Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Dreiunddreißigste Erzählung.

Marseille ist eine alte und vortreffliche Stadt an der Seeküste der Provence, doch zählte sie in früheren Zeiten weit mehr reiche Einwohner und angesehene Kaufleute, als heutigen Tages. Unter diesen befand sich einer namens Arnaud Claude, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein wohlbeglaubter und redlicher Handelsmann und dabei unermeßlich reich an Geld und Gütern. Er hatte mit seiner Frau verschiedene Kinder, von welchen die ältesten drei Töchter waren. Zwei von ihnen waren Zwillingsschwestern, fünfzehn Jahre alt, und die dritte von vierzehn Jahren. Um sie zu verheiraten, wartete man nur auf die Wiederkehr ihres Vaters, welcher mit Waren nach Spanien verreist war. Die zwei ältesten Schwestern hießen Ninette und Madelon und die jüngste Berthole. Ninette wurde von einem jungen adeligen, aber nicht reichen Manne, namens Restagnon, auf's Zärtlichste geliebt und sie liebte nicht weniger, als er; beide hatten ihre Maßregeln so schlau genommen, daß sie sich insgeheim ihrer Liebe erfreuten, ohne daß jemand etwas davon erfuhr. Sie hatten sich schon eine geraume Zeit ungestört geliebt, wie sich zwei andere junge Gesellen, mit Namen Fouques und Hügues, welchen ihre Väter ansehnliche Reichtümer hinterlassen hatten, der eine in Madelon und der andere in Berthole verliebten. Wie Restagnon dieses von Ninette erfuhr, machte er sich alsobald Hoffnung, in dem Überfluß der anderen ein Mittel zu finden, seinem Mangel abzuhelfen und sein Liebesverständnis zu einem erwünschten Zweck zu führen. Er suchte demnach ihre Bekanntschaft, begleitete bald den einen, bald den anderen, bald alle beide, wenn es sich fügte, zu ihren Geliebten und zu der seinigen und wie er glaubte, sich in ihrer Freundschaft und in ihrem Zutrauen vollkommen festgesetzt zu haben, bat er sie einst zu sich in seine Wohnung und sagte zu ihnen: »Liebe Freunde, unser Umgang wird Euch bereits überzeugt haben, wie sehr ich Euch ergeben bin und daß ich gerne Alles für Euch zu thun bereit bin, was ich nur für mich selbst thun kann. Weil Ihr mir nun so lieb seid, so will ich Euch auch frei entdecken, was mir eingefallen ist und dann mögt Ihr entscheiden, was für Maßregeln wir gemeinschaftlich nehmen wollen. Wenn Eure Reden nicht lügen, und wenn ich mich in Eurem täglichen Betragen nicht irre, so seid Ihr beide in Eure Mädchen ebenso aufrichtig verliebt, wie ich in ihre älteste Schwester. Wollt Ihr mit mir gemeinschaftliche Sache machen, so stehe ich Euch dafür, daß ich Euch das süßeste und angenehmste Mittel verschaffen will, Eure Liebe zu krönen. Ihr seid beide sehr reiche, junge Leute; ich aber bin nicht reich. Wenn Ihr nun Eure Schätze zusammenwerfen, mich zum dritten Mitbesitzer derselben machen und beratschlagen wolltet, in welchem Teile der Welt wir mit unseren Mädchen am vergnügtesten leben könnten, so meine ich es unfehlbar zuwege bringen zu können, daß die drei Schwestern mit einem großen Teile der väterlichen Schätze mit uns gehen, wohin wir wollen, und daß wir wie Brüder, ein Jeder mit seiner Geliebten, vergnügter als andere junge Leute leben können. Es steht nun bei Euch, ob Ihr Euch dieses Glück verschaffen wollt oder nicht.«

