihm nahm, sprach er zu ihnen: »Meine Herren, ich muß umkehren, weil Ihr es so haben wollt; doch dies muß ich Euch noch sagen: Ich weiß nicht, wer Ihr seid, und ich will auch nicht weiter in Euch dringen, um es zu erfahren; allein Ihr mögt sein, wer Ihr wollt, so überredet Ihr mich diesmal nicht, zu glauben, daß Ihr Kaufleute seid. Lebt wohl!«

Saladin, der bereits von allen Freunden des Torello Abschied genommen hatte, gab ihm zur Antwort: »Mein Herr, es kann sich wohl dereinst fügen, daß wir Euch unsere Ware zeigen und Eurem Glauben zu Hilfe kommen. Lebt glücklich!«

Wie nun Saladin davon reiste, mit dem festen Vorsatz, wenn er lebte und der Krieg, welcher ihm bevorstand, ihn nicht daran verhinderte, dem Torello dereinst nicht minder Ehre zu erweisen, als er von ihm empfangen hatte, unterhielt er sich noch lange unterwegs mit seinen Gefährten von ihm und seiner Gemahlin und von seinem ganzen Wesen und Benehmen und erhob ihn deswegen außerordentlich. Nachdem er nun alle Abendländer nicht ohne viele Mühe durchstreift hatte, ging er zu Wasser mit den Seinigen wieder nach Alexandria und rüstete sich, von allen unterrichtet, zur Gegenwehr.

Herr Torello sann noch lange nach seiner Zurückkunft in Pavia, wer seine drei Gäste wohl möchten gewesen sein; allein er erriet es nicht und blieb mit seinen Vermutungen immer weit vom Ziele. Wie die Zeit des Kreuzzuges kam und man dazu allenthalben große Zubereitungen machte, ließ Herr Torello sich durch keine Bitten und Thränen seiner Gemahlin in dem Vorsatze stören, den Zug mitzumachen, und nachdem er alles Nötige dazu vorbereitet hatte und im Begriff war, die Reise anzutreten, sprach er zu seiner Gemahlin: »Liebe Frau, Du siehst, ich ziehe auf diese Kreuzfahrt, sowohl um leiblicher Ehre, als um des Heils meiner Seele willen. Ich empfehle Dir unsere Habe und unsere Ehre und da ich zwar weiß, daß ich abreise, allein wegen tausenderlei Zufällen, die mir begegnen können, nicht die geringste Gewißheit habe, daß ich wiederkommen werde, so bitte ich Dich, mir eine Gunst zu gewähren, daß Du nämlich, es gehe mir, wie es wolle, wenn Du keine gewisse Nachricht von meinem Leben bekömmst, ein Jahr, einen Monat und einen Tag wartest, von dem heutigen Tage meiner Abreise an gerechnet, ehe Du Dich wieder vermählst.«

Die Frau schwamm in Thränen und antwortete: »Torello, ich weiß nicht, wie ich den Schmerz über Deine Abreise ertragen werde; allein wenn ich ihn überlebe und wenn über Dich etwas anderes verhängt ist, so sei im Leben und im Tode versichert, daß ich als die Gemahlin des Torello leben und sterben und Dich nie vergessen werde.«

»Frau (erwiderte Torello), ich bin überzeugt, daß Du alles, was Du mir versprichst, erfüllen wirst, soweit es in Deinem Vermögen steht. Allein Du bist ein junges Weib, bist schön und aus einem angesehenen Geschlechts. Du besitzest viele liebenswürdige Eigenschaften und bist allgemein bekannt. Deswegen ist kein Zweifel, daß nicht viele große und vornehme Männer, sobald man glauben wird, daß ich nicht mehr bin, sich bei Deinen Brüdern und Verwandten um Dich bewerben werden, deren Zureden Du, wenn Du auch gerne wolltest, nicht wirst widerstehen können, und Du wirst Dich nach ihrem Willen fügen müssen; und das ist die Ursache, weswegen ich Dir die gedachte Frist und keine längere vorschreibe.«

