Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Zweiundneunzigste Erzählung.

Als Ghino di Tacco, welcher wegen seiner Gewalttätigkeiten und Räubereien berüchtigt genug gewesen ist, aus Siena verbannt und mit dem Grafen Santafiore in Fehde begriffen war, wiegelte er Radicofani gegen den päpstlichen Stuhl auf und ließ, so lange er sich daselbst aufhielt, durch seine Schnapphähne alle und jede Vorbeireisenden berauben.

Zu dieser Zeit war Bonifaz der Achte Papst in Rom, und der Abt von Cligny, welcher für einen der reichsten Prälaten in der Welt gehalten ward, kam an seinen Hof, und wie er sich einst den Magen verdorben hatte, rieten ihm die Ärzte, nach den Bädern von Siena zu gehen, die ihn gewiß wieder gesund machen würden. Wie er die Erlaubnis dazu vom Papst erhalten hatte, machte er sich mit einem großen Gefolge von Leuten, Pferden, Lasttieren und Gepäcken auf den Weg, ohne sich um den berüchtigten Ghino zu bekümmern.

Sobald Ghino von seinem Anzuge Nachricht bekam, lauerte er ihm auf und schloß ihn in einem engen Passe mit allen seinen Leuten bis auf den letzten Mann ein. Wie er ihn in der Falle hatte, schickte er einen von seinen verschmitztesten Knappen unter einer hinreichenden Bedeckung an den Abt und ließ ihn sehr höflich einladen, bei ihm im Schlosse einzukehren. Der Abt gab zornig zur Antwort, er wollte nicht, weil er mit Ghino nichts zu schaffen hätte, sondern er wäre entschlossen, weiter zu reisen, und er wollte sehen, wer es ihm wehren sollte.

Der Abgesandte erwiderte mit aller Höflichkeit: »Hochwürdiger Herr, Ihr seid an einen Ort gekommen, wo wir uns außer der Allmacht Gottes vor niemand fürchten und wo die Bannstrahlen und Interdikte samt und sonders in die Acht erklärt sind; Ihr werdet demnach am besten thun, Euch in diesem Stücke dem Ghino gefällig zu beweisen.«

Während dieser Unterredung hatten die Knappen des Ghino den Abt und die Seinigen bereits von allen Seiten umringt; er zog demnach, wie er sich gefangen sah, voll Unmut mit dem Abgesandten nach dem Schlosse, und seine Leute und sein Gepäck mit ihm. Hier hatte Ghino die Anstalt so getroffen, daß man den Abt ganz einsam in ein kleines, dunkles Kämmerchen des Palastes einsperrte; alle übrigen aber wurden, ein jeder seinem Range gemäß, in dem Schlosse ganz bequem untergebracht. Die Pferde und das Gepäck wurden, ohne das geringste davon anzutasten, in Sicherheit gebracht, und wie dieses geschehen war, ging Ghino selbst zu dem Abte und sprach zu ihm: »Herr Ghino, dessen Gast Ihr seid, läßt Euch bitten, ihm anzuzeigen, wohin Ihr willens wäret zu reisen und in welcher Absicht.«

Der Abt war klug genug, seinen Stolz an die Seite zu setzen und sagte zu ihm, wohin er wollte und weswegen.

Wie Ghino dieses hörte, begab er sich weg und nahm sich vor, ihn ohne Bäder gesund zu machen. Er ließ sein Kämmerchen tüchtig einheizen und wohl bewachen und kam nicht eher wieder zu ihm, als am folgenden Morgen, wo er ihm auf einem weißen Tafeltuche ein paar Schnitte geröstetes Brot vorsetzte und einen tüchtigen Becher voll Vernaccia von des Abtes eigenem Vorrat; wobei er zu ihm sagte: »Herr Abt, wie Ghino jünger war, legte er sich auf die Heilkunde und er sagt, er habe nie eine bessere Heilart für einen verdorbenen Magen gefunden, als die er bei Euch anwenden will. Die beiden Dinge, die ich Euch hier vorsetze, sollen zum Anfange dienen; nehmt sie also und habt guten Mut.«

Der Abt, der mehr Lust hatte, zu essen, als zu schwatzen, aß das Brot und trank den Wein, wiewohl nicht mit der besten Laune, und sprach hernach manches in einem hohen Tone, hatte vieles zu fragen und zu erinnern und verlangte vor allen Dingen den Ghino zu sprechen.

