Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Siebenundsechzigste Erzählung.

In Paris war einmal ein florentinischer Edelmann, den seine zerrütteten Umstände gezwungen hatten, ein Kaufmann zu werden, und das Glück war ihm bei seinen Geschäften so günstig gewesen, daß er ein sehr reicher Mann geworden war. Er hatte mit seiner Frau nur einen einzigen Sohn, namens Lodovico; weil er nun wünschte, daß dieser, seiner Geburt gemäß, als ein Edelmann und nicht als Kaufmann sollte erzogen werden, so hatte er ihn nie in eine Handlung geben wollen, sondern ihn mit anderen jungen Edelknaben am Hofe des Königs von Frankreich Dienste nehmen lassen, woselbst er seine Sitten sehr vorteilhaft gebildet und viel Gutes gelernt hatte. Während dieser Zeit kamen einmal einige Edelleute, die eben von einer Wallfahrt nach dem heiligen Grabe zurückkehrten, in eine Gesellschaft junger Leute, bei welcher sich auch Lodovico befand; und indem sie von den schönen Frauen in Frankreich, England und anderen Ländern sprachen, behauptete einer von ihnen, daß es auf dem weiten Rund der Erde, unter allen Frauen, die er gesehen hätte, keine schönere gäbe, als Madonna Beatrice, die Gemahlin des Egano Galuzzi in Bologna. Eben dieses bestätigten auch alle seine Reisegefährten, die mit ihm in Bologna gewesen waren. Lodovico, der dieses hörte und noch nie geliebt hatte, ward durch diese Beschreibung so neugierig gemacht, sie zu sehen, daß er mit keinem anderen Gedanken umging und es sich fest vornahm, nach Bologna zu reisen, um sie kennen zu lernen und daselbst zu bleiben, wenn sie ihm gefiele. Er gab demnach gegen seinen Vater vor, daß er nach dem heiligen Grabe wallfahrten wollte, und erhielt die Erlaubnis dazu nicht ohne viele Schwierigkeit. Unter dem angenommenen Namen Anichino kam er nach Bologna, und das Glück fügte es so, daß er schon am folgenden Tage bei einem öffentlichen Feste Beatrice zu sehen bekam, die er noch weit schöner fand, als er sie sich vorgestellt hatte und sich deswegen vornahm, Bologna nicht eher zu verlassen, bis er ihre Liebe gewönne. Nachdem er sich lange über die Mittel bedacht hatte, seinem Endzweck näher zu kommen, deuchte ihm endlich das beste zu sein, bei ihrem Gemahl Dienste zu nehmen, welcher eine sehr zahlreiche Dienerschaft unterhielt. Er verkaufte demnach seine Pferde und Sachen, brachte seine Leute gehörig unter und befahl ihnen, sich nie merken zu lassen, daß sie ihn kennten. Hierauf machte er Rechnung mit seinem Wirte und entdeckte ihm, daß er wohl Lust hätte, bei einem guten Herrn in Dienste zu gehen.

Der Wirt gab ihm zur Antwort: »Du scheinst mir gerade der Mann zu sein, den ein gewisser Edelmann in dieser Stadt, namens Egano, sich wohl wünschen würde. Er hält viele Diener und sieht es gern, daß sie alle so manierlich in ihrem Betragen sind, wie Du bist. Ich will mit ihm davon sprechen.«

Er hielt ihm auf der Stelle Wort und brachte es auch gleich bei der ersten Unterredung dahin, daß Egano den Anichino in seine Dienste nahm, welches diesem sehr erfreulich war. Wie er nun bei diesem angestellt ward und öftere Gelegenheit hatte, seine Gebieterin zu sehen, ließ er es sich angelegen sein, seinen Herrn so aufmerksam zu bedienen, daß er seine Liebe bald in einem solchen Grade gewann, daß er nichts ohne ihn vornahm und ihm alle seine Angelegenheiten anvertraute.

Einmal, wie Egano auf die Reiherbeize geritten und Anichino zu Hause geblieben war, setzte sich Beatrice (die zwar von seiner Liebe noch nichts ahnte, aber an seinen Manieren vielen Gefallen fand und ihm deswegen sehr gut war) mit ihm zum Schachspiel, und Anichino, um ihr Vergnügen zu machen, wußte es sehr geschickt so einzurichten, daß sie gewann, worüber sie große Freude hatte. Während des Spieles hatten sich die weiblichen Bedienten eine nach der andern entfernt, und sobald sie beide allein waren, holte Anichino einen tiefen Seufzer.

»Was ist Dir, Anichino (fragte Beatrice traulich). Ist es Dir so leid, daß ich Dir abgewinne?«

»Ach, Madonna! (antwortete Anichino) eine viel wichtigere Sache hat mir diesen Seufzer ausgepreßt.«

»So sage sie mir, wenn Du mich lieb hast«, versetzte Beatrice.

Ein noch tieferer Seufzer, als der erste, entfuhr dem Anichino, wie er die Worte: »wenn Du mich lieb hast«, von derjenigen hörte, die er über alles liebte. Beatrice bat ihn deswegen nochmals, ihr zu sagen, worüber er seufzte.