Sie antwortete: »Ich werde mir alle Mühe geben, so zu handeln, wie ich Dir gesagt habe, und wenn es zum Äußersten kömmt, so will ich doch gewiß Deiner Vorschrift gehorchen. Ich bitte Gott, daß er diesmal weder über Dich, noch über mich dergleichen verhängen wolle.«

Nach diesen Worten umarmte sie ihn mit Thränen, zog einen Ring vom Finger, den sie ihm überreichte, und sprach: »Wenn ich sterben sollte, ehe ich Dich wieder sehe, so erinnere Dich meiner, so oft Du diesen Ring ansiehst.« Er nahm ihn und stieg zu Pferde und nachdem er von jedermann Abschied genommen hatte, machte er sich auf den Weg, begab sich mit seinem Gefolge in Genua an Bord einer Galeere, und kam in kurzer Zeit nach Acre, wo er zu dem übrigen Heere der Christen stieß. Fast unmittelbar darnach brach bei demselben eine ansteckende Krankheit aus und während dieser Zeit gelang es dem Saladin entweder durch List oder durch Glück, daß er den ganzen Rest der Christen in seine Gefangenschaft bekam und sie hin und wieder in verschiedene Städte verlegte. Unter andern ward auch Torello gefangen und nach Alexandria abgeführt. Weil ihn daselbst niemand kannte und weil er sich aus Furcht auch nicht zu erkennen gab, so mußte er sich aus Not gebrauchen lassen, Falken abzurichten, welches er meisterlich verstand, und da traf es sich, daß der Sultan von ihm hörte, der ihn auf freien Fuß stellen ließ und ihn zu seinem Falkner machte. Torello, welchen Saladin (der ihn weder erkannte, noch von ihm erkannt ward) stets bei einem Taufnamen zu nennen pflegte, dachte nur immer nach Pavia zurück und hatte mehr als einmal Versuche gemacht, zu entfliehen, die ihm aber nie gelungen waren. Wie nun einst gewisse genuesische Gesandte zu Saladin kamen, um über die Loskaufung ihrer Landsleute zu unterhandeln, entschloß sich Torello, ihnen bei ihrer Abreise Briefe an seine Gemahlin mitzugeben, um ihr zu melden, daß er noch lebte und sie bäte, seine Wiederkunft abzuwarten, welche hoffentlich nicht weit entfernt sein würde. Er bat zugleich einen von den Gesandten, mit welchem er wohl bekannt war, die Briefe an den Abt San Pietro, der sein Oheim war, zu bestellen. Bald nachher traf es sich, indem Saladin mit Torello von seinen Falken sprach, daß dieser lächelte und dabei einen Zug an seinem Munde verriet, welchen Saladin, wie er bei ihm war, besonders bemerkt hatte. Dieser Zug erinnerte ihn an Torello. Er betrachtete ihn demnach genauer, und wie er glaubte, ihn zu erkennen, veränderte er das Gespräch und fragte ihn: »Sage mir, Christ, aus welcher Gegend des Abendlandes bist Du?«

»Ich bin aus der Lombardei (antwortete Torello), aus einer Stadt, welche Pavia heißt, und bin ein armer, geringer Mann.«

Saladin, der seiner Sache schon etwas gewisser zu sein glaubte, freute sich und dachte: »Gott schenkt mir Gelegenheit, diesem Mann zu zeigen, wie wert mir seine Dienstfertigkeit gewesen ist.« Er sagte ihm nichts weiter, sondern ließ alle seine Kleider in ein Zimmer bringen, führte ihn hinein und sprach: »Sieh zu, Christ, ob unter diesen Kleidern eines ist, das Du vormals gesehen hast.«

Torello betrachtete sie und ward diejenigen gewahr, welche seine Gemahlin dem Saladin gegeben hatte; doch getraute er sich nicht, sie für dieselben zu halten. Indessen antwortete er: »Gnädiger Herr, ich kenne keines von diesen Kleidern; aber diese zwei sind denen ähnlich, mit welchen ich einst mit dreien Kaufleuten, die mich besuchten, zugleich bekleidet war.«

