Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Vierzehnte Erzählung.

Man hält das Meerufer zwischen Reggio und Gaeta für eine der lieblichsten Gegenden in ganz Italien. An diesem Ufer befindet sich in der Nähe von Salerno eine Küstenstrecke, welche die Einwohner die Küste von Malfi nennen, und welche mit einer Menge kleiner Städte und von Quellen bewässerter Gärten bedeckt ist, die von den reichsten und thätigsten Handelsleuten in der Welt bewohnt werden. Unter diesen kleinen Städten ist eine namens Ravello, woselbst es zwar noch heutigen Tages an reichen Leuten nicht fehlt; doch zählte sie einst unter ihren Bürgern einen gewissen Landolfo Rufolo, der ganz über alle Maßen reich war, dem aber seine Reichtümer dennoch nicht genügten, so daß er sie vielmehr noch zu verdoppeln suchte, und darüber in Gefahr geriet, nicht nur Alles, sondern auch das Leben zu verlieren.

Wie er nach Art der Kaufleute seine Berechnung gemacht hatte, kaufte er ein großes Schiff, befrachtete es ganz für seine eigene Rechnung mit Waren, und segelte damit nach Cypern. Wie er aber ankam, fand er bereits eine große Anzahl Schiffe daselbst, die mit eben den Waren beladen waren, so daß er die seinigen, wenn er sie los werden wollte, nicht nur sehr wohlfeil verkaufen, sondern sie fast umsonst geben mußte, worüber er aus der Haut fahren wollte. Wie er nun vor lauter Verzweiflung nicht wußte, was er anfangen sollte, da er aus einem sehr reichen Mann in Kurzem beinahe zum Bettler geworden war, so beschloß er, entweder in den Tod zu gehen, oder sich durch Kaperei seines Schadens zu erholen, um nicht arm dahin zurückzukehren, von wo er als ein reicher Mann ausgelaufen war. Er verkaufte sein großes Schiff, und mit dem Gelde, welches er daraus löste, und mit demjenigen, das er für seine Waren empfangen hatte, kaufte er ein leichtes Fahrzeug zum Kreuzen, welches er auf's Beste ausrüstete, und mit allem Nötigen versah, das zu einem Kreuzzuge nötig war; worauf er anfing, auf Alles Jagd zu machen, vorzüglich aber auf die Türken. Das Glück war ihm auch bei diesem Gewerbe viel günstiger, als bei der Handlung, und er nahm in Jahresfrist so viele türkische Fahrzeuge weg, daß er nicht nur Alles wieder gewann, was er bei seinen Waren verloren hatte, sondern wohl noch einmal soviel dazu. Weil ihn nun sein erster Verlust gewitzigt hatte, und er sah, daß er reich genug war, so glaubte er, um nicht zum zweiten Mal in die Schlinge zu fallen, müßte er sich begnügen. Er entschloß sich also, nach Hause zu gehen, und da ihm die Handlung kopfscheu gemacht hatte, so bekam er keine Lust, sein bares Geld noch einmal in Waren anzulegen, sondern er ging mit demselben leichten Schiffchen, womit er es gewonnen hatte, unter Segel. Wie er sich schon im Archipel befand, erhob sich ein Sturm, der ihm nicht nur entgegen war, sondern auch das Meer so unruhig machte, daß er sich nicht getraute, mit seinem Schiffchen die offene See zu halten, sondern in einer Bucht unter dem Schutz einer kleinen Insel vor Anker ging, um daselbst besseres Wetter abzuwarten. Wie er hier noch nicht lange gelegen hatte, kamen zwei große, genuesische Galioten nach ihm vor Anker, die sich mit Mühe gleichfalls dahin retteten. Wie diese sein Schiffchen gewahr wurden, und erfuhren, daß es Landolfo war, von dessen Reichtümern sie schon gehört