Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Neunundachtzigste Erzählung.

Wie vormals das Gerücht von der bewunderungswürdigen Weisheit Salomons und von seiner großen Bereitwilligkeit, sie einem jeden zu zeigen, welcher sich durch die Erfahrung zu überzeugen wünschte, sich überall in der Welt verbreitet hatte, versammelten sich fast aus allen Weltteilen die Menschen zu ihm, um sich in ihren dringendsten und wichtigsten Angelegenheiten bei ihm Rats zu erholen. Unter anderen, welche deswegen zu ihm zogen, befand sich auch ein edler und reicher Jüngling, namens Melissus, der aus der Stadt Laiazzo gebürtig war und auch daselbst wohnte. Indem dieser sich Jerusalem näherte und eben Antiochia verlassen hatte, traf er mit einem andern jungen Manne, namens Joseph, zusammen, der dieselbe Straße zog, und mit welchem er im Reiten, wie Reisende wohl pflegen, ein Gespräch anknüpfte. Nachdem er von diesem bereits erfahren hatte, wer er wäre und woher er käme, fragte er ihn auch, wohin er wollte, und was der Zweck seiner Reise wäre.

Joseph antwortete ihm, er wollte zu Salomon gehen und ihn fragen, was er mit seinem Weibe anfangen sollte, welches verkehrter und widerspenstiger, als jedes andere Weib wäre, so daß er sie weder durch Bitten und Gefälligkeiten, noch durch irgend ein anderes Mittel von ihrem Eigensinne zurückbringen könnte. Er fragte nunmehr auch den Melissus nach seiner Heimat und nach der Absicht seiner Reise.

Melissus antwortete: »Ich bin aus Laiazzo und so wie Du Deinen Kummer hast, so habe ich den meinigen. Ich bin ein reicher, junger Mann, und lasse mein Geld aufgehen, um offene Tafel zu halten, und meine Mitbürger zu bewirten; allein, was kaum glaublich und ganz sonderbar ist, ich kann bei dem allen nicht einen einzigen Menschen finden, der mein Freund ist; und aus dieser Ursache ziehe ich dahin, wohin Du auch willst, um mir Rats zu erholen, wie ich mich beliebt machen soll.«

Die beiden Reisegefährten setzten demnach ihren Weg zusammen fort und wurden, wie sie nach Jerusalem kamen, dem Könige Salomon von einem seiner Hofleute vorgestellt. Melissus trug ihm mit wenigen Worten sein Anliegen vor, und Salomon gab ihm zur Antwort: »Liebe!«

Damit ward Melissus augenblicklich entlassen und Joseph sagte dem Könige, weswegen er gekommen wäre. Salomon gab ihm hierauf nur kurz zur Antwort: »Geh hin nach der Gänsebrücke.«

Hierauf mußte Joseph gleichfalls unverzüglich abtreten und fand im Vorzimmer den Melissus, welcher auf ihn wartete und ihm sagte, was ihm zur Antwort geworden war. Die Beiden überlegten die Worte Salomons hin und her, und da sie den Sinn derselben gar nicht begreifen, und nicht einsehen konnten, wozu sie ihnen nützen sollten, so hielten sie sich fast für beleidigt und begaben sich zusammen auf den Rückweg. Nachdem sie einige Tagereisen zurückgelegt hatten, kamen sie an einen Fluß, über welchen eine sehr schöne Brücke gebaut war, und weil ihnen eben eine zahlreiche Karawane von Lasttieren entgegen kam, so mußten sie warten, bis diese über die Brücke zog. Schon waren fast alle herüber, wie von ungefähr ein Maulesel störrig ward und auf keine Weise vorwärts wollte, daher der Maultiertreiber einen Stock nahm und ihn zuerst mit Mäßigung schlug, um ihn anzutreiben. Der Maulesel drehte sich aber bald rechts, bald links, bald ging er zurück, und war durchaus nicht vorwärts zu bringen. Darüber ward der Treiber äußerst zornig und schlug ihn aus allen Kräften bald auf den Kopf, bald auf den Rücken, bald auf das Kreuz; aber alles umsonst. Melissus und Joseph, welche zusahen, sprachen deswegen zu ihm: »Was machst Du, Grausamer? Willst Du das Tier umbringen? Warum suchst Du nicht lieber, es mit Gutem zu lenken? Es wird sich eher vorwärts führen, als vorwärts prügeln lassen.«

»Ihr kennt Eure Pferde (sprach der Eseltreiber), und ich kenne meinen Maulesel; laßt mich nur mit ihm machen.« Damit schlug er von neuem auf ihn los und gab ihm bald auf einer Seite, bald auf der andern, so viele Hiebe, daß der Maulesel endlich vorwärts ging, und der Treiber den Sieg behielt. Wie nun die beiden Reisenden im Begriff waren, weiter zu ziehen, fragte Josef einen von den Leuten, wie dieser Ort hieße.

