Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Siebente Erzählung.

Herr Cane della Scala, ein Mann, den das Glück auf mancherlei Weise begünstigt hatte, war, wie die Sage fast überall geht, einer von den vornehmsten und freigebigsten Herren, die es seit Kaiser Friedrichs II. Zeit in Italien gegeben hat. Wie dieser einst in Verona ein überaus großes und herrliches Fest angesetzt hatte, und schon von allen Orten und Enden, besonders vom Hofe, Gäste von allerlei Stand und Würden sich einstellten, besann er sich plötzlich (man weiß nicht warum) eines andern, sorgte einigermaßen für diejenigen, die gekommen waren, und entließ sie. Nur ein gewisser Bergamino, ein Mann, von dessen fertiger und zierlicher Beredsamkeit man sich, ohne ihn gehört zu haben, keinen Begriff machen konnte, blieb allein zurück, ohne etwas zu bekommen, oder seinen Abschied zu erhalten, doch hoffte er noch immer, daß man ihn dieses in der Folge nicht würde missen lassen. Allein Herrn Cane hatte es gedeucht, daß alles, was er an ihm thäte, nicht besser angewandt sein würde, als wenn er es ins Feuer würfe. Inzwischen sagte er selbst ihm nichts davon, und ließ ihm auch nichts sagen. Wie Bergamino nach Verlauf einiger Zeit sah, daß er weder eingeladen, noch zu irgend einem Geschäfte berufen ward, wozu er fähig war, und daß er überdies mit seinen Leuten und Pferden sein Geld verzehrte, fing er an mißvergnügt zu werden; doch wartete er noch immer, weil er es nicht für schicklich hielt, sich zu entfernen. Er hatte drei schöne, reiche Kleider, die ihm andere Herren geschenkt hatten, mitgebracht, um mit Ehren bei dem Feste erscheinen zu können. Wie nun sein Wirt Geld haben wollte, gab er ihm zuerst eins von den Kleidern in Bezahlung, und wie er sich noch länger verweilen mußte, war er auch genötigt, das zweite herzugeben, wenn er länger in seinem Quartiere bleiben wollte. Endlich fing er auch an, auf das dritte Kleid los zu zehren, entschlossen zu verweilen, so lange dies hinreichte, und dann zurück zu reisen. Indem er nun noch an diesem letzten Kleide zehrte, traf es sich eines Tages, da eben Herr Cane an der Mittagstafel saß, daß er mit ziemlich bedrängter Miene ihm gerade gegenüber stand. Herr Cane, der dieses gewahr ward, fragte ihn, mehr um ihn aufzuziehen, als um das Vergnügen zu haben, ihn reden zu hören: »Bergamino, was fehlt Dir? Du siehst ja so niedergeschlagen aus; sage uns doch etwas.«

Bergamino, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, gab ihm auf der Stelle durch folgende Erzählung seine Umstände zu erkennen.

