Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Sechsundneunzigste Erzählung.

Jeder hat wohl schon von dem Könige Karl dem Alten, oder dem Ersten, gehört, durch dessen tapferes Unternehmen und seinen darauf folgenden herrlichen Sieg über den König Manfredi die Ghibellinen aus Florenz vertrieben und die Guelfen wieder in den Besitz desselben versetzt wurden. Bei diesen Umständen war ein gewisser Rittersmann, namens Messer' Neri degli Uberti, mit all den Seinigen und mit einem großen Vermögen von dort ausgewandert, wollte sich aber nirgends anders, als unter dem Schutze des Königs Karl niederlassen; und um in einer ruhigen Einsamkeit zu leben und seine übrigen Tage in Ruhe zuzubringen, zog er nach Castell' a Mare und kaufte sich ungefähr einen Bogenschuß von der Stadt ein Gütchen mitten unter Ölbäumen, Nußbäumen und Kastanien, welche in der Gegend häufig wachsen, ließ sich daselbst ein hübsches, bequemes Landhaus bauen, neben dem Hause einen schönen Garten anlegen und mitten in demselben (weil er an fließendem Wasser keinen Mangel hatte) einen großen, klaren Fischteich nach unserer Art, welchen er mit allerlei schmackhaften Fischen besetzen ließ. Indem er sich hier die Verschönerung seines Gartens zum einzigen Geschäfte machte, traf es sich, daß König Karl in der heißen Jahreszeit sich nach Castell' a Mare begab, um daselbst eine Zeitlang auszuruhen. Weil er nun von dem schönen Garten des Herrn Neri hörte, bekam er Lust, ihn zu sehen, und da man ihm gesagt hatte, wem er war, so glaubte er, weil er von der gegenseitigen Partei war, mit ihm desto weniger Umstände machen zu können, und ließ ihm sagen, er wolle am folgenden Abend nebst vier Kavalieren in seinem Garten mit ihm zu Nacht essen.

Dem Herrn Neri war dieses sehr lieb; er ließ alles auf's Herrlichste zubereiten und traf mit den Seinigen Anstalten, um dem Könige den Empfang in seinem schönen Garten recht angenehm zu machen. Nachdem der König den ganzen Garten und das Haus besehen und alles sehr schön gefunden hatte, fand er die Tafel neben dem Fischteiche gedeckt und setzte sich nach dem Händewaschen an einer Seite derselben nieder. Dem Grafen Guido von Montfort, einem der Kavaliere, die mit ihm gekommen waren, befahl er, sich an der einen Seite neben ihm zu setzen und an der anderen mußte Herr Neri Platz nehmen. Die übrigen drei Herren mußten auf seinen Befehl nach der Anweisung des Herrn Neri bei der Tafel aufwarten. Die niedlichsten Speisen wurden aufgetragen, die Weine waren von den besten und köstlichsten, und alles ging mit der schönsten und löblichsten Ordnung zu, ohne alles Geräusch und Verwirrung, welches dem Könige ungemein gefiel. Indem er nun an der Tafel saß und sich in der lieblichen Einsiedelei recht wohl behagte, traten zwei junge Mädchen von ungefähr fünfzehn Jahren in den Garten, deren goldene Locken in feinen Ringeln ihre Schultern umflossen und mit leichten ländlichen Kränzen gekrönt waren. Ihre Angesichter glichen an Zartheit der Züge und Farbe mehr Engeln als Menschen, und ihre schneeweißen Kleider von der allerfeinsten Leinwand schlossen auf der bloßen Haut vom Gürtel aufwärts fest an, indes sie sich nach unten erweiterten und bis über die Schenkel hinabreichten. Die eine trug ein paar Hamen auf der Schulter, die sie mit der Linken faßte, und in der Rechten hielt sie eine lange Stange. Die andere, welche ihr nachfolgte, hatte auf der linken Schulter eine Pfanne, unter dem Arm ein Reisigbündel, in der Hand einen Dreifuß und in der Rechten einen Ölkrug und eine kleine brennende Fackel.