Jetzt hielt sich Saladin nicht länger. Er umarmte ihn zärtlich und sagte: »Ihr seid Herr Torello d'Istria, und ich bin einer von den drei Kaufleuten, welche Eure Gattin mit diesen Kleidern beschenkte. Jetzt ist die Zeit gekommen, Euch zu zeigen, mit welchen Waren ich handle, wie ich Euch beim Abschiednehmen sagte, daß es sich vielleicht fügen könnte.«

Torello ward über diese Worte halb froh und halb schamrot. Er freute sich, daß er einen solchen Gast gehabt hatte, und er schämte sich zugleich, weil er fürchtete, ihm nicht Ehre genug erwiesen zu haben. Aber Saladin fuhr fort: »Herr Torello, da Gott Euch zu mir geführt hat, so betrachtet von nun an nicht mich, sondern Euch selbst als Herrn hier in meinem Hause.« Er freute sich mit ihm herzlich des Wiedersehens, ließ ihn fürstlich kleiden, stellte ihn allen Großen seines Reiches vor und befahl ihnen sämtlich, so lieb ihnen seine Gnade wäre, ihn so hoch zu ehren, wie ihn selbst. Dieses ward auch von allen willig beobachtet, vorzüglich aber von den beiden Herren, welche als Gefährten des Sultans mit ihm in seinem Hause gewesen waren.

Der plötzliche Glanz seiner Herrlichkeit brachte ihm seine Angelegenheiten in der Lombardei auf eine Zeit lang ein wenig aus dem Gedächtnis, zumal, da er im geringsten nicht zweifelte, daß seine Briefe richtig an seinen Oheim wären bestellt worden. Es war indessen bei dem christlichen Heere, an dem Tage, da Saladin es überrumpelte, ein Ritter aus der Provence, von keiner sonderlichen Bedeutung, namens Torel de Dignes, gestorben und begraben worden. Da nun Herr Torel d'Istria wegen seines Adels in dem ganzen Heere bekannt war, so dachte niemand, wie es hieß, Herr Torel wäre gestorben, an Torel von Dignes, sondern ein jeder glaubte, Herr Torel von d'Istria wäre tot und die Überrumpelung und Aufhebung der Armee verhinderte die Aufklärung dieses Irrtums, so daß verschiedene Italiener mit der Nachricht von seinem Tode nach Hause kamen, von welchen einige sogar versicherten, sie hätten ihn tot gesehen und wären bei seinem Leichenbegängnis gewesen. Wie seine Gemahlin und seine Verwandten dieses hörten, war ihre Trauer unbeschreiblich groß und nicht nur sie betrauerten seinen Verlust, sondern auch ein jeder, der ihn gekannt hatte. Es würde zu viele Zeit erfordern, den Schmerz, die Traurigkeit und die Klagen seiner Gattin zu beschreiben. Genug, nachdem sie ihn einige Monate mit vielem Gram und Kummer beweint hatte, und ihr Schmerz anfing, sich ein wenig zu legen, bewarben sich die vornehmsten Männer in der Lombardei um ihre Hand, und ihre Brüder und Verwandten fingen an, ihr zuzureden, sich wieder zu vermählen. Nachdem sie sich eine geraume Zeit mit vielen Thränen geweigert hatte, sah sie sich endlich genötigt, den Wünschen ihrer Verwandtschaft nachzugeben, mit der Bedingung, daß sie nicht gezwungen würde, sich vor Ablauf der von ihrem Gemahl anberaumten Frist wieder zu verheiraten.

Indem die Sachen in Pavia so standen, und die angesetzte Frist bereits bis auf ungefähr acht Tage verstrichen war, traf es sich, daß Herr Torello in Alexandria einen Mann gewahr ward, der mit den genuesischen Gesandten zugleich an Bord derselben Galeere nach Genua abgesegelt war. Er ließ ihn zu sich rufen, und fragte ihn, wie ihre Reise abgelaufen und wie sie in Genua angekommen wären.

