Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Einundvierzigste Erzählung.

Wir lesen in den alten Geschichten der Cyprier, daß einst auf der Insel Cypern ein angesehener Mann lebte, namens Aristipffus, welcher unter allen seinen Landsleuten den größten Überfluß an zeitlichen Gütern besaß. Nichts würde seinem Glücke gefehlt haben, wenn das Schicksal ihm nicht in einem Umstande ein größeres Herzeleid als anderen Menschen beschieden hätte; er hatte nämlich unter mehreren Kindern einen Sohn, der zwar an Größe, Gestalt und Schönheit alle übrigen Jünglinge übertraf, allein dabei fast ganz blödsinnig war, so daß alle Hoffnung verloren schien, etwas aus ihm zu machen. Er hieß eigentlich Galesus; weil aber weder die Mühe, die seine Lehrer sich mit ihm gaben, noch die Güte oder die Strenge seines Vaters, noch irgend ein Mittel, welches andere Leute ersonnen, im Stande waren, ihm das Geringste von den Wissenschaften oder guten Sitten beizubringen, so pflegte man ihn wegen seiner groben und plumpen Stimme, Gebärden und Handlungen, die mehr viehisch, als menschlich waren, Cimon zu nennen, ein Beiname, der bei ihnen ebensoviel bedeutete, als wenn wir jemand ein Vieh schelten. Seine ungeschliffene Aufführung machte seinem Vater vielen Verdruß, bis er endlich alle Hoffnung aufgab, ihn zu einem rechtlichen Menschen zu machen; daher er ihn, um ihn nur aus seinen Augen zu entfernen, auf ein Dorf schickte und ihm befahl, daselbst bei den Knechten und Bauern zu bleiben; und dieses ließ er sich auch gern gefallen, weil ihm selbst die bäurische Lebensart besser behagte als der Umgang mit den Menschen in der Stadt.

Wie nun Cimon auf dem Lande lebte, und sich daselbst mit Feldarbeit beschäftigte, traf es sich eines Tages kurz nach Mittag, daß er mit seinem Karst auf der Schulter von einem Dorfe nach einem andern ging, und durch ein angenehmes Gehölz kam, welches mit dem herrlichsten Laube prangte, weil es eben im Maimonat war. Hier schien sein guter Glückstern seine Schritte nach einer Wiese zu leiten, die von hohen Bäumen umgeben und an einer Seite von einem schönen kühlen Bache umflossen ward. Neben demselben sah er auf dem grünen Rasen ein wunderschönes Mädchen in einem so leichten Gewande schlafen, daß es fast keinen ihrer blendenden Reize verbarg; denn vom Gürtel niederwärts hatte sie bloß eine feine weiße Decke über sich gebreitet. Zu ihren Füßen schliefen zwei Weiber und ein Mann, welche sie bedienten. Wie Cimon das Mädchen erblickte, stutzte er, als wenn er noch nie eine weibliche Gestalt gesehen hätte, stützte sich auf seine Hacke und betrachtete sie mit stummer Verwunderung. In seiner rohen Brust, welcher tausend Lehren und Ermahnungen nicht einen Funken Empfindung für eine gesittete Aufführung hatten beibringen können, ward auf einmal ein Gefühl erweckt, welches seinem groben plumpen Vorstellungsvermögen zu verstehen gab, dies sei das schönste Wesen, welches jemals ein Sterblicher erblickt habe. Jetzt fing er an, auch die einzelnen Teile dieser Schönheit zu mustern; er bewunderte ihr Haupthaar, dem das Gold an Glanze weichen mußte, die Stirne, die Nase, den Mund, den Hals und die Arme; vor allen Dingen aber den kleinen Busen, der eben anfing, sich zu wölben; und als wenn er aus einem Bauern auf einmal zum Kunstkenner geworden wäre, so konnte er sich den Wunsch nicht versagen, ihre Augen zu sehen, die ein tiefer Schlaf noch verschlossen hielt. Um diese zu erblicken, kam ihm mehr als einmal die Lust an, die schöne Schläferin zu wecken. Weil er sie aber unendlich schöner fand, als alle Weiber, die er jemals gesehen hatte, so zweifelte er, ob sie nicht vielleicht eine Göttin wäre, und weil er noch Verstand genug hatte, um einzusehen, daß er göttlichen Dingen mehr Ehrfurcht schuldig wäre, als menschlichen, so enthielt er sich und wollte lieber warten, bis sie von selbst erwachen würde; und wiewohl ihm darüber die Zeit fast zu lang ward, so empfand er doch so viel Vergnügen, daß er sich nicht entschließen konnte, sich zu entfernen. Endlich fügte es sich, daß die Jungfrau, deren Namen Iphigenia war, früher als ihre Leute erwachte, und indem sie ihre Augen aufschlug und ihr Haupt erhob, den Cimon erblickte, wie er auf seinen Karst gestützt vor ihr stand. Da ihn Jedermann kannte, sowohl wegen seiner eigenen bäurischen Gestalt, als weil er der Sohn eines so angesehenen und vermögenden Mannes war, so nannte sie ihn bei seinem Namen und fragte: »Cimon, was hast Du um diese Stunde hier im Walde zu schaffen?«