Der König verwunderte sich, wie er die Mädchen kommen sah, und war begierig, zu sehen, was dieses zu bedeuten hatte. Indem die Mädchen sich näherten, bogen sie ehrerbietig und bescheiden die Knie vor dem Könige und gingen nach der Treppe, wo man in den Teich hinabstieg. Die eine, welche die Pfanne trug, setzte dieselbe nebst den übrigen Sachen nieder, nahm die Stange von der andern und beide stiegen hinab in das Wasser, welches ihnen bis an die Brust reichte. Einer von den Dienern des Herrn Neri zündete eiligst Feuer an, setzte die Pfanne auf den Dreifuß, that Öl hinein und wartete, daß die Mädchen ihm Fische zuwürfen. Die eine jagte mit ihrer Stange die Fische aus ihren Schlupfwinkeln ihrer Schwester zu, und diese fing sie, zur nicht geringen Ergötzung des Königs, mit ihrem Hamen auf, und so erhielten sie in der Geschwindigkeit eine große Menge Fische, welche der Diener fast lebendig in die Bratpfanne that, indes die Mädchen von Zeit zu Zeit einige von den schönsten dem König, dem Grafen Guido und ihrem Vater zuwarfen. Der König belustigte sich, die Fische auf der Tafel herumspringen zu sehen und sie freundlich scherzend den Mädchen wieder zuzuwerfen, und dieser Scherz ward so lange fortgesetzt, bis der Diener alle diejenigen gebraten hatte, die ihm waren gegeben worden. Diese wurden jedoch mehr als ein Zwischengericht aufgetragen, als daß sie eine Hauptschüssel hätten vorstellen sollen. Wie die Mädchen fanden, daß die Fische fertig waren und wie sie genug gefischt hatten, stiegen sie wieder aus dem Wasser, in welchem ihr feines leichtes Gewand sich so fest an ihre schönen, zarten Glieder angelegt hatte, daß es fast keine einzige ihrer Schönheiten mehr verhüllte. Jede von ihnen hob die Geräte wieder auf, die sie mitgebracht hatte, ging züchtig errötend an dem Könige vorüber und begab sich wieder nach Hause.

Der König, der Graf und die dienenden Kavaliere hatten die liebenswürdigen Mädchen aufmerksam betrachtet und ihre Schönheit und reizende Gestalt und nicht weniger ihre Anmut und Artigkeit heimlich bewundert; vorzüglich aber war der König von ihnen ganz entzückt worden. Er hatte in dem Augenblicke, da sie aus dem Wasser stiegen, einen jeden ihrer Reize mit einem so aufmerksamen Staunen gemustert, daß er nichts würde gefühlt haben, wenn man ihn auch mit Nadeln gestochen hätte. und je mehr er an sie dachte, ohne jedoch zu wissen, wer sie wären, um so lebhafter erwachte in seinem Herzen die Begierde, ihnen zu gefallen, und ließ ihn deutlich genug merken, daß er Ursache hätte, sich in acht zu nehmen, um nicht verliebt zu werden; inzwischen wußte er selbst nicht, welcher von beiden er den Vorzug geben sollte, so sehr waren sie in allen Dingen einander ähnlich. Nachdem er eine zeitlang darüber hin und her gedacht hatte, fragte er endlich den Herrn Neri, wer die beiden Jungfrauen wären?

