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LXII.

Peregrine bittet die Flamländerin, ihm in Brüssel einen Besuch zu gestatten; sie entzieht sich jedoch seinen Verfolgungen.

Nachdem Alles wieder in Ruhe gekommen und die Gesellschaft sich angekleidet hatte, fand man sich des Morgens um fünf Uhr zum Frühstück zusammen und reisete eine Stunde darauf ab. Das tiefste Stillschweigen herrschte jetzt unter der Gesellschaft. Peregrine, sonst die Seele der Unterhaltung, war, seiner gescheiterten Hoffnungen wegen, schwermüthig und traurig; der Israelit und seine Dulcinea zeigten sich, wegen der erlittenen Beschimpfungen, etwas niedergeschlagen; der neue Pindar verlor sich in hohe Betrachtungen und der Maler in Racheentwürfen. Jolter ward bald durch die Bewegung des Wagens in Schlummer gewiegt und holte das Versäumniß der Nacht nach; dem Kapuziner und dessen Pflegetochter ging aber die Traurigkeit unsers Freundes sehr nahe und Beide nahmen, jedoch aus sehr verschiedenen Gründen, innigen Antheil an dem Schmerz seiner fehlgeschlagenen Erwartungen. Die allgemeine, aus der unruhig durchlebten Nacht entspringende Müdigkeit wiegte nach und nach Alle in einen sanften Schlummer ein, und man war kaum eine halbe Stunde gefahren, so befand sich, außer Peregrine und der jungen Flamländerin, Niemand mehr munter im Wagen, wenn nicht etwa der Kapuziner sich nur zu schlafen stellte, um Pickle und seiner Pflegetochter Gelegenheit zu einer Unterredung zu geben.

Diese Gelegenheit versäumte unser Freund auch nicht zu benutzen. Er begann sich über sein grausames Schicksal zu beklagen, das ihn zum Spielball des Glücks machte; dann versicherte er, und dies nicht ohne Grund, daß ihm noch nie in seinem Leben etwas so viel Kummer gemacht habe, als die Vorgänge der letzten Nacht, und daß ihn die schwärzeste Melancholie befallen würde, wenn sie jetzt, da er sich von ihr trennen solle, nicht Mitleid genug hätte, ihm die wenigen Tage, die er in Brüssel bleiben könne, zu gestatten, zu ihren Füßen zu verseufzen.

Mit einem bekümmerten Gesichte bezeigte ihm die junge Dame ihr Leidwesen, die unschuldige Ursache seiner Schmerzen zu seyn; doch hoffte sie, wie sie sagte, daß das Abentheuer der letzten Nacht von heilsamer Wirkung für ihn und sie seyn würde; denn was sie anlange, so sey sie überzeugt, daß der Himmel ihre Tugend offenbar dadurch habe schützen wollen, und wie groß auch der Eindruck seyn möchte, den er auf sie gemacht habe, so sey sie doch jetzt eben durch jene Vorgänge fähig geworden, ihren Pflichten nachzukommen, die sie seinetwegen beinahe vergessen hätte. Dann bat sie ihn, seiner eigenen Ruhe wegen, sie zu vergessen, und gab ihm zu verstehen, daß weder der Plan, den sie sich zu ihrem künftigen Leben entworfen, noch die Vorschriften der Ehre es ihr erlaubten, seine Besuche anzunehmen oder in irgend einem Verhältnisse mit ihm zu stehen.

Diese Erklärung wirkte auf ihren Verehrer so heftig, daß er einige Minuten lang kein Wort hervorzubringen vermochte; dann aber brach seine Leidenschaft mit dem höchsten Ungestüm hervor, und indem er die Geliebte einer furchtbaren Grausamkeit und eines entsetzlichen Kaltsinnes beschuldigte, schwor er ihr zu: daß er ihr bis an das Ende der Welt folgen und lieber sein Leben als seine Liebe für sie aufgeben würde; ja er versicherte in seiner wilden Heftigkeit, daß er den albernen Zerstörer seines Glücks in dieser Nacht seiner Rache opfern und Jeden morden wolle, der ihm hindernd in den Weg treten würde; kurz, seine Leidenschaft und die Aufregung, in welcher er sich befand, trieben ihn zu Aeußerungen an, die fast den Gipfel des Wahnsinns beurkundeten. Dabei schossen ihm die Thränen aus den Augen und sein ganzes Wesen zeugte von einem solchen Aufruhr in seinem Innern, daß das Herz der schönen Flamländerin nach und nach gerührt ward und sie ebenfalls mit nassen Augen ihn bat, sich zu beruhigen, und ihm versprach, von der Strenge ihres Entschlusses etwas nachzulassen. Diese Erklärung besänftigte ihn etwas; er gab ihr seine Adresse und sie versicherte ihm dagegen, daß er in längstens vierundzwanzig Stunden Nachricht von ihr erhalten solle.

