Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Siebenundachtzigste Erzählung.

Talano di Molese, ein sehr angesehener Mann in Florenz, hatte ein junges Weibchen, namens Margherita, zur Frau genommen, welche sich zwar durch ihre Schönheit vor vielen anderen auszeichnete, aber zugleich so äußerlich wunderlich, launig und widersinnig war, daß sie keinem etwas zu Gefallen that und daß ihr niemand etwas zu Dank machen konnte. Einmal, wie Talano mit ihr des Nachts auf einem seiner Landhäuser schlief, träumte ihm, daß seine Frau in einem schönen Lustwäldchen, nicht weit von seinem Hause, spazieren ginge, und indem sie sorglos einherwandelte, schien es ihm, daß ein großer reißender Wolf plötzlich aus einem Schlupfwinkel hervorsprang, der sie an der Kehle packte, sie niederriß und sie trotz ihrem Geschrei um Hülfe davon zu schleppen suchte, und obwohl sie noch lebendig seinem Rachen entrann, so schien er ihr doch den Hals und das Gesicht jämmerlich zerfleischt zu haben.

Wie er des Morgens aufstand, sprach er zu seiner Gattin: »Höre, Frau, Du bist zwar immer so widerspenstig, daß ich noch nie einen ruhigen Tag mit Dir verlebt habe; allein es sollte mir doch leid sein, wenn Dir ein Unglück begegnete. Wenn Du also meinem Rate folgen willst, so gehe heute nicht aus dem Hause.«

Wie sie ihn fragte warum, erzählte er ihr seinen ganzen Traum. Sie schüttelte aber den Kopf und antwortete: »Wer Dir Böses gönnt, der träumt Dir auch Unglück. Du stellst Dich wohl sehr besorgt für mich, aber Du träumst von mir, was Du gern möchtest erfüllt sehen. Ich werde mich aber sowohl heute, als zu jeder Zeit in acht nehmen, Dir weder auf diese, noch auf eine andere Art, mit meinem Unglück eine Schadenfreude zu machen.«

»Ich dacht' es wohl (sprach Talano), daß Du so sprechen würdest; denn wer den Grindigen kämmt, schlechten Dank dafür bekömmt.

Du magst mir aber glauben oder nicht, so spreche ich bloß zu Deinem Besten, und deswegen rate ich Dir noch einmal, gehe heute nicht aus dem Hause, oder hüte Dich wenigstens, daß Du nicht in unser Wäldchen gehst.«

»Gut, ich will mich hüten,« gab sie zur Antwort; allein sie dachte bei sich selbst: »Seht doch, wie listig er meint, es anzufangen, um mich abzuschrecken, daß ich nicht in das Hölzchen gehen soll, wohin er gewiß ein Weibsbild beschieden hat, und will nicht haben, daß ich ihn bei ihr ertappen soll. So was sollte er einem Blinden weis machen, und ich wäre wohl eine Närrin, wenn ich seine Absicht nicht merkte und ihm glauben wollte. Nein, daraus wird nichts und wenn ich auch den ganzen Tag in dem Hölzchen lauern sollte, so will ich wissen, was für Schleichhändel er heute vorhat.«

Indem sie dieses beschloß, ging der Mann zu einer Thüre hinaus und sie zu der andern, und sie schlich, so heimlich sie konnte, sogleich nach dem Hölzchen, verbarg sich daselbst in dem dichtesten Gebüsche und blickte voll ungeduldiger Neugier bald hierhin, bald dorthin, ob nicht jemand käme. Indem sie so auf der Lauer lag, und an keinen Wolf dachte, kam aus einem nahen Dickicht plötzlich ein großer schrecklicher Wolf hervor. Kaum hatte sie Zeit, indem sie ihn erblickte, ein »Gott sei bei mir!« auszurufen, so packte sie der Wolf bei der Gurgel und fing an, mit ihr davon zu traben, als wenn er ein Lämmchen im Rachen trüge. Er hielt sie so fest bei der Kehle, daß sie sich weder rühren durfte, noch um Hilfe rufen konnte, und er würde sie bald völlig erwürgt haben, wenn ihn nicht zum großen Glück einige Hirten wären gewahr geworden, die ihn mit ihrem Geschrei dermaßen erschreckten, daß er seine Beute fallen ließ.

Die Hirten kannten sie und brachten sie nach ihrem Hause, wo sie erst nach langer Zeit mit vieler Mühe wieder geheilt ward; doch war ihr Busen und ein Teil ihres Gesichts so übel zugerichtet, daß ihre Schönheit in die größte Häßlichkeit verwandelt ward. Sie schämte sich hernach, sich vor den Leuten sehen zu lassen, und beweinte bitterlich ihre Widerspenstigkeit und daß sie dem Traume ihres Mannes nicht geglaubt hatte, da es ihr doch nichts würde gekostet haben.

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