Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Neununddreißigste Erzählung.

Man erzählt in der Provence von zweien edlen Rittern, welchen beiden Schlösser und Länder zu Gebote standen, von welchen der eine Herr Guillaume Roussillon und der andere Herr Guillaume Gardestagne hieß. Weil sie beide tapfere Rittersleute waren, so hielten sie viel auf einander und erschienen stets zusammen bei allen Turnieren und Waffenspielen, gleich bewaffnet und mit einerlei Farben und Sinnbildern ausgezeichnet. Obwohl sie nun fast zehn Meilen von einander entfernt waren, und jeder sein eigenes Schloß bewohnte, so trug es sich doch zu, daß Gardestagne, seiner großen Freundschaft für Roussillon ungeachtet, sich in dessen schöne und reizende Gemahlin verliebte, und ihr durch sein Betragen bald auf diese, bald auf jene Weise seine Liebe zu erkennen gab. Da sie an ihm, als an einem stattlichen Ritter, gleichen Gefallen fand, so fing sie bald an, Gegenliebe für ihn zu empfinden, bis sie endlich nichts sehnlicher wünschte, als daß er ihr seine Liebe erklären möchte, welches auch bald geschah und mehr als eine verliebte Zusammenkunft zwischen ihnen veranlaßte. Da sie beide sehr heftig liebten und nicht immer die nötige Vorsicht dabei beobachteten, so ward Roussillon ihr Verständnis gewahr und ergrimmte darüber so sehr, daß seine große Freundschaft für Gardestagne sich auf einmal in tödlichen Haß verwandelte, welchen er aber besser zu verbergen wußte, als das verliebte Paar seine Zärtlichkeit; doch war es fest bei ihm beschlossen, seinen Nebenbuhler um's Leben zu bringen. Indem er damit umging, ward in Frankreich ein großes Turnier ausgerufen, welches Roussillon dem Gardestagne sogleich anzeigen und ihm sagen ließ, er möchte zu ihm kommen, wenn es ihm beliebte, und mit ihm Abrede nehmen, ob und wie sie mit einander dabei erscheinen wollten. Gardestagne gab fröhlich zur Antwort, er wolle gewiß am folgenden Abend kommen und bei ihm zur Nacht essen. Roussillon glaubte nunmehr die beste Gelegenheit in Händen zu haben, ihm das Leben zu nehmen. Er bewaffnete sich deswegen am folgenden Tage nebst einem seiner vertrautesten Diener, und ritt etwa eine Meile von seinem Schlosse in ein Gehölz, durch welches Gardestagne kommen mußte, um ihm daselbst aufzupassen. Nachdem er eine Zeit lang auf der Lauer gelegen hatte, sah er ihn mit zwei Dienern unbewaffnet kommen, weil er sich von ihm nichts böses versah. Sobald er an den Ort kam, wo Roussillon ihn haben wollte, legte dieser grimmig und mörderisch die Lanze ein, sprengte ihm entgegen, rief ihm zu: »Treuloser, Du bist des Todes!« und bohrte ihm in demselben Augenblicke die Lanze durch die Brust, so daß er, ohne die mindeste Bewegung zu seiner Verteidigung zu machen, oder auch nur einen Laut von sich zu geben, vom Pferde stürzte und in wenigen Augenblicken den Geist aufgab. Seine Diener, welche den Mörder nicht kannten, lenkten eiligst um und flohen zurück nach dem Schlosse ihres Herrn. Roussillon stieg hierauf vom Pferde, schnitt dem Gardestagne mit einem Weidmesser die Brust auf und riß ihm mit eigenen Händen das Herz aus dem Leibe, welches er seinem Diener in ein Lanzenfähnchen zu wickeln und mit nach Hause zu nehmen befahl, und ihn warnte, sich von der ganzen Sache nichts verlauten zu lassen, worauf er seinen Gaul wieder bestieg und nach seinem Schlosse zurück kam, wie es schon Abend geworden war.

