Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Fünfundzwanzigste Erzählung.

Es befand sich in Pistoja ein Edelmann von dem Geschlechte der Bergellesi, namens Messer' Francesco, ein reicher und auch im Ganzen ein kluger und vernünftiger Mann, der aber dabei außerordentlich geizig war. Dieser sollte als Landpfleger nach Mailand gehen, und hatte sich mit allem dazu nötigen gehörig und standesgemäß versehen, nur fehlte ihm noch ein stattliches Roß und es war ihm unangenehm, keines finden zu können, das ihm schön genug war.

Zu gleicher Zeit lebte in Pistoja ein Jüngling, namens Ricciardo, der zwar von keiner bedeutenden Herkunft, aber sehr reich war, und zugleich so artig und wohlerzogen in seinen Manieren, daß man ihn gewöhnlich Zima (den Zierlichen) zu nennen pflegte, welcher seit langer Zeit für die Gemahlin des Messer' Francesco, eine wunderschöne und nicht weniger tugendhafte Dame, eine fruchtlose Leidenschaft empfunden hatte. Dieser besaß einen der stattlichsten Gäule in ganz Toskana, den er seiner Schönheit wegen besonders lieb hatte; weil es nun keinem ein Geheimnis war, daß Zima die Gemahlin des Francesco liebte, so brachte diesen jemand auf die Gedanken, daß Zima aus Liebe zu der Dame ihm das Roß wohl gar schenken würde.

Messer Francesco, der sich vom Geize regieren ließ, schickte nach Zima und fragte ihn, ob er ihm den Gaul verkaufen wollte (weil er nicht zweifelte, daß er ihn ihm zum Geschenk anbieten würde). Dem Zima war die Frage willkommen und er antwortete: »Gnädiger Herr, wenn Ihr mir auch gäbet, alles was Ihr in der Welt habt, so wäre mir der Gaul nicht dafür zu Kauf, aber schenken will ich ihn Euch wohl, wenn's Euch gefällt, mit der Bedingung, daß Ihr mir vorher erlaubt, in Eurer Gegenwart einige Worte mit Eurer Gemahlin zu reden, jedoch so, daß niemand mich hört, als sie allein.

Der Kavalier ließ sich durch seinen Geiz verleiten, weil er glaubte, den Zima anführen zu können, und gab ihm zur Antwort, er sei es zufrieden, zu welcher Zeit und Stunde er wolle. Zima ging demnach mit ihm in die Galerie seines Palastes, und Francesco ging zu seiner Gemahlin in ihre Kammer, und nachdem er ihr gesagt hatte, wie er auf eine leichte Art zu einem Staatsrosse kommen könnte, befahl er ihr, heraus zu kommen, und dem Zima Gehör zu geben, allein sich wohl in Acht zu nehmen, daß sie ihm auf alles, was er sagen möchte, nicht ein Wort erwiderte.

Die Dame bezeigte ihr großes Mißfallen an der Sache; weil sie aber ihrem Gemahl gehorchen mußte, versprach sie es zu thun, und folgte ihm in die Galerie, um zu hören, was Zima ihr zu sagen hätte. Nachdem dieser seinen Vertrag mit dem Kavalier nochmals verabredet hatte, setzte er sich am fernsten Ende des Saales mit der Dame nieder und sagte zu ihr: »Liebenswürdige Frau, ich zweifle nicht, Euer Scharfsinn hat Euch längst bemerken lassen, zu welchem Grad der Liebe mich Eure Reize bewogen haben, welche ohne Vergleichung jede andere Schönheit übertreffen, die ich jemals gesehen habe. Ich schweige von Euren liebenswürdigen Sitten und von Euren vorzüglichen Tugenden, welche das Herz des edelmütigsten Mannes bezaubern müssen; und ich brauche Euch demnach nicht mit Worten zu beteuern, daß meine Liebe deswegen um desto größer und inniger ist, als jede andere, und daß sie gewiß so lange, ja noch länger dauern wird, als mein kummervolles Leben diese meine Glieder beseelt; denn wenn man jenseits des Grabes noch lieben kann, so wie hier, so werde ich Euch ewig verehren, und Ihr könnt versichert sein, daß ihr nichts in der Welt, es sei köstlich oder geringe, so unbedingt Euer Eigentum nennen, und zu jeder Zeit so sicher darauf rechnen könnt, als auf mich und auf alles, was ich habe und besitze. Und um Euch davon noch mehr zu versichern, so wisset, daß ich es für ein weit größeres Glück halten würde, wenn Ihr mir befehlen wolltet, alles, was in meinem Vermögen steht, Euch zu Gefallen zu thun, als wenn die ganze Welt auf den geringsten meiner Winke mir zu Gebote stehen müßte. Da ich nun so sehr Euer Eigentum bin, wie ich Euch bezeugt habe, so darf ich mich mit einigem Recht unterstehen, Eurer überschwenglichen Güte eine Bitte vorzutragen, von deren Gewährung allein alle meine Ruhe, meine Wohlfahrt und meine Glückseligkeit abhängt.

