Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Siebenundneunzigste Erzählung.

Zu der Zeit, wie die Franzosen aus Sizilien vertrieben wurden, war in Palermo ein sehr reicher florentinischer Apotheker namens Bernardo Puccini, der mit seiner Frau nur eine einzige Tochter hatte, welche sehr schön und in einem mannbaren Alter war. Wie nun der König Peter von Aragonien Herr der Insel ward, stellte er mit seinen Edelleuten in Palermo große Feierlichkeiten an, bei welchen er selbst nach katalonischer Weise turnierte; und da traf es sich, daß Lisa, die Tochter des Bernardo, an einem Fenster ihn rennen sah und von seiner Gewandtheit so eingenommen ward, daß sie die Augen nicht von ihm abwenden konnte und sich heftig in ihn verliebte.

Wie die Ritterfeste schon vorüber waren, beschäftigte sie sich in dem Hause ihres Vaters noch immer in Gedanken mit ihrer hochstrebenden Liebe. Das Bewußtsein ihres niedrigen Standes, welches ihr so wenig Hoffnung übrig ließ, in ihrer Liebe glücklich zu werden, machte ihr dabei viele Qual; doch fühlte sie sich immer wieder von ihrer Liebe zu dem Könige hingerissen, wiewohl sie sich nichts davon durfte merken lassen, um sich nicht noch größeren Verdruß zuzuziehen. Der König, welcher nichts von ihrer Liebe ahnte, bekümmerte sich auch nicht darum, und dadurch ward ihr Schmerz noch unendlich vermehrt. Weil nun ihre Leidenschaft immer zunahm, und ein trüber Tag immer auf den andern folgte, so unterlag sie endlich ihrem Schmerz, ward krank und schwand von einem Tage zum andern hin, wie der Schnee im Sonnenschein. Ihre betrübten Eltern suchten sie aufzumuntern und sparten kein Geld für Arztlohn und Heilmittel, um ihr zu helfen; doch alles half nichts, weil sie selbst vor verzweifelnder Liebe nicht zu leben wünschte. Da jedoch ihr Vater sich erbot, alles für sie zu thun, was sie verlangte, so kam sie einst auf den Gedanken, wenn es füglich geschehen könnte, dem Könige ihre Liebe und den Vorsatz, den sie gefaßt hatte, zu entdecken. Zu diesem Ende bat sie ihren Vater, einen gewissen Minuccio d'Arezzo zu ihr kommen zu lassen, welcher als ein geschickter Sänger und Musiker sehr berühmt und bei dem Könige Peter sehr wohl gelitten war. Bernardo glaubte, daß seine Tochter ihn verlangte, damit er ihr etwas vorspielen und singen sollte, und ließ ihn rufen; und da er ein sehr gefälliger Mensch war, so kam er den Augenblick zu ihr, und nachdem er sie durch einige freundliche Worte ein wenig aufgemuntert hatte, spielte er ihr auf seiner Geige ein paar sanfte Stücke vor und sang hernach einige Lieder. Doch bei dem verliebten Mädchen war dies alles nur Öl in's Feuer gegossen, statt ihr Linderung zu verschaffen, welches seine Absicht war. Endlich sagte sie, sie wünschte mit ihm einige Worte insgeheim zu sprechen, und wie sich deswegen jedermann entfernte, sprach sie zu ihm: »Minuccio, ich habe Dich auserwählt, um Dir ein Geheimnis anzuvertrauen; allein ich erwarte vor allen Dingen, daß Du es nimmermehr irgend einem Menschen entdeckest, außer demjenigen den ich Dir nennen werde; auch bitte ich Dich zugleich, mir nach Deinem besten Vermögen behilflich zu sein. Wisse demnach, mein lieber Minuccio, daß unser Herr und König Peter an dem Tage, da er das große Fest wegen seiner Thronbesteigung gab, mir so vortrefflich in seinen Waffenspielen erschien, daß die Liebe zu ihm ein Feuer in meinem Busen entzündete, welches mich in den Zustand versetzt hat, worin Du mich siehst. Da ich nun wohl weiß, wie wenig einem Könige an meiner Liebe gelegen ist, und ich sie dennoch nicht aus meinem Herzen verbannen kann, und da ich ihre Qual nicht länger zu ertragen vermag, so halte ich den Tod für ein kleineres Leiden und bin fest entschlossen zu sterben. Allein ich muß gestehen, daß ich untröstlich davon scheiden würde, wenn der König es nicht vorher erführe, und da ich niemand kenne, durch welchen ich ihm bequemer meinen Vorsatz entdecken könnte, als durch Dich, so will ich Dir ihn anvertrauen und bitte Dich, ihn davon zu unterrichten und mich wissen zu lassen, wenn es geschehen ist, damit ich durch ein ruhiges Ende mich dieser Marter entziehen könnte.«