»Mein Herr (antwortete der Mann), die Galeere hat eine sehr unglückliche Fahrt gehabt, wie man mir in Kreta gesagt hat, wo ich geblieben bin, denn wie sie auf die Höhe von Sizilien gekommen sind, hat sich ein heftiger Sturm aus Norden erhoben, der sie an die barbarische Küste verschlagen und auf ein Sandriff getrieben hat, wo sie mit Mann und Maus untergegangen ist. Ich selbst habe zwei Brüder dabei verloren.«

Herr Torello, welcher keine Ursache hatte, an der Wahrheit dieser Erzählung zu zweifeln und welchem es jetzt einfiel, daß die Frist, die er seiner Gemahlin anberaumt hatte, in wenigen Tagen zu Ende ging, und daß sie, weil man nichts von ihm in Pavia gehört hatte, sich wahrscheinlicherweise wieder verheiraten würde, bekümmerte sich so sehr darüber, daß er vor Gram bettlägerig ward, weder Speise noch Trank zu sich nahm und sich nur den Tod wünschte. Wie Saladin dieses hörte, der ihn so lieb hatte, kam er zu ihm, erfuhr nicht ohne Mühe und Bitten die Ursache seines Kummers und seiner Krankheit und schalt ihn, daß er ihm nicht längst seine Lage offenbart hätte; inzwischen bat er ihn, sich zu beruhigen und versprach ihm in diesem Falle solche Anstalten zu treffen (die er ihm auch mitteilte), daß er zu rechter Zeit wieder in Pavia sein sollte. Torello verließ sich auf Saladins Versprechen und da man ihm oft gesagt hatte, dergleichen Dinge wären möglich zu machen und wären schon oft wirklich geschehen, so ließ er sich beruhigen und bat den Saladin, die Sache zur Ausführung zu bringen. Saladin befahl demnach einem seiner Schwarzkünstler, dessen Geschicklichkeit er kannte, Anstalten zu treffen, daß Torello auf seinem Bette in einer Nacht nach Pavia gebracht würde. Der Schwarzkünstler versprach, dieses zu bewerkstelligen, und bat nur, daß man den Torello zu seinem eigenen Besten einschläfern möchte. Sobald dies veranstaltet war, ging Saladin wieder zu Torello und da er ihn noch fest entschlossen fand zu sterben, wenn er nicht zur bestimmten Zeit in Pavia sein könnte, so sprach er zu ihm: »Torello, wenn Ihr Eure Gemahlin so herzlich liebet und Euch sehr darum bekümmert, daß sie keinem andern zu Teil werde, so kann ich Euch, bei Gott! deswegen nicht tadeln, denn unter allen Weibern, die ich in meinem Leben gesehen habe, ist sie diejenige, die ich wegen ihrer Sitten und Eigenschaften und wegen ihres ganzen Betragens (ihre Schönheit als eine vergängliche Blume nicht einmal mitgerechnet) am meisten der Bewunderung und Liebe würdig befunden habe. Es würde mir außerordentlich lieb gewesen sein, nachdem Euch der Zufall zu mir geführt hatte, wenn Ihr und ich unsere übrige Lebenszeit mit einander hätten zubringen und gemeinschaftlich an der Regierung dieses Landes Teil nehmen können. Oder wenn mir der Himmel dies nicht beschieden hatte, weil es Euer fester Entschluß war, entweder zu rechter Zeit nach Pavia zurückzukehren oder zu sterben, so hätte ich sehr gewünscht, dieses zeitig zu wissen, damit ich Euch mit solcher Pracht und Ehre, und unter solcher Begleitung wieder nach Eurem Hause hätte bringen lassen, wie es Euren Verdiensten angemessen ist. Weil mir aber dieses nicht vergönnt wird, so will ich Euch auf die angezeigte Art dahin befördern.«

