Giovanni Boccaccio
Dekamerone oder die 100 Erzählungen
Giovanni Boccaccio

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Vierundzwanzigste Erzählung.

Man erzählt, daß einmal nahe bei Sankt Pancratio ein ehrlicher und reicher Mann wohnte, namens Puccio de Rinieri, der aber an nichts, als an geistliche Dinge dachte, und deswegen Laienbruder bei den Franziskanern ward, die ihn Bruder Puccio nannten. Da nun sein ganzer Hausstand nur aus seiner Frau und einer Magd bestand, so brauchte er sich's eben mit keinem Geschäfte sauer werden zu lassen, sondern er konnte ganz seinem Hange zu geistlichen Sachen folgen und in die Kirchen geben, so viel er wollte. Als ein einfältiger Mensch von grobem Schrot und Korn dachte er nur daran, seinen Rosenkranz abzubeten, in die Predigten zu gehen und keine Messe zu versäumen, und nie fehlte er bei dem Laudamus, welches die Laienbrüder absangen. Dabei unterließ er nie zu fasten, sich zu geißeln und bei den Umzügen zu trompeten, denn er gehörte zu den Bußgeißlern.

Seine Frau, die man Donna Isabella nannte, war ein hübsches, rasches Weibchen von achtundzwanzig bis dreißig Jahren, rund wie ein Apfel. Sie mußte aber oft länger fasten, als ihr lieb war, weil ihr Mann so andächtig und vielleicht auch alt war; und oft, wenn sie lieber geschlafen, oder mit ihm gescherzt hätte, so erzählte er ihr das Leben Christi, oder er unterhielt sie mit den Predigten des Bruders Nastasio, mit den Klagen der Magdalena und mit anderen solchen Dingen.

Um diese Zeit kam ein Mönch aus Paris zurück, der zum Kloster des heiligen Pancratius gehörte, namens Don Felix, ein sehr schöner, junger, witziger und gelehrter Mann, mit welchem Bruder Puccio sich in eine sehr genaue Bekanntschaft einließ. Weil nun dieser ihm alle seine Zweifel meisterlich zu heben wußte und überdies, da er seine schwache Seite entdeckt hatte, den größten Heiligen gegen ihn spielte, so nahm ihn Bruder Puccio bisweilen des Mittags, oder des Abends, wie es ihm einfiel, mit sich nach Hause zum Essen, und die Frau pflegte ihn dann, dem Bruder Puccio zu Gefallen, auch freundlich aufzunehmen, und sich gegen ihn sehr artig zu benehmen.

Wie nun das Mönchlein fleißig in Bruder Puccio's Hause aus- und einging und das frische, rundliche Weibchen in's Auge faßte, ward er bald gewahr, woran es ihr am meisten fehlte, und bekam Lust, wenn es sich so fügen wollte, dem Bruder eine Mühe abzunehmen, und seine Stelle bei ihr zu vertreten. Er schoß deswegen verstohlener Weise manchen bedeutenden Blick nach ihr ab, so daß er zuletzt ein ähnliches Verlangen bei ihr erregte. Sobald er dies merkte, nahm er die erste Gelegenheit wahr, sein Anliegen bei ihr anzubringen. Allein so geneigt sie auch war, das Werk zu fördern, so war es doch schwer, das Mittel dazu ausfindig zu machen, weil sie sich außer dem Hause dem jungen Pater nicht anvertrauen wollte, und zu Hause war es nicht thunlich, weil Bruder Puccio nie von der Stelle wich, welches dem Klosterbruder ganz und gar nicht behagte.

Endlich fiel ihm nach langem Nachsinnen ein Anschlag ein, mit ihr in ihrem eigenen Hause eine Zusammenkunft zu veranstalten, ohne daß Bruder Puccio etwas davon argwöhnte, wenn er gleich selbst zu Hause wäre. Wie ihn also dieser einst besuchte, sprach er zu ihm: »Ich habe schon lange bemerkt, lieber Bruder, daß Dein ganzes Trachten dahin geht, ein Heiliger zu werden. Du nimmst aber, deucht mich, einen gewaltigen Umweg, um zu Deinem Endzweck zu gelangen; da es doch einen weit kürzeren Weg giebt, den der Papst und andere seiner vornehmen Geistlichen recht gut kennen und benutzen, aber ihn deswegen nicht gerne bekannt werden lassen, weil sonst der geistliche Stand, der von lauter Opfern der Sünder lebt, sich bald ganz auflösen würde, indem die weltlichen ihn alsdann weder mit Almosen, noch mit anderen milden Gaben weiter unterstützen würden. Weil Du aber mein Freund bist und mir so viel Liebes und Gutes erwiesen hast, so wollte ich Dir dies Mittel wohl offenbaren, wenn ich nur gewiß wüßte, daß Du es niemand wieder entdecken, und daß Du meine Vorschrift genau befolgen wolltest.«

