Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Einundfünfzigste Erzählung.

Madonna Oretta war die Gemahlin des Herrn Geri Spina. Wie diese einst sich auf dem Lande aufhielt und mit einigen Damen und Herren, die bei ihr eingeladen waren, nach einem etwas entlegenen Orte zum Vergnügen zu Fuß ging, mochte die Länge des Weges sie ein wenig ermüdet haben, daher es einem von den Herren einfiel, zu ihr zu sagen: »Madonna Oretta, wenn Ihr's befehlt, so will ich Euch mit einer hübschen Geschichte die Länge des Tages so verkürzen, als wenn Ihr zu Pferde säßet.«

Madonna Oretta nahm sein Anerbieten freundlich auf und bat ihn, seine Geschichte zu erzählen.

Der Rittersmann, der sich vielleicht mit seinem Schwerte besser zu behelfen wußte, als mit seiner Zunge, fing an, seine Geschichte zu erzählen, die zwar an sich recht artig war; weil er aber bald ein Wort zehnmal nach einander gebrauchte, bald das Gesagte wiederholte, bald in seiner Erzählung etwas verbesserte, mehr als einmal die Namen der Personen verwechselte, und seine Erzählung dadurch verdarb, und weil er überdies nichts von der Gabe besaß, seine Worte den Personen der Handlung anzumessen, so ward Madonna Oretta oft übel und weh bei seiner Erzählung. Wie sie es endlich nicht länger aushalten konnte und der ehrliche Rittersmann sich so arg verwickelte, daß er selbst sich nicht wieder herausfinden konnte, sagte sie zu ihm mit aller Höflichkeit: »Mein Herr, Euer Pferd trabt mir ein wenig zu hart; seid so gut und laßt mich wieder absitzen.«

Der Rittersmann, der glücklicherweise mehr guten Menschenverstand als Beredsamkeit besaß, begriff diese Zurechtweisung, nahm sie als Scherz auf, brach seine übel erzählte Geschichte ab und fing an, von anderen Dingen zu sprechen.

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