»Madonna, (erwiderte Anichino), ich fürchte, Ihr würdet mir zürnen, wenn ich es Euch sagte, und ich muß besorgen, daß Ihr es einer anderen Person wieder sagen würdet.«

»Ich verspreche Dir (versetzte sie), daß ich es nicht übel nehmen will, und Du kannst versichert sein, daß ich ohne Deinen Willen von demjenigen, was Du mir entdeckest, nie einem anderen etwas wieder sagen werde.«

»Wenn das ist, so will ich es Euch gestehen,« sprach Anichino, und fast traten ihm die Thränen in die Augen, wie er ihr erzählte, wer er wäre, was er von ihr gehört hätte und wo und wie er verliebt in sie geworden wäre und deswegen er Dienste bei ihrem Gemahl genommen hätte. Zugleich bat er sie demütig, Mitleiden mit ihm zu haben und seiner eben so feurigen, als verschwiegenen Liebe, wenn es möglich wäre, Gehör zu geben; oder wenn sie sich dazu nicht entschließen könnte, ihm wenigstens zu vergönnen, sie ferner in seinem bisherigen Verhältnisse zu verehren.

O du ausbündige, sanfte Wärme des bolognesischen Blutes! Wie liebenswürdig hast Du Dich immer in solchen Fällen ausgezeichnet! Nie konntest Du Dein Auge weiden an den Thränen, an den Seufzern der Liebenden; nie warst Du taub gegen zärtliche Bitten; sondern mit gütiger Herablassung kamst Du jederzeit den Wünschen der aufrichtigen Liebe entgegen. Wäre ich nur im stande, Dich nach Verdienst zu rühmen, so würde mein Mund nie von Deinem Lobe schweigen.

Das sanfte Weib verwandte keinen Blick von Anichino, indem er sprach, und da sie seinen Worten unbezweifelten Glauben beimaß, so wirkte die Liebe durch seine Bitten so mächtig auf ihr Herz, daß auch sie sich bewegt fühlte und mit mehr als einem Seufzer ihm zur Antwort gab: »Sei getrost, lieber Anichino! Mich haben zwar bisher weder Geschenke, noch Verheißungen, weder Bitten, noch Schmeicheleien von Rittern und Herren, oder von anderen Personen, zur Liebe reizen können, obwohl ich genug Anfechtungen von dieser Art gehabt habe; aber Du hast mich durch Deine Worte in diesen wenigen Augenblicken mehr zu der Deinigen gemacht, als ich mir selbst gehöre. Ich halte Dich meiner Liebe vollkommen wert und will sie Dir gewähren und ich verspreche Dir, ehe die künftige Nacht zu Ende geht, Dich die Früchte derselben genießen zu lassen. Komm um Mitternacht in meine Kammer; Du wirst die Thüre offen finden. Tritt an meine Seite des Bettes und wenn ich ja eingeschlummert wäre, so wecke mich nur mit einer leisen Berührung und erwarte von mir den Lohn Deiner langen Sehnsucht.«

Ein zärtlicher Kuß besiegelte ihr Versprechen und endigte die Unterredung. Anichino ging weg, um seine Geschäfte zu besorgen, und erwartete mit zärtlicher Ungeduld die kommende Nacht. Egano kam von seiner Jagd zurück und weil er müde war, ging er bald nach dem Abendessen zu Bett, und seine Gemahlin folgte ihm und ließ die Kammerthüre offen. Anichino kam um die bestimmte Zeit, trat leise in die Kammer und an das Bett und legte die Hand auf die Brust der Dame, die er noch wachend antraf. Sie faßte mit ihren beiden Händen die seinigen und hielt ihn fest. Hierauf warf sie sich so lange im Bette hin und her, bis ihr Gemahl erwachte. Wie er wach war, sagte sie zu ihm: »Ich wollte Dich gestern Abend nicht im Gespräch aufhalten, weil ich glaubte, da Du müde wärest, aber sage mir doch jetzt, ich bitte Dich, wen hältst Du wohl unter allen Deinen Dienern für den treuesten und für denjenigen, der Dir am meisten ergeben ist?«

»Was willst Du mit dieser Frage sagen, Frau? (sprach Egano) Weißt Du das nicht selbst? Ich glaube nicht, daß ich jemals einen treueren Bedienten gehabt habe oder noch habe auf welchen ich mehr Vertrauen setze, oder ihn lieber hätte, als Anichio. Aber noch einmal, warum thust Du diese Frage?«