So getröstet gewann er wieder einige Herrschaft über sich selbst und wurde allmälig heiter; dies war jedoch nicht der Fall mit der Dame, die nach diesen Beweisen seiner zügellosen Heftigkeit sich völlig abgeschreckt fühlte, irgend eine Verbindung mit ihm zu unterhalten, wodurch ihr Ruf und ihre Ruhe ausgesetzt werden konnte, und trotz dem vortheilhaften Eindrucke, den er auf sie gemacht hatte, besaß sie doch Ueberlegung genug, vorauszusehen, daß ein längerer Umgang mit ihm das Glück ihres Lebens nur auf immer zerstören könne.

Diese Betrachtungen, verbunden mit dem Gefühl ihrer Pflicht, halfen ihr, dem Zuge des Herzens zu widerstehen und flößten ihr den Entschluß ein, den jungen Mann so lange im Guten hinzuhalten, bis sie sich ihm ohne weitere Gefahr zu laufen, durch die unbedachtsamen Ausbrüche seiner Leidenschaft an ihrer Ehre gekränkt zu werden, würde entziehen können; weshalb sie denn, diesem Vorsatze gemäß, als man in Brüssel anlangte, ihn bat, sie nicht bis zu ihrer Mutter Haus zu begleiten. Getäuscht durch das Versprechen, Nachricht von ihr zu erhalten, ließ Peregrine sich dies auch gefallen und nahm sowohl von ihr als den andern Fremden förmlich Abschied, als er sich mit seinen Reisegefährten nach dem Gasthofe begab, den man ihm zugewiesen hatte.

Um sich in der Zeit, bis die gewünschte Nachricht kam, zu zerstreuen, besah er das Rathhaus, das Arsenal, den Tiergarten und das Kunstcabinet eines berühmten Buchhändlers, und brachte dann den Abend in der italienischen Oper zu, die hier zur Unterhaltung des Statthalters der Niederlande, des Prinzen Carl von Lothringen, bestand. Als aber die bestimmte Frist beinahe verflossen war, da erhielt er nachstehendes Billet:

»Mein Herr, wüßten Sie, wie schwer es mir geworden ist, mich auf immer vor Ihren Bewerbungen zu verbergen, so würden Sie sicher das Opfer billigen, das ich der Pflicht bringe und mein Beispiel nachzuahmen suchen. Der Himmel hat mir die Gnade verliehen, meine strafbare Leidenschaft zu beherrschen und mich dem Anblicke dessen entziehen zu können, der sie in mir erregte. Ich beschwöre Sie aber bei Ihrer und meiner Wohlfahrt und bei der Ehrerbietung und Liebe, die Sie, Ihrer Versicherung nach, für mich zu empfinden die Güte hatten, bekämpfen auch Sie Ihre Leidenschaft und stehen Sie von allen Versuchen ab, meinen guten Entschluß zu vereiteln. Suchen Sie nicht die Ruhe eines Wesens zu stören, das Ihnen werth ist, und den Frieden einer Familie, die Ihnen nie etwas zu Leide that, und rauben Sie einem verdienstvollen Manne nicht die Neigung einer Gattin, auf deren ungetheiltes Herz er die heiligsten und verdientesten Ansprüche hat.«