Cimon antwortete nicht, sondern indem ihre Augen sich öffneten, blickten die seinigen sie unverwandt an, und er schien zu empfinden, daß eine sanfte Bewegung, die sie ihm einflößten, sein Innerstes mit einem nie gekannten Vergnügen erfüllte. Dieses bemerkte die Jungfrau, und weil sie fürchtete, sein starrer Blick möchte ihn bei seinem bäurischen Wesen zu Unanständigkeiten führen, so weckte sie ihre Weiber, stand auf und sagte: »Gehabe Dich wohl, Cimon!«

Cimon antwortete: »Ich gehe mit Dir.« Und obwohl die Jungfrau sich seine Begleitung verbat, weil sie sich noch immer vor ihm fürchtete, so konnte sie ihn doch nicht los werden, bis er sie ganz nach ihrem Hause begleitet hatte. Von Stunde an ging er zu seinem Vater und erklärte ihm, er habe durchaus keine Lust, wieder nach dem Dorfe zurückzukehren. Dem Vater war dieses zwar nicht lieb, doch ließ er ihm seinen Willen, indem er neugierig war, zu sehen, was ihn bewogen hätte, seinen Entschluß zu ändern. Da indessen Cimons Herz, auf welches weder Lehren noch Ermahnungen einigen Eindruck hatten machen können, von Iphigenia's Reizen bezwungen, sich einmal der Liebe geöffnet hatte, so entwickelte sich nunmehr bei ihm von Tage zu Tage ein neuer Begriff nach dem andern, so daß sein Vater, seine Verwandten, und alle, die ihn kannten, darüber in die äußerste Verwunderung gerieten. Zuerst bat er seinen Vater, ihn zierlich und ordentlich, so wie seine übrigen Brüder, kleiden zu lassen, welches derselbe mit Vergnügen that. Hierauf suchte er den Umgang gebildeter Jünglinge und bemerkte mit Aufmerksamkeit die Aufführung, welche sich für gesittete Leute und besonders für Verliebte schickte; und so lernte er gleich anfangs zu jedermanns Verwunderung in kurzer Zeit nicht nur die ersten Anfangsgründe der Wissenschaften, sondern er ward auch bald einer der ersten und geschicktesten Sophisten. Seine rohe bäurische Stimme bildete sich auch nicht allein zum städtischen Wohllaut, sondern er ward auch ein Meister im Gesang und Klangspiel, im Reiten und Fechten, und bewies sich in allen kriegerischen Übungen zu Wasser und zu Lande gleich tapfer und geschickt; und das alles bewirkte seine Liebe zu Iphigenia. Mit einem Worte (um mich nicht bei jedem kleinen Umstande seiner Ausbildung aufzuhalten), es waren seit dem ersten Tage der Entstehung seiner Liebe noch keine vier Jahr verflossen, so ward er der munterste, angenehmste, tugendhafteste und vollkommenste Jüngling auf der ganzen Insel Cypern.