»Sire (antwortete Herr Neri), sie sind meine Töchter und Zwillingsgeschwister. Die eine nennt man Ginevra die Schöne, und die andere Isotta die Goldlockige.«

Der König rühmte sie sehr und ermahnte ihn, sie zu verheiraten, worauf aber Herr Neri so viel wie möglich vermied, eine bestimmte Antwort zu geben. Indem nun die Mahlzeit bis auf den Nachtisch vorbei war, kamen die beiden Jungfrauen wieder, in schönen seidenen Gewändern, mit zwei großen silbernen Schüsseln, gefüllt mit allerlei Früchten, welche die Jahreszeit darbot, und stellten sie vor dem Könige auf die Tafel. Darauf traten sie einige Schritte zurück und sangen ein Lied; welches mit den Worten anfing:

Wie weit Du, Liebe, mich gebracht,
Das ist fürwahr nicht leicht gesagt,

mit so vieler Anmut und Lieblichkeit, daß der König, der sie mit Wonne betrachtete und zuhörte, glaubte, alle Scharen der Engel wären vom Himmel herabgekommen, um ihm vorzusingen. Wie sie gesungen hatten, neigten sie sich ehrerbietig und baten den König um Urlaub, den er ihnen auch mit freundlicher Miene erteilte, obwohl es ihm innerlich leid war, daß sie sich entfernten.

Nach geendigtem Gastmahl stieg der König mit seinen Begleitern zu Pferde und kehrte mit ihnen unter allerlei Gesprächen nach seinem Hoflager zurück. Er verschwieg seine Empfindungen; da er aber, ungeachtet der wichtigsten Staatsangelegenheiten, die ihn beschäftigten, die Anmut und die Reize der schönen Ginevra nicht vergessen konnte, um derentwillen er auch ihre Schwester, die ihr so sehr ähnlich war, mit liebte, verwickelte er sich dergestalt in dem Netze der Liebe, daß er fast an nichts anderes denken konnte und deswegen unter allerlei Vorwand einen beständigen Umgang mit Herrn Neri unterhielt und ihn fleißig in seinem schönen Garten besuchte, um die liebenswürdige Ginevra zu sehen.

Wie er es endlich nicht länger aushalten konnte, und weil er kein anderes Mittel wußte, kam er auf den Einfall, nicht nur Ginevra, sondern auch zugleich ihre Schwester dem Vater zu entführen, er entdeckte dem Grafen Guido sowohl seine Liebe, als seine Absicht. Da der Graf aber ein rechtschaffener Mann war, so gab er ihm zur Antwort: »Sire, ich wundere mich über das, was Ihr mir sagt, und ich verwundere mich darüber mehr als ein anderer, je genauer ich glaube, Eure Gesinnungen von Jugend auf gekannt und aufmerksamer, als irgend ein anderer, beobachtet zu haben. Da ich nun in Euren Jugendjahren, in welchen sich die Liebe am leichtesten ihrer Beute bemächtigt, nie bemerkt habe, daß ihr mit dieser Leidenschaft bekannt wäret, so kommt es mir jetzt, da ihr dem Alter entgegen geht, so fremd und sonderbar vor, Euch sagen zu hören, daß Ihr verliebt seid, daß ich es fast für ein Wunder halten muß; und wenn es mir zukäme, Euch darüber Vorstellungen zu machen, so wüßte ich wohl, was ich Euch sagen würde, wenn ich bedenke, daß Ihr Euch noch mit den Waffen in der Hand in einem neueroberten Reiche befindet, mitten unter einem fremden Volke voll List und Ränke, überhaupt mit Sorgen und Unruhen, und mit den wichtigsten Staatsgeschäften, daß Ihr noch nicht einmal einen bleibenden Wohnsitz habt wählen können, und daß Ihr bei dem allen dem Reiz der verführerischen Liebe Raum gegeben habt. Das heißt nicht handeln wie ein großmütiger König, sondern wie ein schwacher Jüngling. Ja, was noch mehr ist, Ihr sagt, Ihr habt Euch vorgenommen, diesem ehrlichen Ritter seine beiden Töchter zu rauben, nachdem er Euch in seinem Hause gastfrei bewirtet und, um Euch recht hoch zu ehren, Euch seine Kinder fast nackend gezeigt hat, um Euch seine völlige Zuversicht zu beweisen, und daß er Euch wie einen König und nicht wie einen raubgierigen Wolf betrachtet. Habt Ihr denn schon so bald vergessen, daß die Gewaltthätigkeiten, welche Manfredi gegen die Weiber ausgeübt hat, Euch zuerst den Weg zum Throne dieses Reiches gebahnt haben? Könnt Ihr Euch eines Verbrechens schuldig machen, welches der ewigen Strafe mehr wert ist, als wenn Ihr demjenigen, der Euch ehret, seine Ehre, seine Hoffnungen und seinen Trost zu rauben trachtet? Was würde man von Euch sagen, wenn Ihr so handeln wolltet? Ihr glaubt vielleicht, es sei genug zu Eurer Entschuldigung, wenn Ihr sagt: Ich that dieses, weil er ein Ghibelline ist. Aber ziemt es denn einem gerechten Könige, diejenigen, die sich ihm selbst in die Arme werfen, auf solche Art zu behandeln, sie mögen sein, wer sie wollen? Ich gebe es Euch zu bedenken, Sire, daß es Euch zwar zum großen Ruhm gereicht, den Manfredi überwunden zu haben; daß es aber noch weit rühmlicher ist, sich selbst zu überwinden und da Ihr andere zur Ordnung anhalten sollt, so beherrschet Euch selbst, zähmet Eure Begierden und verdunkelt nicht mit einem solchen Flecken den glänzenden Ruhm, den Ihr Euch erworben habt.«

