Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Siebenunddreißigste Erzählung.

In Florenz war vor nicht gar langer Zeit ein junges Mädchen, welches nach ihrer Art ziemlich hübsch und artig war, eines armen Mannes Tochter, namens Simona, und obwohl sie ihr Brot mit ihren Händen verdiente und sich mit Wollspinnen nähren mußte, so war sie doch nicht so kleinmütig dabei, daß sie es nicht gewagt hätte, den kleinen, blinden Schützen in ihr Herz aufzunehmen, der schon seit einiger Zeit in der Gestalt eines Jünglings von gleichem Gehalt und Stande, welcher ihr von Zeit zu Zeit Wolle zum Spinnen von seinem Herrn zu bringen pflegte, bei ihr angeklopft hatte. Kaum hatte sie ihn unter dem gefälligen Bilde des Jünglings, der sie liebte und sich Pasquino nannte, in ihr Herz eingelassen, so wuchs zwar ihr Wunsch, aber nicht ihr Mut, weiter zu gehen. Bei jedem Faden, den sie spann, bei jeder Flocke Wolle, den sie um ihren Rocken legte, entfuhren ihr tausend Seufzer, die ärger als Feuer brannten, indem sie sich an denjenigen erinnerte, der ihr die Wolle gebracht hatte. Dieser ward an seiner Seite immer geschäftiger, nachzusehen, ob die Wolle seines Herrn auch fleißig gesponnen würde, und er bekümmerte sich mehr um Simones Gespinst, als um alle übrigen, als wenn von dem ihrigen das ganze Gewebe allein abhinge. Wie nun der Eine beständig mahnte, und die Andere sich immer gerne mochte mahnen lassen, so folgte daraus, daß der Eine immer dreister ward und daß die Andere von ihrer Schüchternheit immer mehr nachließ, bis ihre gegenseitige Sehnsucht sie völlig miteinander verband. Die Freuden der Liebe behagten auch beiden so wohl, daß es von keiner Seite einer Aufforderung bedurfte, sondern daß Jeder dem Andern immer auf halbem Wege entgegen kam. Indem nun ihr Vergnügen von Tag zu Tag fortdauerte und mit jedem Tag sich mehr erhöhte, drang einst Pasquino in Simona, daß sie mit ihm nach einem Garten gehen sollte, wo sie ohne lästige Späher in völliger Freiheit miteinander sein könnten. Simona war damit zufrieden und gab gegen ihren Vater an einem Sonntag Nachmittag vor, daß sie nach Sankt Gallen gehen und Ablaß holen wollte, sie ging aber statt dessen mit einer Freundin, namens Lagina, nach dem Garten, wohin Pasquino sie bestellt hatte. Hier fand sie ihren Liebhaber mit einem seiner Mitgesellen, der Puccino hieß, den man aber gewöhnlich den StrambaStramba ist ein Strick von Heidekraut. zu nennen pflegte und weil sich hier zwischen dem Stramba und der Lagina eine neue Liebschaft entspann, so hatte sie Gelegenheit, mit ihrem Pasquino an einer Seite des Gartens ihrem Vergnügen nachzugehen, indes das andere Paar sich einen anderen Ort wählte. In demjenigen Teile des Gartens, wohin sich Pasquino und Simona begaben, stand ein großer und üppiger Bult von der schönsten Salbei, neben welchem sie sich lagerten, und nachdem sie sich eine geraume Zeit dem Vergnügen überlassen und Vieles mit einander von der Vesperkost geschwatzt hatten, welche sie in der ruhigen Stille des Gartens erquicken sollte, brach Pasquino ein Blatt von der Salbei ab, rieb es an den Zähnen und versicherte Simona, die Salbei wäre das beste und bequemste Mittel, die Zähne gesund zu erhalten. Wie er sich ein wenig den Mund gerieben hatte, fing er wieder an, von ihrer Vesperkost und von anderen Dingen zu sprechen: allein er hatte kaum angefangen zu reden, so verwandelte sich sein ganzes Gesicht, bald darauf verging ihm das Sehen und Reden, und es währte nicht lange, so war er tot. Simona erschrak und fing an, zu weinen und zu schreien und den Stramba und die Lagina zu rufen. Diese eilten herbei und wie sie den Pasquino nicht nur tot, sondern ganz ausgeschwollen und im Gesicht und überall voll blauer Flecken fanden, rief Stramba auf einmal: »Ha! Du böses Weibsbild hast ihn vergiftet«, und machte zugleich einen Lärm, daß alle Nachbarn es hörten. Diese wurden durch den Lärm herbeigezogen, und wie sie den Pasquino tot und aufgeschwollen fanden und hörten, daß Stramba darüber wehklagte, und Simona beschuldigte, daß sie ihn vergiftet hätte, glaubten sie, daß es sich so verhielte, zumal da Simona vor Schmerz über den Verlust ihres Geliebten und vor Erstaunen so sehr außer sich war, daß sie nicht ein Wort zu ihrer Verteidigung vorbringen konnte. Man versicherte sich also ihrer Person und führte sie nach dem Hause des Stadtvogts. Hier ward sie von dem Stramba, Atticciato, Malagevole und anderen Mitgesellen des Pasquino, welche dazu gekommen waren, mit Erbitterung angeklagt; der Richter nahm die Sache unverzüglich vor und da er nicht begreifen konnte, was dem jungen Mädchen Anlaß zu einer solchen Frevelthat könnte gegeben haben, sondern sie vielmehr für unschuldig hielt, so entschloß er sich, in ihrer Gegenwart den Leichnam zu besichtigen und die Umstände genauer zu besichtigen, die ihm ihre Reden nicht begreiflich genug machten. Er ließ sich demnach ohne Getümmel nach dem Orte führen, wo der Leichnam des Pasquino noch lag und wie ein Faß geschwollen war, worüber er erstaunte und Simona fragte, wie das zugegangen wäre. Sie ging hin zur Salbeistaude, beschrieb den Vorgang mit allen Umständen und um dem Richter recht begreiflich zu machen, wie sich die Sache verhielte, machte sie es wie Pasquino und rieb sich die Zähne mit einem Blatte von der Salbei. Indes nun Stramba, Atticciato und die anderen Freunde und Gesellen des Pasquino dem Richter versicherten, daß dies Alles nur Possenspiel wäre, und nichts weniger forderten, als Feuer und Schwert, um Simona's Bosheit zu bestrafen, ward das arme Mädchen (überwältigt von dem Schmerz über den Verlust ihres Liebhabers, von der Furcht vor der Strafe, welche Stramba und seine Gesellen forderten und von dem Gift der Salbei) von denselben Zufällen ergriffen, welche den Pasquino vorhin betroffen hatten, zum Erstaunen aller Anwesenden.