»Gnädiger Herr (erwiderte Torello), Ihr habt mich schon mehr durch die That, als durch Worte überführt von Eurer Güte, die ich nie in einem so hohen Grade verdient habe; und wenn Ihr auch nichts von dem, was Ihr sagt, erwähntet, so würde ich doch in Tod und Leben mich darauf verlassen. Weil ich aber einmal meinen Entschluß unveränderlich gefaßt habe, so bitte ich Euch, dasjenige, wozu Ihr Euch erbietet, bald zu thun, denn morgen schon ist der letzte Tag, da man mich noch erwarten wird.«

Saladin versprach ihm, unfehlbar dafür zu sorgen. Am folgenden Tage ließ er, in der Absicht, den Torello in der nächstfolgenden Nacht fortzuschicken, in einem großen Saale ein schönes reiches Bett mit lauter Samt und Goldstoff gepolstert nach morgenländischer Art aufmachen und mit einem Teppich bedecken, der streifenweise mit den köstlichsten Perlen und Edelsteinen besetzt und von unschätzbarem Werte war, nebst zwei Ohrkissen, die sich zu einem solchen Bette schickten. Hierauf befahl er dem Herrn Torello, der schon wieder bei Kräften war, das reichste und schönste türkische Kleid anzulegen, und ihm eine von den längsten und feinsten Binden nach türkischer Weise um den Kopf zu winden. Wie es nun schon spät ward, kam Saladin mit vielen seiner Vornehmen in das Zimmer des Herrn Torello, setzte sich neben ihn, und fast bis zu Thränen bewegt sprach er zu ihm: »Torello, die Stunde des Scheidens kommt heran, und da ich wegen der Beschaffenheit des Weges weder mit Euch reisen, noch Euch Begleitung mitgeben kann, so bin ich genötigt, von Euch Abschied zu nehmen, und bin aus dieser Ursache hergekommen. Ehe ich Euch aber Gott empfehle, bitte ich Euch, um der Liebe und Freundschaft willen, die zwischen uns besteht, daß Ihr mich nie vergeßt, und daß Ihr, wo möglich, sobald Ihr Eure Sachen in der Lombardei in Ordnung gebracht habt, ehe unsere Lebenstage verstreichen, mich wenigstens noch einmal besucht, damit ich alsdann, wenn ich mich Eurer Wiederkunft werde erfreut haben, dasjenige nachholen könne, was ich jetzt wegen Eurer schleunigen Abreise versäumen muß. In der Zwischenzeit aber laßt Euch die Mühe nicht verdrießen, bei mir mit Euren Briefen gegenwärtig zu sein, und alles, was Euch gefällig ist, von mir zu fordern; weil ich gewiß für Euch mehr als für irgend einen lebendigen Menschen in der Welt thun werde.«

Herr Torello konnte sich der Thränen nicht enthalten, und sie verwehrten ihm die Rede, so daß er nur mit wenigen Worten erwidern konnte: es wäre ihm auf immer unmöglich, seine Wohlthaten und seinen Edelmut zu vergessen, und er wollte unfehlbar alles thun, was er ihm befohlen hätte, wenn ihm das Leben gefristet würde. Saladin umarmte ihn demnach auf's zärtlichste, empfahl ihn Gott und verließ das Zimmer. Auch die übrigen vornehmen Herren nahmen Abschied von ihm und folgten dem Saladin in den Saal, wo das Bett bereitet war. Weil es schon spät ward, und der Schwarzkünstler eilte, die Abfahrt zu veranstalten, so ward ein Arzt mit einem Schlaftrunke zu Torello gesandt, welchen er ihm als einen stärkenden Labebecher empfahl, und nachdem er denselben zu sich genommen hatte, fiel er bald darauf in einen festen Schlaf. Saladin ließ ihn so schlafend auf das kostbare Bett legen, stellte eine große, schöne und reiche Krone neben ihn hin, die auf eine so ausgezeichnete Art gemacht war, daß man leicht erkennen konnte, sie wäre für die Gemahlin des Torello bestimmt. Ihm selbst steckte er darauf einen Ring an den Finger, mit einem Karfunkel, der so feurig wie eine Fackel leuchtete und dessen Wert unschätzbar war. Er ließ ihm auch einen Säbel umgürten, mit einem so reich besetzten Gefäß, daß es schwer war, den Wert desselben zu schätzen. Ueberdies ließ er ihm seine Kleider vorn mit einem Hefte zusammenfügen, an welchem sich Perlen von nie gesehener Schönheit und eine Menge der kostbarsten Edelsteine befanden. An beiden Seiten ließ er zwei sehr große, goldene Becken voll Goldstücken hinstellen, und ringsumher eine Menge Netzbeutel, gefüllt mit Perlen, Ringen, Gürteln und anderem Geschmeide, wovon man lange erzählen könnte. Darauf gab ihm Saladin noch einen Kuß und befahl dem Schwarzkünstler zu eilen; und sogleich verschwand das Bett mit Torello, und mit Allem was darauf befindlich war, vor den Augen des Saladin und seiner Großen, die sich noch lange mit einander von Torello unterhielten.