Seine Gemahlin, welche gehört hatte, daß Gardestagne kommen sollte, erwartete ihn mit Sehnsucht und war sehr verwundert, wie er nicht mit kam. Endlich fragte sie ihren Gemahl:

»Wie geht es zu, mein Lieber, daß Gardestagne nicht kömmt?«

»Er hat mir sagen lassen (sprach Roussillon), daß er nicht eher als morgen kommen kann.«

Die Dame ward ein wenig verdrießlich darüber. Roussillon ließ indessen den Koch rufen und sagte zu ihm: »Da hast Du das Herz von einem wilden Eber; gieb Dir Mühe, ein recht leckeres Gericht davon zu machen, und laß es mir, wenn ich zu Tische bin, in einer silbernen Schüssel auftragen.«

Der Koch richtete den Befehl auf's fleißigste aus; hackte das Herz klein, würzte es auf's beste und machte ein sehr schmackhaftes Gericht davon. Roussillon setzte sich des Abends mit seiner Gemahlin zur Tafel; das Essen ward aufgetragen, Roussillon aber aß wenig, weil er den Kopf noch voll von seiner begangenen Mordthat hatte. Wie der Koch das bestellte Gericht herein schickte, ließ er es seiner Gemahlin vorsetzen, empfahl es ihr sehr und schützte selbst Mangel an Eßlust vor. Die Dame, welcher es nicht daran fehlte, ließ es sich so gut schmecken, daß sie es fast ganz verzehrte. Wie der Ritter fand, daß sie damit fertig war, fragte er: »Wie hat Dir das Gericht geschmeckt, Frau?«

»Gewiß außerordentlich wohl,« gab sie zur Antwort.

»Das glaub' ich Dir (sprach der Ritter), wenn Dich Gott je wahr sprechen ließ, und es nimmt mich nicht Wunder, daß Dir dasjenige auch noch im Tode schmeckt, was Du lebend über alles in der Welt geliebt hast.«

Die Dame verstummte einen Augenblick nachsinnend. »Wie? (sprach sie endlich) was ist es denn, das Du mir hast zu essen gegeben?«

»Gewiß und wahrhaftig nichts anderes (sprach er), als das Herz des Gardestagne, den Du Treulose so sehr geliebt hast. Und damit Du Dich völlig davon überzeugst, so wisse, daß diese Hände es ihm erst kurz vorher, ehe ich nach Hause kam, aus dem Busen gerissen haben.«

Es ist wohl keine Frage, ob die Dame vor Schmerz vergehen wollte, wie sie dieses hörte von demjenigen, der ihr über alles lieb gewesen war. Nach einigen Minuten sagte sie: »Du hast wie ein ehrloser und frevelhafter Ritter gehandelt. Wenn ich Dich beleidigte, indem ich dem Gardestagne mein Herz freiwillig schenkte, so war nicht er, sondern ich der Strafe schuldig. Aber Gott verhüte, daß nach einer so teuren Speise, wie das Herz eines so edlen und verdienstvollen Rittersmann, jemals ein anderer Bissen wieder in meinen Mund kommen sollte.«

Mit diesen Worten stand sie auf und stürzte sich plötzlich aus dem Fenster, neben welchem sie saß. Das Fenster war so hoch, daß sie nicht nur augenblicklich des Todes, sondern fast ganz zerschellt war.

Roussillon ward dadurch außerordentlich erschüttert. Er fühlte, daß er unrecht gehandelt hatte, und weil er sich vor seinen Landsleuten und vor dem Grafen der Provence fürchtete, so ließ er noch in der Nacht satteln und floh aus dem Lande. Des andern Morgens erfuhr man überall, was vorgefallen war. Die Hausgenossen des Gardestagne und die Leute der Frau von Roussillon brachten ihre beiden Leichen nach der Schloßkirche der Letzteren, wo man sie zusammen in einer Gruft beisetzte. Ihre Grabschrift sagte, wer sie gewesen, und wie sie um's Leben gekommen waren.

*


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