Wie sollen wir uns diese Verwandlung des Cimon erklären, meine liebenswürdigen Freundinnen? Gewiß auf keine andere Weise, als daß das neidische Schicksal die herrlichen Tugenden, zu welchen der Himmel den Keim in ihn gelegt hatte, in einem äußerst kleinen Winkel seines Herzens mit eisernen Banden gefesselt und eingeschlossen hielt; daß aber die Liebe, die noch mächtiger ist als das Schicksal, diese Bande zersprengte, daß sie seine schlafenden Begriffe weckte, sie aus dem tiefen Dunkel, welches sie umhüllte, hervorzog und an's helle Licht brachte, und dadurch bewies, daß sie die Geisteskräfte ihrer Verehrer überall ausfindig zu machen und sie mit ihrem Strahl zu erhellen vermag.

Obwohl nun Cimon, wie Jünglinge wohl pflegen, in den Äußerungen seiner Liebe zu Iphigenia manches übertrieb, so ließ sich doch sein Vater dieses nicht nur gerne gefallen, sondern that ihm auch selbst allen möglichen Vorschub, um in diesem Stücke nach seiner Neigung zu handeln. Cimon, welcher nach diesem nie wieder Galesus heißen wollte, weil Iphigenia ihn einmal Cimon genannt hatte, suchte endlich das Ziel seiner Wünsche zu erreichen und ließ deswegen bei dem Cypseus, Iphigenia's Vater, um sie anhalten. Allein Cypseus gab zur Antwort, er habe sie einem gewissen edlen Jüngling in Rhodus, namens Phasimus, bereits versprochen, und er wolle sein Wort nicht brechen. Wie nun die Zeit kam, daß die festgesetzte Vermählung sollte vollzogen werden, und der Bräutigam Abgesandte schickte, um seine Braut heimzuholen, dachte Cimon bei sich: »Jetzt, Iphigenia, ist es Zeit, zu beweisen, wie sehr ich Dich liebe. Dein Anblick hat mich zum Menschen gemacht, Dein Besitz würde mich ohne Zweifel zu dem Glück eines Gottes erheben; und wahrlich, ich will Dich besitzen oder sterben!«

Er warb hierauf in der Stille einige edelmütige Jünglinge an, die seine Freunde und Waffenbrüder geworden waren, ließ heimlich ein Schiff ausrüsten und mit allem Nötigen zum Seegefecht versehen und stach in die See, um das Fahrzeug aufzufangen, welches Iphigenia zu ihrem Bräutigam führen sollte. Dieses ging gleichfalls in See und steuerte gerade nach Rhodus zu. Cimon war wacker, traf am folgenden Tage mit ihnen zusammen und rief ihnen zu: »Streicht die Segel, oder erwartet Euren Tod in den Wellen, wenn ich Euch überwinde.«

Seine Gegner brachten ihre Waffen auf's Verdeck und machten sich fertig zum Widerstande. Wie dies Cimon sah, warf er dem Rhodischen Schiffe einen Enterhaken an Bord, indem es sich schnell zu entfernen suchte, und befestigte es damit an den Schnabel des seinigen. Er wartete nicht, bis seine Gefährten ihm folgten, sondern grimmig wie ein Löwe sprang er in das Schiff der Rhodier, achtete nicht die Zahl seiner Gegner, indem die Liebe ihm unüberwindliche Kraft verlieh und würgte links und rechts unter ihnen mit seinem Schwerte, wie unter einer Herde Schafe. Erschrocken warfen die Rhodier ihre Waffen von sich und baten einstimmig um Pardon. »Jünglinge!« sprach Cimon zu ihnen, »mich trieb weder Raubgier, noch Erbitterung, von Cypern auszulaufen und Euch im offenen Meere mit gewaffneter Hand anzugreifen, sondern mich bewog dasjenige, was mir das Teuerste ist, was ich erwerben kann und was Ihr mir ohne Mühe in Frieden gewähren könnt, nämlich Iphigenia, die ich über alles in der Welt liebe. Da ich sie nicht von ihrem Vater in Frieden und Freundschaft erhalten konnte, so zwang mich die Liebe, sie mit den Waffen in der Hand von Euch zu gewinnen. Ich bin willens, die Stelle bei ihr zu vertreten, die man Eurem Phasimus bestimmt hatte. Gebt sie mir und fahret in Gottes Namen Eure Straße.«