Dieser ward inzwischen, seinem Wunsche gemäß, in der Kirche zu Sankt Peter in Ciel d'Oro in Pavia, mit allen vorbesagten Schätzen und Kleinoden niedergesetzt und schlief noch, wie zur Frühmette geläutet ward; wie nun der Kirchner mit einer Fackel in der Hand in die Kirche kam und plötzlich das reiche Bett gewahr ward, wunderte er sich nicht nur gewaltig, sondern er erschrak so, daß er in aller Eile die Flucht nahm. Wie der Abt und die Mönche ihn fliehen sahen, verwunderten sie sich und fragten nach der Ursache, welche ihnen der Kirchner sagte.

»Ei (sprach der Abt), Du bist ja kein Kind mehr und auch kein solcher Neuling in dieser Kirche, daß Du so leicht erschrecken müßtest. Komm, laß uns gehen und zusehen, was Dich so bange gemacht hat.«

Es wurden also mehr Lichter angezündet, und der Abt ging mit allen seinen Mönchen in die Kirche, wo sie das wunderschöne und kostbare Bett, und auf demselben den schlafenden Ritter erblickten, und indem sie noch furchtsam und schüchtern die köstlichen Kleinode betrachteten, ohne sich zu getrauen, das Bett im geringsten zu berühren, erreichte die Wirkung des Schlaftrunks ihr Ende, und Herr Torello erwachte mit einem tiefen Seufzer aus seinem Schlummer; worüber der Abt und alle seine Mönche so sehr erschraken, daß sie mit einem lauten Domine fac me salvum! davon liefen. Wie Herr Torello die Augen öffnete und um sich her blickte, fand er, daß er wirklich an dem Orte war, den er sich von Saladin erbeten hatte. Er freute sich sehr darüber, richtete sich auf zum Sitzen, und wie er alles, womit er sich umgeben fand, betrachtete, mußte er sich über die fürstliche Freigebigkeit Saladin's, so sehr er sie auch längst gekannt und bewundert hatte, noch immer mehr verwundern. Wie er die Mönche fliehen sah und die Ursache erriet, rief er, ohne seinen Platz zu verlassen den Abt und bat ihn, unbesorgt zu sein, indem er Torello, sein Neffe, wäre. Der Abt, der ihn seit mehreren Monaten für tot hielt, erschrak darüber noch mehr; doch nach und nach ließ er sich durch wiederholtes Zureden und durch triftige Gründe einigermaßen beruhigen, bezeichnete sich mit dem Kreuze und kam ihm näher.