Als Euer demütigster Diener bitte ich Euch, mein teuerstes Leben und einziger Trost meiner Seele (welche in der Glut der Liebe keine andere Erquickung kennt, als die Hoffnung), daß Eure Güte sich so weit erstrecken, und die Strenge, die Ihr bisher gegen mich bewiesen, sich so weit mildern möge, daß Eure Schönheit, die mich zur Liebe gereizt hat, mir auch das Leben wiedergebe, welches ich sonst, wenn meine Bitten Euren harten Sinn nicht erweichen, gewiß verlieren und sterben werde. Dann würde man Euch mit Recht meine Mörderin nennen, und nicht allein würde mein Tod Euch wenig Ehre bringen, sondern Euer Gewissen würde Euch gleichfalls Vorwürfe deswegen machen, und wenn Euch bisweilen ein mitleidiges Gefühl überraschte, so würdet Ihr denken: Wie grausam war ich doch, daß ich mich meines Zima nicht erbarmte. Da jedoch dieses Mitleid zu spät kommen würde, so würde es Euren Schmerz nur noch vermehren. Damit nun dieses nicht geschehe, so nehmt Euch das jetzt zu Herzen, da Ihr mir noch helfen könnt, und erbarmt Euch meiner, ehe ich sterbe; denn bei Euch allein steht es, mich zum glücklichsten oder unglücklichsten Menschen auf Erden zu machen. Ich hoffe, Eure Güte wird Euch bewegen, es nicht zuzulassen, daß ich für so viel zärtliche Liebe den Tod zum Lohn empfange, sondern Ihr werdet mit einer liebreichen und erfreulichen Antwort meine Geister wieder beleben, die jetzt vor Eurem Anblick zittern und verzagen.«

Zima schwieg, auf seine Reden folgten nur noch einige tiefe Seufzer, und zärtliche Thränen entflossen seinen Augen, indem er die Antwort der Dame erwartete.

Diese, welche seine beständige Sehnsucht, seine Waffenspiele, seine Morgenständchen und tausend andere Dinge, womit er ihr seine Liebe erklärt hatte, sonst immer kaltsinnig gelassen hatte, ward durch die zärtlichen Worte ihres feurigen Liebhabers auf einmal bewegt, und begann zu empfinden, was sie noch nicht vorhin empfunden hatte, die Allgewalt der Liebe. Und obwohl sie dem Befehl ihres Gemahls zufolge still schwieg, so verriet dennoch ein unwillkürlicher Seufzer zur Hälfte die Antwort, die sie dem liebenden Zima gerne gegeben hätte. Wie Zima eine Zeitlang gewartet hatte, wunderte er sich zuerst, daß er keine Antwort bekam, doch merkte er bald den Streich, den ihm der Kavalier gespielt hatte. Wie er jedoch die Miene der Dame beobachtete, eine zärtliche Thräne in ihrem Auge schwimmen sah, und den halb erstickten Seufzer bemerkte, welchen sie ihm nicht ganz hatte verbergen können, belebte ihn von neuem die Hoffnung, die ihm auch bald neue Ratschläge eingab, und er wagte es, im Namen der Dame, die ihn anhörte, sich selbst folgende Antwort zu geben: »Lieber Zima; ich habe allerdings schon längst bemerkt, wie groß und überschwenglich die Liebe ist, die Du für mich empfindest. Jetzt haben mich Deine Worte noch viel mehr davon versichert, und ich kann mich nicht enthalten, sie mit Wohlgefallen anzusehen. Wenn ich Dir oft hartherzig und grausam schien, so denke nicht, daß es meine wirkliche Gesinnung war, welche Dir der äußerliche Schein verkündigte; nein, ich habe Dich immer geliebt, und Dich mehr als alle andern Männer geschätzt; allein ich konnte nicht anders handeln, aus Furcht vor den Leuten, und aus Besorgnis für meinen guten Namen. Jetzt aber ist die Zeit gekommen, da ich Dir deutliche Beweise von meiner Liebe geben, und die deinigen belohnen kann, die Du mir stets bewiesen hast und noch beweisest. Sei also getrost und mache Dir gute Hoffnung, denn Messer' Francesco, dem Du aus Liebe zu mir Dein schönes Reitpferd geschenkt hast, geht, wie Du weißt, bald als Landpfleger nach Mailand, und sobald er wird abgegangen sein, verspreche ich Dir bei meiner Ehre, und bei der aufrichtigen Liebe, die ich Dir bekenne, daß Du in wenigen Tagen bei mir sein, und den vollen Sold Deiner Liebe von mir empfangen sollst. Und damit ich nicht nötig haben möge, mit Dir noch einmal dieserwegen zu sprechen, so vergiß nicht, daß Du an dem Tage, wenn Du zwei weiße Tücher in dem Fenster meiner Kammer, welches nach dem Garten hinausgeht, angeknüpft siehst, des Abends unbemerkt durch den Garten zu mir kömmst. Ich werde Dich erwarten, und unsere Zusammenkunft soll den Freuden der Liebe gewidmet sein.«