hatten, wurden sie als geldgierige, räuberische Leute begierig, diese in ihre Hände zu bekommen. Den Weg nach der See hatten sie ihm bereits vorgelegt; sie schickten also noch einen Teil ihrer Mannschaft mit Armbrüsten und anderen Waffen an's Land, um zu verhindern, daß sich niemand von dem Schiffe dahin retten möchte, worauf sie mit ihren Böten sich an die Seite des Schiffes bugsieren ließen, und es nach einem schwachen Widerstande samt der ganzen Mannschaft wegnahmen, ohne einen einzigen Mann dabei zu verlieren. Den Landolfo, dem sie nichts als eine Jacke übrig gelassen hatten, ließen sie an Bord eines von ihren Schiffen bringen; alles, was in seinem Schiffe war, nahmen sie heraus, und versenkten das Fahrzeug. Wie am folgenden Tage der Wind günstiger ward, lichteten sie die Anker und segelten nach Westen. Der Wind blieb ihnen auch den ganzen Tag günstig, allein gegen den Abend ward es stürmisch, die See ging außerordentlich hoch, die beiden Galioten wurden durch den Sturm getrennt, und das Unglück wollte, daß diejenige, auf welcher sich Landolfo befand, mit fürchterlicher Gewalt auf einer Bank oberhalb der Insel Cefalonia auf den Grund stieß, und wie ein Glas gegen eine Mauer mit großem Krachen zu Trümmer ging. Die armen Schiffbrüchigen suchten sich in der finstern Nacht zu retten, so gut sie konnten, auf den Waren, Kisten und Brettern, die bereits umher trieben; wer schwimmen konnte, schwamm, und die Uebrigen klammerten sich an das Erste, was ihnen das Ungefähr in den Weg trieb. Unter diesen befand sich auch der arme Landolfo, welcher am vorigen Tage den Tod oft angerufen hatte, weil er lieber sterben, als wie ein Bettler nach Hause kommen wollte. Wie er aber den Tod vor Augen sah, fürchtete er sich doch vor ihm, so gut wie die Andern, und verschmähte es nicht, ein Brettchen zu ergreifen, in der Hoffnung, daß ihm der Himmel, wenn er sich vor dem Ertrinken hüten könnte, doch noch wohl wieder Hülfe senden möchte. Er klammerte sich demnach mit Armen und Beinen an das Brett, und erhielt sich auf demselben bis an den lichten Morgen, indes ihn der Sturm und die Wellen bald hierhin, bald dorthin schleuderten. Bei Tages Anbruch sah er rings um sich her nichts als Luft und Wasser, und eine Kiste, die auf den Wellen trieb, und die ihm oft zu seinem großen Schrecken sehr nahe kam; denn er fürchtete, sie möchte ihm einen Stoß geben, der ihm gefährlich würde. So oft sie ihm demnach zu nahe kam, suchte er sie mit den wenigen Kräften die ihm übrig geblieben waren, von sich zu stoßen. Allein plötzlich erhob sich ein gefährlicher Windstoß, und schleuderte die Kiste mit solcher Gewalt gegen das Brett, daß Landolfo es mußte fahren lassen, und in die Wellen versank. Wie er wieder auftauchte, und ihm die Angst mehr als seine Kräfte half, sich über dem Wasser zu erhalten, fand er, daß das Brett zu weit von ihm entfernt war, deswegen er die Arme nach der Kiste streckte, die ihm eben nahe genug trieb, um sie zu erreichen: er stemmte sich mit der Brust auf den Deckel, und steuerte sie mit den Armen so gut er konnte, und so trieb er den Tag und die ganze Nacht bald hierhin, bald dorthin, auf den Wellen umher, ohne zu essen, weil er nichts hatte, dagegen er öfter zu trinken bekam, als ihn lüstete, und nichts als offenes Meer um sich sah, ohne zu wissen, wo er sich befand.

