Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Dreiundfünfzigste Erzählung.

Zu der Zeit, da Herr Antonio d'Orso, ein würdiger und gelehrter Prälat, Bischof in Florenz war, kam einst ein vornehmer katalonischer Edelmann dahin, namens Don Diego de la Rata, Marschall bei dem Könige Robert. Er war ein sehr schöner Mann und liebte das schöne Geschlecht bis zur Ausschweifung. Unter anderen florentinischen Damen gefiel ihm besonders eine, welche sehr schön und eine leibliche Nichte des Bischofs war; allein ihr Mann war, seiner edlen Geburt ungeachtet, ein schändlicher Geizhals und ein so niederträchtiger Mensch, daß er selbst mit dem Marschall einen Handel schloß und ihm seine Gemahlin, wider ihren Willen, für fünfhundert goldene Kronen auf eine Nacht überließ. Der Marschall betrog ihn aber, indem er fünfhundert Popolini (eine damals gangbare Silbermünze, die an Größe und Gepräge den Kronen völlig ähnlich war) vergolden ließ und sie ihm unterschob. Die Sache ward ruchbar und der Niederträchtige hatte den Schaden und die Schande davon; der Bischof aber ließ sich als ein kluger Mann nicht merken, daß er etwas davon wüßte.

Da indessen der Bischof mit dem Marschall vielen Umgang hatte, so traf es sich auch einmal am Johannistage, daß sie mit einander auf der Rennbahn auf und ab ritten und die Frauenzimmer betrachteten. Der Bischof merkte unter andern eine junge Dame, eine Nichte des Herrn Alesso Rinucci, namens Madonna Nona Pulci, die zu ihrer Zeit ein schönes, rasches, redseliges Mädchen, und damals erst eben verheiratet war. Er machte den Marschall aufmerksam auf sie, und wie sie beide ihr näher kamen, legte er dem Marschall die Hand auf die Schulter und sagte zu ihr: »Nona, was meinst Du von diesem? Würdest Du es wohl mit ihm aufnehmen?«

Nona fand sich durch diese Frage beleidigt, die nach ihrer Meinung keinen anderen Zweck haben konnte, als ihre Keuschheit den vielen Umstehenden verdächtig zu machen. Sie suchte demnach nicht sowohl sich zu verteidigen, als Stich für Stich wieder zu geben, und antwortete: »Wer weiß, ob er es mit mir aufnehmen dürfte; aber die Wette müßte gute Münze gelten.«

Diese Antwort traf sowohl den Bischof, als den Marschall; den Letzteren wegen der schimpflichen Handlung, deren er sich gegen die Nichte des Bischofs schuldig gemacht hatte, und den Bischof, weil er in der Person seiner Nichte war beschimpft worden. Beide schämten sich, einander in's Gesicht zu sehen, und ritten davon, ohne der Nona ein Wort weiter zu sagen. Da man auf sie zuerst gestichelt hatte, so war es ihr nicht zu verdenken, daß sie mit einer Stichelrede erwiderte.

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