Wie Anichio fand, daß Egano wachte, und wie er hörte, daß von ihm die Rede war, suchte er mehr als einmal, seine Hand wegzuziehen und sich zu entfernen, weil er fürchtete, die Dame wollte ihn verraten; allein sie hielt ihn so fest, daß er sich nicht loswinden konnte. Sie antwortete ihrem Gemahl: »Ich glaubte ebenfalls, daß es sich so verhielte, wie Du sagst, und daß er Dir treuer wäre, als irgend ein anderer; allein er selbst hat mir die Augen geöffnet. Denn wie Du heute auf die Jagd geritten warst, blieb er zu Hause und wie ich glaubte, seine Gelegenheit wahrzunehmen, war er so unverschämt, mir einen Liebesantrag zu thun. Um mich der Mühe zu überheben, Dich davon weitläufig zu überführen, stellte ich mich, als ob ich in sein Vergehen willigte und versprach ihm, um Mitternacht in den Garten zu kommen und ihn unter dem Fichtenbaume zu ermatten. Du kannst wohl denken, daß ich nicht Lust habe, ihm Wort zu halten. Willst Du aber die Treue Deines Dieners auf die Probe stellen, so brauchst Du nur einen von meinen Röcken anzulegen, meinen Schleier über den Kopf zu werfen und ihn im Garten zu erwarten; ich glaube nicht, daß er ausbleiben wird.«

»Das will ich doch wirklich sehen!« sprach Egano; stand auf, zog einen Unterrock seiner Frau an, hüllte sich in ihren Schleier und ging in den Garten, um unter dem Fichtenbaume auf Anichino zu warten. Kaum war er hinausgegangen, so verriegelte sein Weibchen die Thüre. Anichino, der die größte Angst von der Welt ausgestanden, sich immer aus den Händen der Dame loszuwinden gesucht und hunderttausendmal sie und seine Liebe, sich selbst und seine Leichtgläubigkeit verwünscht hatte, war nunmehr außer sich vor Wunder und Wonne und eilte in die Arme seiner schlauen Geliebten, die ihn mit den süßesten Freuden beglückte. Nachdem sie eine geraume Zeit zusammen zugebracht hatten und die Dame glaubte, daß es für Anichino Zeit wäre, sich wegzubegeben, sagte sie zu ihm: »Jetzt, mein Lieber, versieh Dich mit einem tüchtigen Stocke, geh in den Garten und stelle Dich, als wenn Du meinen Mann für mich hieltest und mich mit Deinem Liebesantrage nur hättest in Versuchung führen wollen. Überhäufe ihn mit Vorwürfen und präge sie ihm ein mit dem Knüttel, es wird uns zu nicht geringem Nutzen und Vergnügen gereichen.«

Anichino stand auf, nahm einen schlanken Weidenstock mit und ging in den Garten. Wie er sich dem Fichtenbaume näherte, und Egano ihn gewahr ward, ging ihm dieser entgegen, als wenn er ihn mit Freuden empfangen wollte.

»Ehrvergessenes Weib! (schrie Anichino ihn an.) Bist Du denn wirklich gekommen und hast geglaubt, daß es mir jemals einfallen könnte, diese Schandthat an meinem Herrn zu begehen? Aber warte, Du sollst mir tausendmal Dein böses Stündlein verfluchen, das Dich hergeführt hat.« Damit erhob er seinen Stecken und fing an, dem Egano die Schultern damit zu messen. Kaum hörte dieser seine Worte und fühlte den Knüttel, so lief er, ohne einen Laut von sich zu geben, aus Leibeskräften davon. Anichino verfolgte ihn und rief noch immer: »Daß Dich der Himmel züchtige, Du lasterhaftes, ehrloses Weib! Warte nur, ich will morgen Deinem Gemahl Deine Streiche erzählen.«

Egano, der ein paar gute Hiebe davon getragen hatte, eilte nur, so geschwind als möglich in seine Kammer zurück zu kommen, und seine Frau empfing ihn mit der Frage, ob Anichino sich eingestellt hätte.

»Ich wollte, daß er weggeblieben wäre (sprach Egano). Er hielt mich für Dich und hat mir mit einem Knüttel die Rippen weich gedroschen und mir alle möglichen Schmähworte gesagt, die man einem niederträchtigen Weibe nur sagen kann. Es wunderte mich auch wahrlich, daß er Dir einen solchen Antrag sollte gethan haben, in der ernstlichen Absicht, mich zu beleidigen; aber Dein munteres und fröhliches Wesen hat ihn vermutlich auf den Einfall gebracht, Dich in Versuchung zu führen.«

»Gott sei Dank (sprach Beatrice), daß er mich nur mit Worten und Dich mit der That versucht hat! Er wird gewiß denken, daß ich die Worte geduldiger vertrage, als Du die Werke. Weil er Dir denn wirklich so treu ist, so müssen wir ihn lieb und in Ehren halten.«

»Du hast Recht,« sprach Egano und glaubte von nun an, vollgültige Beweise empfangen zu haben, daß er die keuscheste Frau und den treuesten Diener hätte, deren sich jemals ein Biedermann erfreuen könnte. Er selbst scherzte hernach noch oft mit seiner Gemahlin und mit Anichino über diesen Auftritt und diese gewannen dadurch mehr bequeme Gelegenheiten, als sie sonst vielleicht gefunden hätten, um ihre Wünsche zu befriedigen, so lange Anichino noch bei seinem Herrn in Bologna verweilte.

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