Dieses Briefchen ohne Datum und Unterschrift brachte unsern Helden vollends um alle Besonnenheit. Wie ein Rasender rannte er zu dem Wirth hinab und verlangte von diesem, den Boten zu sehen, der den Brief gebracht hatte, und da weder der Wirth noch sonst Jemand im Hause ihm hierüber genügende Auskunft zu geben vermochte, so geberdete er sich nun wie ein Unsinniger und verwünschte sich und die Verfasserin des Briefes, die Welt und Alles um sich her in den Abgrund der Hölle. Seine Tollheit ging so weit, die Geliebte mit dem Namen einer Buhlerin und Landstreicherin zu belegen, die ihn mit Hülfe des kupplerischen Pfaffen um sein Geld betrogen hätte; dabei schwor er Rache an dem Bettelmönch zu üben, und da unglücklicher Weise der Maler ihm in diesem Augenblick in den Weg kam, so packte er ihn bei der Gurgel und schrie: er allein habe ihn durch seine verdammte Narrheit zu Grunde gerichtet. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er den armen Pallet erdrosselt haben, hätte sich nicht Jolter ins Mittel gelegt und den Unglücklichen befreit; da der Hofmeister sich aber nun nach der Ursache dieser gewaltthätigen Behandlung erkundigte, erhielt er keine andere Antwort als ein Rudel unzusammenhängender Flüche.

Mit unaussprechlichem Erstaunen über den ihm so unerwarteten Angriff versicherte der Maler dagegen und nahm Gott dabei zum Zeugen, daß er durchaus nicht wisse, wodurch er den Squire beleidigt hätte, und Jolter gerieth nun in vollem Ernst auf den Gedanken, Peregrinens Lebhaftigkeit sey zur Raserei ausgeschlagen. Diese Idee machte ihn fast selbst unsinnig, und um besser beurtheilen zu können, was für Mittel allenfalls anzuwenden seyn dürften, wandte er jetzt seine ganze Beredsamkeit an, die Ursache von dessen Wahnsinne zu erfahren. Mit Thränen in den Augen beschwor er ihn, sie ihm zu entdecken. Diese Theilnahme hatte aber auf Pickle die gute Wirkung, daß er nach und nach anfing, sich seiner Unbesonnenheit zu schämen und sich nun auf sein Zimmer begab, um seine Gedanken wieder zu sammeln. Nachdem er sich hier eingeschlossen hatte, las er den Brief zum zweiten Male, und jetzt begann sein Urtheil über den Charakter und die Absicht der Verfasserin schwankend zu werden. Bald hielt er dieselbe für nichts als eine Nymphe, die unter der Maske der Einfalt und Unschuld ihre Ränke und Plane gegen die Geldbeutel unerfahrener junger Leute verberge; dann aber, wenn er ihr ganzes Betragen wieder überlegte, konnte er nicht umhin, ein besseres Urtheil über sie zu fällen. Aber eben diese Erinnerung an sie erschwerte ihm wieder das Gefühl seines Verlustes, und er würde von neuem sich seiner Heftigkeit überlassen haben, wenn nicht die Hoffnung, daß er vielleicht zufällig sie irgendwo treffen oder daß es seinen Nachforschungen gelingen könne, sie ausfindig zu machen, ihn etwas beruhigt hätten. Ueberzeugt, daß ihr Herz Parthei für ihn nahm, verzweifelte er noch nicht an seinem Glück, auch stärkte ihn der Gedanke, daß er ihren Sittenaufseher finden könne, der, wie er wohl wußte, gänzlich zu seinem Gebote stand. Dies Alles stillte denn nach und nach den Aufruhr in seinem Innern, so daß er nach Verlauf von einigen Stunden mit ziemlich heiterem Gesicht wieder zu der Gesellschaft gehen konnte, wo er den Maler wegen der Freiheit, die er sich gegen ihn genommen, um Verzeihung bat und ihm versprach, ihm die Veranlassung zu dieser Heftigkeit gelegentlich mitzutheilen. Zu erfreut, sich wieder mit einem Manne ausgesöhnt zu sehen, der ihn gegen den Doctor, seinen furchtbaren Antagonisten, schützen konnte, stand Pallet nicht an, auch seinerseits die Hand zur Versöhnung zu reichen, und Jolter war nur zufrieden, seinen Zögling wieder hergestellt zu sehen.


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