O Ihr glücklichen Seelen, die Ihr an einem Tage das Ziel Eurer innigen Liebe und Eures sterblichen Lebens erreichtet! Noch glücklicher Ihr, wofern Ihr zusammen an einen Ort gelanget! Ja über alles glücklich, wofern man Euch in jenem Leben noch liebt, und ihr fortfahrt, Euch einander so zu lieben, wie hier! Am glücklichsten aber Du, Seele Simona's, die Du dem Urteil der kurzsichtigen Sterblichen entgingest! Das Schicksal gab es nicht zu, daß das Zeugnis eines Atticciato oder eines Malagevole wider Dich entschiede, die vielleicht Wollenkrätzer oder noch gemeinere Leute waren, sondern er bahnte Dir einen ehrenvolleren Weg, indem es Dich mit deinem Geliebten einerlei Todes sterben ließ und Dich ihrer Lästerung entzog, um Dich der Seele Deines geliebten Pasquino wieder zuzuführen.

Der Richter und alle Anwesenden erstaunten über diesen Vorfall und wußten nicht, womit sie ihn sich erklären sollten. Endlich besann sich der Richter und sagte: »Es scheint wohl, daß diese Salbei giftig sein muß, wiewohl man das sonst nicht findet. Damit aber künftig niemand dadurch zu Schaden komme, so muß man sie ausgraben und verbrennen.« Dieses ließ der Eigentümer des Gartens sogleich in Gegenwart des Richters bewerkstelligen, und kaum hatte man die Staude ausgerissen, so fand man die Ursache des Todes der beiden unglücklichen Verliebten. Eine ungeheuere Kröte lag unter der Salbei verborgen, welche mit ihrem Hauche die ganze Pflanze vergiftet hatte. Niemand wollte es wagen, ihr nahe zu kommen, sondern man legte rings um sie einen großen Haufen dürres Reisig und verbrannte sie samt der Salbeistaude.

So endigte sich das Verhör des Richters wegen des Todes des Pasquino. Er und seine Simona wurden von Stramba, Atticciato, Guccio, Imbratta und Malagevole nach der Kirche von Sankt Paul getragen, wo sie eingepfarrt waren, und daselbst zur Erde bestattet.

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