Sagen aus dem Rheinland
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Der blinde Schütz auf Sooneck

In alten Zeiten hauste auf der stolzen Burg Sooneck ein gewalttätiger Raubritter. Er war der Schrecken der Reisenden, die duch sein Gebiet ziehen mußten, und lag mit allen Nachbarn, die sich an seinen Raubzügen nicht beteiligten, in Fehde. Zu seinen Freunden zählte er nur Gesellen seines eigenen Schlages.

Eines Tages überfiel er mit seinen Kumpanen einen Zug friedlicher Kaufleute. Den billig errungenen Sieg feierte er mit einem wüsten Trinkgelage. Als die Zecher vom reichlich genossenen Wein erhitzte Köpfe hatten, gerieten sie in Streit darüber, wer von ihnen Bogen und Pfeil am besten zu handhaben verstehe. Keiner wollte zurückstehen, jeder wollte Meister sein.

Da rief der Burgherr in den Streit und Lärm hinein: »Nicht einer von uns allen kann es als Schütze mit dem Fürstenecker aufnehmen!« Die Spießgesellen schauten einander verwundert an, war doch der Ritter von Burg Fürsteneck seit einiger Zeit auf unerklärliche Weise verschwunden. Mit seiner vom Trunke heiseren Stimme rief da der Soonecker: »Ich weiß, wo der fromme Schleicher ist! In meinem Burgverlies liegt er gefangen und geblendet. Doch heute soll er vor euch einen Meisterschuß tun,«

Nach wenigen Augenblicken steht der Gefangene im Saal, erloschenen Auges und mit vergrämten Zügen, aber doch hoch erhobenen Hauptes. »Heute sollst du deinen Meisterschuß tun«, höhnt der Soonecker. »Wenn. du das Ziel triffst, bist du frei!« »Ich will es wagen«, sagt der Blinde und umspannt prüfend den dargereichten Bogen. Da wirft der Räuber einen Becher mitten unter die Zechgenossen und schreit: »Hier der Becher ist das Ziel. Schieß los!«

Schnell spannt der Blinde den Bogen, schon schwirrt die Sehne, und mit dem Pfeil im Herzen sinkt der Ritter von Sooneck tot zu Boden. Ernüchtert verlassen die Gäste den Saal. Nur ein Mitleidiger bleibt zurück und führt den Blinden auf seine Burg, heim zu Weib und Kind.

 


 


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