»Wovor fürchtet Ihr Euch, lieber Vater? (sprach Herr Torello) Ich bin vom Auslande wieder zurückgekommen.«

Obgleich er nun einen langen Bart hatte und auf türkisch gekleidet war, so erinnerte sich doch der Abt nach und nach seiner Gesichtszüge. Er beruhigte sich demnach vollends, nahm ihn bei der Hand und sagte: »Mein Sohn, sei willkommen! Du mußt Dich über unsere Flucht nicht verwundern; denn hier in der Stadt ist kein Mensch, der Dich nicht ganz gewiß für tot hält; ja, ich muß Dir sagen, daß Frau Adalida, Deine Gemahlin, durch die Bitten und Unterredungen ihrer Verwandten getrieben, sich wider ihren Willen wieder verlobt hat, und daß sie diesen Morgen von ihrem neuen Bräutigam heimgeführt werden und mit ihm Hochzeit machen wird, wozu bereits die Anstalten gemacht sind.«

Herr Torello stand auf von seinem reichen Bette, grüßte den Abt und seine Mönche freundlich und bat sie Alle, von seiner Wiederkehr nicht eher etwas verlauten zu lassen, bis er ein gewisses Geschäft ausgerichtet hätte. Er brachte zuerst alle seine köstlichen Kleinode in sichere Verwahrung und erzählte hierauf dem Abt alle Begebenheiten, die sich bis dahin mit ihm zugetragen hatten. Der Abt freute sich über sein Glück, wofür er mit ihm Gott dankte. Hiernächst fragte Torello nach dem künftigen neuen Gemahl seiner Gattin, welchen der Abt ihm nannte, worauf Herr Torello zu ihm sprach: »Ehe man erfährt, daß ich wiedergekommen bin, will ich erst sehen, wie sich meine Frau an ihrem Hochzeitstage benimmt, und obgleich ihr geistlichen Herren eben nicht gewohnt seid, bei dergleichen Gastereien zu erscheinen, so müßt Ihr doch, mir zu Liebe, es so einrichten, daß wir zusammen dahin gehen.«

Der Abt bezeigte sich willig dazu bereit, und sobald es Tag ward, ließ er dem Bräutigam sagen, er wünschte nebst einem anderen Gaste bei seiner Hochzeit gegenwärtig zu sein Der Edelmann ließ ihm antworten, sie wären ihm willkommen. Wie demnach die Mittagsstunde kam, ging Herr Torello, so wie er gekleidet war, mit dem Abt nach dem Hause des Bräutigams und ward von Jedermann angestaunt, allein von keinem Menschen erkannt, denn der Abt stellte ihn einem Jeden als einen türkischen Herrn vor, welchen der Sultan als Gesandten an den König von Frankreich schickte. Herr Torello ward gebeten, an einer Tafel Platz zu nehmen, wo er gerade seiner Gemahlin gegenüber saß und sie mit großem Wohlgefallen betrachtete, weil ihm ihre Miene zeigte, daß ihre Vermählung ihr nicht lieb war. Sie blickte ihn gleichfalls bisweilen an; doch ohne ihn irgend zu erkennen, denn dieses verhinderte sein langer Bart und die Meinung, in welcher sie stand, daß ihr Gemahl gestorben wäre. Wie endlich Herr Torello begierig war, sie auf die Probe zu stellen, ob sie sich seiner noch erinnerte, zog er den Ring vom Finger, den sie ihm geschenkt hatte, ließ einen Edelknaben, welcher ihr aufwartete, zu sich rufen, und sprach zu ihm: »Sage der Braut in meinem Namen, es sei in meinem Lande der Gebrauch, wenn ein fremder Gast, wie ich, an der Tafel einer Braut zugegen ist, daß die Braut, zum Zeichen, daß er ihr willkommen sei, ihr Trinkgeschirr mit Wein füllt und es dem Gaste schickt, welcher daraus trinkt, so viel ihm beliebt, und den Becher wieder zudeckt, worauf die Braut das Übrige ausleert.«