So sprach sie mit Thränen und schwieg. Minuccio bewunderte ihren hohen Geist, und staunte über ihren traurigen Entschluß. Er bedauerte sie herzlich und sann sogleich darauf, wie er ihr auf eine schickliche Weise dienen könnte. »Lisa (sprach er), ich gebe Dir mein Wort und darauf kannst Du Dich verlassen, daß ich Dich nimmermehr hintergehen werde. Ich bewundere Deinen erhabenen Geist, der Dich angetrieben hat, Dein Herz auf einen so großen König zu setzen, und ich verspreche Dir meinen Beistand, durch welchen ich hoffe, wenn Du guten Mut fassen willst, so viel auszurichten, daß ich Dir innerhalb dreien Tagen Nachrichten bringe, die Dir überaus lieb sein werden, und um keine Zeit zu verlieren, will ich sogleich Hand an's Werk legen.«

Lisa beschwor ihm aufs Neue mit ihren Bitten und versprach ihm, sich zu beruhigen, worauf er sie verließ.

Minuccio begab sich hierauf zu einem gewissen Mico von Siena, einem sehr guten Dichter für die damalige Zeit, und bewog ihn, folgendes Lied für ihn zu dichten:

  Geh' Amor, eile hin zu meinem Herrn,
Erzähl' die Qualen ihm, die ich erdulde,
Und sag ihm, daß ich sterbe,
Indem ich furchtsam meinen Wunsch verschweige.
Ich bitte, Amor, mit gefaltnen Händen,
Geh' hin zu meinem Herrn in seinen Palast,
Sag' ihm, wie ich mich liebend nach ihm sehnte,
Weil er mit Zärtlichkeit mein Herz erfüllt hat;
Sag' ihm, ich fürchte, in der Glut zu sterben,
Die mich entzündet, und ich kann die Zeit nicht
Erwarten, diesen Qualen zu entrinnen,
Die ich um ihn erdulden muß vor Sehnsucht,
Vor Furcht und vor Verschämtheit;
Ich bitte, laß ihn meine Leiden wissen.

  Amor! seitdem ich mich in ihn verliebte,
Hast Du mir minder Mut als Furcht gegeben,
Daß ich mich nur ein einzig Mal erkühnte,
Ihm, der mir so viel Kummer zugezogen,
Den Wunsch des Herzens offen zu bekennen;
Doch so zu sterben macht den Tod mir bitter.
Vielleicht wird es ihn selber nicht verdrießen,
Wieviel ich um ihn dulden muß zu hören.
Wenn Du mir nur die Kühnheit
Verliehst, ihm meinen Umstand zu entdecken.

  Doch da es Dir, o Amor, nicht gefallen,
Mir soviel Kraft und Kühnheit zu verleihen,
Mein Herz vor dem Gebieter auszuschütten,
So laß von Dir die Gnade mich erflehen,
Daß Du durch Boten oder ihm erscheinend
Im Traumgesicht, ihn an den Tag erinnerst,
Da ich mit Schild und Lanze ihn gerüstet
Erblickte mit den andern Rittern kämpfend;
Denn seit ich ihn gesehen,
Will mir vor Liebe jetzt das Herz vergehen.

Minuccio setzte dieses Lied unverzüglich in solche sanfte und rührende Töne, welche dem Inhalt angemessen waren, und ging am dritten Tage nach Hofe, wie der König eben noch an der Tafel saß. Dieser befahl ihm, etwas zu singen und zu spielen. Er stimmte darauf das Lied so rührend an, daß alle, die sich in dem königlichen Saale befanden, ihm mit stillem Entzücken zuhörten, und der König selbst staunte fast noch mehr als die andern. Wie Minuccio sein Lied zu Ende gesungen hatte, fragte ihn der König, wie es käme, daß er sich nicht erinnern könnte, dies Lied jemals vorher gehört zu haben?