Die Jünglinge überlieferten ihm, mehr gezwungen als gutwillig, die in Thränen schwimmende Iphigenia. Wie Cimon ihre Thränen fließen sah, sprach er: »Edle Jungfrau, sei unbekümmert. Ich bin Dein Cimon, dem seine standhafte Liebe ein größeres Recht giebt, Dich zu besitzen, als dem Phasimus die gegebene Zusage.«

Sobald Cimon sie an Bord seines Schiffes sah, kehrte er wieder um zu seinen Gefährten und ließ die Rhodier fahren, ohne sie im geringsten an ihrem Eigentum zu verletzen. Höchst entzückt über die teure geliebte Beute, sann er nur darauf, sie zu beruhigen, und stellte hiernächst seinen Gefährten vor, daß es nicht ratsam wäre, gleich nach Cypern zurück zu kehren; er fand sie auch einstimmig seiner Meinung, daß es besser sein würde, nach Kreta zu gehen, wo sie fast alle, und Cimon insbesondere, durch ältere und neuere Verbindungen mit vielen angesehenen Geschlechtern verwandt und befreundet waren, und weil sie daselbst mit Iphigenia in Sicherheit zu sein glaubten, so richteten sie ihren Lauf dahin. Allein das Glück, welches dem Cimon die Eroberung seiner Geliebten leicht genug gemacht hatte, blieb ihm nicht lange treu, sondern es verwandelte nur zu bald die innige Freude des liebenden Jünglings in die bitterste Betrübnis. Es waren noch nicht vier Stunden seit seinem Gefechte mit den Rhodiern vergangen, wie die Nacht, welche Cimon mit nie empfundener Sehnsucht erwartet hatte, anbrach; doch mit ihr erhob sich zugleich ein fürchterlicher Sturm mit Ungewitter, sodaß die tobenden Wellen im schrecklichen Kampfe mit dem schwarzen Gewölk sich fast zu vermengen schienen und es den Schiffsleuten unmöglich machten, nicht nur das Schiff zu regieren, sondern sich auf demselben auch nur aufrecht zu erhalten. Cimon war äußerst bekümmert um Iphigenia; er glaubte, die Götter hätten ihm nur deswegen seine Wünsche zum Teil gewährt, damit sie ihm den Tod desto schmerzlicher machten, dem er wenige Stunden vorher mutig entgegenging. Seine Gefährten waren nicht weniger in Ängsten; am meisten aber Iphigenia, die bei jeder Schlagwelle ihren Tod in den Wogen zu finden glaubte und Cimon mit seiner Liebe verwünschte, und seine Vermessenheit schalt, weil sie gewiß glaubte, das Ungewitter wäre aus keiner anderen Ursache entstanden, als weil die Götter nicht zugeben wollten, daß derjenige, welcher sie wieder ihren Ratschluß zu seiner Gemahlin machen wollte, die Frucht seiner verwegenen Unternehmung genießen, sondern daß er sie zuerst elendiglich umkommen sehen, und dann selbst dem Tode geweiht werden sollte. Indem nun der Sturm immer heftiger, die Wehklage immer lauter und die Verlegenheit der Schiffsleute immer größer und allgemeiner ward, und niemand wußte, wohin das Schiff triebe, wurden sie bis in die Nähe der Insel Rhodus verschlagen; sie wurden das Land gewahr, und ohne zu wissen oder sich auch darum nur zu kümmern, wo sie waren, bemühten sie sich nur, das Schiff womöglich unter dem Schutze des Landes vor Anker zu bringen, um ihr Leben zu retten. Das Glück war ihnen auch insoweit günstig, daß sie eine kleine Bucht entdeckten, in welche kurz vorher die Rhodier, mit welchen Cimon gekämpft hatte, eingelaufen waren, und kaum entdeckten sie in der Morgendämmerung, daß sie bei Rhodus vor Anker gekommen waren, so bemerkten sie auch, indem sich das Wetter ein wenig aufklärte, in der Entfernung eines Bogenschusses das Schiff, mit welchem sie sich des Abends vorher geschlagen hatten. Cimon ward darüber sehr bestürzt, und weil er ahnte, was ihm bevorstand, so befahl er, alle Kräfte anzustrengen, um das Schiff wieder in See zu bringen und sich dann der Führung des Schicksals zu überlassen, weil sie an keinen schlimmeren Ort, als an diesen, geraten könnten. Man that alles Mögliche, um die See wieder zu gewinnen, jedoch vergeblich. Der widrige Wind verhinderte sie nicht nur, aus der Bucht wieder auszulaufen, sondern er trieb sie, aller Anstrengungen ungeachtet, nur immer näher an's Land, wo sie von der Mannschaft des Rhodischen Schiffes alsobald gesehen und erkannt wurden. Diese gaben unverzüglich den jungen Rhodiern, die sich bereits nach einem nahen Dorfe begeben hatten, Nachricht, daß Cimon und Iphigenia mit ihrem Schiffe zufälliger Weise mit ihnen an einerlei Stelle vor Anker gekommen wären. Dies war ihnen sehr lieb, sie versammelten eine Menge Leute aus dem Dorfe und eilten nach dem Gestade, wo Cimon mit den Seinigen soeben gelandet und im Begriffe war, mit ihnen in dem nahe gelegenen Wald sich zu verbergen. Sie wurden aber sämtlich nebst Iphigenia gefangen genommen und nach dem Dorfe gebracht. Lysimachus, welchem in diesem Jahre die oberste Gewalt auf der Insel anvertraut war, begab sich dahin, begleitet von einem zahlreichen Gefolge bewaffneter Leute aus der Stadt und ließ den Cimon nebst den Seinigen, vermöge der Anklage, die Phasimus bei der Landesobrigkeit angebracht hatte, nach dem Gefängnisse führen.

