Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Zweiundachtzigste Erzählung.

In der Lombardei liegt ein wegen seiner frommen und gottesfürchtigen Bewohnerinnen sehr berühmtes Kloster, in welchem unter mehreren Nonnen sich ein junges Mädchen von edler Abkunft und von bewunderungswürdiger Schönheit befand, namens Lisabetta, die sich bei einem Besuche, den sie einst von einem ihrer Verwandten am Gitter empfing, in einen schönen Jüngling verliebte, welcher mit ihm gekommen war. Den Jüngling reizte ihre Schönheit nicht weniger, und da ihre Blicke ihm ihre Wünsche verrieten, so ward er ebenfalls in sie verliebt. Eine Zeit lang mußten sie zu ihrem großen Schmerz ihre Flamme fruchtlos nähren; doch da sie beiderseits weder Fleiß noch Eifer sparten, so gelang er endlich dem Jünglinge, sich einen geheimen Zugang zu seinem Nönnchen zu verschaffen, und sie hernach mehrmals zu ihrem beiderseitigen Vergnügen zu besuchen. Indem sie diesen Umgang fortsetzten, traf es sich jedoch einmal, daß eine andere Nonne den Jüngling in der Nacht gewahr ward, wie er Lisabetta eben verließ, und weder er, noch sie argwöhnten, daß sie bemerkt wurden. Sie sagte es noch einigen anderen Nonnen und diese waren zuerst willens, sie sogleich bei ihrer Äbtissin, Madonna Usimbalda, die von allen, welche sie kannten, für eine sehr gute, fromme Frau gehalten ward, anzugeben. Hernach aber meinten sie, es wäre besser, sie von der Äbtissin selbst mit ihrem Liebhaber ertappen zu lassen, damit sie sich nicht auf's Leugnen legen könnte. Sie schwiegen demnach und wachten und lauerten wechselweise heimlich, um sie zu überraschen. Da Lisabetta sich nichts arges versah und von nichts wußte, so ließ sie eines Abends ihren Liebhaber wieder zu sich kommen, welches alsobald von denjenigen, welche die Wache hatten, bemerkt ward. Diese verteilten sich, sobald es tief genug in der Nacht war, in zwei Parteien, von welchen die eine den Ausgang aus Lisabetta's Zelle bewachte, und die andere eilte nach dem Zimmer der Äbtissin. Sie klopften so lange an ihre Thüre, bis sie antwortete, und sagten: »Madonna, steht geschwind auf, wir finden, daß Lisabetta einen jungen Menschen bei sich in ihrer Zelle hat.«

Die Äbtissin hatte diese Nacht einen Priester bei sich, welchen sie in einem Kasten zu sich tragen ließ. Wie sie das Klopfen hörte und befürchtete, daß die Nonnen vor lauter Eifer die Thüre aufsprengen möchten, wenn sie nicht eilte, sprang sie geschwind aus dem Bette, kleidete sich im Finstern an, so gut sie konnte, und indem sie glaubte, ihre Kappe aufzusetzen, ergriff sie aus Versehen die Hosen des Priesters, stülpte sie eilends über ihren Kopf, ging hinaus und schloß die Zelle hinter sich zu und sagte: »Wo ist diese vermaledeite Sünderin?« Die anderen, die auf nichts erpicht waren, als Lisabetta auf der That zu ertappen, gaben nicht Achtung auf den Kopfputz ihrer Äbtissin, die mit ihnen nach Lisabetta's Zelle eilte; die Thür ward aufgesprengt, und wie sie hineinkamen, fanden sie das verliebte Paar in zärtlicher Umarmung. Diese erstaunten so sehr über den unvermuteten Überfall, daß sie vor Schrecken wie versteinert waren. Die Nonnen bemächtigten sich augenblicklich des Mädchens und führten sie auf Befehl der Äbtissin vor das Kapitel. Der Jüngling blieb indessen zurück, kleidete sich an und erwartete den Ausgang der Sache, entschlossen, denjenigen übel mitzuspielen, die sich an seiner Geliebten vergreifen würden, und diese alsdann mit Gewalt zu entführen. Wie die Äbtissin in dem Kapitel den Vorsitz unter allen ihren Nonnen eingenommen hatte und die Blicke aller Nonnen gänzlich auf die Angeklagte geheftet waren, fing sie an, diese mit den schrecklichsten Vorwürfen zu überhäufen, daß sie die Heiligkeit, die Ehrbarkeit und den guten Ruf des Klosters durch ihre ungeziemende und schändliche Aufführung befleckt hätte, und sie begleitete ihre Vorwürfe zugleich mit den fürchterlichsten Drohungen.

Das arme, erschrockene und beschämte Nönnchen, welches sich schuldig fühlte, dachte an keine Antwort, sondern suchte nur durch ihr geduldiges Stillschweigen die anderen Nonnen zum Mitleiden zu bewegen. Darüber ward die Äbtissin noch immer lauter, so daß die Beklagte endlich die Augen aufschlug und den Kopfputz der Äbtissin gewahr ward, und die Kniebänder an den Hosen, die ihr an beiden Seiten auf die Achseln hinunter hingen. Wie sie sah, was es war, gewann sie auf einmal ein Herz und sagte: »Madonna, um Gottes willen, knüpft doch nur erst Euer Kopfzeug fest und sagt mir hernach, was Ihr wollt.«

Die Äbtissin, die nicht wußte, was ihre Rede sagen wollte, fuhr sie an: »Was schwatzest Du von Kopfzeug, lasterhaftes Geschöpf? Hast Du noch die Unverschämtheit, zu spotten? Oder meinst Du Dich so aufgeführt zu haben, daß Du noch scherzen darfst?«

Das Nönnchen antwortete ihr noch einmal: »Madonna, ich bitte Euch, knüpft die Bänder an Eurem Kopfzeuge fest, ehe Ihr mir etwas Weiteres sagt.«

Jetzt richteten einige von den Nonnen ihre Blicke auf die Äbtissin, und sie selbst fühlte mit ihren Händen und begriff nunmehr die Meinung der Worte, die Lisabetta gesprochen hatte. Weil sie sich getroffen fühlte und fand, daß ihr keine Ausflüchte gegen dasjenige helfen konnten, was alle Nonnen gesehen hatten, veränderte sie ihre Sprache, zog gelindere Saiten auf und gestand am Ende, daß es eine schwere Sache wäre, dem Stachel des Fleisches zu widerstehen. Sie erlaubte demnach einer jeden, sich im stillen ihren Zeitvertreib zu verschaffen, wenn sie könnten, welches auch bis auf diesen Tag geschehen war. Sie entließ das Nönnchen, begab sich mit ihrem Priester wieder zu Bette, und Lisabetta verfügte sich gleichfalls wieder zu ihrem Liebhaber, welcher sie trotz denen, die sie darum beneideten, noch oft besuchte. Die anderen, die keinen Liebhaber hatten, suchten insgeheim so gut sie konnten, ihren Bedürfnissen abzuhelfen.

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