Diese Worte drangen dem Könige durch's Herz, und er fühlte sie um desto tiefer, je heller ihm ihre Wahrheit in die Augen leuchtete. Mit einem schweren Seufzer gab er zur Antwort: »Graf, es ist wahr, daß es dem wohlgeübten Helden weit leichter ist, einen jeden anderen Feind, er sei so mächtig, wie er wolle, zu überwinden, als seine eigenen Begierden. Allein so schwer auch der Kampf und so unerschwinglich auch die dazu erforderlichen Kräfte sein mögen, so habt Ihr mich doch durch Eure Worte dergestalt angespornt, daß ich nicht säumen darf, Euch in wenigen Tagen durch die That zu überzogen, daß ich mich eben so wohl beherrschen, als andere überwinden kann.«

Es verstrichen auch wirklich nur wenige Tage, so ging der König nach Neapel zurück, und teils um den Ritter für die ihm bewiesene Ehrerbietung zu belohnen, teils um sich selbst die Veranlassung zu irgend einer unedlen Handlung zu benehmen, entschloß er sich (so schwer es ihm auch ward, andere in den Besitz desjenigen zu setzen, was er selbst so sehnlich begehrt hatte), die beiden Jungfrauen zu verheiraten, und zwar nicht wie die Töchter des Herrn Neri, sondern als wenn sie seine eigenen Prinzessinnen wären. Er stattete sie mit Genehmigung ihres Vaters königlich aus und gab Ginevra die Schöne dem Herrn Masseo da Palizzi und Isotta die Goldlockige dem Herrn Guilielmo della Magna, zweien edlen Rittern und angesehenen Baronen zu Gemahlinnen, und nachdem er sie ihnen überantwortet hatte, ging er mit schwerem Herzen nach Puglia, und bändigte durch unablässige Anstrengung seine Begierden dergestalt, daß er die Fesseln der Liebe gänzlich zerbrach und hernach zeitlebens frei von dieser Leidenschaft blieb.

Manche werden vielleicht sagen, daß es für einen König nur eine Kleinigkeit war, ein Paar Mädchen auszustatten, und dieses will ich gerne einräumen; allein ich behaupte, daß es außerordentlich edel gehandelt war, wenn wir bedenken, daß ein verliebter König seine Geliebte vermählte, ohne die Frucht oder auch nur die Blüte seiner Liebe zu genießen. Und so handelte dieser großmütige König, indem er den edlen Ritter fürstlich belohnte, die geliebten Mädchen zu großen Ehren erhob und sich selbst mannhaft überwand.

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