Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Vierundvierzigste Erzählung.

Es ist noch nicht gar lange her, wie in Romagna ein braver und angesehener Kavalier lebte, namens Messer' Lizio da Valbona, welchen seine Gemahlin, Madonna Giacomina, indem er schon anfing zu altern, mit einer Tochter beschenkte, die, wie sie heranwuchs, alle Mädchen an Schönheit und Liebreiz übertraf, und weil sie überdies das einzige Kind ihrer Eltern war, von ihnen außerordentlich geliebt und zugleich mit äußerster Sorgfalt bewacht ward, weil die Eltern hofften, sie besonders vorteilhaft zu verheiraten. Ein gewisser schöner, rüstiger Jüngling von dem Geschlechte der Manardi von Brentinoro, namens Ricciardo, lebte inzwischen mit dem Vater auf einem so vertrauten Fuße, daß weder er, noch seine Gattin, ihn anders, als wie ihren eigenen Sohn betrachteten, und ihn eben so unbefangen bei sich aus- und eingehen ließen. Wie dieser das schöne, reizende, wohlerzogene Mädchen, welches eben zum mannbaren Alter gereift war, täglich vor Augen hatte, ward er äußerst verliebt in sie, wußte aber seine Liebe so gut zu verbergen, daß nur sie allein sie bemerkte und nicht unterließ, seine Zärtlichkeit zu erwidern. Ricciardo ward froh, wie er diese Entdeckung machte, und mehr als einmal schwebte ihm seine Liebeserklärung auf der Zunge; doch lange hielt ihn seine Schüchternheit zurück, bis er sich endlich einst ein Herz faßte und sagte: »Catarina! ich bitte Dich, laß mich nicht vor Liebe sterben.«

»Wollte Gott (gab sie ihm zur Antwort), daß Du mich nicht vielmehr verschmachten ließest.«

Diese Antwort löste ihm vollends die Zunge, und er versetzte: »An mir soll es nicht liegen, alles zu thun, was Du wünschest; aber Du mußt für das Mittel sorgen, Dir und mir das Leben zu retten.«

»Du siehst, Ricciardo (antwortete Catarina), wie strenge ich bewacht werde, und ich weiß kein Mittel zu entdecken, wie Du zu mir kommen könntest; kannst Du Dich aber auf etwas besinnen, das ich ohne Verletzung meines guten Rufes thun kann, so sprich, und es soll geschehen.«

Ricciardo besann sich ein wenig und sagte: »Liebe Catarina! ich weiß kein anderes Mittel, als wenn Du versuchtest, auf den Austritt vor Eurem Gartenfenster zu kommen, oder daselbst zu schlafen. Wenn ich dann wüßte, daß Du in der Nacht dort wärest, wollte ich schon zu Dir hinaufkommen so hoch es auch ist.«

»Wenn Du es wagen willst, so hoffe ich es schon so einzurichten, daß man mir erlaubt, dort zu schlafen,« sprach Catarina. Ein verstohlener Kuß besiegelte diese Verabredung, worauf sie einander schnell verließen.

Es ging schon gegen das Ende des Maimonats, und am folgenden Tage beklagte sich Catarina bei ihrer Mutter, daß sie in der vorigen Nacht in ihrem Zimmer vor Hitze nicht hätte schlafen können.

»Was sprichst Du von Hitze, mein Kind? (sprach die Mutter) Es war ja noch nicht einmal warm.«

»Wenn Ihr das dem Vater sagtet (erwiderte Catarina), so möchte es wohl seine Richtigkeit haben, liebe Mutter. Aber Ihr müßt bedenken, daß junge Mädchen wärmeres Blut haben, als bejahrte Leute.«

»Das ist wohl wahr, mein Töchterchen (sprach die Mutter). Allein ich kann nicht über Wärme und Kälte gebieten, wie Du wohl wünschest. Man muß die Witterung so nehmen, wie sie die Jahreszeit mit sich bringt: vielleicht wird es künftige Nacht kühler sein, daß Du ruhiger schlafen kannst.«

»Das gebe der Himmel (sprach Catarina). Aber die Nächte pflegen gewöhnlich gegen den Sommer nicht kühler zu werden.«

»Wie willst Du denn, daß wir es anfangen sollen?« fragte die Mutter wieder.