Der Mann antwortete: »Mein Herr, dies nennt man die Gänsebrücke.«

Bei diesem Namen erinnerte sich Joseph an die Worte Salomons und sprach zu Melissus: »Wahrlich, mein Freund, es ist dennoch möglich, daß mir Salomon einen guten und vernünftigen Rat gegeben hat; denn ich sehe wohl ein, daß ich nicht verstanden habe, mein Weib zu prügeln; aber dieser Eseltreiber hat mich gelehrt, wie ich sie behandeln muß.«

Wie sie nach einigen Tagen zu Antiochia ankamen, nötigte Joseph den Melissus, eine zeitlang bei ihm auszuruhen. Seiner Frau, von welcher sie ziemlich artig empfangen wurden, befahl er zugleich, das Abendessen so einzurichten, wie Melissus es verlangen würde, und weil dieser sah, daß sein Wirt es so haben wollte, so gab er mit wenigen Worten seinen Willen zu erkennen. Die Frau aber handelte nach ihrer Gewohnheit und kehrte sich nicht an die Anordnung des Melissus, sondern that fast gerade das Gegenteil.

Joseph ward darüber zornig und sprach: »Hat man Dir nicht gesagt, wie Du das Essen bestellen solltest?«

Die Frau sah ihn trotzig an und sagte: »Nun, was hat denn das auf sich? Warum issest Du nicht, wenn Du hungrig bist? Hat man mir's anders befohlen, so hat es mir nun so besser gefallen. Ist es Dir so recht, so ist's gut, wo nicht, so laß es bleiben.«

Melissus wunderte sich über die Antwort der Frau, und sie mißfiel ihm sehr. Joseph aber sagte: »Höre, Weib, Du bist noch immer, wie Du gewesen bist; allein bei meiner Treue, ich will Dich lehren, anders werden.«

»Freund (sprach er zu Melissus), wir wollen bald sehen, ob Salomons Rat von guter Wirkung ist; aber laß Dir's nicht zuwider sein, dabei gegenwärtig zu bleiben, und dasjenige, was ich vornehmen werde, als ein Spielwerk anzusehen; und damit Du Dir nicht einfallen lassest, mich zu hindern, so erinnere Dich an die Antwort, die uns der Eseltreiber gab, wie wir seine Maulesel bedauerten.«

»Ich bin Dein Gast (sprach Melissus), und bin nicht willens, Deiner Absicht entgegen zu handeln.«

Joseph holte hierauf einen tüchtigen Knüttel von einer jungen Eiche, ging damit in die Kammer, wohin seine Frau gegangen war, indem sie sich murrend vom Tische entfernte, nahm sie bei den Haaren, warf sie nieder und prügelte sie unbarmherzig mit seinem Stecken. Sie fing zuerst an zu schreien und zu drohen; wie sie aber fand, daß sich Joseph dadurch nicht abhalten ließ, bat sie vor Schmerzen um Gotteswillen, er möchte sich erbarmen und sie nicht zu Tode prügeln. Joseph aber ließ sich nicht irre machen, sondern fuhr fort, ihr bald den Rücken, bald die Hüften, bald die Schultern auf allen Nähten zu bearbeiten, und hörte nicht eher auf, bis er müde ward, und bis er ihr alle Knochen im Leibe weich gedroschen hatte. Wie dies geschehen war, ging er zu Melissus und sagte: »Morgen werden wir sehen, wie Salomons Rat: ›Geh hin zur Gänsebrücke‹ gewirkt hat.« Nachdem er ein wenig Atem geschöpft und sich die Hände gewaschen hatte, setzte er sich mit Melissus zum Abendessen und ging zu gehöriger Zeit zu Bette.

Die Frau erhob sich mit vieler Mühe von der Erde, kroch in's Bette und ruhte aus, so gut sie konnte. Des andern Morgens stand sie zeitig auf und ließ ihren Mann fragen, was er zu Mittag essen wollte. Joseph hatte mit Melissus seine Freude darüber und gab Befehl, wie es sein sollte. Zur gesetzten Stunde kamen sie zusammen zu Tisch und fanden alles in der besten Ordnung angerichtet, wie sie es bestellt hatten. Sie lobten demnach den trefflichen Rat, den sie anfänglich mißverstanden hatten. Nach einigen Tagen nahm Melissus von Joseph Abschied und reiste nach Hause, wo er einem verständigen Manne erzählte, was ihm Salomon gesagt hatte.

»Er konnte Dir keinen besseren und richtigeren Rat geben (antwortete dieser). Du wirst wohl wissen, daß Du niemand eigentlich liebst, und daß Du nur aus Stolz und Eitelkeit Dich gastfrei und dienstfertig gegen andere bezeigst. Liebe demnach, wie Dir Salomon geraten hat, so wirst Du wieder geliebt werden.«

So ward das widerspenstige Weib gebessert, und Melissus erwarb sich Liebe, sobald er selbst liebte.

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