Ghino ließ einige Dinge, als gleichgültig, unerwidert, antwortete auf einige andere sehr höflich und versicherte, daß Ghino ihn besuchen würde, sobald er Zeit hätte. Hierauf verließ er ihn wieder, kam am folgenden Tage um dieselbe Zeit abermals mit seiner gewöhnlichen Portion Brot und Wein, und hielt ihn auf diese Weise so lange hin, bis er bemerkte, daß der Abt anfing, trockene Bohnen zu essen, die er absichtlich in der Kammer hatte liegen lassen. Wie er dieses gewahr ward, fragte er ihn in Ghino's Namen, wie er meinte, daß es nunmehr um seinen Magen stände.

Der Abt antwortet: »Ich würde glauben, mich wohl zu befinden, sobald ich nur nicht mehr in seinen Händen wäre, und nächst diesem habe ich kein größeres Verlangen, als mich einmal wieder satt zu essen; so gut finde ich mich durch seine Arznei hergestellt.«

Ghino ließ demnach mit des Abtes eigenem Geräte einen schönen Saal für ihn und seine Begleiter zurüsten und ein großes Mal bereiten, zu welchem er, außer den Leuten des Abtes auch viele Einwohner des Ortes einladen ließ. Des andern Morgens ging er zu dem Abte und sagte: »Mein Herr, da Ihr Euch wohlbefindet, so ist es Zeit, daß Ihr Euer Krankenzimmer verlaßt.« Er nahm ihn hierauf bei der Hand und führte ihn in den für ihn bereiteten Saal, wo er ihn bei seinen Leuten ließ und indessen Anstalt machte, daß es bei dem Gastmahle recht festlich zuginge. Der Abt unterhielt sich ein wenig mit den Seinigen und erzählte ihnen, wie er gelebt hätte, dagegen sie ihm alle beschrieben, wie trefflich sie von Ghino wären bewirtet worden. Wie nun die Mittagsstunde kam, ließ Ghino den Abt und die übrigen Gäste an der Tafel aufs beste bedienen, gab sich aber immer noch nicht zu erkennen. Nachdem der Abt eine gute Weile am Tische zugebracht und Ghino indessen veranstaltet hatte, daß sein übriges Gerät und Gepäck in einem anderen großen Saale aufgestellt und seine sämtlichen Pferde, bis auf das schlechteste Saumroß, in einen Hof geführt waren, welcher unter den Fenstern des Saales war, ging dieser zu dem Abte und fragte ihn, wie er sich befände, und ob er glaubte, genugsam Kräfte gesammelt zu haben, um weiter zu reisen.

Der Abt antwortete, er fühle sich stark genug und seinen Magen genugsam wieder hergestellt, und ihm würde völlig wohl sein, wenn er nur nicht mehr in der Gewalt des Ghino wäre.