So ward dem armen verliebten Cimon seine Iphigenia wieder entrissen, wenige Stunden nachdem er sie entführt und wie er ihr kaum den ersten Kuß geraubt hatte. Iphigenia ward indessen von vielen edlen Frauen in Rhodus empfangen, welche sich bemühten, ihr nach dem Schrecken über ihre Entführung und über die Wut des ungestümen Meeres einige Erholung zu verschaffen und bei welchen sie bis an den Tag verweilte, der zu ihrer Hochzeit angesetzt war. Dem Cimon und seinen Gefährten schenkte man zwar das Leben, weil sie am vorigen Tage den Rhodischen Jünglingen freien Abzug vergönnt hatten (obgleich Phasimus sich alle Mühe gab, ein Todesurteil gegen sie auszuwirken), doch verdammte man sie alle zu ewigem Gefängnis.

Phasimus eilte indessen, Anstalten zu seiner Vermählung zu treffen; doch indem er sich damit beschäftigte, schien das Schicksal es schon wieder zu bereuen, daß es dem Cimon plötzlich einen so bösen Streich gespielt hatte und es führte von neuem eine Gelegenheit herbei, um seiner Sache wieder aufzuhelfen. Phasimus hatte nämlich einen Bruder, dem er zwar an Jahren, aber nicht an guten Eigenschaften überlegen war, namens Hormiscus. Dieser hatte sich seit langer Zeit um ein schönes und edles Mädchen, Kassandra genannt, beworben, in welches Lysimachus gleichfalls sehr verliebt war; doch hatte diese Heirat bisher verschiedene Hindernisse gefunden. Wie aber Phasimus jetzt im Begriffe war, seine eigene Hochzeit mit großem Gepränge zu begehen, hielt er es für das Beste, um doppelte Unkosten und doppelte Feierlichkeiten zu sparen, daß Hormiscus sich zu gleicher Zeit verheiratete. Er knüpfte demnach die Unterhandlungen mit Kassandra's Eltern wieder an, brachte sie glücklich zu stande und verabredete darauf mit seinem Bruder, daß sie an einem Tage beide Hochzeit halten wollten.