»Ihr werdet wohl wissen, mein Herr, daß Primasseau ein trefflicher Grammatiker und ein vor vielen Anderen berühmter und geschickter Dichter war, weswegen er bald überall so bekannt und geehrt ward, daß, obwohl ihn nicht ein jeder persönlich kannte, daß fast kein Mensch war, der ihn nicht den Namen und dem Rufe nach gekannt hätte. Nun traf es sich einmal, daß er sich in einem ärmlichen Aufzuge in Paris aufhielt (wie ihn denn seine Geschicklichkeit, die nur wenig Unterstützung bei vermögenden Leuten fand, selten einen besseren Zustand verschaffte), wo er von dem Abte zu Bligny reden hörte, von welchem man glaubte, daß er unter allen Prälaten der Kirche Gottes (den Papst ausgenommen) die größten Einkünfte besaß. Von diesem erzählte man ihm Wunderdinge, und machte ihm herrliche Beschreibungen von seiner Hofhaltung, und daß man es keinem, der dahin käme, wo er sich aufhielte, an Speise und Trank fehlen ließe, wenn er sich nur zur Tafelzeit meldete. Wie Primasseau dies hörte, welcher immer ein Vergnügen darin fand, angesehene Männer und Herren kennen zu lernen, entschloß er sich, hinzugehen und die Herrlichkeiten dieses Abts in Augenschein zu nehmen. Er erkundigte sich, wie weit er damals von Paris wohnte, und erfuhr, daß er sich nur etwa sechs Meilen davon auf einem seiner Landgüter aufhielt, so daß Primasseau rechnete, wenn er des Morgens zeitig ausginge, daß er um Mittagszeit dort eintreffen könnte. Er ließ sich den Weg sagen, doch weil er niemand hatte, der ihn begleitete, so besorgte er, daß er vielleicht irre gehe, und an einen Ort kommen möchte, wo er nicht leicht ein Mittagsessen fände; um also nicht Hunger zu leiden, fand er für gut, drei Brote mit zu nehmen, denn Wasser, dachte er, fände sich wohl allenthalben, wiewohl er sonst eben kein Liebhaber davon war. Die Brote steckte er in die Tasche, machte sich auf den Weg, und wanderte so rasch, daß er noch vor Mittagszeit in dem Landhause des Abtes ankam. Er ging hinein und sah sich allenthalben um, und wie er die Menge der gedeckten Tafeln, die großen Anstalten in der Küche, und alles übrige sah, was bezug auf das Mittagsmahl hatte, dachte er bei sich selbst: »Wahrlich, der Abt ist doch so gastfrei, wie man's ihm nachsagt.« Indem er noch alle diese Dinge betrachtete, ließ der Haushofmeister Wasser zum Händewaschen bringen, worauf sich ein Jeder zu Tische setzte. Es traf sich, daß Primasseau gerade der Thüre gegenüber zu sitzen kam, durch welche der Abt herein treten mußte, um zur Tafel zu gehen. Nun war es an seinem Hofe der Gebrauch, weder Brot noch Wein, noch etwas Anderes zu essen oder zu trinken aufzutragen, bis der Abt kam und sich setzte. Wie demnach der Haushofmeister die Gäste gesetzt hatte, ließ er dem Abte sagen, das Essen sei, wenn er es befehle, zum Anrichten fertig. Der Abt ließ die Thüre seines Gemachs öffnen, um in den Speisesaal zu gehen, und es traf sich, daß Primasseau ihm zuerst in die Augen fiel. Da er ihn in einem sehr armseligen Gewande erblickte und ihn von Person nicht kannte, so kam er auf einen schlimmen Gedanken, der ihm sonst noch nie eingefallen war: »Sieh da (dacht' er), wem ich das Meinige zu verzehren gebe!« Damit kehrte er um, und befahl, die Thüre wieder zuzuschließen, indem er zugleich diejenigen, die um ihn waren, fragte, ob jemand von ihnen den Landstreicher kennte, welcher der Kammerthüre gegenüber säße. Alle antworteten nein. Primasseau, dem anfing zu hungern, langte inzwischen ein Brot aus der Tasche und fing an zu essen. Wie der Abt ein wenig gewartet hatte, befahl er einem von seinen Leuten zu sehen, ob der Fremde weggegangen wäre: »Hochwürdiger, nein (war die Antwort), und er ißt Brot, das er, wie es scheint, wohl muß mitgebracht haben.« »Gut«, sprach der Abt, »wenn er eigenes Brot hat, so mag er's essen, von dem meinigen soll ihm heute nichts werden.« Er hätte nun gern gesehen, daß Primasseau von selbst wieder fortgegangen wäre, denn ihn hinaus führen zu lassen, hielt er für unziemlich. Primasseau hatte unterdessen ein Brot verzehrt, und wie der Abt noch nicht kam, fing er an das zweite zu essen. Dies ward ebenfalls dem Abte gemeldet, welcher wieder hingeschickt hatte, zu sehen, ob er noch nicht weggegangen wäre. Endlich, wie der Abt noch immer wegblieb, begann er auch bei dem dritten, welches abermals der Abt erfuhr, der darauf in sich ging und dachte: »Welch ein neuer Einfall ist mir heut in den Sinn gekommen? welch ein Geiz, welch ein Unwillen, und um wessentwillen? Ich habe seit vielen Jahren das Meinige einem Jeden zu verzehren gegeben, der Lust dazu hatte, ohne darauf zu sehen, ob er Edelmann oder Bauer, arm oder reich, Kaufmann oder Beutelschneider wäre, und mancher Schlingel hat mir's vor meinen Augen verpraßt, ohne daß mir so was jemals eingefallen wäre; und heute muß mir das mit diesem Menschen begegnen? Wahrlich, der Geiz kann mich nicht um eines gleichgültigen Menschen willen angewandelt haben. Dieser, der mir wie ein Bettler vorkommt, muß ein Mann von Bedeutung sein, weil ich einen so sonderbaren Widerwillen fühlte, ihn zu bewirten.« Er verlangte nun durchaus zu wissen, wer der Mann wäre, und wie er erfuhr, daß es Primasseau war, den er dem Namen nach schon längst als einen verdienten Mann kannte, und der gekommen war, um seine Gastfreiheit, die man ihm gerühmt hatte, zu sehen, schämte er sich, und aus Eifer, es wieder gut zu machen, bestrebte er sich, ihn auf's Beste zu bewirten. Nach Tische ließ er ihn auf eine seinen Verdiensten angemessene Art herrlich kleiden, gab ihm Geld und ein schön aufgezäumtes Pferd, und ließ ihm freien Willen, da zu bleiben, oder heim zu gehen. Primasseau war froh darüber, dankte dem Abte auf's Demütigste, und ritt auf einem schönen Gaule nach Paris zurück, woher er zu Fuße gekommen war.

Herr Cane, als ein scharfsinniger Mann, verstand ohne weitere Erklärung vollkommen, was Bergamino sagen wollte, und sprach lächelnd zu ihm: »Bergamino, Du hast Deine Beschwerden, Deine Verdienste und meine Knickerei, und was Du von mir begehrest, klar genug vorgetragen, und ich versichere Dir, daß mich sonst in Ansehung Deiner der Geiz noch nie angewandelt hat. Ich will ihn aber mit eben dem Prügel wieder fortjagen, den Du mir selbst in die Hand gegeben hast.«

Hierauf ließ er den Wirt bezahlen, ließ dem Bergamino seine drei Kleider wiedergeben, und ihn sehr ehrenvoll mit einem seiner eigenen Kleider schmücken, gab ihm Geld und ein schönes Reitpferd, und stellte ihm frei, zu reisen oder bei ihm zu bleiben.

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