Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Fünfundneunzigste Erzählung.

In Friaul, einem Lande, das zwar ein wenig kalt, aber voll angenehmer Gebirge, fischreicher Ströme und klarer Quellen ist, liegt eine Stadt, namens Udine, in welcher einst eine schöne und edle Dame wohnte, Dinora genannt, die Gattin eines sehr reichen Mannes, welcher Giberto hieß und ein sehr gefälliger, angenehmer Mann war. Diese Dame verdiente wegen ihrer vortrefflichen Eigenschaften die Liebe eines gewissen adeligen und angesehenen Herrn, namens Ansaldo Gradense, welcher ein allgemein beliebter Mann, und als ein tapferer Ritter und feiner Weltmann überall gleich berühmt war. Dieser liebte sie mit Inbrunst und that alles, was er konnte, um ihre Gegenliebe zu gewinnen, und schickte deswegen nicht selten Botschaften an sie; allein er gab sich vergeblich Mühe. Weil ihr nun die Bitten des Ritters endlich zur Last wurden, und weil sie fand, daß er sich nicht abhalten ließ, sie mit seiner Liebe und mit seiner Zudringlichkeit zu verfolgen, obwohl sie ihm alles abschlug, so kam sie auf den Einfall, durch eine besondere Forderung, die er nach ihrer Meinung nie würde erfüllen können, ihn sich vom Halse zu schaffen. Sie sprach demnach einst zu einer gewissen Frau, die er oft zu ihr zu schicken pflegte: »Gute Frau, Du hast mir oft versichert, daß Herr Ansaldo mich über alles liebt, und hast mir in seinem Namen sehr beträchtliche Geschenke versprochen, die er aber nur für sich behalten mag, weil sie mich nie bewegen können, ihn zu lieben und seinen Wünschen nachzugeben; wenn ich aber wüßte, daß er mich wirklich so sehr liebte, wie Du sagst, so würde ich mich geneigt finden lassen, ihn wieder zu lieben und zu thun, was er verlangt. Wenn er mir nun solche Beweise davon geben wollte, wie ich fordere, so würde er über mich gebieten können.«

»Was begehrt Ihr denn, das er thun soll, Madonna?« fragte die Alte.

Sie antwortete: »Ich verlange im nächsten Jänner nahe vor dieser Stadt einen Garten voll frischer Kräuter, duftender Blumen und belaubter Bäume, so schön, wie man sie im Mai nur haben kann. Wenn er mir diesen nicht verschafft, so darf er weder Dich, noch andere jemals wieder zu mir schicken; denn wenn er mich noch weiter reizte, so würde ich, nachdem ich bisher meinem Gemahl und meinen Verwandten alles verschwiegen habe, es ihnen endlich klagen, und würde suchen, ihn mir vom Halse zu schaffen.«

Wie der Ritter hörte, was sie verlangte, fand er die Sache zwar äußerst schwierig, wo nicht unmöglich, und merkte wohl, daß ihre Forderung nichts anderes zur Absicht hatte als ihm alle Hoffnung zu benehmen; doch nahm er sich vor. nichts unversucht zu lassen, wie weit er ihr Begehren erfüllen könnte. Er schickte deswegen in alle vier Weltgegenden umher, um jemand aufzusuchen, bei dem er Rat und Hilfe finden könnte, und es gelang ihm wirklich, jemand anzutreffen, der ihm für einen ansehnlichen Lohn versprach, das Verlangte durch Schwarzkunst zuwege zu bringen. Herr Ansaldo schloß demnach für eine beträchtliche Summe einen Vertrag mit ihm und sah mit Sehnsucht der bestimmten Zeit entgegen. Wie diese heran kam und die Kälte sehr heftig und alles mit Eis und Schnee bedeckt war, wußte der Künstler es durch seine verborgene Wissenschaft in der Neujahrsnacht zu veranstalten, daß am folgenden Morgen (laut der Versicherung derjenigen, die es gesehen haben) auf einer schönen Ebene vor der Stadt auf einmal einer der schönsten Gärten, die man jemals irgendwo gesehen hatte, mit Gras und Bäumen, Blumen und Früchten aller Art zum Vorschein kam. Wie Herr Ansaldo dieses zu seiner großen Freude gewahr ward, ließ er die herrlichsten Früchte und die schönsten Blumen abpflücken, schickte sie heimlich zu seiner Dame und ließ sie einladen, den Garten, den sie verlangt hätte, zu besehen und sich dadurch von der Größe seiner Liebe zu überzeugen. Zugleich ließ er sie bitten, sich ihres Versprechens zu erinnern, und als eine brave Frau für die Erfüllung desselben zu sorgen.