Ghino führte ihn darauf in den anderen Saal, wo seine Sachen und seine Diener waren, ließ ihn an ein Fenster treten, von welchem er alle seine Pferde übersehen konnte, und sagte: »Herr Abt, Ihr müßt wissen, daß Ghino ein Edelmann ist, den seine vielen und mächtigen Feinde von Haus und Hof gejagt haben. Die Notwendigkeit, sich seiner Haut zu wehren und seine adeligen Rechte zu verfechten (und nicht der Mutwille oder böse Absichten) haben ihn gezwungen, auf der Landstraße zu rauben und sich gegen den päpstlichen Stuhl aufzulehnen. Ich selbst bin dieser Ghino. Weil Ihr mir nun ein rechtschaffener Herr zu sein scheint, so bin ich nicht Willens, nachdem ich Euch Euren Magen wieder in Ordnung gebracht habe, Euch so zu behandeln, wie ich es mit manchen Anderen machen würde, wenn ich ihn so, wie Euch, in meine Gewalt bekäme, und dem ich ein Lösegeld nach meinem Gefallen vorschreiben würde; sondern ich bitte Euch nur, mir in Rücksicht auf meine Umstände so viel von den Eurigen mitzutheilen, als Euch selbst beliebt. Hier seht Ihr alle Eure Sachen vor Euch, und aus diesem Fenster könnt Ihr im Hofe Eure Pferde sehen. Nehmt demnach so viel Ihr wollt, davon zurück, ja nehmet Alles, wenn es Euch gefällt, und bedienet Euch von Stund' an Eures freien Willens, zu gehen, oder zu bleiben, wie es Euch beliebt.«

Der Abt verwunderte sich sehr, eine so biedere Sprache von einem Straßenräuber zu hören, und empfand darüber so viel Wohlgefallen, daß sein Zorn und Unwillen in einem Augenblicke verschwanden und sich in Wohlwollen verwandelten. Er ward auf der Stelle des Ghino Freund, umarmte ihn und sagte: »Ich schwöre bei Gott, daß ich, um die Freundschaft eines solchen Mannes zu gewinnen, für welchen ich Dich jetzt halte, mir viel größere Unannehmlichkeiten würde gefallen lassen, als ich bisher glaubte, von Dir erlitten zu haben. Verwünscht sei die Ursache, die Dich gezwungen hat, ein so schmähliches Gewerbe zu ergreifen!«

Nach diesen Worten ließ er von seinem beträchtlichen Gepäcke nur ein weniges, ingleichen nur die nothwendigsten Pferde nehmen, ließ alles Uebrige dem Ghino und kehrte nach Rom zurück. Der Papst hatte von der Aufhebung des Abtes schon gehört, und obwohl es ihn sehr verdroß, so konnte er sich doch nicht enthalten, ihn zu fragen, wie ihm das Bad bekommen wäre.

Lächelnd antwortete der Abt: »Heiliger Vater, ich habe viel näher, als bei den Bädern, einen trefflichen Arzt gefunden, der mich vollkommen wieder hergestellt hat.« Er erzählte ihm hierauf, wie es ihm gegangen war. Der Papst lachte darüber und der Abt, von Edelmuth getrieben, bat sich in der Folge des Gesprächs eine Gnade von ihm aus. Der Papst, der sich ganz etwas Anderes vermuthete, versprach ihm willig, sein Begehren zu erfüllen, worauf der Abt sagte: »Heiliger Vater, was ich von Euch bitten will, ist, daß Ihr meinen Arzt, Ghino di Tacca, zu Gnaden aufnehmt; denn unter allen Biedermännern, die ich je kennen lernte, ist er gewiß einer von den ersten, und das Böse, was er begeht, schreibe ich mehr auf die Rechnung des Schicksals, als auf die seinige, und wenn Ihr seine Lage verbessert, indem Ihr ihm irgend etwas anweiset, wovon er anständig leben kann, so zweifle ich nicht, daß Ihr in kurzer Zeit ebenso von ihm denken werdet wie ich.«

Wie der Papst dieses hörte, welcher selbst großmütig war und redliche Männer hochschätzte, zeigte er sich sehr bereitwillig, und sagte, wenn Ghino wirklich ein solcher Mann wäre, wie der Abt ihn beschriebe, so möchte er ihn nur auf sein Wort kommen lassen.

Ghino kam also auf Veranstaltung des Abtes unter sicherem Geleit nach Hofe. Der Papst erkannte bald seine guten Eigenschaften, nahm ihn zu Gnaden auf, ließ ihn zum Spitalritter schlagen und schenkte ihm eine Großpriorei des Ordens, die er auch als ein Diener und Freund der heiligen Kirche und des Abts von Cligny zeitlebens besaß.

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