»Wenn Ihr und der Vater nichts dawider hättet (antwortete die Tochter), so möchte ich mir wohl neben seinem Zimmer, auf dem Austritt, der nach dem Garten liegt, ein Bett machen und die Nacht daselbst schlafen. Ich würde die Nachtigall singen hören und im Kühlen viel besser schlafen, als bei Euch in Eurem Zimmer.«

»Gut, mein Töchterchen (sprach die Mutter). Ich will's dem Vater sagen, und wenn er damit zufrieden ist, so soll es geschehen.«

Wie die Frau Giaccomina ihrem Gemahl die Sache vortrug, gab er ihr (weil er ein alter Mann und daher vermutlich ein wenig mürrisch war) zur Antwort: »Was schwatzt das Mädel von Nachtigallen, die sie in den Schlaf singen sollen? Ich werde sie wohl lehren müssen, sich von den Heuschrecken einschläfern zu lassen.«

Wie Catarina diese Antwort von ihrer Mutter hörte, brachte sie (mehr aus Verdruß, als vor Hitze) die folgende Nacht nicht nur allein schlaflos zu, sondern sie ließ auch ihrer Mutter keine Ruhe und klagte beständig über die große Hitze. Des andern Morgens sprach die Mutter zu ihrem Alten: »Väterchen, Du hast doch auch ein wenig Liebe für das arme Mädchen. Was kann es Dir schaden, daß sie auf dem Austritt schläft? Sie hat die vergangene Nacht vor lauter Hitze nirgends im Bette Ruhe gehabt; und ist es denn so wunderbar, daß ein junges Mädchen gerne die Nachtigall singen hört? Jugend ist Jugend und liebt jugendliche Ergötzungen.«

»Nun gut denn! (sprach Lizio) Laß ihr ein Bett machen, wie und wo Du willst, aber laß es mit Vorhängen umgeben: mag sie sich dann nach Herzenslust von den Nachtigallen einwiegen lassen.«

Wie Catarina dieses erfuhr, eilte sie, sich ihr Bett bereiten zu lassen, und sobald sie ihren Ricciardo gewahr ward, gab sie ihm ein gewisses Zeichen, woran er ersah, was er zu thun hätte. Sobald Messer' Lizio hörte, daß seine Tochter zu Bette gegangen war, verschloß er die Thüre, die aus seinem Zimmer nach dem Austritte ging, und legte sich gleichfalls zu Bette. Wie Ricciardo merkte, daß alles im Hause still war, erstieg er mit Hülfe einer Leiter die Gartenmauer und kletterte dann an den Absätzen der Mauer des Hauses nicht ohne große Gefahr hinaus bis auf den Austritt, wo ihn sein Mädchen in aller Stille mit großer Freude empfing. Die Geschichte sagt nicht, wie oft sie die Nachtigall singen hörten; weil aber ihr Vergnügen groß und die Nacht nicht mehr lang war, so verging ihnen diese so schnell, daß sich unvermerkt der Tag bereits näherte, wie sie kaum Zeit gehabt hatten, ein wenig einzuschlummern; und teils die wonnige Jahreszeit, teils ihre zärtlichen Liebkosungen, hatten sie so erwärmt, daß sie ohne alle Bedeckung lagen. Catarina hatte mit der Rechten den Hals ihres Geliebten fest umschlungen und mit der Linken – den Vogel, den sie so gern hatte wollen singen hören. In dieser Lage überraschte sie der Tag. Herr Lizio stand auf, und weil es ihm einfiel, daß seine Tochter auf dem Balkon schlief, war er neugierig zu sehen, wie sie bei dem Nachtigallengesange geruht hätte. Leise trat er an das Bett, hob den Vorhang auf und fand die beiden Verliebten in der vorbeschriebenen Stellung im süßesten Schlafe. Wie er das Gesicht des Ricciardo erkannte, kehrte er wieder um, ging nach der Kammer seiner Frau, weckte sie und sagte: »Steh geschwind auf, Frau; Deine Tochter hat die Nachtigall so reizend gefunden und ihr so gut nachgestellt, daß sie sie mit eigenen Händen gefangen hat.«

»Wie ist das möglich!« rief das Mütterchen.

»Das sollst Du sehen, wenn Du nur geschwind kömmst«, antwortete Vater Lizio.