»Gnädiger Herr! (versetzte Minuccio) dies Lied ist erst seit dreien Tagen gedichtet und in Musik gesetzt worden.«

Wie der König ihn hierauf fragte, wer es gemacht hätte, gab er zur Antwort, er könnte dies niemand als ihm selbst entdecken. Da der König neugierig war, es zu wissen, so ließ er ihn nach der Tafel in sein Geheimzimmer kommen, wo Minuccio ihm alles ausführlich erzählte, was ihm Lisa gesagt hatte. Das ergötzte den König sehr und er lobte das Mädchen und sagte, eine so hochgesinnte Jungfrau verdiente Mitleiden; er möchte demnach zu ihr gehen, sie in seinem Namen trösten und ihr versprechen, daß er sie noch an demselben Abend besuchen wollte.

Minuccio, der sich freute, dem Mädchen so gute Zeitung zu bringen, ging unverzüglich mit seiner Violine zu ihr, erzählte ihr unter vier Augen alles, was vorgefallen war und sang ihr das Lied, indem er es mit seiner Violine begleitete. Sie ward so innig vergnügt darüber, daß sie alsobald merkliche Zeichen der Besserung spüren ließ, und ohne daß jemand im Hause etwas davon wußte, erwartete sie mit Verlangen den Besuch des Königs.

Dieser, der ein sehr gütiger und edelmütiger Herr war, erwog die Erzählung des Minuccio und die ihm bekannte Schönheit des Mädchens, und ward dadurch noch mehr zum Mitleid bewogen. Gegen den Abend stieg er zu Pferde, als wenn er einen Spazierritt thun wollte, ritt nach der Gegend zu, wo der Apotheker wohnte und ließ sich seinen schönen Garten öffnen, vor welchem er abstieg, und nach einigen anderen Reden den Bernardo nach seiner Tochter fragte und ob sie schon verheiratet wäre.

»Nein, gnädiger Herr (sprach Bernardo): verheiratet ist sie noch nicht; vielmehr ist sie seit einiger Zeit sehr krank gewesen und ist es noch; doch hat es sich heute seit Mittag ungemein mit ihr gebessert.«

Der König konnte leicht erraten, woher die Besserung käme, und er sagte: »Es wäre wahrlich schade, wenn ein so hübsches Geschöpf so früh der Welt entrissen würde; wir wollen hingehen und sie besuchen.«

Bald darauf ging er mit zweien von seinem Gefolge und mit dem Vater zu ihr in's Zimmer, trat an das Bett, in welchem sie sich ein wenig aufgerichtet hatte und mit Sehnsucht wartete, ihn zu empfangen, und sprach zu ihr, indem er ihre Hand nahm: »Madonna, was soll das bedeuten? Ihr seid jung und solltet andere erfreuen, und Ihr werdet selbst krank? Wir bitten Euch, uns zu Liebe so guten Muts zu sein, daß Ihr bald wieder gesund werdet.«

Wie das Mädchen ihre Hand in der Hand desjenigen fühlte, den sie über alles liebte, fand sie sich zwar ein wenig beschämt, allein sie fühlte sich zugleich so glücklich, wie im Paradiese, und gab so vernehmlich als sie konnte, zur Antwort: »Gnädiger Herr! Ich nahm eine Bürde auf mich, die für meine schwachen Kräfte viel zu schwer war, und das ist die Ursache meiner Krankheit. Es wird aber, Dank sei Eurer Güte! bald besser mit mir werden.«

Der König allein verstand den geheimen Sinn dieser Worte und schätzte deswegen das Mädchen um so höher; er machte heimlich dem Schicksal Vorwürfe, daß es sie in einen so niedrigen Stand gesetzt hatte. Nachdem er sich noch eine kleine Weile bei ihr aufgehalten und ihr zugeredet hatte, entfernte er sich.

Diese Herablassung des Königs ward allgemein gerühmt und dem Apotheker und seiner Tochter zur großen Gnadenbezeigung angerechnet. Das Mädchen empfand so viele Freude darüber, als jede andere an dem Besitze ihres Liebhabers würde gehabt haben, und sie ward so dadurch aufgemuntert, daß sie bald wieder völlig gesund und schöner als jemals ward. Wie sie nun wieder hergestellt war, überlegte der König mit seiner Gemahlin, wie er ihre Liebe am besten nach Verdienst vergelten könnte. Er machte sich deswegen einst mit vielen seiner edelsten Barone auf und ritt nach dem Hause des Apothekers, welchen er samt seiner Tochter in den Garten zu sich berufen ließ, wohin auch die Königin mit vielen ihrer Hofdamen gekommen war und mit vieler Güte das junge Mädchen vor sich ließ. Nach einer kleinen Weile nahm der König und die Königin die Lisa auf die Seite, und der König sprach zu ihr: »Tugendhafte Jungfrau, wegen Eurer großen Liebe zu uns haben wir Euch eine große Ehre zugedacht, die Ihr um unsertwillen Euch werdet wohl gefallen lassen. Da Ihr nämlich in dem Alter seid, Euch zu verheiraten, so wünschen wir, daß Ihr denjenigen als Euren Gemahl empfangt, den wir selbst für Euch gewählt haben: doch sind wir zugleich entschlossen, uns beständig Euren Ritter zu nennen, und dafür von Eurer großen Liebe nicht mehr zu verlangen, als einen einzigen Kuß.«