Wie die beiden äußerst verliebten Jünglinge hörten, daß sie ihre Mädchen haben sollten, dachten sie an keine lange Überlegung, sondern sie sagten, wenn dieses gewiß wäre, so wären sie bereit, zu thun, was er wünschte. Restagnon hatte kaum diese Antwort erhalten, so nahm er diese erste Gelegenheit wahr, Ninette zu sprechen (welches er nicht immer ohne Schwierigkeiten erlangen konnte), und nachdem er sich ein wenig mit ihr unterhalten hatte, eröffnete er ihr den Inhalt seiner Unterredung mit den beiden anderen jungen Leuten und suchte manche Gründe hervor, um ihr den gemachten Entwurf zu empfehlen. Doch es ward ihm nicht schwer, sie zu überreden, da sie noch mehr vor Begierde brannte, sich mit ihm in Freiheit zu setzen, als er selbst. Sie gestand ihm vielmehr gerne, daß ihr der Vorschlag gefiele und daß ihre Schwestern ebenfalls in allen Dingen und besonders in diesem ihrer Leitung gerne folgen würden; deswegen sie ihn bat, alles Nötige zu diesem Behuf nur so schnell, als möglich, zu veranstalten.

Wie Restagnon wieder zu seinen Gesellen kam, fand er sie ebenso voll Verlangen, seinen Vorschlag in Ausführung zu bringen, und sie freuten sich, wie sie von ihm vernahmen, daß die Sache mit ihren Mädchen in Richtigkeit gebracht wäre. Es ward demnach beschlossen, daß sie alle nach Kreta gehen wollten; sie verkauften deswegen ihre liegenden Gründe, unter dem Vorwande, ihr Geld im Handel anzulegen, und wie sie alle ihre Habseligkeiten zu Gelde gemacht hatten, kauften sie ein leichtes Fahrzeug, welches sie in aller Stille wohl bemannten und bewaffneten und den Tag der Abreise mit ihren Mädchen verabredeten. Ninette, welche den Wunsch ihrer Schwestern kannte, wußte ihn mit süßen Worten dergestalt anzufachen und sie für den gemachten Entwurf einzunehmen, daß diese schier fürchteten, den Tag der Ausführung nicht zu erleben. Wie demnach der Abend kam, welcher zur Einschiffung festgesetzt war, entwandten die Mädchen aus dem Schatzkasten ihres Vaters eine große Summe an Geld und Kostbarkeiten, womit sie sich alle drei heimlich aus dem Hause schlichen und sich, der Abrede gemäß, zu ihren Liebhabern begaben, welche sie erwarteten und unverzüglich mit ihnen an Bord gingen, die Ruder lösten und davon fuhren, und nirgends anlegten, bis sie am folgenden Abend Genua erreichten, wo die neuen Liebhaber die ersten Früchte ihrer Liebe ernteten. Nachdem sie die nötigen Erfrischungen eingenommen hatten, gingen sie weiter von einem Hafen zum anderen, bis sie am achten Tage auf Kreta ankamen, wo sie schöne und beträchtliche Güter kauften und sich in der Nachbarschaft von Kandia sehr angenehm und prächtig anbauten, ein großes Gefolge von Dienern, Jägern und Falknern unterhielten, und wie vornehme Standespersonen mit ihren Damen in beständigen Festen und Schmausen das herrlichste Wohlleben führten.