Wie Lysimachus dies vernahm, schmerzte es ihn sehr, alle seine Hoffnungen getäuscht zu sehen, weil er sich ganz gewiß geschmeichelt hatte, Kassandra selbst zu bekommen, wenn aus der Heirat mit dem Hormiscus nichts würde. Er verbarg inzwischen seinen Unmut darüber, indes er auf Mittel sann, die Absichten des Hormiscus zu vereiteln; doch sah er dazu keinen anderen Ausweg als Kassandra zu entführen. Vermöge der Macht, die er in Händen hatte, schien ihm dieses nicht schwer zu sein; doch hielt er eben deswegen diese Maßregel für weniger erlaubt und anständig, als wenn ihm diese Gewalt nicht wäre anvertraut gewesen. Nachdem er jedoch lange darüber hin und her gedacht hatte, behielt endlich die Liebe den Sieg über die Gewissenhaftigkeit und er entschloß sich, Kassandra zu entführen, es möchte kosten, was es wolle. Indem er nun überlegte, welche Gehülfen er sich wählen und wie er die Anstalten treffen wollte, fiel ihm Cimon ein, der mit seinen Gefährten im Gefängnis schmachtete und er glaubte, daß er nirgends bessere und treuere Mitgenossen finden könnte. Er ließ demnach an einem Abend den Cimon insgeheim zu sich kommen und redete ihn folgendermaßen an: »Cimon! So wie die Götter sich den Menschen als die besten und reichlichsten Geber alles Guten zeigen, so wissen sie auch am besten, ihre Tugenden auf die Probe zu stellen und diejenigen nach Verdienst zu belohnen, welche am festesten und beständigsten in allen Fällen gefunden werden. Sie verlangten von Deiner Tugend größere Beweise, als Du in dem Hause Deines Vaters hättest geben können, der, wie ich weiß, an allen Glücksgütern einen Überfluß hat. Deswegen haben sie Dich, wie ich höre, durch den Stachel der Liebe aus einem unempfindlichen Tierleben zu einem vernünftigen Zustande erweckt; darauf hat Dein hartes Schicksal Dich hierher in eine beschwerliche Gefangenschaft geführt, weil die Götter versuchen wollten, ob Dein Mut sich durch den plötzlichen Verlust Deiner eroberten geliebten Beute würde wankend machen lassen. Bist Du aber noch eben so gesinnt, wie vormals, so haben sie Dir nie ein erwünschteres Geschenk gemacht, als die Gelegenheit, welche sie Dir jetzt anbieten und die ich Dir verkündigen will, damit Du Dich wieder ermannest und Mut gewinnest. Phasimus, der sich über Dein Unglück freut und Dir gerne den Tod bereitet hätte, beeilt sich jetzt, seine Vermählung mit Deiner Iphigenia zu vollziehen, um sich des Schatzes zu erfreuen, welchen Dir Dein günstiges Glück zuerst bescherte und ihn Dir dann plötzlich im Zorn wieder entriß. Wie sehr Dich dieses schmerzen müsse, wenn Du so zärtlich liebst, wie ich glaube, das weiß ich aus eigener Erfahrung, indem des Phasimus Bruder Hormiscus mir in Kassandra's Person, die ich unaussprechlich liebe, an demselben Tage eine ähnliche Kränkung zubereitet. Ich weiß keinen anderen Weg, den das Schicksal uns offen gelassen hat, um dieser Kränkung zuvor zu kommen, als durch unseren Mut und durch die Kraft unseres Armes, der uns mit dem Schwerte die Bahn zur Entführung unserer Geliebten brechen muß; denn wofern Dir, ich will nicht sagen Deine Freiheit (denn diese hat wohl ohne den Besitz Deiner Geliebten nur einen geringen Wert für Dich), sondern die Wiedererlangung Deiner Geliebten selbst am Herzen liegt, so geben sie Dir die Götter in Deine Hand, wenn Du mir in meinen Unternehmungen beistehen willst.«

Diese Worte weckten den gesunkenen Mut in Cimon's Brust wieder auf. Er besann sich nicht lange auf eine Antwort, sondern sprach: »Lysimachus, Du kannst Dir bei dieser Unternehmung weder einen tapferern, noch einen treueren Gefährten wählen, als mich, wenn ich dasjenige damit erlangen kann, was Du mich hoffen lässest; sage mir also nur, was ich thun soll, so sollst Du sehen, mit welchem Eifer und Kraft ich es ausführen werde.«