Hierauf gab Zima wieder in seinem eigenen Namen zur Antwort: »Teuerste Frau! Eure günstige Antwort überwältigt alle meine Sinne mit so unaussprechlicher Freude, daß ich kaum Worte finden kann, um Euch gehörig dafür zu danken; und wenn ich fähig wäre, meine Gefühle durch Worte auszudrücken, so wäre kein Zeitraum lang genug, damit ich Euch meinen Dank so vollkommen darbringen könnte, wie ich wünschte, und wie es meine Pflicht ist. Deswegen müßt Ihr selbst in Euren Gedanken dasjenige ergänzen, was ich mit all' meinem Bestreben nicht zu sagen vermag. Ich will Euch nur versichern, daß ich unfehlbar dasjenige erfüllen werde, was Ihr mir befohlen habt, und wenn ich alsdann die völligste Versicherung der großen Güte erlange, die Ihr mir versprochen habt, so gelingt es mir vielleicht besser, mich Euch nach meinem äußerstem Vermögen dankbar dafür zu beweisen. Jetzt bleibt mir nichts weiter übrig zu sagen, der Himmel schenke Euch jede Freude und jedes Glück, das Ihr Euch am meisten wünscht, und damit will ich Euch Gott empfehlen.«

Während der ganzen Zeit sprach die Dame kein Wort. Zima stand auf und ging zu dem Ritter, welcher ihm lachend entgegen kam, und sagte: »Wie meinst Du, habe ich Dir nicht gut Wort gehalten?«

»Nein, gnädiger Herr, (sprach Zima). Ihr habt mir versprochen, daß ich mit Eurer Gemahlin mich unterreden sollte, und Ihr habt mich mit einer Bildsäule sprechen lassen.«

Das behagte dem Ritter recht sehr, und wenn er immer eine hohe Meinung von seiner Gemahlin gehabt hatte, so ward sie doch jetzt noch mehr erhöht. »Der Gaul gehört doch aber jetzt mir zu?« fragte er den Zima.

»Ja, das thut er (versetze dieser). Wenn ich aber gewußt hätte, daß mir Eure Vergünstigung einen solchen Vorteil verschaffen würde, als ich davon gehabt habe, so hätte ich ihn Euch geschenkt, ohne Euch darum zu bitten, und wollte Gott, ich hätte das nur gethan! denn nun habt Ihr den Gaul gekauft, und ich habe ihn nicht bezahlt bekommen.«

Der Ritter freute sich darüber, und wie er seinen Staatsgaul erhalten hatte, machte er sich in wenigen Tagen auf den Weg nach Mailand zu seiner Landpflegerschaft.

Die Dame, die sich jetzt zu Hause in völliger Freiheit befand, dachte fleißig an die Worte, die ihr Zima gesagt hatte, an seine Liebe zu ihr, und an den Gaul, den er um ihretwillen verschenkt hatte. Wie er nun oft vor ihrem Palast vorbei ging, dachte sie bei sich: »Was mache ich hier? Warum lasse ich meine Jugendzeit verstreichen? Mein Mann ist nach Mailand gegangen und kommt in sechs Monaten nicht wieder; und wann wird er mir diese wieder einbringen? – Wenn ich alt werde. Und wo finde ich wieder einen solchen Liebhaber, wie Zima? Ich bin allein und habe mich vor niemand zu fürchten. Ich wüßte nicht, warum ich die gelegene Zeit nicht gebrauchen sollte, weil sie da ist. Auch werde ich nicht immer solche Muße haben, wie jetzt. Kein Mensch erfährt etwas davon, und gesetzt auch, es würde verraten, so ist es doch besser, zu genießen und dafür zu büßen, als nicht zu genießen und lassen sich's verdrießen.«

Wie sie das alles bei sich überlegt hatte, entschloß sie sich einst, die beiden bedeutenden Tücher in ihr Gartenfenster zu knüpfen. Mit Freuden erblickte sie Zima; eilte des Abends in aller Stille nach der Gartenpforte, die er offen fand, und durch den Garten nach dem Palast, wo ihn die Dame bereits erwartete, und ihn fröhlich empfing. Wie sie darauf Arm in Arm die Treppe hinan flogen, und was hernach weiter vorging – das würden sie wahrscheinlich selbst viel besser erzählen können, als ich. Genug, sie verloren nicht nur keine Zeit während der Abwesenheit des Landpflegers, sondern nach seiner Wiederkehr wußte man Mittel zu finden, den Zima wegen des Gauls zu entschädigen.

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