Wir sehen jedoch täglich, daß dasjenige, was uns am meisten Vergnügen macht, wenn wir es in gar zu großem Übermaße genießen, uns oft am ersten Überdruß verursacht; und so ging es auch dem Restagnon, welcher Ninette sonst äußerst zärtlich geliebt hatte, jetzt aber, da seinem Genusse nichts mehr im Wege stand, ihrer überdrüssig und folglich in seinem Betragen gegen sie laulich ward. Dagegen war ihm bei einem gewissen Gastmahle ein schönes und artiges Mädchen von den Töchtern des Landes in die Augen gefallen, um dessen Gunst er sich mit allem Eifer bewarb und welchem zu Ehren er große Feste und Festlichkeiten anstellte; worüber Ninette so eifersüchtig ward, daß sie jeden seiner Schritte beobachtete und ihn dann mit beständigen Vorwürfen quälte. Sowie aber der gar zu reiche und reichliche Genuß ermüdet, so vermehrten die Hindernisse den Reiz der Begierden, und so diente auch Ninette's Eifersucht nur, um bei Restagnon die Flamme seiner neuen Liebe noch heftiger anzuschüren. Ob nun Restagnon in der Folge bei seiner neuen Geliebten wirklich Gehör fand oder nicht, genug, es ward Ninette wenigstens hinterbracht, und sie hielt es für gewiß, worüber sie in große Betrübnis, aus der Betrübnis in Zorn und zuletzt in solche Wut geriet, daß ihre Liebe zu Restagnon sich in den bittersten Haß verwandelte, und daß sie, von ihrer Eifersucht verblendet, sich entschloß, den Schimpf, den sie glaubte erlitten zu haben, durch seinen Tod zu rächen. Sie bewegte demnach durch Geschenke und Versprechungen eine alte Griechin, die eine Meisterin im Giftmischen war, einen tödlichen Trank zu bereiten, welchen sie ohne weitere Ueberlegung dem Restagnon, der sich nichts Böses versah, an einem Abend, wie er erhitzt nach Hause kam und durstig war, zu trinken gab. Das Gift wirkte so schnell, daß er auch noch vor dem anderen Morgen seinen Geist aufgab. Wie Fouques und Hügues und ihre Liebhaberinnen seinen plötzlichen Tod erfuhren, beweinten sie mit Ninette ihren Freund und Schwager, argwöhnten aber nichts von der Vergiftung und ließen ihn anständig begraben. Allein nicht lange darnach ward die Alte wegen einer anderen Übelthat eingezogen und bekannte auf der Folter unter mehreren Frevelthaten auch diese, daß sie für Ninette einen Gifttrank bereitet hätte, und so kam auch Ninette's Verbrechen an den Tag. Der Herzog von Candia ließ davon nichts öffentlich verlauten, sondern ließ an einem Abend den Palast der Geschwister in aller Stille besetzen und Ninette ohne Geräusch und Widerstand aufheben und in's Gefängnis bringen. Diese gestand auch ohne Zwangmittel alles, was der Herzog von der Ursache des Todes ihres Liebhabers zu wissen verlangte. Fouques und Hügues wurden indessen unter der Hand von dem Herzoge benachrichtigt, aus welcher Ursache er ihre Schwägerin hätte einziehen lassen; sie sagten es auch den beiden Schwestern und alle wurden darüber auf's schmerzlichste betrübt, doch wünschten sie sehr, ihre Schwester vom Scheiterhaufen zu retten, welcher ihr wahrscheinlich bevorstand und welchen sie auch reichlich verdient hatte; allein es schien, daß alle ihre Mühe vergeblich wäre, weil der Herzog darauf bestand, strenge Gerechtigkeit an ihr auszuüben.