Am folgenden Tage erbarmte sich der Himmel über ihn oder der Sturmwind (wie er beinahe zum Schwamm geworden war, und sich um die Seiten der Kiste festgeklammert hatte, wie ein Ertrinkender in der Todesangst zu thun pflegt), und trieb ihn an das Ufer der Insel Korfu, wo von ungefähr ein armes Weib ihre Töpfe mit Sand und Seewasser scheuerte. Wie sie ihn und seine Arche schwimmen sah, und keine deutliche Gestalt unterscheiden konnte, fürchtete sie sich, und lief mit Geschrei davon. Er selbst hatte nicht die Kraft zu sprechen, oder auch nur zu sehen; so daß er ihr nichts sagen konnte; doch wie ihn die Wogen an's Ufer spülten, ward das Weib erstlich die Kiste gewahr, dann die Arme, die sie umschlangen, hernach das Menschengesicht, und erriet nun endlich das Ganze. Vom Mitleiden bewogen, watete sie ein wenig in's Wasser, und zog ihn bei den Haaren samt der Kiste an's Land, wo sie mit Mühe seine Arme von derselben los machte. Die Kiste ließ sie von ihrer Tochter, welche bei ihr war, auf dem Kopfe tragen, und sie selbst trug den Landolfo wie ein Kind auf ihren Armen nach Hause, und brachte ihn in eine Badstube, wo sie ihn so lange rieb und mit warmem Wasser wusch, bis die erloschene Farbe sich auf seinen Wangen wieder einstellte, und die verlorenen Kräfte allmählich wiederkamen. Wie sie glaubte, daß es Zeit wäre, ließ sie ihn aus der Badstube gehen und erquickte ihn mit etwas Wein und trockenen Früchten, und bewirtete ihn, so gut sie konnte, einige Tage, bis er wieder zu Kräften und zur völligen Besinnung kam, worauf sie es für Pflicht hielt, ihm seine Kiste, die sie geborgen hatte, wieder zuzustellen, und ihm zu sagen, daß er nun sein Glück weiter suchen könnte. Er wußte zwar von keiner Kiste, doch nahm er sie gern an, wie die gute Frau sie ihm darbot, weil er dachte, sie müßte wenig wert sein, wenn sie ihm nicht einmal auf einen Tag zu seiner Zehrung verhülfe. Wie er sie aufhob und sehr leicht befand, verging ihm beinahe diese Hoffnung; doch einst, wie die gute Frau nicht zu Hause war, erbrach er sie, um zu sehen, was darin wäre, und fand, daß sie eine Menge köstlicher Steine, gefaßte und ungefaßte, enthielt, von welchen er einigermaßen ein Kenner war, und fand, daß sie von großem Werte waren; so daß er dem Himmel dankte, der ihn noch nicht verlassen hätte, und recht guten Muts ward. Weil ihn aber das Glück nun schon zweimal übel gemißhandelt hatte, so traute er ihm das dritte Mal nicht, sondern hielt für nötig, es sehr vorsichtig anzufangen, diese Kostbarkeiten nach Hause zu bringen. Er wickelte sie demnach in alte Lumpen, und sagte zu seiner Wirtin, er könnte die Kiste nicht mehr brauchen, sondern bäte sie, ihm lieber einen Sack dafür zu geben, welches die gute Frau sehr gerne that. Er dankte ihr darauf herzlich für die Wohlthat, die sie ihm erwiesen hatte, nahm seinen Sack auf den Nacken, fuhr in einem Boot hinüber nach Brandizio, und ging längst der Küste fort bis nach Trani, wo er einige Tuchhändler fand, die seine Landsleute waren, welche ihn aus Wohlthätigkeit kleideten, nachdem er ihnen alle seine Begebenheiten, die mit dem Kistchen ausgenommen, erzählt hatte, ihm außerdem ein Pferd liehen, und ihn bis nach Ravollo geleiteten, wohin er zurückzukehren wünschte. Wie er nun hier in Sicherheit zu sein glaubte, dankte er Gott, der ihn zurückgeführt hatte, öffnete sein Bündelchen, und fand bei genauer Untersuchung, daß er so viele und köstliche Steine besaß, daß er, wenn sie auch unter ihrem Wert verkauft werden müßten, zweimal so reich war, als damals, wie er ausreiste.

Wie er hernach Mittel gefunden hatte, seine Schätze zu Gelde zu machen, schickte er eine schöne Summe nach Korfu, um der guten Frau ihre Dienste zu belohnen, die ihn aus dem Wasser gezogen hatte, und auch nach Trani an diejenigen, die ihn bekleidet hatten. Den Rest behielt er, ohne sich weiter um die Handlung zu bekümmern, und führte ein ehrbares Leben bis an sein Ende.

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