Lysimachus antwortete: »Über drei Tage werden die beiden Bräute ihren Einzug in den Palast ihrer Verlobten halten. Am Abend wollen wir beide, Du mit Deinen Gefährten, und ich mit einigen zuverlässigen Männern, das Haus überfallen, unsere Geliebten mitten aus dem Kreise der versammelten Gäste entführen und sie auf ein Schiff bringen, das ich schon heimlich habe ausrüsten lassen, und wer sich uns widersetzt, der soll durch unser Schwert fallen.«

Dem Cimon gefiel der Anschlag, und er hielt sich bis zur anberaumten Zeit still in seinem Gefängnis. Wie der Hochzeitstag kam, war der Aufzug sehr festlich, und in dem Hause der beiden Brüder erscholl alles von lautem Jubel. Wie Lysimachus alles veranstaltet und sich und Cimon, samt dessen Gefährten und seinen eigenen Freunden, mit Waffen versehen hatte, die sie unter ihren Kleidern versteckten, ermunterte er sie durch eine zweckmäßige Anrede zur wackeren Ausführung seiner That und teilte sie hierauf in drei Haufen, wovon er den einen in der Stille nach dem Hafen schickte, um den Weg nach dem Schiffe im nötigen Fall offen zu halten. Mit den beiden anderen Haufen ging er nach dem Hause des Phasimus, wo er den einen an der Thüre ließ, um sich den Rückweg zu sichern. Der andere folgte ihm und Cimon die Treppe hinauf. Wie sie in den Saal kamen, wo die jungen Bräute mitten unter vielen anderen Frauenzimmern bereits an der Tafel saßen, sprangen sie zu, stießen die Tische um und bemächtigten sich ein Jeder seiner Geliebten, übergaben sie dem Schutz ihrer Waffengenossen und zogen selbst ihre Schwerter zu ihrer Verteidigung. Die beiden Bräute weinten und jammerten, und alle übrigen Weiber, samt den Dienern erhoben ein lautes Klagegeschrei, indes Cimon und Lysimachus mit ihren Genossen ihre schöne Beute ohne Widerstand wegführten, weil ein jeder aus Furcht vor ihren gezückten Schwertern ihnen Platz machte. Indem sie die Treppe hinunter eilten, kam ihnen Phasimus entgegen, der bei dem entstandenen Getümmel mit einer großen Keule herbeigelaufen kam. Cimon versetzte ihm aber einen Hieb, der ihm den Schädel fast von einander spaltete und ihn tot zu Boden streckte. Der unglückliche Hormiscus, welcher seinem Bruder zu Hilfe eilte, fiel unter den Streichen des Lysimachus, und einige andere, die ihnen den Weg streitig machen wollten, wurden von den Gefährten des Cimon und Lysimachus zurückgetrieben, nachdem einige von ihnen verwundet worden waren. Sie verließen das Haus, in welchem sie Schrecken, Blut und Getümmel verbreitet hatten, und erreichten schnell und ungehindert den Hafen, wo sie die Frauenzimmer einschifften und dann selbst in Eile ihr Schiff bestiegen, weil sie sahen, daß schon eine Menge bewaffneter Leute sich zusammen rottete, um die beiden Jungfrauen wieder zu befreien. Sie ruderten schnell und fröhlich davon und wurden bei ihrer Ankunft in Kreta von ihren vielen Freunden und Verwandten mit Freunden aufgenommen, feierten daselbst ihre Hochzeit und erfreuten sich ihrer geliebten Beute. In Cypern und auf Rhodus entstanden indessen große und langwierige Fehden um ihretwillen. Doch endlich schlugen sich einige friedliebende Freunde auf beiden Inseln in's Mittel und brachten es dahin, daß Cimon und Iphigenia nach einer kurzen Verbannung wieder nach Cypern, und Lysimachus mit Kassandra nach Rhodus froh und friedlich zurückkehren durften, und lange Jahre in glücklicher Vereinigung mit einander lebten.

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