Madelon war ein reizendes Geschöpf. Schon längst hatte sie der Herzog mit lüsternen Augen angesehen, aber nie etwas von ihr erlangen können. Jetzt kam sie auf den Gedanken, daß sie vielleicht ihre Schwester vom Feuer erretten könnte, wenn sie seine Liebe begünstigte, und sie ließ ihm demnach unter der Hand Hoffnung machen, daß sie sich ihm ergeben würde, wenn er ihre Schwester auf freien Fuß stellen und ihr selbst unverbrüchliche Verschwiegenheit versprechen wollte. Der Herzog stand lange Zeit bei sich an, ehe er sich entschließen konnte, in den Vertrag zu willigen; doch endlich siegte seine Leidenschaft, und er gab seine Einwilligung. Er ließ demnach mit Madelons Genehmigung den Fouques und Hügues, unter dem Vorwande, sie gerichtlich zu verhören, an einem Abend in Verwahrung bringen und sich unterdessen heimlich von ihr beherbergen. Ninette hatte er vorher zum Schein in einen Sack thun lassen, als ob sie sollte ersäuft werden; er brachte sie aber insgeheim mit sich zu ihrer Schwester und schenkte sie dieser zum Lohn für die Nacht. Am folgenden Morgen bat er sie, diese erste Nacht ihres Liebesverständnisses nicht die letzte sein zu lassen und ihre strafbare Schwester in der Stille zu entfernen, damit sie ihm nicht zum Vorwurf gereichen und damit er nicht gezwungen werden möchte, von neuem mit Strenge gegen sie zu verfahren. Am folgenden Tage wurden Fouques und Hügues wieder entlassen, und man sagte ihnen, Ninette sei gesäckt worden; sie glaubten es auch und gingen nach Hause, um ihre Liebhaberinnen über den Tod ihrer Schwester zu trösten. Allein so vorsichtig Madelon sich auch bemühte, sie verborgen zu halten, so ward sie doch Fouques gewahr und verwunderte sich sehr darüber. Weil er nun schon gehört hatte, daß der Herzog in Madelon verliebt wäre, so schöpfte er Verdacht und fragte sie, wie es zuginge, daß Ninette sich in ihrem Hause befände. Madelon wußte ihm zwar aus dem Stegreif eine lange Fabel darüber zu erzählen; allein, er war zu schlau und glaubte kein Wort davon, vielmehr drang er noch heftiger in sie, ihm die Wahrheit zu gestehen. Nachdem sie allerlei Ausflüchte vergeblich versucht hatte, gestand sie endlich alles. Vor Schmerz und Wut auf einmal außer sich, zog Fouques sein Schwert, achtete nicht ihres Flehens um Gnade, und durchbohrte ihr die Brust. Hierauf ergriff ihn die Furcht vor dem Zorn und der Rache des Herzogs; er ließ also Madelons Leichnam liegen, eilte zu Ninette, nahm eine unbefangene Miene an und sagte zu ihr: »Laß Dich augenblicklich von mir nach dem Ort geleiten, welchen Dir Deine Schwester zum Aufenthalte bestimmt hat, damit Du dem Herzoge nicht wieder in die Hände fallest.«

Ninette glaubte ihm, ihre Furcht gebot ihr zu eilen und sie dachte nicht daran, von ihrer Schwester Abschied zu nehmen, indem sie des Abends mit Fouques aus dem Hause ging. Fouques nahm soviel Geld mit, als er in der Geschwindigkeit bei der Hand hatte, welches nicht viel betrug; sie gingen an's Ufer und bestiegen ein Schiff, und man hat nie erfahren, was weiter aus ihnen geworden ist.

Wie der Morgen anbrach, und Madelon tot gefunden ward, gab es einige Leute, welche aus Neid und Feindschaft gegen Hügues den Herzog sogleich davon benachrichtigten. Dieser Fürst, welcher die Madelon leidenschaftlich geliebt hatte, eilte nach ihrem Hause und ehe noch Hügues und Berthole wußten, daß Madelon tot und Fouques mit Ninette entflohen war, ließ er sie beide in's Gefängnis setzen und zu dem Bekenntnis zwingen, daß sie ihrem Schwager behülflich gewesen wären, die Madelon zu ermorden. Da ihnen nun dieses Bekenntnis unfehlbar das Leben kosten mußte, so bestachen sie, nicht ohne viele Mühe, ihre Wächter mit einer Summe Geldes, die sie für den Notfall heimlich mitgenommen hatten, mit ihnen zu entwischen. Sie hatten nicht Zeit, das Geringste von dem Ihrigen mitzunehmen, sondern bestiegen nur in der größten Eile ein Boot und flohen bei Nacht und Nebel nach Rhodus, wo sie in Kummer und Elend nur eine kurze Zeit ihr Leben fristeten.

So brachte Restagnon durch seine ungeziemende Liebe und Ninette durch ihre Eifersucht sich und die Ihrigen in Jammer und Unglück.

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