Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Neunte Erzählung.

Zu den Zeiten der ersten Könige von Cypern, nachdem Godefroi de Bouillon das gelobte Land eingenommen hatte, wallfahrtete eine adelige Frau aus Gascogne einst zum heiligen Grabe und auf ihrer Rückreise, wie sie in Cypern ankam, wurde sie von einigen ruchlosen Leuten schändlich gemißhandelt. Ihr Schmerz darüber war ohne Grenzen, und sie wollte den König um Rache anflehen; allein man sagte ihr, sie würde sich verlorene Mühe geben, denn der König wäre ein so träger und unthätiger Herr, daß er nicht nur den Beschwerden anderer Leute nicht abhülfe, sondern daß er nicht einmal die ihm selbst oft mit vieler Unverschämtheit zugefügte Schmach zu ahnden suchte; daher denn ein jeder, welchem ein schweres Unrecht zugefügt würde, seinen Unmut an ihm durch irgend eine Verachtung oder Beschimpfung ausließe. Die Dame, die dieses hörte und alle Hoffnung aufgab, Genugthuung zu erlangen, nahm sich demnach vor, um ihren Unmut einigermaßen zu kühlen, dem Könige seine feigherzige Faulheit vorzuwerfen. Sie trat vor ihn mit Thränen in den Augen und sagte: »Sire, ich komme nicht zu Euch, um Rache zu fordern für die Schmach, die man mir zugefügt hat, sondern ich will Euch nur um die Gnade bitten, daß Ihr mich lehret, wie Ihr die vielfältigen Beleidigungen geduldig ertraget, die man (wie ich höre) Euch täglich zufügte, damit ich lerne, die meinigen auch geduldig zu tragen, welche ich Euch, bei Gott! gern überlassen möchte, wenn ich nur könnte, weil Ihr ein so gutmütiger Dulder seid.«

Der König, der bis dahin lässig und träge gewesen war, schien wie aus einem Traume zu erwachen; er fing damit an, daß er die Dame für die ihr zugefügte Beleidigung aufs strengste rächte, und hernach strafte er auf's Schärfste einen jeden, der sich unterfing, gegen die Ehre seiner Krone etwas zu unternehmen.

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