Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Fünfundsiebenzigste Erzählung.

Nach Florenz wurden bisweilen Stadtvögte geschickt, welche gemeiniglich so engherzig gesinnt waren, und so karg und filzig lebten, daß ihr ganzes Benehmen ein Inbegriff von lauter Knauserei war. Die Richter und Schreiber, die sie mitbrachten, schienen daher eher hinter dem Pfluge, oder aus der Schuhflickerbude weggenommen, als in den Schulen der Rechtsgelehrsamkeit erzogen zu sein. So brachte auch einst ein solcher Stadtvogt, unter einer Menge anderer Richter, einen mit, der sich Messer' Niccola da Lepidio nennen ließ, der aber einem Schmiedeknechte ähnlicher war, als einem Rechtsgelehrten, und der nebst anderen angestellt war, um das peinliche Recht zu hegen.

Da nun die guten Florenzer gewohnt waren, das Rathaus auch ohne besondere Geschäfte bisweilen zu besuchen, so traf es sich einst, daß Maso del Saggio dahin ging, um einen seiner Freunde daselbst zu sprechen, und wie er diesen Messer Niccola sitzen sah, schien er ihm ein so wunderlicher Kauz zu sein, daß er nicht unterlassen konnte, ihn von Kopf zu Fuß zu betrachten. Außer der schmutzigen Kappe auf seinem Haupte, dem Pennal am Gürtel, dem Rocke, welcher länger war, als der Mantel, und manchen anderen seltsamen Dingen in seinem Aufzuge, fielen ihm besonders die Hosen des Herrn Richters in die Augen; denn weil ihm sein enger Rock vorn offen stand, so konnte man sehen, daß ihm der Hosensitz fast bis auf die Waden herabhing. Maso vergaß darüber seine anderen Geschäfte, und ohne sich lange bei der Figur des Richters aufzuhalten, sann er auf etwas neues, und suchte ein paar von seinen Freunden auf, die eben so lustige Vögel waren, wie er selbst, wovon der eine Ribi und der andere Matteuzzo hieß. »Wenn ihr mich lieb habt (sprach er), so kommt mit mir; ich will Euch den possierlichsten Gimpel zeigen, den Ihr je gesehen habt.« Er führte sie nach dem Stadthause und zeigte ihnen den Richter und seine Hosen. Sie lachten, wie sie ihn nur sahen, über seine sonderbare Gestalt, und wie sie näher zu der Bank gingen, worauf dieser Messer' Niccola saß, fanden sie, daß es sehr leicht war, unter den Sitz zu schlüpfen, und, daß das Brett unter den Füßen des Richters ein Loch hatte, durch welches man bequem die Hand und den Arm stecken konnte. »Wir müssen (sprach Maso) dem Richter bei Gelegenheit die Hosen abziehen, und nichts ist leichter, als das.«

Die anderen hatten dieses gleichfalls schon ausgefunden, und sie nahmen deswegen Abrede, wie sie den Streich ausführen und ihre Rollen dabei spielen wollten. Des andern Morgens gingen sie wieder hin, und weil der Saal sehr voll war, kroch Matteuzzo in dem Gewimmel von Menschen unbemerkt unter die Bank, bis an die Stelle, wo der Richter seine Füße hatte. Maso indessen drängte sich an einer Seite zu dem Richter und zupfte ihn an dem Saume seines Mantels, und Ribi that dasselbe auf der andern Seite. Maso sprach: »Herr Richter, ich bitte Euch um des Himmelswillen, laßt mir den Schelm, der dort neben Euch steht, nicht fortgehen, ehe er mir meine Stiefel wiedergiebt, die er mir gestohlen hat. Er will es leugnen, allein ich habe gesehen, daß er sie vor weniger als einem Monat hat versohlen lassen.«

Ribi schrie auf der andern Seite: »Glaubt ihm nicht, Herr Richter; er ist ein Schlemmer, und er weiß wohl, daß ich gekommen bin, um ihn wegen eines Schnappsacks zu verklagen, den er mir gestohlen hat; und nun kömmt er und schwatzt von den Stiefeln, die ich längst gehabt habe; und wenn Ihr's nicht glaubt, so kann's Euch meine Nachbarin, die Trecca, bezeugen, und die Grassa, die Kuttelflecke verkauft, und der Gassenfeger zu Sankt Maria, der ihn gesehen hat, wie er vom Dorfe kam.«

Maso an seiner Seite schrie noch lauter, als Ribi, und Ribi suchte wieder jenen zu überschreien. Indem nun der Richter, um besser zu hören, was sie sagten, aufstand, nahm Matteuzzo seine Zeit wahr, langte durch das Loch nach des Richters Hosensitz und that einen solchen Zug, daß die Hosen, weil der Richter mager und schlecht mit Sitzmuskeln versehen war, in einem Augenblicke herunter kamen. Wie dies der Richter fühlte und nicht wußte, was ihm geschah, wollte er seinen Mantel vorn zusammenschlagen und sich niedersetzen. Allein Maso und Ribi hielten ihn an beiden Seiten fest, und jeder von ihnen schrie: »Herr Richter, Ihr thut wahrlich unrecht, wenn Ihr davongeht, während Ihr uns doch Recht verschaffen solltet. Wegen solcher kleinen Händel ist es hier nicht Sitte, Klageschriften einzureichen.« Mit diesen Worten hielten sie ihn so lange auf den Beinen, bis jedermann ihn ohne Hose gesehen hatte. Nach einer kleinen Weile ließ endlich Matteuzzo die Hosen los und schlich unbemerkt wieder fort. Wie Ribi glaubte, daß es genug wäre, sprach er: »Beim Himmel, Herr Richter, ich will mir schon Recht verschaffen, wenn Ihr einmal abdankt.«

»Nein (sprach Maso), ich werde so oft wieder kommen, bis ich einmal finde, daß Ihr mehr Muße habt, als ihr heute zu haben scheint.« Damit machten sie sich beide, der eine hierhin, der andere dorthin eilig aus dem Staube.

Nachdem der Richter in Gegenwart aller Menschen seine Hosen wieder angezogen hatte, als wenn er eben aus dem Bette käme, fing er an, den Possen zu vermuten, den man ihm gespielt hatte. Er fragte also nach den beiden, die wegen der Stiefel und des Schnappsacks geklagt hatten, und wie sie nicht zu finden waren, schwor er Stein und Bein, daß er wissen wollte, ob es in Florenz Sitte wäre, dem Richter die Hosen vom Leibe zu ziehen, wenn sie auf der Bank säßen, um Recht zu sprechen.

Der Stadtvogt wollte zwar auch, wie er es erfuhr, viel Aufhebens darüber machen. Wie ihm aber seine Freunde begreiflich machten, daß der Spaß nur angestellt wäre, um ihm zu zeigen, daß die Florentiner wohl merkten, daß er ihnen statt Richter Schafsköpfe mitgebracht hätte, um an der Besoldung zu sparen, hielt er's für das Beste, zu schweigen und die Sache ging diesmal nicht weiter.

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