Sie warf geschwind ihr Morgengewand um und folgte ihrem Manne, der sie an das Bett führte, den Vorhang wegschob und ihr zeigte, wie fest ihre Tochter die Nachtigall hielt, nach deren Gesang sie sich so gesehnt hatte. Die Mutter, welche sich von Ricciardo gröblich beleidigt fühlte, wollte Lärm machen und ihn mit Vorwürfen beladen! allein Herr Lizio sagte: »Frau, wenn Du einen Wert auf meine Liebe setzest, so werde nicht laut; denn wahrlich, da sie die Nachtigall einmal gefangen hat, so soll sie sie auch behalten. Ricciardo ist reich und ein Edelmann; eine Verbindung mit ihm kann nicht anders als vorteilhaft für uns sein. Will er sich mit mir in der Güte vertragen, so muß er das Mädchen heiraten, damit er inne wird, daß er die Nachtigall nicht in einen fremden Käfig, sondern in seinen eigenen gesperrt hat.«

Damit ließ sich das Mütterchen besänftigen, zumal da sie sah, daß ihr Mann über den Vorfall nicht aufgebracht war; und weil sie fand, daß ihre Tochter eine gute Nacht gehabt, gut geschlafen und den Vogel gefangen hatte, so gab sie sich zufrieden und schwieg.

Bald nach diesem Gespräch erwachte Ricciardo, und wie er fand, daß es schon hoch Tag war, dachte er, er wäre des Todes. »O Himmel, meine Liebe! (rief er, indem er Catarina weckte), was fangen wir an? Der Tag ist schon angebrochen und hat mich hier überrascht.«

Indem hob Herr Lizio abermals den Vorhang auf und sagte: »Dafür soll wohl Rat werden.«

Ricciardo glaubte schon, daß ihm das Herz aus dem Leibe gerissen würde, wie er den Alten erblickte. »Ach mein Herr! (sprach er, indem er sich im Bette aufrichtete) habt Gnade mit mir, um Gotteswillen! Ich bekenne, daß ich als ein treuloser und böser Mensch den Tod verdient habe. Macht mit mir, was Ihr wollt, nur bitte ich Euch, schonet wo möglich meines Lebens und bringt mich nicht um.«

»Ricciardo! (antwortete der Alte), meine Freundschaft für Dich und das Vertrauen, das ich Dir schenkte, hatten nicht dieses von Dir verdient. Weil aber die Sachen einmal so stehen, und weil Deine Jugend Dich zu diesem großen Fehltritte verleitet hat, so kannst Du Deinen Tod und meine Schande abwenden, wenn Du Dich auf der Stelle mit Catarina verlobst und sie auf immer zu der Deinigen machst, wie sie es diese Nacht gewesen ist. Auf diese Weise kannst Du mir meine Ruhe wiedergeben und Dir selbst das Leben retten. Wo nicht, so befiehl Deine Seele Gott!«

Catarina hatte indessen die Nachtigall losgelassen, die Decke über die Augen gezogen und bitterlich geweint. Jetzt bat sie ihren Vater um Verzeihung und ihren Geliebten um seine Einwilligung in die ihm vorgeschriebene Bedingung. Ricciardo ließ sich nicht lange bitten; denn ihn bewog teils die Scham über seinen begangenen Fehler und der Wunsch, ihn wieder gut zu machen; teils die Furcht vor dem Tode und die Liebe zum Leben; und vor allen Dingen seine innige Liebe und die Begierde, seine Geliebte völlig zu besitzen, so daß er sich nicht einen Augenblick bedachte, sich in den Willen des Lizio zu fügen. Lizio ließ sich demnach von seiner Frau einen Ring bringen, mit welchem Ricciardo in ihrer beider Gegenwart sich mit Catarina feierlich verlobte. Darauf gingen die beiden Alten wieder davon und sagten: »Schlaft nun aus; denn das habt Ihr vielleicht nötiger, als das Aufstehen.« Damit ließen sie den Vorhang fallen, bis ihn das verliebte Paar von selbst wieder aufhob; worauf Ricciardo mit seinem Schwiegervater gehörige Abrede nahm, die Verlobung in Gegenwart aller beiderseitigen Freunde und Verwandten förmlich zu wiederholen; worauf er seine junge Frau fröhlich heimführte, ein großes Hochzeitsfest anstellte und in der Folge den Vogelfang bei Tage und bei Nacht mit ihr in Ruhe und Frieden fortsetzen konnte, so oft es ihm beliebte.

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