Sagen aus dem Rheinland
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Der Geiger von Echternach

Vor mehr als tausend Jahren lebte in Echternach der hl. Willibrord, der in großer Wohltäter unseres Landes war. Wenn er predigte, dann drängte sich das Volk in dichten Scharen um ihn. In der vordersten Reihe der Zuhörer sah man stets den lange Veit, einen ungewöhnlich großen Mann, der als Musikant durchs Land und bei Festlichkeiten zum Tanze aufspielte. Das Wort des gewaltigen Bußpredigers rührte so sehr das Herz des Spielmanns, daß dieser sich eines Tages aufmachte und mit seinem Weibe eine Wallfahrt nach dem heiligen Lande antrat.

Jahre vergingen, doch Veit kehrte nicht zurück; nicht einmal eine Nachricht von ihm kam in die Heimat. Seine Verwandten hielten ihn für tot und teilten seinen Besitz. Da endlich, am Ostertage des zehnten Jahres seiner Wallfahrt, erschien ganz unerwartet der Totgesagte wieder, allein und bettelarm. Sein Weib hatten Räuber im Morgenlande erschlagen. Eine alte Geige war seine ganze Habe. Er trat vor seine Verwandten und forderte sein Gut zurück. Die Unredlichen erschraken und beschlossen, sich des Heimgekehrten zu entledigen. Sie klagten ihn an, er selbst habe sein Weib im fernen Lande ermordet.

Für solch schwere Anklage war der Beweis vor dem Gerichte nicht zu führen; nur ein Gottesurteil konnte entscheiden. Gegen einen waffengewandten Vetter mußte der lange Veit zum Kampfe antreten; er wurde besiegt, und der Richter verurteilte den Unterlegenen nach Gesetz und Herkommen zum Tode.

Als der Unglückliche unter dem Galgen stand und den Strick schon am Halse spürte, bat er, noch einmal auf seiner Geige spielen zu dürfen. Das wurde ihm als letzte Gnade gewährt, und er entlockte den Saiten solche wehmütige Töne, daß den Zuhörern die hellen Tränen über die Wangen liefen. Dann aber spielte er feurige Weisen, die alle zur Hinrichtung Herbeigeeilten, Burschen und Dirnen, Männlein und Weiblein, ja selbst die ernsten Richter und den finstern Henker, zum Tanze mitrissen. Toll und immer toller drehte sich die Schar im Kreise, Veit aber stieg gemächlich von der Leiter herab und verschwand, immer weiter spielend, im Walde.

Erst am späten Abend hörten die Tänzer auf, sich zu drehen, doch die Verwandten Veits, die ihn fälschlich angeklagt hatten, mußten ohne Unterbrechung weiter springen. Schon hatten sie sich bis an die Knie in die Erde hineingetanzt, da löste endlich Sankt Willibrord, den man herbeigerufen hatte, den tollen Zauber.

 


 


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