Wie sie die Früchte und Blumen sah und bereits von einigen Leuten von dem wunderbaren Garten gehört hatte, fing sie an, ihr Versprechen zu bereuen. Allein ungeachtet ihrer Reue trieb sie doch die Neugier, mit einigen anderen Damen aus der Stadt den Garten zu besehen, und sie konnte nicht umhin, ihn zu bewundern; doch kehrte sie höchst betrübt nach Hause zurück, indem sie bedachte, wozu sie sich anheischig gemacht hatte. Ihr Schmerz war so groß, daß sie ihn nicht gänzlich verbergen konnte, sondern auch äußerliche Merkmale davon blicken ließ, welche ihr Mann gewahr ward und in sie drang, ihm die Ursache davon zu eröffnen. Lange schwieg sie vor Scham; doch endlich fühlte sie sich genötigt, ihm alles ausführlich zu entdecken. Gilberto zürnte anfänglich sehr, wie er es hörte; doch wie er die wohlgemeinte Absicht seiner Gemahlin in Betrachtung zog, ließ er seinen Zorn fahren und sagte: »Dinora, es ziemt sich nicht für eine kluge und sittsame Frau, dergleichen Gesandtschaften zu empfangen, und mit jemand unter irgend einer Bedingung einen Handel über ihre Keuschheit zu schließen. Die Worte gehen durch das Ohr ein in das Herz und machen viel mehr Eindruck, als mancher sich vorstellt, und den Verliebten ist fast nichts unmöglich. Du hast folglich übel gethan, zuerst Gehör zu geben und hiernächst einen Vertrag einzugehen. Weil ich jedoch die Reinheit Deines Herzens kenne, so will ich Dir, um Dich Deines Versprechens zu entledigen, verstatten, was wohl kein anderer erlauben würde; und dazu bewegt mich zum Teil die Furcht vor dem Schwarzkünstler, mit dessen Hilfe Herr Ansaldo, wenn Du ihm nicht Wort hieltest, sich vielleicht an uns rächen könnte. Du sollst demnach zu ihm gehen und suchen, ihn wo möglich zu bewegen, Dich ohne Verletzung Deiner Keuschheit von Deinem Versprechen zu entbinden. Gelingt Dir aber dieses nicht, so überlaß ihm für diesmal Deine Person, ohne ihm Dein Herz zu schenken.«

Die Dame weinte, wie sie die Rede ihres Mannes hörte, und wollte durchaus von der Erlaubnis ihres Mannes nicht Gebrauch machen. Gilberto aber bestand, aller ihrer Weigerungen ungeachtet, auf seinen Willen. Sie ging demnach am folgenden Morgen bei Anbruch des Tages, ungeschmückt, unter Vortretung zweier Diener, und von einem Kammermädchen gefolgt, nach dem Hause des Herrn Ansaldo. Wie dieser hörte, daß seine Dame zu ihm kam, wunderte er sich sehr, stand auf und ließ den Schwarzkünstler rufen. »Du sollst sehen (sprach er zu ihm), welchen Schatz mir Deine Kunst verschafft.« Hierauf ging er mit ihm, ohne in seinem Betragen irgend eine unordentliche Begierde blicken zu lassen, der Dame ehrerbietig entgegen, führte sie in ein schönes Zimmer, in welchem ein großes Feuer brannte, nötigte sie zum Sitzen und sprach zu ihr: »Madonna, wenn meine unwandelbare Liebe einige Vergeltung von Euch verdient, so bitte ich Euch, die Güte zu haben, mir die wahre Ursache zu sagen, warum Ihr zu dieser ungewöhnlichen Stunde und in solcher Begleitung zu mir kommt?«

Mit verschämtem Blick und mit Thränen in den Augen gab sie ihm zur Antwort: »Mein Herr, mich hat weder meine Liebe zu Euch, noch mein gegebenes Versprechen hergeführt, sondern der Befehl meines Gemahls, welcher mehr Rücksicht auf die Rastlosigkeit Eurer ungeziemenden Liebe genommen hat, als auf seine eigene Ehre und auf die meinige, und nur auf diesen Befehl bin ich diesmal erbötig, mich Eurem Willen zu unterwerfen.«

Wenn Herr Ansaldo sich über die ersten Worte der Dame verwunderte, so erstaunte er noch mehr über die Großmut des Herrn Gilberto, welche auf einmal seine brünstige Liebe in ein edleres Mitgefühl verwandelte. »Madonna! (sprach er) das wolle Gott nimmermehr (wenn es sich so verhält, wie Ihr sagt), daß ich die Ehre desjenigen verletzen sollte, der mit meiner Liebe so viel Nachsicht hat. Ihr sollt nicht länger, als es Euch selbst beliebt, und nicht anders, als wenn Ihr meine Schwester wäret, hier verweilen und Euch, sobald es Euch gefällt, wieder entfernen. Danket Eurem Gemahl in meinem Namen in solchen Ausdrücken, die Ihr selbst für angemessen haltet, für seine große Güte und betrachtet mich in Zukunft jederzeit wie Euren Bruder und Diener.«

Die Dame war froher als jemals, als sie diese Worte hörte. Sie antwortete: »Ich konnte in Rücksicht auf Eure Gesinnungen mit Recht bei meinem Besuche auch keine andere Behandlung von Euch erwarten, als die ihr mir widerfahren laßt, und ich bleibe Euch dafür auf immer verbunden.« Sie nahm darauf mit Hochachtung Abschied von ihm und begab sich mit ihren Begleitern zurück zu ihrem Gemahl, welchem sie alles erzählte, was vorgefallen war, weswegen zwischen ihm und Herrn Ansaldo die vertraulichste Freundschaft angeknüpft ward.

Wie der Schwarzkünstler, welchem Herr Ansaldo die versprochene Belohnung geben wollte, die Großmut des Gilberto gegen Ansaldo, und des Ansaldo gegen die Dame sah, sprach er: »Behüte der Himmel, daß ich in Ansehung meines Lohns weniger edelmütig handeln sollte, als Gilberto in Rücksicht auf seine Ehre, und Ihr in Ansehung Eurer Liebe! Das Geld ist bei Euch in den würdigsten Händen, und ich bitte Euch, es zu behalten.«

Der Ritter hielt sich für beschämt und wollte ihn bewegen, wo nicht alles, doch wenigstens einen Teil des Goldes anzunehmen, allein seine Mühe war umsonst. Nach drei Tagen ließ der Künstler den Garten wieder verschwinden, der Ritter nahm Abschied von ihm und verbannte aus seinem Herzen seine ungebührliche Liebe, die sich in der Folge in zärtliche Freundschaft für die Dame verwandelte.

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