Der Knabe bestellte den Auftrag, und da die Braut ihn für einen großen Herrn hielt, so nahm sie mit ihrer gewöhnlichen Klugheit und Artigkeit, zum Zeichen, daß ihr seine Gegenwart lieb wäre, einen großen, vergoldeten Kelch, der vor ihr stand, befahl ihn, zu schwenken und mit Wein zu füllen und ihn dem fremden Herrn zu bringen. Herr Torello hatte ihren Ring in den Mund genommen, ließ ihn im Trinken unvermerkt in den Becher fallen, in welchem er nur ein wenig Wein übrig ließ, deckte den Becher wieder zu und schickte ihn der Dame zurück. Diese empfing ihn, und um die Landessitte ihres Gastes zu beobachten, nahm sie den Deckel ab, setzte den Becher an den Mund und ward den Ring gewahr. Sie erkannte ihn den Augenblick für denjenigen, den sie ihrem Gemahl beim Abschiede gegeben hatte, nahm ihn heraus und betrachtete aufmerksam den vermeintlichen Fremdling. Sobald sie ihn erkannte, war sie fast außer sich, stieß den Tisch um, der vor ihr stand, und eilte mit den Worten: »Dies ist mein Gemahl; dies ist wirklich mein Torello!« nach der Tafel, an welcher er saß, und ohne auf ihren Schmuck und auf die Speisen, die auf dem Tische standen, zu achten, bog sie sich zu ihm hinüber, so weit sie konnte und schloß ihn fest in ihre Arme und ließ ihn nicht los, man mochte sagen, oder thun, was man wollte, bis Herr Torello selbst sie bat, sich ein wenig zu mäßigen, indem sie noch Zeit genug haben würde, ihn zu umarmen. Sie richtete sich demnach wieder auf, und da bereits alle Hochzeitsgäste in Bewegung geraten und zum Teil sehr froh waren, einen so wackeren Rittersmann wieder in ihrer Mitte zu haben, so bat Herr Torello jedermann um Gehör und erzählte der Gesellschaft alle Schicksale, die ihn von dem Tage seiner Abreise an, bis auf den gegenwärtigen betroffen hatten; und beschloß mit der Bitte, der Edelmann, der in der Voraussetzung, daß er tot wäre, sich mit seiner Gemahlin verlobt hätte, möchte sich es nicht leid sein lassen, wenn er sie wieder nähme, weil er lebte.

Dem Bräutigam war die Sache zwar ein wenig empfindlich; doch gab er von freien Stücken und in aller Freundschaft zur Antwort, er habe das Recht, mit seinem Eigentume nach seinem Belieben zu schalten. Die Dame gab demnach den Ring und die Krone zurück, welcher ihr neuer Bräutigam ihr geschenkt hatte, steckte den Ring, den sie in dem Becher gefunden hatte, an ihren Finger und setzte die Krone auf, die ihr von Saladin war geschenkt worden; worauf sie, von dem ganzen hochzeitlichen Zuge feierlich begleitet, mit ihrem Torello nach seinem Hause ging. Hier erfreuten sie ihre bekümmerten Freunde, Verwandten und Mitbürger, welche die ganze Sache fast wie ein Wunderwerk betrachteten, mit einem fröhlichen Feste viele Tage lang. Torello beschenkte denjenigen, welcher die Kosten der hochzeitlichen Anstalten umsonst gemacht hatte, ingleichen den Abt und noch einige andere mit seinen köstlichen Kleinodien. Dem Saladin gab er durch mehr als einen Boten Nachricht von seiner glücklichen Ankunft in Pavia. und lebte als ein treuer Freund und Verehrer noch viele Jahre mit seiner wackeren Gemahlin, indem sie beide sich noch immer mehr des Wohlthuns beflissen.

So endigten die Trübsale des Herrn Torello mit seiner geliebten Gemahlin, und so ward ihre freiwillige, und edelmütige Gastfreiheit belohnt. Manche Leute möchten wohl gern auch für gastfrei gehalten werden; allein obgleich es ihnen nicht an Mitteln fehlt, es zu sein, so wissen sie sich doch so wenig darin zu schicken, daß sie erst ihre Gefälligkeiten weit teurer erkaufen lassen, als sie hernach wert sind. Wenn also diese keinen Dank damit verdienen, so müssen weder sie noch andere sich darüber verwundern.

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