Das Mädchen, welches ganz schamrot geworden war, ließ sich den Willen des Königs gefallen und antwortete mit leiser Stimme: »Gnädiger Herr, ich bin versichert, wenn man es erführe, daß ich mich in Euch verliebt hätte, so würden mich die meisten Menschen für unsinnig halten und würden vielleicht glauben, daß ich so weit meinen Verstand verloren hätte, daß ich den Unterschied zwischen Eurem Stande und dem meinigen verkennte. Aber Gott, der allein die Gedanken der Menschen kennt, weiß es, daß ich von dem Augenblicke, da ich mich in Euch verliebte, wohl empfand, daß Ihr ein König wäret und ich die Tochter des Apothekers Bernardo, und daß es sich keineswegs für mich schickte, in meinem Herzen nach so hohen Dingen zu streben. Allein Ihr wißt wohl besser als ich, daß niemand sich aus freier Wahl verliebt, sondern nachdem ihn Geschmack und Leidenschaft anreizen, deren Drange ich zwar eine Zeitlang meine schwachen Kräfte entgegengesetzt habe; doch wie ich nicht länger widerstehen konnte, mußte ich Euch lieben, und ich liebe Euch noch und werde Euch ewig lieben. Allein seitdem ich mich von der Liebe zu Euch hingezogen fühlte, faßte ich zugleich den Vorsatz, Euren Willen stets zu dem meinigen zu machen; und deswegen werde ich mich nicht nur gern mit demjenigen vermählen, den Ihr mir bestimmt habt, und ihn lieben (indem ich selbst dadurch zu Ehren und zum Wohlstande gelange), sondern ich würde mit Freuden durch's Feuer gehen, wenn ich glauben könnte, Euch damit gefällig zu sein. Ihr wißt, wie wenig es mir zukommt, Euch, meinen König, zu meinem Ritter zu haben; darum enthalte ich mich gänzlich, dieses zu beantworten, und auch den Kuß, den Ihr als die einzige Frucht meiner Liebe von mir verlangt, werde ich nicht ohne die Erlaubnis meiner gnädigen Königin bewilligen. Dagegen bitte ich Gott, daß er Euch und meiner Königin Eure große Güte nach Verdienst desto reichlicher lohnen wolle, je weniger ich selbst im Stande bin, Euch nach Gebühr dafür zu danken.«

Die Königin war ungemein zufrieden mit der Antwort Lisa's und fand sie so tugendsam, wie der König sie ihr beschrieben hatte. Der König ließ den Vater und die Mutter der Jungfrau rufen, und wie er fand, daß sie mit allem zufrieden waren, was er beschlossen hatte, ließ er einen jungen Edelmann, der aber nicht reich war, namens Perdicone, zu sich rufen, gab ihm zwei Ringe in die Hand und befahl ihm, sich mit der schönen Lisa zu verloben, wozu er ihn auch willig fand. Der König schenkte ihm, außer vielem köstlichen Geschmeide, welches er und die Königin der jungen Braut verehrten, die schönen großen und fruchtbaren Güter Cefalu und Calatabellota, mit den Worten: »Diese geben wir Dir als einen Mahlschatz für die Jungfrau; was wir willens sind, für Dich selbst zu thun, das wirst Du in der Folge sehen.«

Darauf sprach der König zu der Braut: »Jetzt wollen wir die Frucht einernten, die uns von Eurer Liebe gebührt.« Mit diesen Worten legte er beide Hände an ihr Haupt und küßte ihr die Stirne. Perdicone, Lisa's Eltern und sie selbst waren hocherfreut, und die Hochzeit ward fröhlich gefeiert. Viele Leute behaupten auch, daß der König der jungen Braut getreulich Wort hielt, und daß er nie bei einem Turnier mit anderen Sinnbildern und Farben erschien, als die sie ihm aufgab.

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