Sagen aus dem Rheinland
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Das verlorene Pantöffelchen

Bei Speicher, unweit der Kyll, hausten in einer Felsenhöhle Wichtelmännchen. Sie waren winzig klein und trugen hohe, spitze Hütchen. Am Tage waren sie nie zu sehen; nur in dunklen Nächten gingen sie aus. Man sah dann am Morgen im feuchten Grunde vor der Höhle ihre zierlichen Fußspuren. Sie waren den Menschen freundlich gesinnt und besserten ihnen Schuhe und Kleider aus.

Einst wurde in einer Mühle an der Kyll eine Hochzeit gefeiert. Musik und Jubel drangen bis in die Höhle der winzigen Gesellen. Und als die Nacht hereinbrach, da schimmerten hellerleuchtete Fenster lockend durch das tiefe Dunkel. Wie gerne hätten die Männlein an der Freude der Menschen, mit denen sie es so gut meinten, teilgenommen, doch sie wagten es nicht. Endlich faßte der Nestling der Schar Mut und sprach: »Wenn wir auch nicht ins Haus hineingehen dürfen, so wollen wir uns doch die Hochzeit von außen ansehen!« Trotz der Warnung der Alten machten sie sich zusammen auf und schlichen klopfenden Herzens an das Hochzeitshaus. Sie stiegen auf die Haselnußsträucher, die vor der Mühle wuchsen, und schauten sehnsüchtigen Blickes durch die Fenster. Doch, O Schrecken, der Neugierigsten einer stieß unversehens an eine Fensterscheibe. »Die Wichtelmännchen belauschen uns!« so hörten die zu Tode Erschrockenen eine laute Stimme rufen. Und sie liefen fort, so schnell ihre kurzen Beinchen sie trugen. Die jungen Burschen im Hochzeitshaus aber ließen vom Tanze ab und verfolgten die Fliehenden. Der Bruder der Braut fand ein winziges Pantöffelchen von purem Golde, das der Männlein einst verloren hatte.

Während nun die Hochzeitsgesellschaft ihre Feier fortsetzte, irrte der arme Kleine im Finstern umher und suchte sein verlorenes Schühlein. Da er es nicht wiederfand, durfte er nicht mehr zu seinen Brüdern zurückkehren. Er wußte nicht, daß die bösen Menschen es gefunden hatten. Noch heute wandelt er in nächtlicher Stunde klagend durch das Kylltal. Die andern Wichtelmännchen aber zogen bald nach jener Hochzeit von dannen, wohin, weiß niemand.

 


 


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