Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Fünfundfünfzigste Erzählung.

Forese da Rabatta und Giotto waren zwei Bürger von Florenz; der erstere war klein von Person, verwachsen und mit einem so breiten und stumpfnasigen Gesichte, daß er sich selbst unter den Baronci noch durch seine Häßlichkeit ausgezeichnet haben würde. Doch war er zugleich in den Rechten so erfahren, daß die besten Rechtsgelehrten ihn wie eine lebendige Schatzkammer des bürgerlichen Rechts betrachteten. Giotto hingegen besaß die vortreffliche Gabe, alle Dinge, welche die Mutter Natur unter dem beständigen Wechsel der Jahreszeiten nur hervorbringen kann, mit dem Pinsel, der Reißfeder und dem Grabstichel so vollkommen darzustellen, daß sie nicht bloß Nachahmungen, sondern die Gegenstände selbst zu sein schienen; so daß der Sinn des Gesichts bei manchen Leuten irre geführt und bewogen ward, das Bild für die Sache zu halten. Da er nun der Kunst denjenigen Glanz wiedergab, welchen mehrere Jahrhunderte ihr durch die Schuld derjenigen entzogen hatten, die sich mehr Mühe gaben, den Augen der Unwissenden etwas vorzugaukeln, als das Auge des Kenners zu befriedigen, so verdiente er um so mehr, der Ruhm und der Stolz der florentinischen Kunst genannt zu werden, je bescheidener er, der Lehrer und das Muster aller gleichzeitigen Maler, den Namen eines Meisters von sich ablehnte, nach welchem doch mancher, der ihn bei weitem nicht erreichte, und der vielleicht sein Schüler war, begierig haschte und ihn sich anmaßte. So groß indessen seine Geschicklichkeit war, so war er doch von Person ebenso klein und unansehnlich wie Messer' Forese.

Beide hatten ihre Landhäuser in Mugello. Messer' Forese war einst in den Sommer-Feiertagen dahingegangen, um sein Gütchen zu besehen, und ritt auf einem schlechten Karrengaule. Wie er nach Florenz zurückritt, traf er mit Giotto zusammen, der ebenfalls seinen kleinen Landsitz besucht hatte. Er war weder besser gekleidet, noch besser beritten, als sein Gutsnachbar, und beide ritten als bejahrte Leute Schritt vor Schritt neben einander. Unterwegs wurden sie von einem starken Regenschauer überrascht und nahmen deswegen ihre Zuflucht zu dem Hüttchen eines Landmanns, der ihnen beiden wohl bekannt war. Weil es aber schien, daß der Regen garnicht nachlassen würde, und sie beide gern noch bei Tage nach Florenz wollten, so borgten sie von dem Landmann ein Paar Mäntel von grobem Landtuch, und ein Paar Reisekappen, die der Zahn der Zeit schon ziemlich durchnagt hatte, und machten sich damit, in Ermangelung einer besseren Bedeckung, wieder auf den Weg. Nachdem sie eine Strecke fortgeritten und nicht nur durchnäßt, sondern auch von ihren Gäulen über und über mit Kot bespritzt waren, wodurch ihr äußerliches Ansehen eben nicht verschönert ward, klärte sich endlich das Wetter ein wenig auf, und sie kamen nach langem Stillschweigen wieder zu Worten und zum Gespräch. Indem nun Messer' Forese ritt und seinem Gefährten zuhörte, der ein sehr wohlredender Mann war. fing er an, ihn von oben bis unten zu betrachten, und da er ihm so sehr winzig ungestalt in's Auge fiel, konnte er sich des Lachens nicht enthalten und sprach zu ihm, ohne seine eigene Mißgestalt zu bedenken: »Giotto, wenn uns jetzt jemand begegnete, der Dich nie gesehen hätte, woran meinst Du wohl, daß er Dich für den großen Maler erkennen sollte, der Du bist?«

»Gnädiger Herr!« antwortete ihm Giotto, »ich denke, er würde es erraten, sobald er Euch nur ansehen könnte, daß Ihr den ersten Buchstaben vom ABC verständet.«

Herr Forese erkannte sein Unrecht und empfand, daß ihn Giotto mit gleicher Münze bezahlt hatte.

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