Bruder Puccio, welchem nach diesem Mittel sehr verlangte, bat ihn inständig, es ihn zu lehren, wobei er ihm zugleich schwor, daß er ohne seine Einwilligung nie jemand etwas davon offenbaren, und daß er gern alles thun wollte, was in seinem Vermögen wäre, um seine Vorschrift zu befolgen.

»Weil Du mir das versprichst,« sprach Don Felix, »so will ich Dich's lehren. Du mußt also wissen, daß unsere gottseligen Lehrer behaupten, wer ein Heiliger werden wolle, der müsse sich nur mit allem Fleiße der Bußübung unterwerfen, die ich Dir beschreiben will. Ich will damit nicht sagen, daß Du nachher nicht immer noch der Sünder bleiben solltest, der Du bist; allein die Sünden, die Du bis zur Stunde Deiner Buße begangen hast, werden völlig abgethan, und diejenigen, die Du nachher begehst, werden Dir nicht zur Verdammnis gereichen, sondern sich mit Weihwasser abwaschen lassen, wie jetzt die Schwachheitssünden. Du mußt also erstlich mit allem Fleiße Deine Sünden beichten, ehe die Buße anfängt; hernach mußt Du vierzig Tage lang strenge fasten und Dich enthalten, und während der Zeit nicht nur kein fremdes Frauenzimmer, sondern auch Dein eigenes Weib nicht berühren. Überdies mußt Du Dir in dem Bezirk Deines eigenen Hauses einen Platz wählen, wo Du die ganze Nacht den Himmel betrachten kannst, an diesen Ort mußt Du Dich in der Abendstunde begeben und einen Tisch dahin stellen lassen, der so beschaffen ist, daß Du mit den Füßen die Erde berühren und mit dem Rücken auf dem Tische liegen könntest, mit ausgebreiteten Armen, wie ein Gekreuzigter (willst Du Dich mit den Händen an ein paar Pflöckchen halten, so steht es Dir frei), und in dieser Stellung mußt Du unbeweglich bleiben und den Himmel anschauen, bis der Tag anbricht. Wärst Du ein Gelehrter, so würde ich Dir gewisse Gebete geben können, die Du sprechen müßtest. Da Du aber ein Laie bist, so mußt Du dreihundert Paternoster beten, und eben so viele Ave Maria zur Ehre der heiligen Dreieinigkeit hersagen, und indem Du den Himmel betrachtest, beständig Gott im Gedächtnis haben, der Himmel und Erde gemacht hat, und das Leiden Christi, den Du in der Stellung nachahmst, in welcher er sich am Kreuze befand. Hernach, sobald die Morgenstunde schlägt, kannst Du, wenn Du willst, Dich in Deinen Kleidern niederlegen, und ein wenig schlafen. Darauf mußt Du Vormittag zur Kirche gehen, mußt daselbst zum mindesten drei Messen hören, und fünfzig Paternoster nebst so vielen Ave Maria sprechen. Alsdann kannst Du in Einfalt des Herzens einige Geschäfte verrichten, wenn Du welche hast, und darauf zu Mittag essen. Um die Vesperzeit mußt Du wieder in die Kirche gehen und gewisse Gebete sprechen, die ich Dir aufschreiben will, und ohne welche Du nicht fertig werden kannst, und sobald die Abendstunde kommt, fängst Du wieder an nach der vorigen Weise. Wenn Du das alles genau beobachtest, wie ich selbst ehemals gethan habe, so hoffe ich, Du werdest noch vor Ablauf Deiner Bußübung wunderbarliche Vorempfindungen von der ewigen Glückseligkeit spüren, wenn Du die Sache recht mit Andacht treibst.«

»Das ist eben keine so schwere und langwierige Sache,« sprach Bruder Puccio, »daß sie sich nicht ausführen ließe. Ich will also in Gottes Namen am Sonntag damit anfangen.« Darauf beurlaubte er sich bei ihm, ging nach Hause und erzählte alles seiner Frau. Diese erriet leicht die Absicht, warum der Mönch ihm empfohlen hätte, die ganze Nacht auf einem Fleck zu bleiben, und weil die Maßregel ihr wohl behagte, so sagte sie, sie ließe sich dieses und alles, was er sonst zum Heile seiner Seele vornehmen wollte, recht gerne gefallen; und damit ihm der Himmel sein Bußwerk desto besser gedeihen ließe, so wollte sie selbst mit ihm fasten, ohne jedoch an dem übrigen Bußgeschäfte teilzunehmen. Wie sie darüber einig waren, und der Sonntag herankam, fing Bruder Puccio sein Bußwerk an. Der Mönch stellte sich indessen, so bald es dunkel ward, bei dem Weibchen ein, brachte etwas gutes zu essen und zu trinken mit, und brachte mit ihr die Nacht in fleißigen Übungen zu; worauf er sich kurz vor Tages Anbruch wieder entfernte, wenn Bruder Puccio kam und sich zu Bette legte.

Der Ort, welchen sich Bruder Puccio zu seinem Geschäfte gewählt hatte, war neben der Kammer seines Weibchens, und nur eine dünne Mauer war dazwischen. Weil nun der Mönch seine Andachtsübungen mit ihr einst ein wenig zu heftig treiben mochte, so schien es dem Bruder Puccio schier, als wenn sich das ganze Stockwerk bewegte. Er hielt demnach ein wenig ein mit seinem Paternoster, deren schon er ein Hundert abgelegt hatte, und rief, ohne sich von der Stelle zu bewegen, seiner Frau zu: »Weibchen, was machst Du?«

Da sie ein leichtfertiges Ding war und vielleicht eben den Gaul des heiligen Benedikts ohne Sattel reiten mochte, so gab sie ihm zur Antwort: »Männchen, ich rege mich aus Leibeskräften.«

»Wie so, warum regst Du Dich?« sprach Puccio, »was willst Du damit sagen?«

»Weißt Du nicht, was das sagen will?« versetzte sie. »Ich habe Dich ja oft sagen hören: Wen man des Abends satt nicht macht, der muß sich rühren die ganze Nacht.«

Bruder Puccio glaubte, die Fasten, die sie ihm einbildete zu halten, raubten ihr den Schlaf und die Ruhe; er gab ihr also treuherzig zur Antwort: »Ich hab' es Dir wohl gesagt, Frau, faste nicht so strenge, aber Du hast es selbst gewollt, also kehre Dich an nichts und schlafe ruhig, Du wirfst Dich ja im Bette herum, daß alles unter Dir kracht.«

»Laß Dich das nicht kümmern.« sprach sie, »ich weiß wohl was ich thue. Mache Du nur Deine Sachen gut, ich will schon suchen, das meinige zu thun.«

Bruder Puccio gab sich damit zufrieden und ging wieder an seine Paternoster. Die Dame und der Mönch wählten sich aber in der Folge einen entfernteren Ort zu ihren Zusammenkünften, wo sie das Bußgeschäft des Bruders Puccio mit einander ausharrten, und wenn Don Felix wegging, verfügte sich das Weibchen zurück nach ihrem Bette, wo sich Bruder Puccio nach geendigter Buße auch einzustellen pflegte.

Indes nun Bruder Puccio fortfuhr zu büßen, und seine Frau und Don Felix sich bestrebten zu genießen, pflegte sie oft im Scherz zu diesem zu sagen: »Du läßt den ehrlichen Puccio büßen, und wir gewinnen indessen das Paradies.« Und weil es dem Weibchen dabei wohl behagte, so gewöhnte sie sich so gut an die Mönchskost (zumal da ihr Mann sie lange Zeit nur kärglich gefüttert hatte), daß sie auch nach geendigtem Bußwerke Mittel fand, sich an anderen Orten mit ihm zu ergötzen. Und so kam es dahin, daß Bruder Puccio, indem er meinte, durch sein Büßen das Paradies für sich zu gewinnen, dem Mönch dazu verhalf, der ihm den Weg gezeigt hatte, und seiner Frau ebenfalls, welche lange Zeit bei ihm großen Mangel von demjenigen gelitten hatte, womit sie der gutherzige Mönch reichlich versorgte.

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